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Kommunikation als stadtsoziologisches Untersuchungsfeld

Im Dokument The Strength of Very Weak Ties (Seite 37-40)

2.2 Analyse der Kommunikationsstrukturen als Indikator für soziale Integration

2.2.2 Kommunikation als stadtsoziologisches Untersuchungsfeld

Die Analyse von Kommunikationsprozessen hat eine lange Tradition in der Soziologie:

Schon Simmel befasste sich in seinem „Exkurs über den schriftlichen Verkehr“ mit der brieflichen Kommunikation (Simmel 1908 d, S. 429 - 433) und bis heute haben sich viele Soziologen mit den Zusammenhängen zwischen Kommunikation und Gesellschaft auseinandergesetzt (v.a. Luckmann 1979/ 1980, Luhmann 1984/ 1995/ 1996, Habermas 1981/ 2001).

Allerdings bekommt der Begriff je nach Anwendungsbereich eine andere Bedeutung und es werden sehr unterschiedliche Schwerpunkte bei der Analyse von Kommunikation gesetzt (vgl. Schützeichel, S. 13). So widmet sich z. B. die soziale Semiotik Zeichensystemen und ihren sozialen Kontexten. Des Weiteren werden innerhalb der Sprachsoziologie das Verhältnis zwischen Sprache und Kultur bzw. die Verwendung von Sprachen, in der Kommunikationssoziologie die Wirkung von Massenmedien oder in der Technik- bzw.

Kultursoziologie die Wirkungen neuer Medien analysiert. Im mikrosoziologischen Kontext bezieht sich der Begriff der Kommunikation schließlich in der Regel auf einen sozialen Prozess, bei dem bestimmte Ressourcen, wie z.B. Informationen oder Unterstützungs-leistungen, von einem Menschen zum anderen übertragen werden. Demnach ist in der Soziologie Kommunikation in erster Linie als Basis zwischenmenschlicher Beziehungen zu betrachten und kann als Indikator für diese Beziehungen gelten. In diesem Zusammenhang können auch Erkenntnisse aus der Psychologie zur Analyse von Kommunikationsinhalten (z. B. Watzlawick et al. 1967, Schulz von Thun 1998) eine sinnvolle Ergänzung sein, wenn soziale Beziehungen untersucht werden sollen.

Im Rahmen stadtsoziologischer Forschung ist neben der sozialen Ebene auch die räumliche Ebene von Bedeutung. Hierbei können in Bezug auf Kommunikation zwei grundsätzliche Herangehensweisen unterschieden werden:

1. Ansätze, die Kommunikationsstrukturen innerhalb eines baulich-räumlich definierten Untersuchungsfelds (öffentliche Plätze, Siedlungen etc.) betrachten und

2. Ansätze, die räumliche Bezüge von Kommunikationsstrukturen (Raumbezug sozialer Netzwerke, z.T. Besetzung von Räumen durch Gruppen etc.) analysieren.

In Bezug auf die Analyse von Kommunikationsprozessen in bestimmten Räumen brachte als einer der ersten Bahrdt (1969) kommunikative Elemente in die soziologische Stadtdiskussion ein, indem er in der Diskussion um die Komplexität der Stadt und der Orientierungslosigkeit der Bewohner einen Schwerpunkt auf die urbanen Kommunikationsstrukturen setzte.

Darüber hinaus wird die Rolle öffentlicher Orte als Räume für die persönliche Begegnung der Stadtbewohner von vielen weiteren Soziologen diskutiert (z. B. Sennett 1990, Jacobs 1961).

In diesem Zusammenhang wird auch die Frage gestellt, ob die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zu einem Funktionsverlust öffentlicher Räume führe (Häußermann und Siebel 1987, Graham/ Marvin 1996, Iglhaut/ Medosch/ Rötzer 1996, Mitchell 1995/ 1999, vgl. auch Kapitel 2.3.3).

Neben öffentlichen Plätzen werden im Rahmen von Nachbarschaftsstudien auch Wohnumfelder im Hinblick auf ihre Funktion als Kommunikationsräume thematisiert.

Kommunikationsmuster dienen hier meist als Indikator für die Intensität und Qualität der nachbarschaftlichen Beziehung. Innerhalb der Nachbarschaftsforschung werden Kommunikationsaspekte wie Kontakthäufigkeiten oder -intensitäten demnach als Kriterien

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genutzt, über die die jeweilige soziale Beziehung definiert wird (Friedrichs 1983, S. 234 ff.).

