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Die Erhebung: Paar- und Einzelinterviews

Im Dokument Prekäre Arbeit, prekäre Liebe (Seite 79-82)

Prekarität im Lebenszusammenhang

3.3 Die Erhebung: Paar- und Einzelinterviews

3.3.1 Interviewdurchführung

Wir führten je drei- bis fünfstündige (teil-)leitfadengestützte, (teil-)narrati-ve Paarinterviews mit den Paaren und Einzelinterviews mit den acht prekär Beschäftigten, die nicht in einer Paarbeziehung leben. Vier der acht Paar-interviews wurden in dem von Christine Wimbauer und später von Sarah Speck geleiteten, dreisemestrigen Lehrforschungsprojekt »Prekäre Beschäfti-gung, prekäre Lebenszusammenhänge?« an der Universität Tübingen erho-ben und in Teilen interpretiert (Aculai et al. 2015).24 Im Abstand von einem halben Jahr haben wir mit beiden Partner*innen von drei Paaren zudem Ein-zelinterviews geführt.

Der Eingangsfrage kommt in unseren narrativ (Schütze 1983, 1987) an-gelegten Interviews besondere Bedeutung zu, denn sie soll möglichst breit eine Erzählung stimulieren, in der bereits viele der interessierenden Aspek-te entfalAspek-tet werden (siehe u. a. Wimbauer/Motakef 2017b). »Wie sind Sie ein Paar geworden?« lautete die erzählgenerierende Eingangsfrage bei den

24 Die Interviews wurden nach einer in den Projektkontext eingebundenen gemeinsamen Leitfadenentwicklung und intensiven Interviewer*innenschulung von den Teilnehmen-den geführt. Dies waren: Sandra Aculai, Katharina Gräff, Antonia Platten, Maira Scho-bert, Annika Schoon, Linda Staschill, Veronika Waldenmaier und Nora Wimmler. Als umsichtige Tutorin unterstützte Christin Flischikowski das Lehrforschungsprojekt. El-len Ronnsiek und Sarah Speck waren ebenfalls bei der Leitfadenentwicklung und Aus-wertung sehr engagiert. Wir bedanken uns bei allen Beteiligten.

Paarinterviews. Bei den Menschen ohne Paarbeziehung begannen wir mit

»Wie ist es dazu gekommen, wie Sie heute leben, lieben, wohnen und arbei-ten?«. In den folgenden Leitfadenblöcken erfragten wir ausführlich und an-fangs möglichst offen, dann spezifischer werdend, zunächst die Paar- und Einzelbiographien sowie die Berufsbiographien und danach verschiedens-te Lebensbereiche. Dazu zählen Erwerbsarbeit, Finanzen, Paarbeziehungen, Hausarbeit, Familie, Kinder, Sorge (Care), Freundschaften, Nahbeziehun-gen, Freizeit, Sinnstiftung, Sozialstaat, Wünsche und Zukunftsvorstellun-gen. Anerkennung und Geschlecht waren quer liegende, stets interessieren-de Aspekte.

Die prekär Beschäftigten ohne Paarbeziehung baten wir, für sie wichti-ge Personen in egozentrierte Netzwerkkarten (Kahn/Antonucci 1980; Holl-stein/Pfeffer 2010) einzutragen. Eingedenk unserer relationalen Perspektive auf Individuen-in-Beziehungen hatten wir erwogen, auch in dieser Grup-pe ein dyadisches Interview, etwa mit einer Person aus dem Freundeskreis der Befragten, zu führen. Wir sahen aber davon ab, da zur Paarbeziehung alternative Anerkennungsbeziehungen erstens nicht zwingend in einer dy-adischen Freundschaftsbeziehung, sondern womöglich in mehreren Bezie-hungen bestehen. Zweitens existieren nicht bei allen solche alternativen sozi-alen Beziehungen. Daher haben wir uns für die viel offeneren egozentrierten Netzwerkkarten entschieden, mit deren Hilfe wir in den Interviews auch Narrationen über wichtige soziale Nahbeziehungen generiert haben.

Alle Befragten füllten nach dem Interview ein Datenblatt mit soziode-mografischen Angaben sowie eine Lebenslauftabelle aus.

Durchgeführt haben wir die Interviews nach Möglichkeit bei den Be-fragten zuhause. Dies war allerdings nicht allen recht, weil ihre Wohnun-gen zu klein seien oder sie uns ihre WohnunWohnun-gen nicht zeiWohnun-gen wollten, wes-halb wir auf unsere Büroräume bzw. unsere Wohnungen auswichen. Nach den Interviews erstellten wir ausführliche Memos, in denen wir Eindrücke aus den Interviews über die nonverbale Interaktion und den Interviewver-lauf festhielten.

