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Paare mit schwachem Paarzusammenhalt

Im Dokument Prekäre Arbeit, prekäre Liebe (Seite 195-200)

ressource oder -verhinderung

6.3 Paare mit schwachem Paarzusammenhalt

6.3.1 Seine »berufliche Nichtanerkennungsresistenz« versus ihre Alleinverantwortung: Clemens Caspar und Caroline Christiansen Caroline Christiansen und Clemens Caspar leben in einem Familienernähre-rinnen-Arrangement. Caroline Christiansen verdient nahezu alleine das Ein-kommen für sich, Clemens Caspar und die beiden jugendlichen Kinder.49 Die Belastungen sind also ungleich verteilt: Caroline Christiansen trägt al-leine die Verantwortung für das Familieneinkommen und kümmert sich, zu-mindest zum Zeitpunkt des Interviews, überwiegend alleine um die Kinder und den Haushalt, da Clemens Caspar regelmäßig bis abends in dem von ihm betriebenen kleinen Café ist.

Im Folgenden zeigen wir, wie Clemens Caspar seiner Partnerin erstens Anerkennung für ihre Leistungen als Familienernährerin vorenthält und sie zweitens daran hindert, alternative Anerkennung für Leistung in ihrer eh-renamtlichen Arbeit zu erhalten. Umgekehrt sucht Clemens Caspar erst gar nicht nach Anerkennung für Leistung in der Erwerbssphäre. Caroline Chris-tiansen schätzt wiederum seine unkonventionelle Art und seinen Eigensinn, auch wenn sie weiß, dass sie es bei ihm – wie wir in Kapitel 8.4.3 ausführen – mit einem »Eigenbrötler« zu tun hat.

Clemens Caspars berufliche Nichtanerkennungsresistenz

Clemens Caspar betont mehrfach, dass für ihn Erwerbsarbeit nicht von Bedeutung sei und findet es nachgerade albern, wenn sich Menschen mit ihrer Arbeit identifizieren (siehe Kapitel 4.4.2 und 4.7.1). Clemens Caspar erlebt, so jedenfalls seine Äußerungen im Interview, erwerbsseitige feh-lende Anerkennung nicht als Anerkennungsdefizit. Im Verlauf seiner pre-kären Erwerbsbiographie hat er, so seine Darstellung im Interview und unsere Rekonstruktion, eine Art Immunität gegen die Versprechen er-werbsseitiger Anerkennung entwickelt. Anders als fast alle anderen Befrag-ten scheint er in der Erwerbssphäre keine Anerkennung zu suchen und hat dies offenbar auch nicht zu einem früheren Zeitpunkt seiner Biographie

49 Diesen Fall diskutieren wir auch in Wimbauer/Motakef (2017b), Motakef/Wimbauer (2019a) sowie Motakef (2019a,b).

getan. Diese Immunität von Clemens Caspar bezeichnen wir als berufliche Nichtanerkennungsresistenz.50

Keine Anerkennung für ihre Leistungen in der Erwerbssphäre und für die Familie

Caroline Christiansen ist zwar Familienernährerin, aber Clemens Caspar anerkennt sie hierfür – und auch sonst, wie unsere Rekonstruktion zeigt – nicht. Caroline Christiansen ist über ihre verlaufskurvenförmige Erwerbs-biografie frustriert und erlebt als Anerkennungsdefizit, nach all den Jahren nur auf Abruf und zu Themen für ihre Zeitung zu arbeiten, die sie überhaupt nicht interessieren (siehe Kapitel 4.6.2). Oft kommt sie frustriert nach Hau-se. Wenn sie dann auf Clemens Caspar trifft, kommt es häufig zu Streit. Sie würde sich wünschen, dass er ihr zuhört und sie ihren Frust loswerden kann, er sieht dies aber nicht ein und will nichts hören. Er begründet seine fehlen-de Bereitschaft damit, dass sie, anfehlen-ders als er, ihre Arbeit brauche, mehr noch:

geradezu abhängig von ihr sei, weswegen sie gar nicht über ihre Belastungen schimpfen brauche:

Clemens Caspar: Na bei dir ist ja anders, du brauchst ja ’ne Ar also bei ihr ist wirklich sie braucht einfach ’ne Arbeit. Also ich denke, sie definiert sich mehr über Arbeit, als ich das mache […]

und ja, ohne würde sie kaputt gehen. Und sie ist natürlich schon auch im Moment äh fühlt sie sich in der Pflicht auch wirtschaftlich hier einfach äh das so weit am Laufen zu hal-ten und geht deswegen auch arbeihal-ten. Also, dass du sagst du würdest, wenn’s dir aussuchen könntest, was anderes machen oder das nicht mehr machen. Das ist ja nicht so.

