• Keine Ergebnisse gefunden

Finanzpolitik und private Wirtschaftspläne: Ricardianische Staatsschuldneutralität Staatsschuldneutralität

STAATSVERSCHULDUNG, INTERTEMPORALE ALLOKATION UND EXOGENES WACHSTUM

11.1 Staatliche Verschuldungspolitik im Ramsey-RA- Ramsey-RA-Modell

11.1.2 Steady State und dynamische Anpassung

11.1.3.2 Finanzpolitik und private Wirtschaftspläne: Ricardianische Staatsschuldneutralität Staatsschuldneutralität

Staatliche Finanzpolitik beeinflußt weder die Technologie der Sachgüter-produktion noch das Gewinnmaximierungsproblem der Unternehmungen. Hin-gegen werden die optimalen Wirtschaftspläne des Haushaltssektors von der öf-fentlichen Hand über zwei Wirkungskanäle beeinflußt. Zum einen muß der repräsentative Haushalt zu jedem Zeitpunkt aus seinem Einkommen zusätzlich zur Situation ohne Staat den Pauschsteuerbetrag r, finanzieren, so daß sich seine dynamische Budgetidentität verändert zu:

(11.24) ä,

=

w, - r, -c, + (r, - n)a,.

43 Vgl. Blanchard und Fischer (1989), S. 54f. sowie Turnovsky (1995), S. 242.

44 Vgl. Blanchard und Fischer (1989), S. 127 sowie Romer ( 1996), S. 65.

Zum anderen kann der unendlich lebende Konsument sem Finanzvermögen nunmehr neben der Investition in produktives Kapital auch in - von ihm als per-fekte Substitute zur Sachkapitalakkumulation angesehenen - Staatsschuldpa-pieren anlegen:

(11.25) a,

=

k, + b,.

Welchen Effekt besitzt in diesem Rahmen eine intertemporale Reallokation von Pauschsteuerlasten durch staatliche Verschuldungspolitik? Die bemerkenswerte Antwort auf diese Frage ist als Theorem der Staatsschuldneutralität oder Ricardianisches Ä."quivalenztheorem ein prominenter Angelpunkt der wissen-schaftlichen Diskussion um dynamische Finanzpolitik und intertemporale Makroökonomik.45 Für eine genauere Ableitung dieses Ergebnisses sei zunächst definiert:

DEFINITION 11.1 (Neutralität der Staatsverschuldung; Ricardianische Äquivalenz)

Staatliche Verschuldungspolitik ist neutral, wenn für einen gegebenen Zeitpfad staatlicher Güterkäufe die intertemporale Allokation der Ressourcen und damit das reale Gleichgewicht einer Volkswirtschaft nicht von der -durch die staat-liche Wahl der Finanzierungsmethode zwischen Pauschbesteuerung und erhöhter Staatsverschuldung implizierten - intertemporalen Struktur der Pauschbesteuerung beeinflußt wird (Ricardianische Ä."quivalenz).

Mit dieser Definition kann für das Ramsey-RA-Modell die Gültigkeit Ricardia-nischer Äquivalenz festgestellt werden:

SATZ 11.7 (Neutralität staatlicher Verschuldungspolitik)46 Im Ramsey-RA-Mode/1 ist staatliche Verschuldungspolitik neutral.

45 Die finanzrnathematische Äquivalenz der Finanzierung gegebener staatlicher Ausgaben über öffentliche Kredite oder (Pausch-)Steuern wurde zuerst 1817 von Ricardo (1951, S.

244f.) in seinen Principles festgestellt, auch wenn er die Neutralität staatlicher Verschul-dung mit dem Hinweis auf die Fiskalillusion unter Bürgern letztendlich verwarf. Für die moderne Diskussion wurde der Gedanke von Barro (197 4) wieder fruchtbar gemacht.

Siehe ausführlicher hierzu Unterkapitel II.4 der vorliegenden Arbeit.

46 Vgl. Aschauer (1988a), S. 4Sf.; Barro (1989a), S. 204; Blanchard und Fischer (1989), S.

56; Tumovsky (1995), S. 243; Maußner und Klump (1996), S. 164; Romer (1996), S. 66 sowie Arnold (1997), S. 67f.

Beweis.47

Vorwärtsintegration der dynamischen Budgetidentität privater Haushalte bei staatlicher Finanzpolitik (11.24) führt unter Beachtung der unverändert gültigen Ausschlußbedingung privater Ponzi-Spiele (11.6) zur modifizierten intertempo-ralen Budgetrestriktion des repräsentativen Haushalts (vergleiche mit (11.7)):

1 1 1

(11.26) "' -J<r.-n)du "' -J<r.-n)du "' -j(,.-n)du

fc1e• dt=k0+b0+fw1e• dt-fr,e• dt.

