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Unterschiede hinsichtlich der virtuellen Integration in soziale Netzwerke

Im Dokument The Strength of Very Weak Ties (Seite 171-174)

Aktive Kontakte:

6.1.2 Unterschiede hinsichtlich der virtuellen Integration in soziale Netzwerke

Wie in den vorherigen Kapiteln dargestellt, sind die Unterschiede zwischen nachbarschaftsbasierten und Hybriden Sozialen Netzwerken hinsichtlich der Kontext-faktoren am größten. Zwar erfolgt mit vermehrter elektronischer Kommunikation wie in nachbarschaftsbasierten Netzwerken grundsätzlich über das beobachtete Verhalten in der Gruppe eine Passung der eigenen Vorstellung zum Netzwerk im Allgemeinen. Diese Vorstellungen sind jedoch bei nachbarschaftsbasierten Netzwerken sehr viel voraus-setzungsvoller und hängen mit persönlichen, weitgehend unveränderbaren und visuell erfassbaren Merkmalen zusammen. Für die virtuelle Beziehung spielt hingegen die Persönlichkeit des Anderen generell eine untergeordnete Rolle, v.a. dadurch, dass der andere schriftlich statt visuell erfahren wird. Somit wird auch die Möglichkeit der Stigmatisierung nach dem Aussehen bei virtuellen Kontakten weitgehend ausgeschlossen. In Hybriden Sozialen Netzwerken sind vielmehr das persönliche Interesse, der eigene Kontaktwunsch und das eigene Engagement maßgeblich für die soziale Integration in das Netzwerk. Hiermit stehen also Faktoren für die soziale Integration im Vordergrund, die vom Einzelnen selbst beeinflussbar sind und vom individuellen Selbstbild statt unveränderlicher Merkmale wie Herkunft oder Geschlecht abhängen.

Das Bewusstsein über die Grenzen der Wahrnehmung und über die Gefahr, sich aufgrund der passiven Interaktionen ein falsches Bild über den Gegenüber zu machen, ist grundsätzlich in jedem Fall deutlich größer als in Nachbarschaften, in denen man davon ausgeht, dass man eine Beobachtung im öffentlichen Raum und die dazugehörigen Personen bzw. deren Charakter richtig einschätzt. Das erhöhte Bewusstsein über die trügerische Wirkung von Wahrnehmungsprozessen bei passiven, lediglich virtuellen Interaktionen erhöht ebenfalls die Toleranz gegenüber anderen Netzwerkmitgliedern, da man mitdenkt, dass die Person „am anderen Ende der Leitung“ ggf. in der Realität ganz anders ist als man sie einschätzt. In Nachbarschaften werden Stereotype und Vorurteile in der Regel nicht hinterfragt und bleiben insbesondere deshalb erhalten, weil man sich vor allem bei einer negativen Bewertung „des Anderen“ (z.B. als „typischer Ausländer/ Deutscher“ oder als

„gewalttätiger Jugendlicher“) seines eigenen Eindrucks weitgehend sicher ist. Die Toleranz und soziale Mischung ist somit auf Ebene der „very weak ties“ in Hybriden Sozialen Netzwerken höher als in nachbarschaftsbasierten Netzwerken und die „Brückenfunktion“, die Granovetter (vgl. Kapitel 1.1) beschreibt, stärker ausgeprägt. Damit sind Hybride Soziale Netzwerke weniger voraussetzungsvoll, was persönliche Merkmale betrifft, und damit hinsichtlich der „very weak ties“ sozial integrativer als nachbarschaftsbasierte Netze.

Hinsichtlich der Einflussfaktoren für „very weak ties“ bestehen viele Parallelen zwischen nachbarschaftsbasierten und Hybriden Soziale Netzwerken. So kann eine höhere Kohäsion mit einer eher geringen Mitgliederfluktuation die Bindung zum Netzwerk erhöhen. Dieser

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Aspekt wirkt auf virtueller Ebene allerdings weitaus stärker als auf der face-to-face-Ebene.

Das liegt auch daran, dass hybride Netzwerke weitaus dynamischer sind und sich schneller und besser an die Bedürfnisse der Mitglieder anpassen bzw. von den Mitgliedern selbst aktiv gestaltet werden können. So können z.B. bei einer Ausweitung des Netzwerks auf virtueller Ebene Untergruppen zu eigenen Interessen gebildet werden, während man in Nachbarschaften sich damit arrangieren muss, wenn in der Wohnung nebenan ständig neue Mieter einziehen.