[Du brauchst das ja wirklich.

Caroline Christiansen: [Ich würde weniger machen dafür was anderes […]

Clemens Caspar: Neeeee […]

Caroline Christiansen: [Doch

Clemens Caspar: [Du brauchst das. […]

50 Diese könnte auch als Selbstschutz interpretiert werden. Nimmt man diesen Faden auf, könnte Clemens Caspar sich mit seiner beruflichen Nichtanerkennungsresistenz vor Stigmatisierungen und Verletzungen in der Erwerbssphäre wappnen. Auch könnte die-se latent die Funktion erfüllen, die-sein Scheitern im Erwirtschaften eines sichernden Ein-kommens und als männlicher Ernährer zu maskieren. Ob seine berufliche Nichtaner-kennungsresistenz Selbstschutz, eine Maske und/oder eine in der Biographie erworbene Haltung ist, können wir hier nicht abschließend klären, da wir seine Selbstdarstellung im Interview rekonstruieren und keinen Zugang zu seinem Innenleben haben.

Caroline Christiansen: […] ich könnt auch da weniger also machen. Wenn’s reichen würde so finanziell.

Clemens Caspar: Na ja, reicht so auch nicht. Von daher ist das eigentlich egal letztendlich.

Nach unserer Interpretation stellt Clemens Caspar in dieser Paarinteraktion dar, dass Caroline Christiansen in seiner Wahrnehmung nicht arbeite, weil sie die Familie ernähren muss, sondern weil sie nicht anders könne und Ar-beit für ihr (So-)Sein benötige. In der Rekonstruktion essentialisiert er ihren Einsatz und ihre Verantwortungsübernahme in der Erwerbssphäre und für das Familieneinkommen (und auch den gemeinsamen Haushalt) als ihre un-veränderliche Charaktereigenschaft. Anders als sie es darstellt, arbeite sie sei-ner Wahrnehmung nach nicht für die Familie, sondern bedient ihren indivi-duellen genuinen Arbeits- und Leistungszwang.

Basierend auf dieser Essentialisierung, so eine zentrale Interpretation, verweigert er ihr damit jegliche Anerkennung für ihre Leistungen als Fami-lienernährerin. Dies bezieht sich nicht nur auf den finanziellen Beitrag für die Familie: Indem er das Thema damit abschließt, dass ihr Einkommen oh-nehin nicht für die Existenzsicherung der Familie reiche und es daher »ei-gentlich egal letztendlich« sei, entwertet er darüber hinaus auch noch ihre gesamte Erwerbstätigkeit als letztlich sinn- und nutzlos.

Alternativen zu ihrem Arrangement

Caroline Christiansen ist darüber verärgert und betont nachdrücklich, dass sie gerne weniger arbeiten und sich journalistisch in Umwelt- und Natur-schutzprojekten engagieren würde, wenn sie es denn nur könnte. Dazu müsste er aber Geld verdienen. Clemens Caspar sieht dies anders und wi-derspricht ihr. Mehrfach sagt er, sie könnten doch Arbeitslosengeld beantra-gen. Dies ist aber wiederum für Caroline Christiansen ausgeschlossen, wie wir in Kapitel 4.4.2 und 9.2.1 ausführen: Als beide arbeitslos waren, ließ sie sich in ihrer Wahrnehmung von einer Angestellten des Jobcenters zu einer Unterschrift überreden, was zur Folge hatte, dass ihr Sozialhilfeantrag ab-gelehnt wurde und sie komplett ohne Geld dastanden. Diese »Extremsitua-tion« möchte sie nie wieder erleben und lehnt seitdem jeglichen Leistungs-bezug kategorisch ab, auch wenn sie zu aufstockenden Leistungen berechtigt wären. Clemens Caspar hingegen kann sich an den Vorfall gar nicht mehr erinnern. Er weiß aber noch, dass sie während der Arbeitslosigkeit immerhin gemeinsam Zeit hatten, was sie heute kaum noch kennen:

»Das eine ist das die wirtschaftliche Situation und das andere ist natürlich letztend-lich kann man sagen, können wir uns freuen, haben wir mehr Zeit äh, die wir mit-einander verbringen können. Weil jetzt ist eigentlich so, ähm, wir sehen uns irgend-wie kaum«.

