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Diskussion der Ergebnisse

Im Dokument The Strength of Very Weak Ties (Seite 192-196)

Aktive Kontakte:

7. Diskussion der Ergebnisse

Dieses Kapitel dient dazu, die Ergebnisse der Arbeit vor dem Hintergrund der einschlägigen Literatur kritisch zu bewerten. Hierbei sollen neben der Bewertung des Untersuchungsdesigns, insbesondere die inhaltlichen Erkenntnisse bewertet und offene Forschungsfragen benannt werden.

Bewertung der Vorgehensweise und des methodischen Ansatzes

Die Fragestellung der Arbeit verlangte einen Forschungsansatz, der dazu dienen sollte, das komplexe Themenfeld grundsätzlich zu strukturieren. Aufgrund der neuen Fragestellung und der dynamischen Entwicklung im Bereich der Sozialen Netzwerke konnten hierfür zwar aus den unterschiedlichen Disziplinen bestimmte Ansätze verwertet werden. Die meisten Thesen haben sich jedoch erst im Laufe der Datenauswertung ergeben.

Das Forschungsdesign nach der Grounded Theory hat sich hierbei grundsätzlich für die Theoriebildung aus dem empirischen Material als gut geeignet erwiesen. Ebenfalls hat die Methode der Problemzentrierten Interviews schon in der ersten Runde der Datenerhebung so aufschlussreiches Datenmaterial hervor gebracht, dass keine weiteren Erhebungsrunden zur theoretischen Sättigung nötig erschienen.

Abgrenzung der passiven von der aktiven Kommunikation

Die „Entdeckung“, dass neben den aktiven Kontakten auch passive Kontakte in Nachbarschaften wie auch in Hybriden Sozialen Netzwerken eine Rolle für das Gefühl von sozialen Integration sowie für das eigene Wohlbefinden spielen, ist die relevanteste Erkenntnis der Arbeit. Die vertiefte und von den aktiven Kontakten abgegrenzte Betrachtung der passiven Kommunikationsstrukturen hat den Blick auf die „strengths of very weak ties“

gelenkt, was für die weitere Analyse der Kommunikationsstrukturen in städtischen sozialen Netzen hilfreich sein kann.

Bedeutung der virtuellen sozialen Integration

Aus der „Stärke der flüchtigen Beziehungen“ ergibt sich auch die verstärkte Beschäftigung mit dem Konzept einer „virtuellen sozialen Integration“ – sowohl in Nachbarschaften als auch in Hybriden Sozialen Netzwerken. An dieser Stelle eröffnen sich auch viele weiterführende psychologische oder gar philosophische Fragestellungen und gesellschaftlichen Bewertungen. So kann z.B. die Diskussion um „Nerds“, die einen Großteil der Freizeit und Arbeitszeit vor dem Rechner verbringen, hinterfragt werden. Damit soll mitnichten verharmlos werden, dass ein völliger Rückzug aus der Gesellschaft vor den Rechner, sowohl ein psychologisches als auch ein gesellschaftliches Problem darstellt. Dennoch müsste auch in dieser Diskussion deutlich differenziert werden, welche Rolle eine virtuelle soziale Integration sowohl in Hybriden Sozialen Netzwerken als auch in Nachbarschaften spielen kann, denn auch in den Bewohnerinterviews hat sich gezeigt, dass Personen mit keinerlei Sozialkontakten vor Ort eine hohe Wohnzufriedenheit aufweisen können, sofern sie ihr Umfeld als integrativ erachten. Die „realen Nerds“ werden dabei allerdings weniger als Problem erachtet, als die „virtuellen“ Nerds, die gleichwohl prinzipiell mehr Kommunikationsbeziehungen unterhalten als zurückgezogene Stadtbewohner. Es könnte daher in diesem Zusammenhang vertiefend untersucht werden, welche Funktion eine rein

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virtuelle soziale Integration für das Individuum hat, inwiefern diese das Wohlbefinden beeinflusst und ob unter welchen Bedingungen aus virtuellen Beziehungen aktive Kontakte entstehen können.

Übergang von virtuellen zu realen Kontakten

Ein weiterer Unterschied zwischen nachbarschaftsbasierten und Hybriden Sozialen Netzwerken besteht im Übergang der virtuellen zu realen Kontakten. In Nachbarschaften werden Kontakte schon auf Basis der passiven Kommunikation „aussortiert“. Wenn aber generell ein Kontaktwunsch besteht, folgt eine Phase der „Prüfung“ („Haben wir gemeinsame Interessen?“, „Ist mir die Person sympathisch?“ etc.) über kurze Interaktionen wie Gespräche im Treppenhaus, Pakete annehmen etc., bis am Ende ein privates Treffen vereinbart wird.

Der Kontakt wechselt also sukzessive vom passiven zum aktiven Status.

Das erste Treffen nach einer ggf. vorher sogar intensiven virtuellen Kommunikation kann hingegen bei Hybriden Sozialen Netzen zu einem deutlichen Bruch in der Beziehung führen.