Hierbei kommen jedoch die empirischen Untersuchungen fast durchgängig zum Schluss, dass „räumliche Nähe allein (...) keine intensiven Sozialbeziehungen“ generiere (Häußermann/ Siebel 2004, S. 111). Weitere Nachbarschaftsstudien befassen sich mit der Frage, ob bestimmte bauliche Arrangements Kontakte begünstigen und stellen ebenfalls fest, dass deren Einfluss relativ gering sei (z.B. Zapf 1969).

Einen ersten Ansatz zur Unterscheidung von ganzen Stadtteilen nach Kommunikations-beziehungen hat Warren (1978) entwickelt. Er stellt eine Typologie von Nachbarschaften auf, indem er verschiedene Nachbarschaften im Hinblick auf die Kommunikationsprozesse

„Interaktion“ und „Partizipation“ vergleicht. Warren (1978, S. 314) arbeitet schließlich folgende Nachbarschaftstypen heraus:

 Als integrale Nachbarschaft wird ein Wohnumfeld bezeichnet, in dem die Bewohner sehr häufig miteinander interagieren und dabei ihr Sozialverhalten an Normen und Werten ausrichten, die als instrumentell bezüglich der Erhaltung und Entwicklung der größeren Gemeinde gelten können, von der die Nachbarschaft ein Teilbereich ist. Es handelt sich um eine soziale Gruppe, die durch hohe Kohäsion und starke Partizipation in lokalen Gruppen sowie in Organisationen außerhalb der Nachbarschaft gekennzeichnet ist. Die integrale Nachbarschaft bildet ein lokales Zentrum aus, ihre Bewohner sind aber zugleich kosmopolitisch orientiert und besitzen auch viele Kontakte außerhalb der Nachbarschaft.

 Auch die parochiale Nachbarschaft ist durch ein hohes Ausmaß an sozialer Interaktion zwischen den Bewohnern gekennzeichnet, die Verbindung zur übergeordneten Gemeinde ist jedoch kaum hergestellt. Das mit einer Pfarrei verglichene Nachbarschaftsleben betont ,,ortsspezifische" Werte und verteidigt sie gegenüber den mit ihnen nicht vereinbaren Wertorientierungen, die Konflikte auslösten, würden sie z. B. von außen in die parochiale Nachbarschaft hineingetragen.

 In der diffusen Nachbarschaft lässt sich kaum informelle soziale Partizipation beobachten. Zwar existieren formelle Organisationen und Einheimische haben Führungspositionen inne; in ihrer Wertorientierung fühlen sich die Bewohner dadurch jedoch nicht repräsentiert.

 Die Bewohner der ,,Stepping-stone-Nachbarschaft" engagieren sich kaum innerhalb des Nachbarschaftsbereichs. Sie unterhalten vielmehr starke Beziehungen zu Personen oder Organisationen außerhalb dieses Bereichs. ,,Außengruppen" üben eine stärkere Anziehungskraft aus als lokale Gruppen. Im wohnungsangrenzenden Außenraum erfolgende Interaktionen zwischen Nachbarn sind eher formell.

 Sowohl Interaktion als auch Partizipation sind innerhalb der transitorischen Nachbarschaft schwach ausgeprägt. Die Bevölkerungsfluktuation ist hoch und angesichts des Mangels langfristiger Sozialbeziehungen entwickelt sich eine Atmosphäre der städtischen Anonymität.

 Wer innerhalb einer anomischen Nachbarschaft lebt, identifiziert sich weder mit der lokalen Wohnumwelt noch mit der Gemeinde, von der sie ein Teil ist. Auf beiden Ebenen partizipieren die Bewohner so gut wie gar nicht am sozialen Geschehen. Es handelt sich um desorganisierte, ,,atomisierte" Wohnquartiere.

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Warrens (1978) Ansatz geht dabei von der Nachbarschaft als räumlich definierte Einheit aus, in der eine bestimmte Kommunikationsform vorherrschend ist. Wie oben beschrieben kann neben der Funktion bestimmter Räume als Orte der Kommunikation auch der Raumbezug von Kommunikationsprozessen Gegenstand stadtsoziologischer Studien sein. Bertels (1987) analysiert beispielsweise Interaktionsmuster in Trabantenstädten und beschreibt auf dieser Basis folgende Typen von Kommunikationsgefügen (Bertels 1987, S. 155):

1. Die traditionelle Nachbarschaftskommunikation ist die übliche Kommunikations-beziehung innerhalb städtischer Gemeinschaften. In der Regel handelt es sich hierbei um Interaktionen zwischen zwei Personen, die in derselben Nachbarschaft wohnen.