3.3.2 Zum Erkenntnispotential von Paarinterviews

Eine Besonderheit unserer Studie ist das von uns verwendete Erhebungsinst-rument des gemeinsamen Paarinterviews. Paarinterviews werden in der qua-litativen Sozialforschung zwar zunehmend, aber noch deutlich seltener

ein-gesetzt als Einzelinterviews. Sie haben besondere Erkenntnispotentiale und bieten sich an, wenn explizit die Paarebene untersucht werden soll (ausführ-lich: Wimbauer/Motakef 2017a,b).

So können im gemeinsamen Paarinterview, anders als in Einzelinter-views, als wesentliche Stärke die Interaktionen zwischen den Partner*in-nen erfasst werden (Allan 1980) sowie ihre Performanz als Paar (Przyborski/

Wohlrab-Sahr 2014). Interaktionen werden dabei zweifach erfassbar: ers-tens in der konsensuellen oder nicht konsensuellen Erzählung des Paares über vergangene Aushandlungen und Interaktionen und zweitens in der konkreten Interaktion der Partner*innen im Interview in situ. Dies führt zu einer weiteren wesentlichen Stärke: In Paar interviews lassen sich in An-lehnung an Peter L. Berger und Hansfried Kellner (1965) die gemeinsam geteilten oder auch nicht geteilten Wirklichkeitsdeutungen von Paaren re-konstruieren. Nicht zuletzt können die vielfältigen interaktiven Aushand-lungs- und Herstellungsleistungen der Partner*innen nachgezeichnet wer-den: etwa das doing couple, aber auch das doing gender, doing inequality oder doing recognition. Erfassen lassen sich also auch die oft vergeschlechtlich-ten Re-/Produktionsweisen von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen in den Paaren (Wimbauer 2003, 2012; Wimbauer/Motakef 2017a,b; Schnei-der et al. 2002).

Als eine Schwäche von Paarinterviews wird etwa von Jan Kruse (2015:

162) mit Verweis auf Alois Hahn (1983) und Bruno Hildenbrand (2006) eine »Anfälligkeit von Konsensfiktionen« angeführt sowie die Annahme, dass Dissens und Konflikte ummantelt werden (ähnlich Przyborski/Wohl-rab-Sahr 2014: 109). Wir planten daher ergänzende Einzelinterviews, um auch die Einzelsichten der Partner*innen zu erfassen. In den Paarinterviews wurden allerdings Konflikte nicht ausgespart, so dass wir nur bei drei Paaren zusätzliche Einzelinterviews führten.

Schließlich sei auf zwei Einschränkungen hingewiesen: In narrativen In-terviews sollen die Befragten zu Erzählungen angeregt werden. Die Produk-tion von Erzählungen ist allerdings voraussetzungsvoll und es bedarf hier-zu bestimmter Erzähl- und Handlungskompetenzen. Man muss sich etwa als Träger*in einer (mehr oder weniger) kohärenten Biographie begreifen (Schütze 1987), über die man erzählen kann und will (vgl. Wimbauer/Mo-takef 2017b: 105ff.). Dies ist bei der uns interessierenden Grundgesamt-heit nicht immer umfassend gegeben und fiel auch nicht allen Befragten leicht. Dennoch hat sich der Einsatz narrativer Interviews in unserer Stu-die als sehr fruchtbar erwiesen. Nur in einem Fall konnten wir kaum

Erzäh-lungen hervorbringen, sondern nur knappe Antworten, was wir methodisch reflektierten.25

Ein größeres Problem dürfte in der oben angedeuteten Selektion von In-terviewpartner*innen bestehen. Einmal scheinen prekäre Beschäftigung und prekäre Lebenslagen als tabuisiert oder jedenfalls als sozial nicht erwünscht.

Viele Menschen möchten nicht gerne darüber sprechen (anders als etwa frü-her von uns befragte akademisch gebildete Väter in Elternzeit oder Dop-pelkarriere-Paare). Auch scheinen sich prekär Beschäftigte, die ihre prekäre Lage als eigenes Scheitern deuten, seltener zu einem Interview zu melden als prekär Beschäftigte, die einen hohen Leidensdruck verspüren und die Ur-sachen gesellschaftlich oder anderweitig extern attribuieren oder als Men-schen, die den Eindruck haben, dass ihnen etwas gelungen ist (Wimbauer/

Motakef 2017b: 54f.).

Im Dokument Prekäre Arbeit, prekäre Liebe (Seite 79-82)