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Grundlagen der Kommunikation

Im Dokument The Strength of Very Weak Ties (Seite 33-37)

2.2 Analyse der Kommunikationsstrukturen als Indikator für soziale Integration

2.2.1 Grundlagen der Kommunikation

Kommunikation ist ein weiter Begriff, der in unterschiedlichen Disziplinen auch unterschiedliche Konnotationen erhält. In den Sprachwissenschaften wird Kommunikation beispielsweise als „Medium“ betrachtet, das Inhalte von einer Person zu einer anderen überträgt. Für die Informationswissenschaften hingegen besteht Kommunikation stets, wenn Informationen von einem Kommunikator zum anderen übertragen werden. Dabei können ein Kommunikator oder beide Kommunikatoren durchaus auch Geräte, Atome oder Webseiten sein. In der Soziologie wird schließlich angenommen, dass Kommunikation zwischen zwei oder mehr Menschen stattfindet. Sie ist damit ein sozialer Prozess ohne den soziales Zusammenleben nicht denkbar ist. Worin jedoch der soziale Prozess besteht und welchen Einfluss die Kommunikation auf das soziale Zusammenleben hat, wird in der soziologischen Diskussion um Kommunikation unterschiedlich interpretiert.

Für die vorliegende Arbeit bietet Luhmanns Kommunikationsbegriff einen sinnvollen Rahmen. Nach Luhmann (1984, S. 193 ff. und 1997, S. 104) ist Kommunikation nicht als einfache Informationsübertragung vom Sender zum Empfänger zu betrachten, sondern als von den Beteiligten gleichberechtigt gestalteter Ablauf, der sich aus den Komponenten

„Information, Mitteilung und Verstehen“ (Luhmann 1997, S. 190) zusammensetzt. Luhmann hebt Selektivität und Differenz als charakteristisch für Kommunikation hervor. Selektivität bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Vielfalt an subjektiven Entscheidungsmöglichkeiten, den Kommunikationsablauf zu bestimmen. Luhmann beschreibt dies, indem er erklärt, dass Kommunikation dazu da sei, „eine Information mitzuteilen, die auch anders ausfallen könnte“ (Luhmann 2001, S. 139). Es gibt also demnach in jeder Kommunikationssituation eine Fülle aus verschiedenen Handlungsmöglichkeiten, aus denen man selektieren kann, welche für die jeweilige Situation am besten geeignet erscheint. Dabei finden drei Selektionen statt: Die Selektion der Information („Was will ich sagen?“), die Selektion der Mitteilung („Wie teile ich dies mit?“) und die Selektion des Verstehens („Wie fasse ich die Mitteilung auf?“).

Für Luhmann ist dabei der Akt des Verstehens aus der Perspektive des „Verstehendens“

maßgeblich. Die Selektion einer Information und einer Art der Mitteilung ist also allein noch keine Kommunikation, während unabhängig von den Informations- und Mitteilungsselektionen des „Senders“ das Verstehen einer unwillkürlichen Botschaft, z.B. das Interpretieren einer Geste, durchaus als Kommunikation anzusehen ist (Luhmann 1984, S. 562). Somit bestätigt Luhmann auch das von Watzlawik et al (2000, S. 50 ff.) formulierte metakommunikative pragmatische Axiom, dass man nicht nicht kommunizieren kann.

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Diese Annahme ist insofern für die vorliegende Arbeit relevant, als der face-to-face-Kontakt sich von dem elektronischen insbesondere durch die Selektion der Information, der Mitteilung und des Verstehens unterscheidet. So erfolgt insgesamt der Prozess der Selektion zumindest der Information und des Mitteilens auf elektronischer Ebene weitaus bewusster als beim direkten persönlichen Kontakt. Welche Unterschiede im Verstehen bestehen, wie also die Inhalte der jeweiligen Interaktion interpretiert werden, ist eine wesentliche Forschungsfrage für die empirische Studie.

Neben dem Prinzip der Selektivität ist Kommunikation bei Luhmann durch die Differenz geprägt (vgl. Luhmann 1984, S. 195 ff.). Mit Differenz meint Luhmann hier die Unterscheidung zwischen Information und Mitteilungsverhalten innerhalb des Verstehens.

Der Verstehende erkennt demnach sowohl die Selektion der Information als auch die Wahl des Mitteilungsverhaltens beim Mitteilenden und richtet seine Reaktion darauf ein. Dabei ist es unerheblich, ob die Reaktion Konsens oder Dissens zwischen den Kommunikatoren bewirkt. Es geht vielmehr lediglich darum, sich der Differenz zwischen Information und Mitteilung sowie dem eigenen Verstehen bewusst zu sein. Damit unterscheidet Luhmann sich von anderen Kommunikationstheoretikern (z.B. Austin 1979 oder Bühler 1965), die annehmen, dass Kommunikation nicht eine Abgrenzung zum Gegenüber erzielt, sondern eher konsensorientiert ist, d.h. das Ziel beider Kommunikatoren ist, sich gegenseitig richtig zu verstehen (Luhmann 1984, S. 196 f.).