Die Repräsentation der Netzwerkmitglieder im öffentlichen Raum hat sowohl in nachbarschaftsbasierten als auch in Hybriden Sozialen Netzwerken einen Einfluss auf die Bindung zum Netzwerk. Allerdings bieten Hybride Netzwerke mehr Optionen, sich im öffentlichen Raum selbst darzustellen: Während in nachbarschaftsbasierten Netzwerken die Repräsentation von Gruppen im öffentlichen Raum durch die physische Präsenz (Besetzung von Räumen, formelle Treffen, informelle oder zufällige Zusammenkünfte etc.) erfolgt, werden in Hybriden Sozialen Netzwerken eine Vielfalt an virtuellen Möglichkeiten geboten, sich selbst darzustellen (Eigene Seite, Einstellen von Bildern, Einsicht in Kontakte und Nachrichten etc.). Dabei können die User in der Regel selbst bestimmen, wie viel sie von ihrer Persönlichkeit zeige, d.h. wie anonym oder authentisch sie auftreten. Die Selbstdarstellung verläuft somit auf einer sehr viel bewussteren Ebene, die durch technische Rahmenbedingungen wie der Möglichkeit, „Eigene Seiten“ oder Chatrooms zu gestalten, festgelegt werden. Je authentischer jedoch das Auftreten der User ist, desto enger wird tendenziell die Bindung zum Netzwerk.

Die Veränderungen hinsichtlich der Einflussfaktoren für passive Interaktionen können somit als Wandel hin zu einer verstärkten Repräsentation der Mitglieder innerhalb der Community charakterisiert werden. Dieser Wandel kann über die Möglichkeiten der Selbstdarstellung, die Art der Gruppenbildung und den Grad der Spezialisierung der Community beschrieben werden. Hierbei steigen demnach die Möglichkeiten aktiv die eigene Selbstdarstellung, die Gruppenbildungsprozesse sowie die Spezialisierung der Community zu gestalten.

Als Konsequenz aus günstigen Kontext- und Einflussfaktoren sowie der daran angepassten Kommunikationsstrategien entsteht also generell sowohl in Nachbarschaften als auch in Hybriden Sozialen Netzwerken aus den passiven Interaktionen ein Gefühl der Bindung.

Allerdings ergeben sich aus den unterschiedlichen Kommunikationsstrategien (virtuelle vs.

Beobachtung) auch Unterschiede in Bezug auf die Konsequenzen von „very weak ties“. Der grundsätzliche Unterschied ist hierbei, dass die elektronische, schriftliche Kommunikation zur sachlichen Kommunikation tendiert, während bei face-to-face-Kontakten stärker an die emotionale Ebene appelliert wird. So ist die emotionale Unterstützung bei virtuellen Kontakten als Zeitvertreib oder Small Talk weitaus geringer als die Erfahrung von Anerkennung innerhalb einer Nachbarschaft. Diese geringere emotionale Einbindung bei

„very weak ties“ wird allerdings vor allem auf der Seite der negativen Konsequenzen deutlich: Während bei Hybriden Netzen das Engagement nicht verstärkt wird, können in nachbarschaftsbasierten allein durch im Grunde ebenfalls virtuelle „very weak ties“

stresserzeugende Wirkungen wie ein akuter Auszugswunsch oder ein allgemeines Unsicherheitsgefühl entstehen. Bei Hybriden Netzen ergibt sich ein zusätzlicher Nutzen des Weiteren auf instrumentaler Ebene in Form von elektronischen Informationen und Hilfestellungen. Zudem erhöht sich generell die Anzahl der Kontakte in Hybriden Sozialen Netzwerken, was insgesamt einen größeren Pool an Informationen und Hilfeleistungen für

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Mitglieder Hybrider Sozialer Netzwerke bedeutet. Im Prinzip können instrumentale Hilfestellungen über passive Kontakte auch in Nachbarschaften gegeben werden, wenn z.B.

Haushaltsgegenstände im Hauseingang zum Verschenken abgestellt oder Informationen an schwarzen Brettern anderen Nachbarn mitgeteilt werden. Allerdings wurden in den vorliegenden Interviews keine Hinweise auf solche instrumentalen Hilfestellungen auf passiver, virtueller Ebene in nachbarschaftlichen Netzen gefunden.

