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Kontextfaktoren von virtuellen Beziehungen

Im Dokument The Strength of Very Weak Ties (Seite 134-137)

Soziales Kapital

5. Elektronische Kommunikation in Hybriden Sozialen Netzen

5.2 Passive elektronische Kommunikation in virtuellen Beziehungen

5.2.2 Kontextfaktoren von virtuellen Beziehungen

Von den Befragten sowohl aus Ortsbezogenen, aber insbesondere aus Themenbezogenen Hybriden Netzen wird mehrfach hervorgehoben, dass auf elektronischer Ebene persönliche Merkmale weitgehend gleichgültig sind, da es vielmehr auf die gemeinsamen Interessen ankommt. Ein Befragter erklärt dies wie folgt: „Und wenn man auf seine Benutzerseite guckt, ist es ein 15-jähriger Schüler aus Arizona. Von den Beiträgen würde man denken, das ist irgendein Professor. Aber es kommt nicht darauf an, was man ist, sondern was man beiträgt“

(I 74). Da Englisch insbesondere in internationalen Communities die gemeinsame Schriftsprache ist, werden sprachliche Probleme in den Interviews nicht thematisiert, sondern vielmehr hervorgehoben, dass sie im Netz geringer sind: „Es ist natürlich einfacher mit Leuten In Kontakt zu treten. Zum Beispiel mit Ausländern oder so“ (I 60). Ein Vorteil ist hierbei sicherlich auch, dass die Kommunikation schriftlich erfolgt und hierbei Hilfsmittel wie Übersetzungsmaschinen oder Wörterbücher genutzt werden können, die in einer persönlichen Gesprächssituation nicht bereit stehen. Aufgrund der schriftlichen Kommunikation entfallen zudem die auf visuellen Informationen basierenden Vorurteile nach äußeren Merkmalen (wie Geschlecht, Alter oder Ethnie). So sind demnach auch keine dominanten Gruppen erkennbar, denen man sich zuordnen oder von denen man sich abgrenzt. Die in den nachbarschaftsbasierten Netzwerken thematisierten Stigmatisierungsprozesse auf Ebene der flüchtigen Beziehungen finden bei der virtuellen Kommunikation also nicht statt.

Wenn man soziale Integration als Offenheit für die Einbindung neue Gruppenmitglieder definiert, sind auf virtueller Ebene Hybride Soziale Netzwerke also hoch integrativ, da keine Ausgrenzungsprozesse erkennbar sind. Dennoch brauchen sie für eine ausreichende soziale Kohäsion ein gemeinsames Thema als verbindendes Element. Was Ortsbezogene Hybride Netze angeht, ist das verbindende Element das unverbindliche Kennenlernen von anderen Personen. In Bezug auf Themenbezogene Hybride Communities werden sowohl gemeinsame Interessen und Projekte als auch ein „gemeinsames Mindset“ hervorgehoben.

Ein Befragter betont in diesem Zusammenhang, dass die starke Fokussierung auf gemeinsame Interessen bei Hybriden Communities der Grund dafür sind, dass die persönlichen Charakteristika nur wenig Einfluss auf die jeweilige Beziehung und gegenseitige Interaktion haben: „Wenn ich mich für etwas ganz Spezielles interessiere, dann finde ich im Virtuellen, in Communities die entsprechenden Personen, die sich auch dafür interessieren. Das kriege ich normal nie hin in Wirklichkeit, weil es soziale Schranken gibt, weil ich die nie treffen würde - das ist eigentlich die Grundidee an Communities!

Angenommen ich interessiere mich für Java-Programmierung und habe eine Frage, bin 15 Jahre alt und dann finde ich im Netz jemanden, der mir perfekt helfen kann, der ist 60 Jahre alt. Ich würde ihn nie treffen, weil wir nicht dieselben sozialen Kontexte teilen. Im virtuellen Raum geht das perfekt.“ (I 76). Allerdings fügt er an dieser Stelle hinzu, dass dies lediglich

„bis zu einem bestimmten Punkt“ gehe, dass also ab einer gewissen Beziehungsintensität v.a. beim Übergang zur aktiven Kommunikation persönliche Merkmale doch wieder relevanter werden.

