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Theorien der Anerkennung

Im Dokument Prekäre Arbeit, prekäre Liebe (Seite 57-63)

Prekarität im Lebenszusammenhang

2.3 Theorien der Anerkennung

Die Auseinandersetzung mit Anerkennung steht in einer langen Tradition.

Ein wichtiger Ausgangspunkt bildet G.F.W. Hegels (1986 [1807]) Phäno-menologie des Geistes. Hegel stellt hier heraus, dass intersubjektive Anerken-nung die Voraussetzung dafür darstellt, dass Individuen ein Selbstverhältnis ausbilden können. Hegels Überlegungen zu intersubjektiver Anerkennung inspirierten Autor*innen vielfältiger Disziplinen, wie etwa Georg Herbert Mead, Jessica Benjamin oder Charles Taylor. Heute stellt Anerkennung eine philosophische und sozialpsychologische Schlüsselkategorie dar.

19 Nicht nur seitens der Männer, deren Ernährerfunktion in den Familienernährerin-nenhaushalten direkt in Frage gestellt wird, sondern auch seitens diverser anderer Ak-teur*innen, die sich in und an Diskursen gegen Gleichstellung beteiligen (Motakef et al.

2018a; Wimbauer/Motakef/Teschlade 2015).

Einer der wichtigsten gegenwärtigen Vertreter einer Theorie intersubjek-tiver Anerkennung ist Axel Honneth (1992, 2003a, 2011), der seine Theo-rie der Anerkennung als Beitrag einer kritischen GesellschaftstheoTheo-rie ver-steht. In unserer anerkennungstheoretischen Fundierung beziehen wir uns auf Axel Honneths Drei-Sphärenmodell der Anerkennung. Unsere zweite zentrale Referenz sind Überlegungen von Judith Butler. Zwar steht in ihrem Werk Anerkennung nicht im Zentrum, aber sie stellt in ihrer Theorie der Subjektivierung wichtige Überlegungen zur Ambivalenz von Anerkennung sowie zum Verhältnis von Anerkennung und Prekarität an.

In der Prekarisierungsforschung liegen bereits erste Hinweise zur Bedeu-tung von Anerkennung vor, etwa wenn Anerkennung in der Bestimmung einer prekären Beschäftigung berücksichtigt wird (Brinkmann et al. 2006) oder einige Studien empirisch eine hohe Bedeutung von Anerkennung fin-den (siehe 2.4). In der Arbeitssoziologie existieren dagegen bereits anerken-nungstheoretische Studien (Holtgrewe/Voswinkel/Wagner 2000; Voswinkel 2001).

Wir möchten vorweggreifen, dass die Überlegungen von Honneth und Butler große Differenzen aufweisen. Sie unterscheiden sich, knapp formu-liert, bereits darin, von wo aus sie auf Anerkennung schauen und haben ein unterschiedliches Verständnis vom Subjekt: Während Honneth sich für die Bedeutung von intersubjektiver Anerkennung für die Ausbildung eines ge-lungenen Selbstverhältnisses interessiert, beschäftigt sich Butler mit macht-vollen Subjektivierungsprozessen. Wir greifen auf die Überlegungen von Honneth und Butler als »beobachtungsleitende Annahmen« (Kalthoff 2008:

12) zurück. Sie sollen uns für die empirische Analyse sensibilisieren. Wir leis-ten aber keinen systematischen Theorievergleich (hierzu etwa: Balzer 2014;

McNay 2008; McQueen 2015) und auch keine Auseinandersetzung mit dem Gesamtwerk beider (zu Honneth siehe auch Wimbauer 2012: 17ff.).

2.3.1 Axel Honneth: Ein Dreistufenmodell intersubjektiver Anerkennung Axel Honneth (1992, 2003a, 2011) geht mit Hegel davon aus, dass Subjek-te in inSubjek-tersubjektiven Anerkennungsverhältnissen konstituiert werden. Ge-sellschaft fasst er als institutionalisierte Anerkennungsordnung, wobei his-torisch veränderbare kulturelle Normen bestimmen, wer und was jeweils als anerkennbar gilt. Honneth versteht also ähnlich wie Castel (2000) Gesell-schaft als Integrationsordnung. Er unterscheidet drei idealtypische

Anerken-nungsformen und -sphären: Liebe (in der Sphäre sozialer Nahbeziehungen/

Familie), Recht (Rechtssphäre) und soziale Wertschätzung (innerhalb des Systems der gesellschaftlichen Arbeitsteilung). Anders als bei Castel ist seine Integrationsordnung also nicht auf Erwerbsarbeit beschränkt, aber der Er-werbssphäre komme gegenwärtig herausgehobene Bedeutung zu.