Dies ist bei themenzentrierten Communities weniger spürbar als bei kontaktbezogenen, aber ein leichter „Schock“ oder zumindest eine Überraschung beim ersten visuellen Eindruck des Gegenübers ist bei Hybriden Sozialen Netzwerken nachdrücklich hervorgehoben worden.

Der aktiven Gestaltung der Schnittstelle zwischen realen und virtuellen Kontakten widmen sich bisher nur wenige Soziale Netzwerke (z.B. Lokalisten.de) explizit. Wie der Übergang von der virtuellen zur realen Ebene bei hybriden Beziehungen wahrgenommen wird und gestaltet werden kann, ist daher ebenfalls eine weitere interessante Forschungsfrage.

Prozess der sozialen Integration

Für das Konzept der sozialen Integration hat die empirische Studie gezeigt, dass sich die Prozesse und Strukturen in Nachbarschaften wie in Hybriden Sozialen Netzwerken in vielen Aspekten (Wirkungen, Einflussfaktoren etc.) auf struktureller Ebene gleichen. Dies lässt darauf schließen, dass es sozialen Netzwerken im Hinblick auf die persönlichen, face-to-face Kontakte generelle Strukturen der Kontaktanbahnung und des Kontakterhalts bestehen, die den Prozess der sozialen Integration prägen. Um diese These zu prüfen, bedarf es jedoch weiterer Forschung, in der qualitative Analysen mit quantitativen zusammengebracht werden. Unter Umständen können auch die Ergebnisse zu möglichen Naturgesetzen in sozialen Netzwerken (wie sie z. B. am Department of Engineering Sciences and Applied Mathematics der Northwestern University in Evanston/ USA erarbeitet wurden) für die vertiefende Analyse der sozialen Integration in sozialen Netzen genutzt werden.

Typenbildung nach Bedeutung der face-to-face und der elektronischen Kommunikation

Die Diskussion um die Wirkungen Sozialer Netze auf das Zusammenleben, wird derzeit eher auf polarisierende Aussagen z.B. in Bezug auf von soziale Vereinsamung von Nerds oder die Zurschaustellung der eigenen Privatsphäre in Sozialen Netzwerken konzentriert und Nuancen zwischen unterschiedlichen Nutzertypen werden eher selten thematisiert. Die Typenbildung nach der persönlichen Einstellung gegenüber face-to-face oder elektronischer Kommunikation(s. Tabelle 29) kann daher insofern für weitere Diskussionen relevant sein, als auch die Rolle des „konservativen Nutzers“ oder die des „Nutzenoptimierers“ in Bezug auf die weitere Verbreitung elektronischer Kommunikation stärker ins Blickfeld gerückt wird.

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Weiteren Aufschluss können demnach auch gezielte Untersuchungen zu den einzelnen Nutzergruppen bringen, die gegebenenfalls auch Dynamiken (z.B. über Zeitreihen oder Vorher-Nachher-Untersuchungen) je Nutzertyp abbilden können. Getrennte Untersuchungen zu „konservativen“ Mitgliedern eines Hybriden Sozialen Netzwerks sowie zu Nerds oder

„Nutzenoptimierern“ können daher z.B. detaillierte Ergebnisse zu Nutzerverhalten und Wirkungen des Hybriden Sozialen Netzwerks auf das Privatleben hervorbringen.

Ortsbezug sozialer Netze

Innerhalb der Arbeit wurde im Hinblick auf die Sozialen Netzwerke explizit der Fokus auf die Kontakte gelegt, bei denen reale Treffen stattgefunden haben oder prinzipiell möglich sind.

Innerhalb dieser Arbeit wurde dabei als Voraussetzung angenommen, dass bei schwächeren Beziehungen ein Ortsbezug die Beziehungen zwischen den Mitgliedern und daher Kohäsion des Netzwerks stärkt. Innerhalb des Datenmaterials fanden sich zwar keine Hinweise darauf, dass diese These nicht zutrifft. Dennoch können auch in Bezug auf die Rolle des Ortsbezugs viele weitere differenziertere Untersuchungen vorgenommen werden. So ist anzunehmen, dass für einige Soziale Netzwerke (z.B. für Gemeinschaftssportarten) und Nutzertypen (Konservative) ein Ortsbezug wichtiger ist als für internationale Netzwerke mit besonders mobilen Nutzern. Weitere Forschungen können demnach auf Grundlage der Nutzertypen Hybrider Sozialer Netzwerke oder auch der Kategorisierung Sozialer Netzwerke (Egozentrierte, Themenbezogene, Ortsbezogene) vertiefende Erkenntnisse zum Ortsbezug sozialer Netze liefern und dabei der Frage nachgehen, welche Orte als Treffpunkte für Hybride Soziale Netze besonders geeignet sind, wie diese Treffpunkte etabliert und genutzt werden und wie sie so gestaltet werden können, dass sie Prozesse der sozialen Integration fördern.