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Auffällig ist bei Hybriden Sozialen Netzwerken, dass anders als in Nachbarschaften der Austausch von Wissen und Informationen zu einem gemeinsamen Interesse sehr deutlich im Vordergrund der Beziehung steht. Ein Befragter erklärt den Reiz des Bloggens z.B. wie folgt:

„Grundsätzlich ist es nicht dieser Tagebuch-Gedanke, der im Vordergrund steht, sondern thematische Geschichten. Also, hier wirst du sehr viele Leute treffen, die sich eben mit Netzpolitik und dem ganzen Kram beschäftigen. Und am schönsten ist es bei diesen Hausfrauen-Geschichten, da kann man das klasse beobachten. Es gibt dann Strickblogs und Häkelblogs, was weiß ich nicht alles“ (I 71). Der Informationsaustausch auf virtueller Ebene kann innerhalb der besonders technikaffinen und -versierten Gruppe der Befragten auch große gemeinsame Projekte umfassen, die komplett netzbasiert vollendet werden, wie z.B.

Freie-Software-Projekte (I 73, I 78) oder Wikis (I 74). Diejenigen, die dabei besonders eng zusammengearbeitet haben, entwickeln dann auch ein Interesse, sich real z.B. bei einem Stammtisch oder einer Tagung zu treffen.

Die Mitglieder der Themenbezogenen Hybriden Sozialen Netzwerke teilen dabei nicht nur Interessen, sondern auch Werte und Normen. Von einem Befragten wird dies als

„gemeinsames Mindset“ beschrieben: „Es gibt einfach den gemeinsamen Mindset den man hat. (...) die irgendwie an Meinungsfreiheit glauben, freie Informationsgesellschaft, alles diese Dinge. Selbst wenn sie jetzt nicht so ein technisch sind, sondern einfach den ganzen Wertekosmos mit sich rumtragen, der einfach bindet. Mit deiner Nachbarin oder Nachbar hast du das nicht“ (I 64). In den Interviews, die sich auf Ortsbezogene Communities beziehen, werden gemeinsame Werte oder ähnliche normative Gemeinsamkeiten lediglich auf Ebene der „Netiquette“ thematisiert. Dennoch gibt es mittlerweile auch durchaus Communities (z.B. taz.bewegung.de), bei denen ein gemeinsamer Wertekanon (z.B.

nachhaltiger Konsum) den Zusammenhalt maßgeblich bestimmt.

Anders als in realen sozialen Netzwerken ist ein Ausschluss aus der Community zwar relativ einfach, indem vom jeweiligen Betreiber das persönliche Profil gelöscht wird. Dies ist jedoch selten und wird nur bei schweren Verstößen gegen die Netiquette, z.B. bei pornografischen, verletzenden oder verleumdenden Beiträgen vorgenommen. Sanktionen erfolgen dabei in der Regel auf Basis von Hinweisen aus der Community wie ein Befragter beschreibt:

„Letztendlich ist es keine klassische Singlebörse und jemand der jetzt allzu direkt auftritt, wird auch dementsprechend in die Schranken verwiesen, falls es sich herausstellt, dass er anderen damit auf den Nerv geht“ (I 56).

Viele der Interviewten heben hierbei jedoch hervor, dass die Toleranzgrenzen in virtuellen Beziehungen generell deutlich höher liegen als in realen Beziehungen: „Die Hemmschwelle im Netz ist niedriger“ (I 56). Nichtsdestotrotz gibt es indirekt durchaus Möglichkeiten, bestimmte Mitglieder auszugrenzen. Bei Themenbezogenen Netzwerken wird in diesem Kontext z.B. „Mobbing“ innerhalb der Community sowie das „Machtgehabe“ der Betreiber eines Portals thematisiert, das jeweils zum Ausschluss aus der Community (oder zumindest von eigenen Beiträgen) führt. Ein Befragter erklärt in Bezug auf ein spezielles Forum: „Wenn Leute mal was sagen, Kommentare sagen, was da nicht reingehört, die werden dann gleich fürchterlich gemobbt“ (I 57). Bei größeren Communities ist der Kontrollaufwand für den Betreiber so groß, dass die soziale Kontrolle des Verhaltens auf virtueller Ebene in der Regel an die gesamte Community übergeben wird, wie es z.B. bei der Kommentierung oder Änderung von Einträgen in Wikis der Fall ist. Die soziale Kontrolle von Netiquetten und antisozialem Verhalten ist also sehr von dem jeweiligen Dienst abhängig, der die

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Kommunikationsform bestimmt. Die passiven Interaktionen werden also von dem Betreiber geleitet, der gegebenenfalls die jeweiligen Nutzer auch sanktionieren kann, z.B. indem er über das Set an möglichen persönlichen Informationen eine Vorauswahl trifft, die die Chancen erhöht, dass sich die Mitglieder des Netzwerks untereinander gut verstehen.