0 0 0

Auch bei staatlicher Finanzpolitik wird der Gegenwartswert des privaten Kon-sums durch die Summe des anfänglichen Sach- und Humanvermögens be-schränkt. Allerdings ergibt sich das anfängliche Nichthumanvermögen nunmehr aus der Kapitalintensität und dem Pro-Kopf-Schuldenniveau des Staates. Zudem entspricht das Humanvermögen nunmehr dem Gegenwartswert der Löhne ab-züglich der Pauschsteuerverpflichtungen. Wird schließlich die staatliche inter-temporale Budgetbeschränkung (11.23) in (11.26) berücksichtigt, so findet sich:

1 , ,

(11.27)

er, -J<r.,-n)du oo -J<r11-n)du oo -

J(,

11-n)du

fc1e dt=k0+ fw,e dt- fg,e dt.

0 0 0

Die intertemporale Budgetbeschränkung privater Haushalte (11.27) bestimmt die Entscheidungen der repräsentativen Familiendynastie, das realwirtschaftliche Gleichgewicht und damit die Trajektorien der realen Größen der Volkswirt-schaft. Sie enthält weder staatliche Verschuldung noch Pauschsteuem als Ele-ment und ist somit unabhängig von der Finanzierungsform staatlicher Ausga-ben; nur der Zeitpfad der Staatsausgaben selbst erscheint in (11.27). Staatliche Verschuldungspolitik ist daher neutral.

Wie ist diese fehlende Wirkung einer intertemporalen Reallokation von Pauschsteuerlasten durch staatliche Verschuldungspolitik ökonomisch zu er-klären? Bei gegebenem Zeitpfad der Staatsausgaben muß eine Abnahme gegenwärtiger Pauschsteuerlasten nach der intertemporalen Budgetbeschrän-kung des Staates mit einer Erhöhung der Steuerlasten zu einem späteren Zeit-punkt verbunden sein, wenn der Staat trotz des gegenwärtig ansteigenden De-fizits solvent bleiben will. Aus Sicht der unendlich weit in die Zukunft

pla-47 Vgl. Barro (1989a), S. 202-204; Blanchard und Fischer (1989), S. 55f.; Turnovsky (1995), S. 242-245; Maußner und Klump (1996), S. 162f. sowie Romer (1996), S. 64-66.

nenden repräsentativen Familiendynastie gleichen sich die gegenwärtige Ab-nahme und die antizpierte zukünftige ZuAb-nahme der Steuerlasten in Gegen-wartswerten gerade aus. Finanzmathematisch sind unter diesen Bedingungen öffentliche Kredite und Steuern zur Finanzierung eines gegebenen Ausgaben-pfades äquivalent. Der Vermögensanlage Staatsschuldpapiere, die der reprä-sentative Haushalt als Aktivum in seinem Finanzportfolio hält, steht zu jedem Zeitpunkt eine Verpflichtung in Form zukünftig zu leistender Steuerzahlungen von gleichem Gegenwartswert gegenüber. Die Staatsschuldtitel sind daher kein Nettovermögen für die privaten Haushalte, ihre Erhöhung begründet ent-sprechend auch keinen Nettovermögenseffekt. Da ihre intertemporale Budget-beschränkung unverändert ist, verändert die repräsentative Familiendynastie auch ihren optimalen Konsumpfad nicht. Vielmehr wird sie einfach die Erhö-hung ihres Gegenwartseinkommens sparen und aus diesen Ersparnissen und ihrer Verzinsung die später anfallenden zusätzlichen Steuerzahlungen Ieisten.48 Das abgeleitete Neutralitätsergebnis ist ohne Zweifel äußerst bemerkenswert. Es steht nicht nur in auffälligem Gegensatz sowohl zur Keynesianischen Sicht-weise, daß staatliche Verschuldungspolitik im Konjunkturzyklus zur Dämpfung der Wechsellagen ökonomischer Aktivität eingesetzt werden kann (,,deficit spending"). Sie steht in ebensolchem Widerspruch zur herrschenden neoklas-sischen Position, die in ihrer modernen intertemporalen Form in den nächsten beiden Kapiteln dargelegt werden wird. Schließlich wäre die empirische Gül-tigkeit der realwirtschaftlichen Wirkungslosigkeit sowohl des öffentlichen Schuldenstandes als auch der haushaltsperiodischen Nettoneuverschuldung in ihrer Bedeutung für die praktische Finanzpolitik kaum zu überschätzen.

Das Ricardianische Neutralitätstheorem wird in den folgenden beiden Unter-kapiteln jeweils als Spezialfall des behandelten Modells repliziert werden können. Seine theoretische Fundierung und empirische Relevanz sind aber auch über den engeren Kreis der Modelle dynamischer Finanzpolitik hinaus Gegen-stand einer umfangreichen finanzwissenschaftlichen Diskussion; diese soll in Unterkapitel 11.4 ausführlich gewürdigt werden.

48 Vgl. Blanchard und Fischer (1989), S. 56; Maußner und Klump (1996), S. 163f. sowie Romer (1996), S. 66f.