Liebe meint bei Honneth die intersubjektive Anerkennung des Anderen in seiner umfassenden und konkreten Bedürfnisnatur. Honneth (1992) stellt zunächst die Eltern-Kind-Liebe ins Zentrum, differenziert bei Liebe aber später (Honneth 2011) die Liebessphären Intimbeziehungen, Familie und Freundschaften weiter aus. Rechtliche Anerkennung, unterschieden in libe-rale Freiheitsrechte, politische Teilhaberechte und soziale Wohlfahrtsrechte, ziele auf die universelle Achtung aller Menschen als moralisch zurechenbare Rechtspersonen. Anders als in der Sphäre der Liebe sei die moralische Ver-pflichtung in der Rechtssphäre nicht partikular, sondern universell. Soziale Wertschätzung werde derzeit maßgeblich für individuelle Leistung in der Er-werbssphäre gezollt. Anders als bei der Liebe ziele diese nicht auf die ganze Person, sondern nur auf personale Ausschnitte, konkret auf bestimmte Bei-träge, die gesellschaftlich als Leistung gewertet werden.

Erst alle drei Formen reziproker Anerkennung zusammen erlauben die Ausbildung einer gelungenen Identität und schaffen die Bedingungen, unter denen »menschliche Subjekte zu einer positiven Einstellung gegenüber sich selbst gelangen können« (Honneth 1992: 271). Nur wenn eine Person in al-len drei Sphären Anerkennung findet, kann sie sich »uneingeschränkt als ein sowohl autonomes wie auch individuiertes Wesen […] begreifen und mit ihren Zielen und Wünschen […] identifizieren« (Honneth 1992: 271). Um-gekehrt wäre dies gefährdet, so eine Schlussfolgerung, würde Anerkennung in einer Sphäre ausbleiben – etwa Anerkennung für Leistung aufgrund einer prekären Beschäftigung.

Anerkennung stellt für Honneth die »intersubjektive Voraussetzung für die Fähigkeit autonom, eigene Lebensziele zu verwirklichen« (Honneth 2004: 54) dar und ist somit positiv besetzt. Honneth (2004) beschäftigt sich aber auch mit der Frage, wann Anerkennung zur Ideologie werden kann. Dies wäre der Fall, würde Anerkennung nicht zur Förderung po-sitiver Selbstbezüge führen, sondern zu Konformität und Unterwerfung.

Ideologien der Anerkennung seien dabei nicht einfach irrational, sondern müssten den »Wert eines Subjekts oder einer Gruppe von Subjekten« (ebd.:

61) sowie »eine besondere Leistung zum Ausdruck« bringen (ebd.: 63) und für die Betroffenen selbst glaubwürdig sein. Für Honneth liegt eine

Ideo-logie der Anerkennung vor, wenn der Akt der Anerkennung unvollstän-dig ist und Versprechen transportiert werden, für dessen Einlösung aber die materialen Bedingungen fehlen. Ein Beispiel par excellence für eine sol-che Ideologie der Anerkennung stelle die Figur des Arbeitskraftunterneh-mers dar. Wimbauer (2012: 353) fügt als weitere Beispiele die sozialstaat-liche Erwerbsaktivierung und die doppelte Subjektivierung von Arbeit an.

Hierbei würden »positive Versprechungen« transportiert, die aber »ange-sichts struktureller Defizite und Hindernisse auf dem Arbeitsmarkt, in den Arbeitsorganisationen und in den sozialstaatlichen Rahmenbedingungen nicht für alle einlösbar sind« (ebd.). Da die »materialen Bedingungen« feh-len, können etwa Frauen nach einer Familiengründung, aber auch viele an-dere Gruppen, die »Anerkennungsversprechen qua Erwerbsarbeit« häufig nicht realisieren (ebd.).

Honneth stellt auch Überlegungen zum Verhältnis der Sphären vor. So könne etwa das Recht die Sphäre der Leistung sozialstaatlich einhegen (u. a.