Ein sozialer Ausschluss kann allerdings auch über die Medienkompetenz erfolgen, denn je spezialisierter die Kommunikationsformen eines Portals sind, desto eher werden Personengruppen ausgeschlossen, die die erforderliche Medienkompetenz nicht besitzen.

Dies trifft zwar generell auf jeden Themenbereich zu, stellt sich aber gerade bei der besonders technikaffinen Interviewgruppe als besonders relevantes Ausschlusskriterium heraus, da zu vielen Anwendungen ohne eine gewisse Medienkompetenz kein Zugang besteht. Ein Befragter erklärt hierzu, dass Soziale Netzwerke zum Teil genau aufgrund der hohen Anforderungen an die Medienkompetenz exklusiv sein können: „Ich glaub ich bin auch halbwegs gut darin, so Sachen zu erklären, für Leute die jetzt nicht so technisch drauf sind.

Da ist immer eine Riesenbrücke, das machen sich die Leute auch gar nicht so bewusst, die irgendwie an Meinungsfreiheit glauben, freie Informationsgesellschaft, alles diese Dinge.“

(I 64). Dennoch ist heute mit der weiteren Verbreitung von nutzerfreundlichen und niedrig-schwelligen webbasierten Anwendungen sowie einer insgesamt höheren Medienkompetenz breiter Bevölkerungsschichten damit zu rechnen, dass technische Kompetenz für immer weniger Soziale Netzwerke ein Ausschlusskriterium sein wird.

Aus den Interviews können somit die folgenden Kontextfaktoren für virtuelle Kontakte abgeleitet werden:

Tabelle 19: Kontextfaktoren bei virtuellen Beziehungen

Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Kontextfaktoren feststellen, dass auf Ebene der virtuellen Beziehungen ein gemeinsames Mindset und gemeinsame Interessen, entweder am Kennenlernen anderer Personen oder an bestimmten Themen als verbindendes Element vorhanden sein muss, damit eine Bindung zum Netzwerk entstehen kann. Wenn diese Voraussetzung nicht vorhanden ist, kann man sich anders als in nachbarschaftsbasierten Netzwerken jedoch problemlos der virtuellen Kommunikation im Netzwerk entziehen und so entstehen hier auch in der Regel keine Aversionen gegenüber anderen Netzwerkmitgliedern, mit denen man ungewollt konfrontiert wird. In Bezug auf das Verhalten innerhalb der Gruppe können ein soziales Fehlverhalten, aber auch nicht-konforme Beiträge zwar zum Ausschluss aus dem Netzwerk führen. Allerdings sind die Toleranzgrenzen für die Konformität der Beiträge sowie für den Umgangston in der Regel hoch, so dass die Kontextfaktoren bei interessierten Nutzern nur im Ausnahmefall nicht erfüllt sind.

Die verbindenden Elemente (Informationen und gemeinsame Werte) in Hybriden Sozialen Netzwerken bestimmen also wesentlich die soziale Integration in und die soziale Kohäsion

Generelle Bindung Keine Bindung Kategorie Ortsbezogenes

Hybrides Netzwerk Themenbezogenes Hybrides Netzwerk Werte in Bezug auf

das Netzwerk Interesse am

Kennenlernen von

Verhalten Einhalten der Netiquette Soziales Fehlverhalten, nicht-konforme Beiträge

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von Hybriden Sozialen Netzwerken, während auf virtueller Ebene so gut wie keine Ausgrenzungen stattfinden. Je stärker demnach die gemeinsamen Interessen zwischen den Mitgliedern korellieren, desto integrativer und kohäsiver ist das Netzwerk. Wenn ein gemeinsames Interesse und der Wunsch nach Kontakt vorhanden ist sowie eine aureichende Medienkompetenz besteht und die Netiquette eingehalten werden, sind somit grundsätzlich die Voraussetzungen für eine Bindung an das Netzwerk vorhanden. Wodurch diese Bindung verstärkt werden kann, wird im nächsten Abschnitt behandelt.

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