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Nachbarschaftsbasierte und Hybride Soziale Netze im Vergleich

Im Dokument The Strength of Very Weak Ties (Seite 166-170)

Soziales Kapital

6. Nachbarschaftsbasierte und Hybride Soziale Netze im Vergleich

Das vorliegende Kapitel dient dazu, die Ergebnisse der empirischen Analyse vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus der Literaturanalyse zu reflektieren und daraus Schlussfolgerungen für eine mögliche Veränderung sozialer Integrationsprozesse durch die zusätzlichen Möglichkeiten elektronischer Kommunikation zu ziehen. Diese neuen Möglichkeiten werden allerdings nicht von allen sozialen Gruppen in gleicher Weise genutzt werden. Daher werden zunächst in Kapitel 6.1 die Kommunikationsstrukturen in nachbarschaftsbasierten und Hybriden Sozialen Netzwerken verglichen, um die maßgeblichen Faktoren herauszuarbeiten, die zu unterschiedlichen Prozessen der sozialen Integration für verschiedene Nutzertypen sozialer Netzwerke führen. Diese Faktoren werden anschließend in Kapitel 6.2 in Fallbeispielen für die unterschiedlichen Nutzertypen zusammengeführt, die in Kapitel 6.3 übergreifend bewertet werden.

6.1 Prozesse der sozialen Integration in nachbarschaftsbasierte und Hybride Soziale Netze nach Nutzertypen

Mit der Gegenüberstellung der Ergebnisse aus der Analyse der nachbarschaftsbasierten und der Hybriden Sozialen Netzwerke soll eine Aussage darüber gemacht werden, inwiefern sich über die Nutzung elektronischer Kommunikation neue Formen der sozialen Integration ergeben können. Die grundsätzlichen strukturellen Unterschiede zwischen nachbarschaftsbasierten und Hybriden Sozialen Netzwerken bestehen, wie in den beiden Analysen in Kapitel 4 und 5 dargelegt, dabei vor allem in Bezug auf die Kontextfaktoren sowie in Bezug auf die Konsequenzen. Worin jedoch im Einzelnen die Unterschiede bestehen und welche Konsequenzen dies für unterschiedliche Nutzergruppen kann, soll hier in einer detaillierten Gegenüberstellung erfasst werden.

In Kapitel 6.1.1 steht dabei der Prozess des Beziehungsaufbaus im Mittelpunkt, während in Kapitel 6.1.2 die Prozesse der virtuellen und in Kapitel 6.1.3 die Prozesse der realen sozialen Integration in nachbarschaftsbasierten und in Hybriden Sozialen Netzwerken verglichen werden. Anschließend werden in Kapitel 6.1.4 die unterschiedlichen Ausprägungen für verschiedene Nutzergruppen herausgearbeitet.

6.1.1 Beziehungsaufbau in nachbarschaftsbasierten und Hybriden Sozialen Netzwerken

Zunächst ist grundsätzlich festzuhalten, dass es sich sowohl bei nachbarschaftsbasierten als auch bei Hybriden Sozialen Netzwerken um Beziehungssysteme von schwacher Intensität handelt. Alle sozialen Beziehungen, die hier betrachtet werden, sind also „weak ties“ und gelten als eine Ergänzung zu den engeren familiären oder freundschaftlichen Bindungen.

Dennoch haben sowohl nachbarschaftliche als auch hybride Beziehungen als „weak ties“

einen deutlichen Einfluss auf das allgemeine Wohlbefinden des Einzelnen (vgl. Kapitel 1.1 und 2.1.4). Die Wirkung der Beziehungen in diesen sozialen Netzen ist jedoch den einzelnen Individuen, insbesondere was die flüchtigen Kontakte oder auch „very weak ties“ angeht, nur selten bewusst.

Der Ausgangspunkt der Arbeit ist dabei die Annahme, dass mit der verstärkten Nutzung elektronischer Kommunikation für den Aufbau und den Erhalt sozialer Beziehungen sich die

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Prozesse der sozialen Integration in städtische soziale Netze verändern, da sich aus den veränderten Kommunikationsprozessen neue Formen von „weak ties“ bzw. des Umgangs mit „weak ties“ ergeben. Die wichtigste Erkenntnis aus der Analyse von Kommunikationsstrukturen in städtischen sozialen Netzen ist hierbei, dass neben den aktiven Interaktionsformen in schwachen Beziehungen („weak ties“) passive Interaktionen in flüchtigen Beziehungen („very weak ties“) bestehen. Diese „very weak ties“ haben dabei eine besondere Funktion für soziale Netzwerke, die sich von der Funktion der „weak ties“

unterscheidet.

Grundsätzlich sind dabei die passiven Interaktionen in nachbarschaftsbasierten und in Hybriden Sozialen Netzwerken insofern vergleichbar, als sie ebenfalls in Einzel- und Gruppenkontakte unterschieden werden können und für ein generelles Zugehörigkeitsgefühl ausschlaggebend sind. Im Detail unterscheiden sich die passiven Interaktionen dennoch deutlich voneinander, wie die folgende Tabelle illustriert.