Honneth 1992: 283–284) oder in die Liebessphäre eindringen (u. a. Hon-neth 1992: 283–284). Auch führt er an, dass angesichts neuer Beschäfti-gungsverhältnisse, der Entgrenzung von Arbeit und neuer Mobilitätserfor-dernisse das, »was in letzter Zeit verstärkt als ›kapitalistische‹ Formierung von Subjektivität bezeichnet worden ist, […] die Sphäre moderner Intimbe-ziehungen zu erobern« (Honneth 2011: 275–276) beginne. Der »kapitalisti-sche Markt« könne somit wegen seiner »Tendenzen zur Expansion und Ver-selbständigung« Beziehungen einer »inneren Auszehrung« (Honneth 2011:

276) aussetzen. Allerdings untersucht Honneth all dies nicht empirisch, er-läutert die Mechanismen nicht weiter und unterscheidet nicht zwischen un-terschiedlichen sozialstrukturellen Gruppen (ausführlich zum Verhältnis der Anerkennungssphären bei Honneth: Wimbauer 2012: 56–64).

2.3.2 Judith Butler: Von »Precariousness« und ambivalenter Anerkennung Anders als Honneth geht es Butler nicht um den Entwurf einer kritischen Gesellschaftstheorie. Vielmehr legt sie eine Machtanalyse der Subjektivie-rung vor (Butler 1991, 1995, 2001), in der Anerkennung eine große Rolle erhält. Auch ist das Verhältnis von Anerkennung und Prekarität zentral für ihre theoretische Deutung politischer Ereignisse, wie dem Umgang mit der sogenannten AIDS-Krise in den USA und den US-amerikanischen Inter-ventionen als Reaktionen auf die Attentate seit 2001 (Butler 2003a, 2010).

Ähnlich wie Honneth geht Butler davon aus, dass Subjekte erst in An-erkennungsverhältnissen konstituiert werden. Wie angedeutet, betont Butler (2010), dass wir als soziale und körperliche Wesen der Anerkennung des An-deren bedürfen und per se verletzbar sind. Butler benennt dies als precarious-ness, also als Prekärsein des Subjekts.20 Anerkennungsverhältnisse sind somit genuin prekär, auch wenn politische Regulierungen bestimmte Gruppen in ihrem Prekärsein schützen können. Butler plädiert für eine kritische Analy-se der Bedingungen, die bestimmte Gruppen als schützenswert erscheinen lässt und andere nicht. Sie spricht hier von Rahmen der Anerkennbarkeit.

Vor diesem Hintergrund fragt sie, »wie diese Normen eigentlich operieren, um bestimmte Subjekte zu ›anerkennbaren‹« Personen zu machen, während sie zugleich die Anerkennbarkeit anderer Subjekte entschieden erschweren«

(Butler 2010: 14).

In ihrer Theorie der Subjektivierung geht sie mit Michel Foucault von einer gleichzeitigen Ermächtigung und Unterwerfung des Subjekts aus (But-ler 1991, 1995, 2001). Das Subjekt unterwerfe sich unter Normen, da es für seine soziale Existenz Anerkennung bedarf (Butler 2009). Butler geht hier von einem Begehren nach Anerkennung aus, das sie als Begehren nach ei-ner »Aei-nerkennbarkeit als Subjekt« fasst (Butler 2003b: 64). Die Unterwer-fung sei notwendig, da es nur auf diese Weise für das Subjekt möglich wird,

»im Raum des Lebbaren, Intelligiblen, Anerkennbaren« zu handeln (ebd.:

63). Wie bereits am Beispiel des Konzepts der heterosexuellen Matrix (Butler 1991) erwähnt (siehe Kapitel 2.2.3), sind Subjektivierungsprozesse für Butler ohne Geschlecht und Sexualität gar nicht denkbar. Den Normen der Aner-kennbarkeit sind vielmehr stets Annahmen über Geschlecht und Sexualität implizit, wie etwa die Geschlechterbinarität und Heteronormativität.

Da das Subjekt in der Unterwerfung unter Normen diese nicht nur ab-bildet, sondern sich die Normen auch aneignet, implizieren Subjektwerdun-gen auch immer die Möglichkeit der Überschreitung von Normen (Butler 2001). Vor diesem Hintergrund betont Butler die Unabschließbarkeit von Subjektivierungsprozessen (Butler 2005: 62).

Während Honneth also davon ausgeht, dass Anerkennung aus den drei Sphären zu einem gelungenen Selbstkonzept führt, stellt Butler stärker die Ambivalenzen der machtvollen Subjektivierungsprozesse heraus. In ihren

20 In der deutschen Übersetzung wurde precariousness mit Gefährdung übersetzt, was die Verbindung zur Prekaritätsdebatte unkenntlich macht. Um diese Bezüge zu betonen, orientieren wir uns mit Lorey (2012) an dem Begriff des Prekärseins, auch wenn diese Substantivierung im Deutschen sperrig klingen mag.