Auch das Prinzip der Differenz ist für die empirische Studie der Kommunikationsformen in sozialen Netzwerken von Bedeutung, da auch in der Abgrenzung zum Gegenüber sowie dem Bewusstsein über den Informationsgehalt einerseits und die Mitteilungsart andererseits ein Unterschied zwischen face-to-face-Kontakt und elektronischer Kommunikation besteht.

Aus dem bewussteren Selektionsprozess bei der schriftlichen elektronischen Kommunikation im Vergleich zur direkten persönlichen Kommunikation folgt, dass auch die Differenz von Information und Mitteilung bewusster wird. Während beispielsweise bei einem Grüßen zwischen Nachbarn im Treppenhaus Blicke, Ton und Wortwahl mit dem Inhalt vermischt

„verstanden“ werden, ist die Art der Mitteilung z.B. bei einer Gruß-E-Mail wenig variabel und es kommt vielmehr auf die Information an (z.B. sich ins Gedächtnis zu rufen).

Für die vorliegende Arbeit sind Luhmanns und Watzlawiks Kommunikationstheorien grundsätzlich insofern von Belang, als sie davon ausgehen, dass Kommunikation nicht immer in einem Gespräch zwischen zwei Menschen bestehen muss, bei dem beide sich im wahrsten Sinne des Wortes verstehen. Kommunikation geht demnach deutlich darüber hinaus und beinhaltet somit auch nichtbeabsichtigte Mitteilungen, Wahrnehmungen und Missverständnisse. Dabei ist das (Miss-) Verstehen und nicht das „Senden“ der Kommunikation ausschlaggebend. Worin die Unterschiede zwischen face-to-face-Kontakt und elektronischer Kommunikation in Bezug auf die Kommunikationsstrukturen und das Verstehen bestehen und welche Wirkungen dies auf die sozialen Beziehungen hat, soll in dieser Arbeit empirisch untersucht werden.

Hierzu bietet das Kommunikationsmodell von Schützeichel (2004) eine gute Grundlage.

Schützeichel (2004) nimmt dabei grundsätzlich eine grobe Strukturierung von Kommunikationsprozessen in kommunikative Akte vor, die wiederum aus kommunikativen

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Handlungen einzelner Kommunikatoren6 bestehen. Während sich hierbei die Zusammensetzung kommunikativer Akte zu einem Kommunikationsprozess nach einer bestimmten Kommunikationsstruktur (KS) richtet, erfolgt die Konstitution kommunikativer Handlungen (KH) zu kommunikativen Akten (KA) über ein bestimmtes Reaktionsverhalten (RV)7. Die folgende Grafik gibt einen Überblick über das der Dissertation zugrunde liegende soziologische Modell von Kommunikationsprozessen (in Anlehnung an Schützeichel 2004, S. 56 ff.):

Abbildung 3: Soziologisches Modell eines Kommunikationsprozesses nach Schützeichel (2004)

Eine Kommunikative Handlung stellt bei diesem Modell die kleinste Kommunikationseinheit dar, die sich einem bestimmten Kommunikator zuordnen lässt. Anders als bei der Sender-Empfänger-Analogie enthält die kommunikative Handlung schon die Reaktion auf vorherige Kommunikative Handlungen sowie das Antizipieren der Reaktion des anderen. Der Begriff der Handlung weist zwar darauf hin, dass von dem Kommunikator eine Selektion aus verschiedenen, möglichen Verhaltensweisen vorgenommen wurde, diese Selektion kann jedoch sowohl bewusst als auch unbewusst sein. Eine Kassiererin in einem Kaufhaus vollführt beispielsweise eine kommunikative Handlung, indem sie einem Kunden den Rechnungsbetrag nennt. Der Kommunikator (Kassiererin) wählt dabei eine bestimmte Kommunikationsform (Betrag nennen), um die Kommunikative Handlung (Abrechnung) zu begehen.

In Bezug auf die Kommunikationsform können grundsätzlich Telekommunikation sowie unmittelbare oder direkte Kommunikation unterschieden werden: Während die Tele-kommunikation dadurch gekennzeichnet ist, dass sie indirekt über ein Medium erfolgt und die Kommunikatoren sich nicht persönlich gegenüber stehen, basiert die direkte, face-to-face Kommunikation auf der physischen Präsenz der Kommunikatoren innerhalb der jeweiligen

6 Kommunikatoren sind die Teilnehmer einer Kommunikationssituation. Der Begriff wurde gewählt, da er anders als bei der Einteilung in „Sender“ und „Empfänger“ keine Strukturierung in Aktion und Reaktion vorgibt.