Tabelle 27: Passive Interaktionsformen in nachbarschaftsbasierten und Hybriden Sozialen Netzwerken

Netzwerke Nachbarschaftsbasiert:

Beobachtungen Hybride Soziale Netze: virtuelle, elektronische Kommunikation Aufeinandertreffen

im öffentlichen Raum

Bekannte „Hallo und Tschüss“;

unfreundliches/ „asoziales“

Zweier-Inter-aktionen Bekannte Vor einem Treffen kennen lernen

Engere Kontakte Interaktion

inner-halb von Gruppen Bekannte Gruppenbildungen, soziale Kontrolle, Besetzung von Räumen, Ausgrenzungen

Sich ein Bild vom Netzwerk machen Engere

Sicherheitsgefühl Hilfestellungen/ Informationen, Small Talk, Zugehörigkeitsgefühl, Kontakte Engere

Kontakte Gemeinschaftsbildende

Interaktionen Soziale Kontrolle Projekte, „virtuelles Geschwätz“, Diskussionen, Austausch ü. Interessen

Kontakterhalt Kein Austausch in Einzelkontakten

Ausgrenzende Interaktionen Ausgrenzung, Neid/ Lästern Ggf. Sanktionen des Betreibers

Konflikte Konflikte zwischen

Bewohnergruppen Ggf. in sachlichen Diskussionen In Nachbarschaften bestehen passive Interaktionen in Beobachtungen und Bewertungen von sozialen Interaktionen im öffentlichen Raum, die bis auf ein kurzes Grüßen („Hallo und Tschüss“) non-verbal verlaufen. Die sozialen Informationen werden hier also weitgehend visuell vermittelt und die flüchtigen Beziehungen der Netzwerkmitglieder sind durch den gemeinsamen Wohnort festgelegt. In Hybriden Sozialen Netzwerken hingegen finden die passiven Interaktionen fast ausschließlich als schriftliche, elektronisch vermittelte Kommunikation statt. Zudem sind die Kommunikationspartner frei gewählt, d.h. es steht einem frei, ob man sich an der Interaktion bzw. an dem Netzwerk generell aktiv beteiligt oder nicht.

Ein großer Unterschied ergibt sich zudem im Hinblick auf den „öffentlichen Kommunikationsraum“ für passive Interaktionen, in dem sich die Netzwerkmitglieder treffen

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können. Dieser ist bei Hybriden Sozialen Netzwerken eine internetbasierte Kommunikationsplattform und bei nachbarschaftsbasierten Netzwerken das Wohnumfeld, in dem man sich persönlichen Treffen nicht komplett entziehen kann. Daraus ergibt sich u.a., dass die negativen Gefühle, die mit face-to-face Begegnungen einhergehen (Bedrohung,

„asoziales“ Verhalten, Intoleranz, Ausgrenzung) auf virtueller Ebene nicht vorhanden sind.

Allerdings entwickeln die Nutzer auf virtueller Ebene auch keine „positiven Vorurteile“, die bei einer face-to-face Begegnung in Form von einer grundsätzlichen gegenseitigen Sympathie oder Attraktivität bestehen können.

Hinsichtlich der aktiven Kontakte gleichen sich nachbarschaftsbasierte und Hybride Soziale Netzwerke allerdings weitaus mehr, wie die folgende Tabelle zeigt:

Tabelle 28: Aktive Interaktionsformen in nachbarschaftsbasierten und Hybriden Sozialen Netzwerken

Auf struktureller Ebene sind sich die aktiven Interaktionen in nachbarschaftsbasierten und in Hybriden Sozialen Netzwerken also in vielen Aspekten ähnlich: Man trifft sich entweder zu zweit oder in der Gruppe, um gemeinsam etwas zu unternehmen oder sich zu unterhalten.

Die Rahmenbedingungen für die Treffen sind ebenfalls vergleichbar (informelle oder formelle Treffen bzw. Treffpunkte). Wenn ein Treffpunkt vorhanden ist, werden in beiden Netzwerkformen vergleichbare Hilfestellungen oder Weiterbildungen (Diätgruppe, 3-D-Stammtisch etc.) angeboten.

Der größte Unterschied zwischen nachbarschaftsbasierten und Hybriden Sozialen Netzwerken besteht vor allem im Hinblick auf das erste Kennenlernen. Während in Nachbarschaften auf ein erstes oder auch wiederholtes „Quatschen“ ein privates Einzeltreffen oder ein Gruppentreffen folgen, ist das Kommunikationsspektrum in Hybriden Sozialen Netzwerken sehr viel breiter. Man kann z.B. weniger anonyme

Kommunikations-Kommunikationsform Aktive Interaktionen

Netzwerke Nachbarschaftsbasiert Halb-elektronisch (real und virtuell) Aufeinandertreffen

im öffentlichen Raum

Bekannte Quatschen Gesichter zu den Namen sammeln (Gruppe), Verabredung auf Events (einzeln)

