• Keine Ergebnisse gefunden

Fallbeispiel 3: Typ „Nerd“

Im Dokument The Strength of Very Weak Ties (Seite 187-190)

Aktive Kontakte:

6.2 Fallbeispiele für unterschiedliche Prozesse der sozialen Integration in Hybriden Sozialen Netzen

6.2.4 Fallbeispiel 3: Typ „Nerd“

Stefan ist vor einem Jahr berufsbedingt nach Greifswald gezogen. „Mein Freund, den ich noch aus Bundeswehrzeiten kenne, und meine Familie leben in Süddeutschland. Hier sind meine Sozialkontakte eher auf die Leute aus dem ‚Modder-Forum’ beschränkt.“ Case-Modding, das heißt das kreative Gestalten von PC-Gehäusen, ist schon lange Stefans Leidenschaft. Er hat schon seinen ersten C64 mit schwarzem Lack besprüht, weil er die

188

beige Grundfarbe zu langweilig fand. „Mit den Jahren ist daraus eine richtige Manie geworden. Und heute kann man ja fast alles aus einem Rechner bauen.“ In seiner Wohnung ist ein ganzes Zimmer nur für seine Computer reserviert: „Keine Ahnung, wie viele das wären, wenn ich mal die ganze Hardware zu einzelnen Rechnern zusammenbauen würde...an kompletten Case-Mods habe ich aber etwa 11 oder 12.“

Stefan verbringt nach eigenen Angaben etwa 95 % seiner Freizeit mit Case-Modding: „Wenn ich nicht gerade an einem Rechner rumbastle, checke ich das Forum nach Tipps und Tricks oder schreibe selbst für’s Forum.“

„Es gibt da so zwei, drei Leute, mit denen ich mich abends auch richtig lang unterhalte. Mit denen rede ich auch mal über private Dinge, wie Weihnachten war und so.“ Getroffen hat Stefan diese Personen zwar noch nie persönlich, aber er hat schon das Gefühl, dass „so etwas wie eine Freundschaft entstanden“ ist. Als einer der User von seiner Freundin verlassen wurde, haben die anderen ihn aufgeheitert, indem sie ihm Computer Gadgets wie einen USB-Tassenwärmer, gesendet haben.

Stefan ist schon einmal mit seinem „Manga-PC“ auf den zweiten Platz der deutschen Case-Modding-Meisterschaften gekommen. „Bei der Meisterschaft in Hannover habe ich dann auch mal ein paar Leute aus dem Forum real getroffen.“ Da er aber in Greifswald der einzige Case-Modder ist, trifft er sich privat sonst nicht mit anderen Usern aus dem Forum. „Das macht mir allerdings auch nicht viel aus! Wenn ich dann abends ins Bett gehe – meist wird’s dann doch etwas später – habe ich schon irgendwie das Gefühl, dass ich mit vielen Leuten geredet habe.“ Stefans Freund oder seine Familie finden die Computer, die er baut, zwar auch ganz interessant, „aber mit so Themen, die mich interessieren, wie Wasserkühlungssystem oder der Leistungsstärke von Netzteilen, können die sowieso nichts anfangen.“

Das Fallbeispiel zum „Nerd“ konzentriert sich nicht nur auf technische Fachleute, sondern umfasst auch Personen, die insgesamt wenig Sozialkontakte besitzen und für die daher die interessenbasierte Kontakte im Hybriden Sozialen Netzwerk eine wichtige Bedeutung besitzen. Der Begriff des Nerds soll in diesem Kontext somit auf Personengruppen mit sehr spezialisierten, aber nicht-technischen Interessen z.B. für Taubenzucht oder Briefmarken ausgeweitet werden.32

Gemeinsam ist dabei allen Nerds, dass sie den passiven Interaktionen innerhalb Community viel Zeit widmen und im Vergleich zu den anderen beiden Nutzergruppen nur wenig schwächere Sozial-Kontakte (weak ties) außerhalb der Community pflegen. Dies bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass ein Nerd überhaupt keine Sozialkompetenz besitzt, sondern vielmehr, dass auch aufgrund von temporären Rahmenbedingungen (z.B. Umzug in eine neue Stadt, hohes berufliches Engagement, Beziehungstrennung etc.) oder von persönlichen Präferenzen neben sehr engen Kontakten (strong ties) zu Familie oder Freunden kaum weitere Bekanntschaften gepflegt werden. Somit ist die Einordnung als

„Nerd“ im Zusammenhang der Arbeit vielmehr auf das Nutzerverhalten innerhalb des Hybriden Sozialen Netzwerks zu erachten, denn als allgemeines Persönlichkeitsprofil. Dies bedeutet, dass z.B. eine Person, die viele enge Freundschaften besitzt, aber beruflich sehr viel unterwegs ist, sich innerhalb der Community als „Nerd“ verhalten kann, d.h. die Rolle als

32 Diese Personen werden auch „Geeks“ genannt. Da dieser Begriff im Deutschen allerdings noch nicht sehr weit verbreitet ist, wird in dieser Arbeit weiterhin der Begriff „Nerd“ benutzt.