7 Schützeichel spricht hierbei von „Verstehen/ Erleben von kommunikativen Handlungen“ (Schützeichel 2004, S. 58). Da sich für den Kontext der Arbeit der Begriff „Reaktionsverhalten“ als zielführender erwiesen hat, soll er an dieser Stelle als Synonym für das von Schützeichel beschriebene „Verstehen/ Erleben“ eingeführt werden.

KA

KA

KA KH

KH

KH

KH

KH KH

KH KH

KH

= Kommunikationsform

= Kommunikationsstruktur

KH = Kommunikative Handlung KA = Kommunikativer Akt

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Kommunikationssituation. Telekommunikation findet somit in einem mediatisierten Kontext und direkte Kommunikation im unmittelbaren Interaktionskontext statt. Die unmittelbare Kommunikation kann dabei über gesellschaftlich weitgehend standardisierte Kommunikationsformen wie Sprechen oder Schreiben, aber auch weniger eindeutige Kommunikationsformen wie Verhalten erfolgen. Bezogen auf das Beispiel der Kassiererin kann die Kommunikationsform in einem normierten, vom Kaufhaus vorgegebenen Standard bestehen, und z.B. durch die Frage „Haben Sie eine Payback-Karte?“ eingeleitet werden.

Wenn der Kunde diese Frage versteht und somit ebenfalls eine kommunikative Handlung vollzieht, findet erst die eigentliche Kommunikation statt.

Ein Kommunikativer Akt stellt dabei die kleinstmögliche abgeschlossene Kommunikationseinheit dar, die zwischen Kommunikatoren innerhalb einer zeitlich begrenzten und einmaligen Kommunikationssituation stattfindet. Sie besteht in der Regel aus gegenseitiger Aktion bzw. Mitteilung sowie dazugehöriger Reaktion, Rezeption oder Wirkung. Beim Beispiel der Kommunikationssituation „Bezahlung an der Kasse“ kann z.B.

der Kommunikative Akt darin bestehen, dass die Kassiererin zunächst nach der Payback-Karte fragt, nach dem Kopfschütteln des Kunden den Rechnungsbetrag nennt, der Kunde seine Geldbörse herausholt und diesen Betrag zahlt. In der Regel stehen Kommunikative Akte bei soziologischen Analysen nicht im Zentrum, sondern vielmehr die Kommunikationsprozesse, in die sie eingebunden sind.

Kommunikationsprozesse stellen dabei eine bestimmte Folge kommunikativer Akte dar. Bei dem Kaufhaus-Beispiel wäre daher der Kommunikative Akt „Bezahlung an der Kasse“ Teil des Kommunikationsprozess „Einkaufen“, das zudem die kommunikativen Akte „Beratung“

und „Nach dem Weg zur Kasse fragen“ enthalten kann. Obwohl Kommunikationsprozesse generell aufgrund des subjektiven Handelns nicht komplett vorhersehbar sind, basiert das hier erläuterte Modell auf der These, dass sie dennoch nicht vollkommen willkürlich bzw.

unbestimmt sind. Wenn beispielsweise der Kunde auf das Nennen der Summe nicht reagiert, wird der Kommunikationsprozess „Einkaufen“ abgebrochen und das dürfte in den seltensten Fällen das Anliegen des Kunden sein. Kommunikationsprozesse orientieren sich also entlang bestimmter Kommunikationspfade. Diese Kommunikationspfade sind dabei undeterminiert bzw. unterdeterminiert in dem Sinne, dass sie keine additive Abfolge von Einzelhandlungen darstellen und die jeweiligen Kommunikatoren sie durch ihre subjektive Wahrnehmung und Handlung prägen (Schützeichel 2004, S. 68).

Damit also tatsächlich Kommunikationsprozesse zustande kommen, können allerdings auch keine vollkommen beliebigen, sondern nur bestimmte Kommunikationspfade genutzt werden, um Kommunikative Akte zu einem Kommunikationsprozess zusammenzusetzen. Diese begrenzten Möglichkeiten werden durch Kommunikationsstrukturen bestimmt, die für spezifische Situationen den Kommunikationskontext vorgeben, damit die Kommunikatoren einander verstehen. Die Kommunikationsstrukturen stellen also den „sozialen Rahmen“ dar, in dem Kommunikation stattfindet. Die Kommunikationsstrukturen stellen demnach in der vorliegenden Arbeit die Vergleichsbasis dar, anhand derer die Kommunikationsprozesse, Kommunikativen Akte und Kommunikativen Handlungen in reinen face-to-face Netzwerken mit denen in Hybriden Sozialen Netzwerken verglichen werden.

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Im Dokument The Strength of Very Weak Ties (Seite 33-37)