Hieran knüpft sich die Frage, wie auf baulich-räumlicher Seite ein Zusammenspiel von virtueller und realer Welt gefördert werden kann. So können zum einen bestehende Treffpunkte, wie z.B. Nachbarschaftszentren sich explizit als Treffpunkt für virtuelle Communities anbieten. Zum anderen können auch gezielt, wie es z.B. bei der c-base der Fall ist, Treffpunkte für eine bisher virtuelle Community geschaffen werden.

Darüber hinaus weisen die Ergebnisse darauf hin, dass der fehlende Quartiersbezug Hybrider Sozialer Netzwerke die Wohnort-Mobilität, aber auch die Ortsflexibilität der Treffpunkte erhöht. So konnte beispielsweise die Berliner Club-Szene, die nach der Wende aufgrund der wechselnden Lokalitäten von Anfang an auf ein virtuelles Informationsnetz aufbauen musste, sich schnell auf die Verlagerung der „Szene“ von Mitte zur Gegend um den Ostbahnhof und jetzt Richtung Kreuzberg einstellen. Welche konkreten Wechselwirkungen zwischen Hybriden Sozialen Netzen und Stadträumen bestehen, könnte demnach eine Forschungsfrage für weiterführende Studien zu Dynamiken des Ortsbezugs sozialer Netze sein.

„Illusionsrisiko“ durch Virtualisierung des Alltags

Die Arbeit hat täuschende Wahrnehmungen in sozialen Prozessen thematisiert. Für die Diskussion um soziale Integration kann es dabei interessant sein, die Bedeutung der persönlichen Wahrnehmung stärker in den Fokus zu rücken. Innerhalb der Sozialpsychologie gibt es zwar Erkenntnisse zu subjektiven Faktoren bei Prozessen der Stigmatisierung, dem Entstehen von Vorurteilen und der Ausgrenzung von (vermeintlich) „Anderen“. Dem

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Entstehen und der Wirkung auch täuschender Wahrnehmungen auf die soziale Integration ist jedoch bisher noch nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt worden. Mit zunehmender Medialisierung oder Virtualisierung des Alltags wird aber voraussichtlich auch das Thema der (Ent-)Täuschung und dem weiteren Ineinanderfließen von Realität und Virtualität als gesellschaftliches Phänomen stärker zutage treten.

Das zunehmend souveräne Spiel mit Identitäten im Netz deutet darauf hin, dass das Internet und Soziale Netzwerke schon einen neuen Umgang mit Simulationen, falschen Wahrnehmungen und Täuschungen angeregt haben. Eine neue Dimension wird allerdings in Zukunft durch Bewegungssteuerungen erreicht werden. Bewegungssteuerungen, die über Spiel-Konsolen wie Kinect oder Nintendo Wii mittlerweile schon weit verbreitet sind, und auch die Robotik werden zunehmend in soziale Beziehungen eingreifen (z.B. bei Betreuungskonzepten). In Zukunft wird sich damit also durchaus auch die Frage stellen, welche Wirkungen diese Spiele und Anwendungen auf die „reale“ soziale Integration die damit verbundene noch höhere Realitätsnähe haben werden.

Individualisierungstendenzen und soziale Integration

Neben dem zunehmenden Verschmelzen von Realität und Virtualität ist in der Arbeit auch die Frage aufgekommen, welche Auswirkungen vermehrte elektronische Kommunikation auf Individualisierungstendenzen haben. Wenn ein rollenbezogenes Verhalten und ein

„Identitätssplitting“ wie es vor allem der „Nutzenoptimierer“ vornimmt, durch Hybride Netzwerke verstärkt wird, werden damit auch Individualisierungstendenzen unterstützt. Aus der Arbeit geht dabei jedoch insgesamt nicht hervor, dass daraus Gefühle der Vereinsamung oder Ausgrenzung entstehen, sondern vielmehr die Mitgliedschaft in dem Hybriden Sozialen Netzwerk als zusätzliche Sozialkontakte wahrgenommen werden. Dem gegenüber ist in den Bewohnerinterviews das Thema der Ausgrenzung und Vereinsamung durchaus deutlich thematisiert worden. Weitere Studien könnten sich somit vertieft der Frage nach den weiteren Zusammenhängen zwischen Individualisierung als gesellschaftlichem Phänomen und der gemeinschaftsstiftenden Wirkung Hybrider Sozialer Netzwerke bzw. der Bedeutung flüchtiger Kontakte für ein Gemeinschaftsgefühl widmen.

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8. Anhang

8.1 Interviewleitfaden „Nachbarschaftsbasierte Netzwerke“

1. Einleitung

a. Wie lange leben Sie schon hier? Erzählen Sie doch bitte, wann und wie Sie in diese Siedlung gezogen sind! (Wie war das, als Sie hier eingezogen sind?)

b. Was gefällt Ihnen an Ihrer Nachbarschaft? Was gefällt Ihnen nicht so sehr?

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