Engere Kontakte

Zweier-Inter-aktionen Bekannte Quatschen, den Kanal ändern

Engere

Kontakte Private Einzeltreffen, gemeinsame Aktivitäten, elektronische Verabredungen, elektronisch in Kontakt bleiben

Interaktion

innerhalb von Gruppen

Bekannte Teilnahme an größeren Gruppentreffen/ Events Engere

Kontakte Teilnahme an regelmäßigen informellen oder formellen Gruppentreffen

Austausch von

Unterstützungs-leistungen

Bekannte Kleinere Hilfen, Small Talk Engere

Kontakte Größere Hilfen, Zeitvertreib, gemeinsame Aktivitäten Gemeinschaftsbildende

Interaktionen Austausch über Interessen, Organisation von Treffen/ HUB (se zusätzlich Netz-Projekte)

Kontakterhalt Einladungen Elektronisch in Kontakt bleiben/ sich verabreden

Ausgrenzende Interaktionen keine Ausgrenzung (wenn Kontakt schon aktiv geworden ist) Konflikte Konflikte mit bestimmten

Personen Keine Hinweise

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wege nutzen („den Kanal ändern“) und sich so vor einem Treffen graduell näher kennen lernen oder auch an größeren formellen Treffen wie Tagungen oder Stammtischen teilnehmen.

Neben dem ersten Kennenlernen ergeben sich weitere Unterschiede in Bezug auf den Kontakterhalt, da bei Hybriden Sozialen Netzwerken mit der elektronischen Plattform mehr Möglichkeiten genutzt werden können, miteinander in Kontakt zu bleiben und sich für Treffen zu verabreden (Chats, Verabredungen, gemeinsame Netz-Projekte, Online-Hilfestellungen, schriftlicher Austausch über Interessen etc.). In Nachbarschaften bleibt lediglich die Möglichkeit, sich gegenseitig in direktem Kontakt privat einzuladen, was eine weitaus höhere persönliche Schwelle darstellt als eine Einladung über das Netz. Darüber hinaus werden in Hybriden Sozialen Netzwerken keine Konflikte in Bezug auf aktive Kontakte thematisiert, während in Nachbarschaften durchaus typische Nachbarschaftskonflikte entstehen können, da man mit einer Person, mit der man Probleme hat, immer wieder persönlich konfrontiert wird.

Aus diesen unterschiedlichen Interaktionsformen ergeben sich unterschiedliche Beziehungen. Wie flüchtige Beziehungen in sozialen Netzwerken entstehen und sich festigen ist bei nachbarschaftsbasierten und Hybriden Sozialen Netzwerken grundsätzlich auf struktureller Ebene ähnlich, unterscheidet sich jedoch wie schon in Kapitel 5.4 dargelegt in Bezug auf die Kontextfaktoren, die für den Prozess des Beziehungsaufbaus maßgeblich sind. In der folgenden Grafik wird der Prozess der Beziehungsintensivierung in städtischen sozialen Netzwerken anhand der Beispiele des nachbarschaftsbasierten und des Hybriden Sozialen Netzwerks veranschaulicht (nsN = nachbarschaftsbasierte soziale Netze, HSN = Hybride Soziale Netze, SK = soziales Kapital):

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Abbildung 31: Prozess der Beziehungsintensivierung in nachbarschaftsbasierten und Hybriden Sozialen Netzwerken

Wie aus der Gegenüberstellung erkennbar ist, sind die maßgeblichen strukturellen Unterschiede zwischen nachbarschaftsbasierten und Hybriden Sozialen Netzwerken die folgenden:

- Kontextfaktoren bei passiven Kontakten/ „very weak ties“: Der Kontaktwunsch ist bei nachbarschaftlichen Netzen davon abhängig, ob der „Andere“ als „asozial“

oder „gleich“ eingeschätzt wird, bei Hybriden Netzen muss nur ein genereller Kontaktwunsch vorhanden sein.

- Einflussfaktoren bei passiven Kontakten/ „very weak ties“: Bei nachbarschaftsbasierten Netzen ist die Fluktuation relevant, bei Hybriden Netzen auf virtueller Ebene nicht. Ansonsten wirken die visuellen Repräsentationen in öffentlichen Räumen (wie Besetzung von Räumen oder Gruppentreffen) in Nachbarschaften weitaus stärker auf die „very weak ties“ als die elektronische Repräsentation im virtuellen Raum (wie Chats, Kommentare in Foren etc.).

- Kontextfaktoren bei aktiven Kontakten/ „weak ties“: Bei nachbarschaftlichen Netzen ist eine gleiche Lebenssituation und Herkunft ein wichtiger Faktor, damit die flüchtige zu einer engeren Beziehung wird. Bei Hybriden Netzen ist dagegen das Engagement für das Netzwerk ausschlaggebend.

- Einflussfaktoren bei aktiven Kontakten/ „weak ties“: Als Einflussfaktor sind bei beiden Netzwerkformen die räumliche Nähe sowie das gemeinsame Interesse

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