189

Experte mit Forumsdiskussionen und dem Schreiben von Beiträgen sehr motiviert erfüllt, aber an realen Treffen wenig Interesse hat.

Der Nerd beteiligt sich an dem Hybriden Sozialen Netzwerk also vielmehr über virtuelle Interaktionen. Im Gegensatz zum Konservativen konzentrieren sich die Interaktionen im Hybriden Sozialen Netzwerk beim Nerd vor allem auf die passive sowie aktive elektronische Kommunikation, während die face-to-face Kommunikation nur wenig Bedeutung besitzt. Er bleibt somit auf der Ebene der virtuellen Integration, die jedoch vor allem, wenn er nur wenige enge soziale Beziehungen (strong ties) besitzt, eine hohe Bedeutung für den Nerd haben kann.

In diesem Zusammenhang wird ein „Illusionsrisiko“ thematisiert, also das Bild von einer Beziehung, die in der Realität so nicht bestehen, weil man sich entweder noch nicht real getroffen hat oder weil man die Beziehung anders einschätzt als der Gegenüber. Das Illusionsrisiko bezieht sich dabei stets auf die emotionale Unterstützung, den der Nerd aus dem Netzwerk erhält. Innerhalb der Interviews wurden in diesem Zusammenhang thematisiert, dass man durch die virtuelle Kommunikation eine Anerkennung oder Wertschätzung erlebt, die so auf der anderen Seite real gar nicht vorhanden ist, z.B. wenn ein Nerd seine Machtposition ausspielt über fachliches Wissen und dafür allerdings auch Mitleid erzeugen kann. Dieses Illusionsrisiko ist jedoch nicht auf die Eigenschaften der elektronischen Kommunikation zurückzuführen, sondern vielmehr auf die Eigenschaften passiver Interaktionen. So wurde auch in den Interviews in Nachbarschaften ein Illusionsrisiko im Hinblick auf die virtuelle Integration offenbar – hier jedoch vielmehr in Form der Ausgrenzung und der Bedrohung anstatt in Form von positiv besetzten Emotionen.

Während also in Hybriden Sozialen Netzwerken eher ein vermeintliches Gefühl von Integration entstehen kann, entsteht auf Basis passiver Interaktionen in nachbarschaftsbasierten Netzwerken vielmehr ein vermeintliches Gefühl des sozialen Ausschlusses. In diesem Kontext stellt sich jedoch die grundsätzliche Frage, ob eine virtuelle Integration (im Gegensatz zum Gefühl der virtuellen Segregation in Nachbarschaften) überhaupt ein gesellschaftliches Problem darstellt, sofern ein vermeintliches Gefühl von Anerkennung und Wertschätzung über einen realen Kontakt nicht als falsch erkannt wird und so wortwörtlich Enttäuschung entsteht oder reale Beziehungen zuungunsten der virtuellen Beziehungen beeinträchtigt werden.

Die Nutzergruppe der Nerds interessiert sich somit vor allem für themenbasierte Communities, die eine virtuelle Plattform besitzen. Die soziale Kohäsion, die vor allem auf emotionale Unterstützung basiert, ist aufgrund der deutlichen Fokussierung auf die sachliche Ebene bei diesen Hybriden Sozialen Netzwerken eher gering. Hinsichtlich des sozialen Kapitals ist festzuhalten, dass der Nerd neben der ambivalenten emotionalen Unterstützung jedoch in jedem Fall informationelle und instrumentale Unterstützung mit den anderen Netzwerkmitgliedern austauscht. Solche Communities besitzen nur einen sehr geringen Ortsbezug, der z.B. durch jährliche Community-Konferenzen oder Events entsteht. Das Interaktionsangebot konzentriert sich auch hier jedoch auf die sachliche Ebene, d.h. den Austausch von Informationen und Hilfestellungen.

190

6.3 Bewertung der Fallbeispiele: Persönliche Wahrnehmung bestimmt soziale

Im Dokument The Strength of Very Weak Ties (Seite 187-190)