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Einflussfaktoren bei flüchtigen nachbarschaftlichen Beziehungen

Im Dokument The Strength of Very Weak Ties (Seite 98-101)

Einflussfaktoren Phänomen

4. Face-to-face Kommunikation in städtischen sozialen Netzen

4.2 Passive Interaktionen in flüchtigen nachbarschaftlichen Beziehungen Während Interaktionen in engeren nachbarschaftlichen Beziehungen schon in verschiedenen

4.2.3 Einflussfaktoren bei flüchtigen nachbarschaftlichen Beziehungen

Ein grundsätzliches, aber auch ein mangelndes Zugehörigkeitsgefühl kann einerseits durch Treffpunkte sowie andererseits dem Zustand der Siedlung entweder verstärkt oder geschwächt werden. Einen positiven Effekt, das heißt eine Verstärkung des Zugehörigkeitsgefühls oder eine Abschwächung des Bildes von einer anonymen oder bedrohlichen Nachbarschaft kann dabei durch die Beobachtung von Bewohnergruppen, die sich im öffentlichen Raum treffen, entstehen. Eine Bewohnerin beschreibt dies wie folgt

„Grüppchen gibt es schon, hier vorne da sitzen immer dieselben Mütter (...) die sitzen dann immer hier jeden Nachmittag um vier, also die Uhrzeiten kennt man dann auch schon. Auf der anderen Seite drüben, wo die Bank ist, da sitzen immer Mütter und Omas, Polen oder Russen oder so. (...) Und dann wiederum die Eingefleischten, die etwas Älteren, die also schon große Kinder haben, so wie ich, die sitzen dann meistens so gegen Abend auf der Bank, wo der Tisch ist und quatschen so herum“ (I 27, „Verschlossene Eltern“). In diesem Fall wird also eine Gruppenbildung als gemeinschaftlich und nicht als ausschließend erlebt.

Insbesondere Gruppen von Eltern scheinen einen eher positiven Effekt zu haben: „Man hat ein enges Zusammenleben, besonders durch die Kinder, weil hier sind ja regelrecht sehr viele Kinder, hier in unserer Siedlung (...) das Zusammenleben mit den Eltern ist hier wirklich hervorragend. Die verstehen sich, unterstützen sich hier“ (I 15, „Kontaktsuchende“). Von einigen Bewohnerinnen und Bewohnern wird auch der wahrgenommene Zusammenhalt innerhalb der nicht-deutschen Bewohnergruppen als positiv hervorgehoben: „Denn die Türken untereinander, die kennen sich hier alle und die streiten sich eigentlich nicht untereinander, weil die wollen ja gerade ihre Nachbarschaft hier erhalten, weil sie also Fremde im Land sind und dann müssen sie ja zusammen halten, ist doch klar! Das würde uns Deutschen in der Türkei genauso gehen“ (I 5, „Kontaktfreudige Eltern“), „Dann kommen neue Mieter, in der Regel unsere russischen Leute. Das ist hier wie in einem russischen Dorf, einer ist eingezogen und hat die Seinigen zu sich geholt, die Seinigen habe Bekannte, die Bekannten haben wiederum Bekannte und so passiert das“ (I 24, „Kontaktfreudige Eltern“).

Kategorie Zugehörigkeitsgefühl Kein Zugehörigkeitsgefühl Nette Nachbarschaft Anonyme

Nachbarschaft Unangenehme Nachbarschaft Netzwerkbezogene

Werte Soziale Mischung Soziale

Homogenität Gruppenbezogenes

Verhalten „Offen und freundlich“,

Toleranz, Gruppentreffen Abgeschlossene

Gruppen Ausgrenzung,

Intoleranz „Asoziales Verhalten“

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Mit der Beobachtung von nachbarschaftlichen Kontakten im öffentlichen Raum ist auch das Vorhandensein von informellen Treffpunkten verbunden. So beschreibt eine Mieterin ihre Beobachtungen im Wohnumfeld: „Und abends, die eine Nachbarin und die andere, die sitzen dann da unten an dem Tisch und erzählen sich und so, also es schön hier. Auch wenn man da nicht mit dabei sitzt, ist das angenehm, so die Atmosphäre“ (I 26, „Kontaktsuchende“).