Zusammengefasst besteht der wesentliche Unterschied bei den Konsequenzen der „very weak ties“ in der geringeren persönlichen Betroffenheit der Mitglieder von Hybriden Sozialen Netzwerken. Die passiven Interaktionen in Hybriden Sozialen Netzwerken weisen zwar nicht auf unfreundliches Verhalten, soziale Ausgrenzungen oder Stigmatisierungen hin, machen aber in der Regel auch keine gemeinschaftsbildenden Prozesse erfahrbar. In Hybriden Sozialen Netzwerken haben die Netzwerkbeziehungen anders als in Nachbarschaften somit auch keinen großen Einfluss auf das persönliche Wohlbefinden. Insgesamt ist damit eine Tendenz von der emotionalen Unterstützung hin zur informationellen und instrumentalen Unterstützung zu erkennen.

Aus den Konsequenzen passiver Interaktionen lassen sich unterschiedliche „Ausgangs-positionen“ erkennen, aus denen engere Kontakte im Hybriden Sozialen Netzwerk geknüpft werden. Vergleichbar ist hier, dass bei der Festigung der virtuellen zur realen Beziehung generell eine Schnittstelle besteht, die sich in einem ersten privaten bzw. persönlichen Treffen äußert. Bei Hybriden Sozialen Netzwerken sind über die passive Kommunikation vorher in der Regel schon mehr Informationen über den Gegenüber bekannt, was sich darin äußern kann, dass man sich direkt besonders gut versteht. Auf der anderen Seite kann jedoch das erste Treffen auch eine Überraschung oder Enttäuschung sein, wenn man sich das Gegenüber anders vorgestellt hat. Bei nachbarschaftlichen Netzwerken ist diese Schnittstelle unschärfer, weil man sich nur mit den Personen trifft, die einem „ähnlich“ sind, was man besser anhand des visuellen Eindrucks als anhand der schriftlichen Kommunikation beurteilen kann. Zudem ist der Übergang von „very weak ties“ zu „weak ties“

insofern „weicher“, als die Kommunikation auf passiver Ebene durch Grüßen, Tür aufhalten etc. der aktiven Kommunikation bei einem Treffen eher ähnelt als die elektronische Kommunikation.

In beiden Netzwerkformen ist durch ein privates Treffen die passive Beziehung zu einer aktiven geworden. Allerdings kann man nach einem Treffen in einem Hybriden Sozialen Netzwerk ohne sozialen Zwang wieder leichter zu einer unverbindlicheren elektronischen Kommunikation übergehen. Demgegenüber kann es bei einer nachbarschaftlichen Beziehung schwieriger sein, nach einem Treffen den Kontakt wieder unverbindlicher zu gestalten, da in einem nachbarschaftlichen Netzwerk zum einen ein zufälliges persönliches Treffen im Wohnumfeld, wahrscheinlich und ein Ausweichen unangenehmer ist als auf der elektronischen Ebene.

Insgesamt weisen die Unterschiede zwischen den „very weak ties“ in nachbarschaftsbasierten und denen in Hybriden Netzen auf einen Wandel hin, der von „der Akzeptanz seitens der Gruppe“ hin zum „sich selbst aktiv integrieren“ beschrieben werden kann. Tendenziell schwindet dabei als Kontextfaktor die Bedeutung persönlicher Merkmale, während die Selbstdarstellung sowie das aktive Einbringen in und Engagement für das Netzwerk als Einflussfaktor an Bedeutung für die soziale Integration gewinnen. Die

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Konsequenz ist ein größerer emotionaler Abstand zum sozialen Netzwerk, das vor allem für instrumentale Unterstützung genutzt wird.

Hybride soziale Netzwerke sind damit auf virtueller Ebene sozial integrativer, aber weniger kohäsiv. Hinsichtlich des sozialen Kapitals bieten sie hier weniger emotionale, aber mehr instrumentale Unterstützung als nachbarschaftliche Netzwerke. In Bezug auf Granovetters (1973) „Brückenfunktion“ schwacher Beziehungen kann festgestellt werden, dass in Hybriden Sozialen Netzwerken „very weak ties“ über fast alle persönlichen Merkmale hinweg verbinden können, während in nachbarschaftsbasierten Netzen auf Ebene der passiven Kontakte eine starke Abgrenzung zu „den Anderen“ stattfindet, aber auch die Bindung zu den „Gleichen“ ebenfalls stärker als in Hybriden Netzen ist.

Im Dokument The Strength of Very Weak Ties (Seite 171-174)