Keine gemeinsame Zeit – keine gemeinsame Zukunft?

Dass sie sich gemeinsam als Paar oder als Familie kaum sehen, betonen beide mehrfach im Interview. Dies sei schon lange so und werde sich auch nicht ändern, so lange Clemens Caspar das Café betreibt. Wenn sie an sich als Paar denken, an Besonderheiten oder daran, was ihre Beziehung ausmacht, nehmen sie fast keinen Bezug aufeinander, sondern nur auf die Kinder. Sie sind vor allem stolz darauf, was sie als Eltern geschafft haben. Sie haben ihre Kinder stets respektvoll behandelt und ihnen viele Freiheiten gelassen und sind heute beeindruckt, zu welchen selbstständigen und selbstsicheren jun-gen Menschen ihre Kinder geworden sind. Was sie früher als Paar ebenfalls zusammengehalten hat, war ihr gemeinsames Engagement für den Natur-schutz, wofür aber Caroline Christiansen schon lange und Clemens Caspar seit der Übernahme des Cafés keine Zeit mehr findet.

Was sie aneinander schätzen, kann Clemens Caspar zunächst nicht be-nennen, dies seien »ganz schwierige Fragen«. Caroline Christiansen findet seine Eigensinnigkeit attraktiv51 und sie findet gut, dass sie ähnliche Werte und Einstellungen gegenüber Naturschutzthemen und der Kindererziehung teilen. Beide überlegen, ob es die Kinder seien, die sie zusammenhalten und falls ja, was passieren wird, wenn ihre Kinder in wenigen Jahren ausziehen:

Caroline Christiansen: Du hast mal gesagt, wenn die weg sind [ziehst du sofort

Clemens Caspar: [Man siehts ja Caroline Christiansen: aus (lacht)

Clemens Caspar: Man siehts ja äh bei vielen Paaren. Da sind die Kinder aus’m Haus und plötzlich trennen sich auch die Eltern. +++ Bei Leuten wo man’s gar nicht gedacht hat manchmal und um-gekehrt ist anders also +++ ich weiß

[es nicht.

Caroline Christiansen: [Ja irgendwie ist es so.

51 Siehe auch Kapitel  8.4.3 sowie für Parallelen zu Koppetsch und Speck (2015) Kapitel 12.3.3.

Beide äußern sich nur sehr vage über eine gemeinsame Zukunft, aber diffus über Trennungen. Im Raum steht, dass Clemens Caspar aus der gemeinsa-men Wohnung auszieht, wobei beide nur Umstände benennen, die sie nicht beeinflussen können. Ein Bekenntnis zueinander findet sich nicht und Lie-be, Anerkennung oder positive Gefühle füreinander werden nicht erwähnt.

Anders als etwa bei Paar Daub, Laubenthal/Löbner oder Poturica ließ sich nirgends im Interview so etwas wie (romantische) Liebe rekonstruieren.

Zusammenfassend scheint sich Clemens Caspar Dank seiner beruflichen Nichtanerkennungsresistenz gegen Anerkennungsdefizite in der Erwerbs-sphäre immunisiert zu haben. Basierend auf dieser Irrelevantmachung von Erwerbsarbeit anerkennt Clemens Caspar seine Partnerin nicht dafür, was sie als Familienernährerin in der Erwerbssphäre, im Haushalt und bei der Sorge für die Kinder leistet und wertet ihre Erwerbstätigkeit sogar als unnötig und sinnlos ab. Zudem verunmöglicht er durch seine Abwesenheit in der Fami-lie, dass sie alternative Anerkennung für Leistung in ihren ehrenamtlichen Projekten finden kann. Auch intersubjektive Liebesanerkennung ist in dem Paar nicht (mehr) viel rekonstruierbar.

In Kapitel 8.4.3 fragen wir, warum Christiane Christiansen an diesem Arrangement und ihrem Partner dennoch festhält, auch wenn sich insgesamt ein nur schwacher Paarzusammenhalt rekonstruieren lässt.