Auch die Rolle von Orten, wo Kinder spielen können, wird hervorgehoben: „Nein, also der Spielplatz ist schon ganz zentral, wo man sich trifft und unterhält und mal so spricht, also das ist schon so die Hauptzentrale!“ (I 26, „Kontaktsuchende“), „Da drüben im Haus, da war es eine ganze Wiese, (...) und da haben am Tag die Bub und Mädchen, die Mädchen haben mit ihren Puppen und Decken gespielt“ (I 25, „Verschlossene Eltern“). „Auf den Bänken, auf dem Weg zum Kindergarten sehen wir uns öfters, beim Bäcker, vorm Nachbarschaftscafé, beim Café, vor dem Gemüsemann, also das sind so die Stellen“ (I 28, „Kontaktfreudige Eltern“).

Als fördernd für ein nettes nachbarschaftliches Zusammenleben werden ebenfalls formelle, organisierte Treffen hervorgehoben, bei denen man die anderen Bewohnergruppen kennen lernen kann, wie z.B. Nachbarschaftsfeste: „Es gibt hier einen Partyraum. Da gab es mal einen Fest, da wurde die ganze Nachbarschaft eingeladen, wir sind auch einmal dort gewesen. Es war wunderschön“ (I 46, „Verschlossene Eltern“).

Allerdings werden Gruppentreffen nicht nur positiv bewertet, denn die Beobachtung von Zusammenkünften bestimmter Bewohnergruppen können gerade auch mit dem Gefühl des Ausschlusses verbunden sein: „Da sitzen die Deutschen immer für sich, also da will ich echt nicht stören gehen“ (I 25, „Verschlossene Eltern“), „Da ist ja auch ein Nachbarschaftstreff, (...) aber da sind ja immer nur türkische Frauen. Da geht keiner von den deutschen Frauen hin.“ (I 5, „Kontaktfreudige Eltern“). Darüber hinaus wirken auf einige ältere Bewohnerinnen und Bewohner Feste und Treffen sogar generell unangenehm. „Zwischen den Häusern haben sie das mal gemacht. Das war von der GSW. Ja, da bin ich auch mal hin gegangen, aber ich bin nicht gerne für so was, muss ich Ihnen sagen. Denn ich weiß immer, wie so was endet. (...) Weil da so viele Trinker sind und dann wird bis nachts gesoffen und dann schreien die rum, dann verprügeln sie ihre Frauen und dann hat sich das.“ (I 5,

„Kontaktfreudige Eltern“), „Wir haben auch solche jugendlichen Gruppen, die da sich an die Ecken stellen und nicht arbeiten von morgens bis nachts so dastehen (...) Ich weiß nur, dass ein paar Kinder da nicht vorbeilaufen dürfen, wenn die da sind. Die dürfen sie nicht mal ansprechen“ (I 28, „Kontaktfreudige Eltern“).

Die Wirkung des Zustands der Siedlung ist eher ambivalent. Insgesamt hat im Vergleich zu den anderen Einflussfaktoren der Zustand der Siedlung nur eine geringe Wirkung auf das Zugehörigkeitsgefühl, denn es unterscheidet sich nicht wesentlich in mustersanierten, regelsanierten und unsanierten Siedlungen. Einige Bewohnerinnen und Bewohner identifizieren sich jedoch auch nach einer Sanierung eher mit ihrer Siedlung: „Seitdem es hier so schön geworden ist, da fühle ich mich eher zuhause“ (I 5, „Kontaktfreudige Eltern“).

Dem gegenüber kommen jedoch einige der Befragten in sanierten Siedlungen zum Schluss, dass sich durch die Sanierung das nachbarschaftliche Zusammenleben verschlechtert hat:

„Also ich finde, vor dem Umbau war es besser. (...) Also jetzt ist alles nur noch viel schlimmer geworden, als es vorher war. Hier kommt immer mehr Gesocks in die Siedlung“

(I 25, „Verschlossene Eltern“), „Das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen, das war vorher herzlicher“ (I 5, „Kontaktfreudige Eltern“). Die Personen, die denken, dass es „früher“ besser war, haben alle ein anonymes oder sogar unangenehmes Bild von der Nachbarschaft. Dies

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lässt sich allerdings weniger auf die Sanierung als auf den damit einhergehenden Bewohnerwechsel zurückführen.