Die traditionelle Nachbarschaftskommunikation kann sich aber innerhalb von Gruppen entwickeln, z.B. wenn die Mieter sich für etwas gemeinsam engagieren.

2. Autonome stadtteilbezogene Kommunikationsgefüge basieren auf zentralen, informellen Kommunikationsknotenpunkten, die als soziale Anlaufstelle dienen, wie z. B. Kioskbesitzer oder Frisöre.

3. Institutionell orientierte Kommunikationsgefüge beziehen sich auf spezifische Themen als das wesentliche Gesellungskriterium (z.B. Mutter-Kind-Gruppe). Der Unterschied zum autonomen stadtteilbezogenen Kommunikationsgefüge liegt in der stärkeren Bindung an die jeweilige Institution, sowie in der längerfristigen Perspektive. Die räumlichen Einrichtungen der Institution dienen dabei als Kommunikationszentren.

4. Stadtteilunabhängige Kommunikationsgefüge werden vor allem von Stadtbewohnern genutzt, die innerhalb der engeren Wohnumgebung engere Sozialbeziehungen pflegen. Dieses Kommunikationsgefüge wird insofern als stadtteilunabhängig bezeichnet, als es hierbei nicht um die räumliche, sondern die soziale Nähe der Kommunikationspartner geht. In diesem Fall wird die jeweilige Person nicht als Nachbar, sondern z.B. als Freund oder als Verwandte eingeordnet.

5. Raumsubstituierende Kommunikationsgefüge werden von Personen gepflegt, die sich von der Nachbarschaft sozial wie räumlich segregieren. Sie suchen Betätigungs-felder vor allem außerhalb des Stadtteils und unterscheiden sich dadurch von den Bewohnern, deren Stadtteilbeziehungen sich größtenteils auf die nähere Wohnumgebung beschränken.

6. Mit ,,Kommunikationsgefüge durch Gewöhnung" wird schließlich der Interaktionstyp bezeichnet, den eher isoliert voneinander lebenden Bewohnern unterhalten.

Nachbarschaft bedeutet hier zufälliges Zusammenwohnen und die Interaktion beschränkt sich in der Regel auf passive Kommunikation. Dieses Kommunikations-gefüge kann allerdings mit der jeweiligen Lebensphase wechseln, wenn z. B. im Rahmen einer familienorientierten Phase andere Kommunikationsgefüge interessanter werden.

Mit dem Konzept des „Kommunikationsgefüges“ verbindet Bertels Kommunikationsformen mit den daraus erwachsenen Beziehungskonstellationen im Stadtteil und beschreibt somit im Kern soziale Netzwerke. Von einer Person können dabei je nach Bezugsnetzwerk unterschiedliche Kommunikationsgefüge unterhalten werden. So können bestimmte Personen, die vor allem ein „raumsubstituierendes Kommunikationsgefüge“ nutzen und daher kaum Sozialbeziehungen innerhalb der Nachbarschaft pflegen, durchaus gelegentlich

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Teilnehmer eines anderen Kommunikationsgefüges sein, wenn sie beispielsweise beim Bäcker noch einen Schwatz und damit Teil eines „autonomen stadtteilbezogenen Kommunikationsgefüges“ sind.

Dieser Ansatz zur Analyse von Kommunikationsprozessen hinsichtlich ihrer räumlichen Bezüge entspricht einer sozialen Netzwerkanalyse (vgl. Kapitel 2.1.3), bei der verschiedene Netzwerkformen in einem bestimmten Raum untersucht werden und die Kommunikation als Indikator für die jeweilige Form der schwachen Bindung im Vordergrund steht. Dies spiegelt auch die Perspektive der vorliegenden Arbeit wieder. Der Zusammenhang zwischen Kommunikation und sozialer Bindung wird über das Konzept der Unterstützungsleistung hergestellt, das im folgenden Abschnitt näher erläutert wird.

2.2.3 Inhalt der Kommunikation: Austausch von Unterstützungsleistungen in

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