Überlegungen werden Subjekte zudem nicht darin positiv bestätigt, was sie bereits sind, sondern erst durch machtvolle Normen der Anerkennbarkeit als solche konstituiert. Anerkennungsverhältnisse erzeugen anders als bei Honneth kein stabiles, sondern ein »fragiles  […] Subjekt« (Butler 2003a:

10). Butler nimmt also prekäre und verletzbare Subjekte als Ausgangspunkt, die aus Anerkennungsverhältnissen hervorgehen, diese aber auch überschrei-ten können. Mit Rückgriff auf Foucault betont sie daher die Ambivalen-zen von Anerkennung aus der doppelten Bewegung der Unterwerfung und Ermächtigung.

2.3.3 Zwischenfazit zur anerkennungstheoretischen Fundierung

Verschiedene dieser Überlegungen sind für unsere subjektorientierte empiri-sche Forschung anschlussfähig und sozialtheoretisch grundlegend. Von But-ler und Honneth übernehmen wir die Vorstellung, dass Normen der Aner-kennung existieren, die regulieren, wer und was gesellschaftlich anerkannt werden kann und wer und was nicht. Butler spricht hierbei von Rahmen der Anerkennbarkeit, Honneth von einer Anerkennungsordnung. Während Honneth die Vorstellung einer Anerkennungsordnung an sein Sphärenmo-dell knüpft, sind die Rahmen der Anerkennbarkeit bei Butler nicht vorab be-stimmt und weit gefasst.

Von Honneth (vgl. Wimbauer 2012: 17–65) greifen wir seine Grundan-nahme auf, wonach Subjekte keine monadischen Einzelwesen sind, sondern in intersubjektiven Anerkennungsverhältnissen konstituiert werden  – was auch Butler so sehen würde. Allerdings teilen wir weder Honneths Annah-me, dass nur positive Anerkennung in genau den drei Sphären immer zu gelungenen Selbstkonzepten führe noch seinen (vordergründig) positiven Blick auf Anerkennung. Vielmehr betonen wir mit Butler erstens eine Per-spektive auf die grundlegende menschliche Verletzbarkeit. Zweitens richten wir mit ihr unser Augenmerk auf die Ambivalenzen von Anerkennung.

Weiter greifen wir Honneths Sphärentheorie auf, denn seine drei idealty-pischen Sphären und Anerkennungsformen Liebe/Paar- und Nahbeziehun-gen, Leistung/Erwerbssphäre und Recht/Rechtssphäre sind fraglos eminent wichtig. Allerdings weiten wir die Sphären aus, fokussieren besonders auch Sorge und fragen explizit nach Wechselverhältnissen zwischen den Sphären.

Hierbei ist für uns Butlers Betonung der Ambivalenzen von Anerkennungs-verhältnissen inspirierend.

Weiter wird an Honneth kritisiert, dass er Macht und Ungleichheit (McQueen 2015) und das ungleiche Geschlechterverhältnis (Fraser 2003;

Wagner 2004; Wimbauer 2012) nicht systematisch analysiert. Auch beschäf-tigt sich Honneth, wie Butler, nicht mit prekären Beschäftigungsverhält-nissen. Mit Honneth kann aber davon ausgegangen werden, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse, wenn auch nicht zwangsläufig, mit Anerken-nungsdefiziten einhergehen. Diese Anerkennungsdefizite haben womöglich Folgen für die Betroffenen: Sei es, dass sie darüber resignieren und an Hand-lungsfähigkeit einbüßen (Desintegrationsperspektive) oder diese als Erfah-rungen der Ungerechtigkeit wahrnehmen und dadurch einen »Kampf um Anerkennung« (Honneth 1992) aufnehmen.

Dies ist letztlich eine empirische Frage. Allerdings arbeiten weder Hon-neth noch Butler empirisch, sondern sozialtheoretisch-philosophisch. Was damit bei beiden offen bleibt, sind die konkreten, empirisch auffindbaren Inhalte von Anerkennung (vgl. Wimbauer 2012): Wofür suchen und finden prekär Beschäftigte Anerkennung? Dies stellt sich für uns als theoretisch von Butler und Honneth angeleitete, empirisch zu beantwortende Frage. Glei-ches gilt für die Wechselverhältnisse der Anerkennungssphären.

Im Dokument Prekäre Arbeit, prekäre Liebe (Seite 57-63)