Eine höhere Bewohnerfluktuation wird demnach von vielen Bewohnerinnen und Bewohnern als bestimmend für das Bild von der Nachbarschaft als anonym oder auch als unangenehm beschrieben. Einerseits bestätigen die einzelnen Personen, dass mit einer längeren Wohndauer erst ein Gefühl der Einbindung in die Nachbarschaft entstehen kann: „Ich bin erst seit einem Jahr hier, kenne mich hier nicht so aus. Aber wir begrüßen uns, wir sehen uns im Park“ (I 46, „Verschlossene Eltern“), „Da ich nun seit 30 Jahren hier wohne, kenne ich auch die meisten, ich weiß auch, mit wem mein Kind dann Kontakt haben darf und mit wem nicht“, (I 28, „Kontaktfreudige Eltern“), „Ja, wir sind sehr bekannt, weil die, gerade die Familie B. hier schon wohnt seit die Dinger hier gebaut worden sind“ (I 6, „Kontaktfreudige Eltern“).

Andererseits betonen viele der Befragten aus Siedlungen, in denen offensichtlich die Mieterfluktuation besonders hoch ist, dass diese das Zusammenleben erheblich beeinträchtigt: „Es ist ein großes Kommen und Gehen. Hier ziehen welche ein und hier ziehen welche aus“ (I 5, „Kontaktfreudige Eltern“), „Und ich hab noch nicht mal jemanden im Haus, den ich die Schlüssel geben kann. Nee, weil die Leute alle so schnell ein und ausziehen“ (I 3, „Kontaktsuchende“), „Ich denke, das, na ja, da sind natürlich eine Menge zugezogen, (...) hat sich schon auch eine Menge verändert, weil die Gemeinschaft doch noch ein bisschen enger war als jetzt“ (I 6, „Kontaktfreudige Eltern“), „Das war also eine tolle Gemeinschaft! Das ist ja nun inzwischen alles vorbei. Viele sind weggezogen, gestorben und neue dazu und da ist eben der Kontakt nicht mehr so“ (I 50, „Verschlossene Eltern“), „Jetzt gar nicht mehr. Der Wechsel ist einfach zu groß, zu hoch“ (I 3, „Kontaktsuchende“). Wie anhand der Interviews zu erkennen ist (z.B. der Bezug zur „tollen Gemeinschaft“, der Kontaktschwund durch Fluktuation etc.), wird die Bewohnerfluktuation von den Bewohnern selbst mit der Kohäsion des nachbarschaftlichen Netzwerks in Verbindung gebracht.

Zusammengefasst haben die folgenden Faktoren den größten Einfluss auf ein vorhandenes

oder ein mangelndes Zugehörigkeitsgefühl:

Tabelle 8: Einflussfaktoren bei flüchtigen nachbarschaftlichen Beziehungen

In Bezug auf passive Interaktionen lässt sich also festhalten, dass Beobachtungen von gemeinschaftlichen Aktivitäten bestimmter Bewohnerinnen und Bewohner das Bild einer netten Nachbarschaft, eine hohe Bewohnerfluktuation das Bild einer anonymen Nachbarschaft, sowie die Besetzung von Räumen durch bestimmte Bewohnergruppen das Bild einer unangenehmen Nachbarschaft bestimmen. Welche Konsequenzen sich im Einzelnen aus passiven nachbarschaftlichen Interaktionen ergeben, wird im nächsten Abschnitt näher ausgeführt.

Kategorie Zugehörigkeitsgefühl Kein Zugehörigkeitsgefühl Nette Nachbarschaft Anonyme

Nachbarschaft Unangenehme Nachbarschaft Repräsentation im

öffentlichen Raum Formelle und informelle

Gruppentreffen Keine Besetzung von Räumen

Kohäsion Kaum Fluktuation Hohe Fluktuation

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