6.3.2 Ungleiche Arbeitsteilung und Belastungen: Maria und Markus Melchior

Auch der Fall Maria und Markus Melchior steht für einen schwachen Paar-zusammenhalt. Das Paar lernte sich bei der Arbeit als Rettungssanitäter*in in einem Krankhaus kennen. Beide teilen eine hohe Identifikation mit ih-rem Beruf. Wie wir zeigen, sind die Anerkennungschancen in der Erwerbs-sphäre und darüber hinaus aber geschlechterdifferenzierend sehr ungleich.

Dies liegt zum einen an strukturellen Geschlechterungleichheiten, insofern als Maria Melchior mit der ersten Schwangerschaft ungewollt ihre Beschäf-tigung verliert. Aber auch im Paar erhält sie keine Anerkennung. Markus Melchior kann seine erwerbsseitige Anerkennungssuche und seine Freiräu-me realisieren, während Maria Melchior gegen ihren Willen die alleinige Verantwortung für die Erziehung der drei gemeinsamen und herausfordern-den Kinder und herausfordern-den Haushalt trägt. Dies ist für Maria Melchior sehr kräfte-zehrend und obwohl sie bereits einen »Burnout« erlitt, in einer stationären

Reha war und unter einer Depression leidet, bleiben ihre Bedürfnisse nach Genesung, Ruhe und Erholung unerfüllt und auch ihre berufliche Anerken-nungssuche hat im Paar eine nachrangige Bedeutung.

Geschlechterungleichheiten nach der Familiengründung

Wie erwähnt, drängt die Krankenhausleitung Maria Melchior nach Be-kanntgabe ihrer Schwangerschaft aus ihrem sicheren Arbeitsvertrag, da ihr unterstellt wird, sie könne den Verfügbarkeitsansprüchen nicht mehr genü-gen. Mit diesem Mobbing der Unternehmensleitung beginnt für sie eine Ab-stiegskarriere: Nach einer Phase der Arbeitslosigkeit findet sie eine Beschäfti-gung als ungelernte Produktionshelferin in einer Fabrik auf 450-Euro-Basis, woraus für sie große Anerkennungsdefizite resultieren (siehe Kapitel 4.6.1).

Immer wieder kommt sie im Interview darauf zu sprechen, dass sie unbe-dingt wieder in ihrem Beruf arbeiten möchte, da sie es als sehr erfüllend er-lebt, Menschen in Notfällen hochwertige Hilfe zu geben.

Während also Maria Melchior – wie auch andere Kolleginnen mit Sor-geverantwortung – ihre für sie sehr wichtige Beschäftigung verliert und sich um die Kinder kümmert, steigt Markus Melchior mit der Zeit im Kranken-haus zum gefragten Experten auf. Auch Markus Melchior findet seine Tätig-keit sehr sinnvoll und kann sich heute »kaum etwas anderes« vorstellen. Er teilt Maria Melchiors Haltung gegenüber dem Beruf des Rettungssanitäters:

»Wir haben uns ja den Beruf eben BEIDE (lacht auf) nicht umsonst ausgesucht […]

weil wir eben Leuten helfen wollen ja«.

Ambivalente Wertschätzung für seine Erwerbsarbeit

Allerdings arbeitet er unter einer hohen Arbeitsverdichtung und zeitlich ent-grenzt. Oft weiß er nicht, ob er nach acht oder erst nach dreizehn Stunden nach Hause gehen kann. Häufig wird er von seinen Vorgesetzten angespro-chen, ob er nicht länger bleiben könne. Dies erlebe er als Stress, schließlich benötige er Pausen, aber er empfinde es auch als Wert schätzung und als Aus-druck, nicht einfach ersetzbar zu sein. Er fühle sich »schon ein bisschen ge-schmeichelt, weil ich ich ja ich bin äh wichtig für sich. Da kommt man sich ja wichtig vor«. Gleichzeitig stellen seine langen Arbeitszeiten eine Belastung für seine Gesundheit und für seine Familie dar: »Unser Job«, so seine Ein-schätzung, »is ’n Beziehungskiller« – auch wenn nur er ihn derzeit ausübt (was die Deutung erlaubt, sein Job könnte der »Beziehungskiller« sein).

Im Dokument Prekäre Arbeit, prekäre Liebe (Seite 195-200)