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Anerkennung im Lebenszusammenhang

Im Dokument Prekäre Arbeit, prekäre Liebe (Seite 63-67)

Prekarität im Lebenszusammenhang

2.4 Anerkennung im Lebenszusammenhang

In der Prekarisierungsforschung ist die Aufmerksamkeit für die sozialen Kontexte gewachsen, in denen Prekarität bewältigt wird (Brandt/Böhnke 2018; Knabe et al. 2018; Marquardsen 2012).21 Zwar liegen noch kaum sys-tematische anerkennungstheoretische Studien vor, allerdings steigt in letzter Zeit das Forschungsinteresse an Anerkennung (Knabe et al. 2018; Marquard-sen 2012; Weißmann 2016).

Wie erwähnt, sind die meisten Studien nicht genuin anerkennungstheo-retisch, sondern stellen eher in ihren Ergebnissen die hohe Bedeutung von Anerkennung fest. Die Untersuchung von Kai Marquardsen (2012) über die sozialen Netzwerke von Erwerbslosen ist hierfür ein Beispiel. Verstärkt durch das aktivierungspolitische Credo, Erwerbslosigkeit müsse aus eigenem

21 Auch in der Familiensoziologie ist das Interesse an den Konsequenzen atypischer Be-schäftigungen für partnerschaftliche Lebensläufe und familiale Beziehungsarrange-ments gestiegen (Baron/Hill 2018).

trieb schnell überwunden werden, zeigen sich bei den Befragten große An-erkennungsdefizite. Marquardsen (2012) fragt, ob es ihnen über ihre sozialen Netzwerke gelingt, alternative Formen der Zugehörigkeit zu generieren und so fehlende Anerkennung aus der Erwerbssphäre zu kompensieren. Nach seinen Ergebnissen zeige sich ein Gestalt- und Funktionswandel von Nah-beziehungen, der mit Brüchen, aber auch mit einer Intensivierung beste-hender sowie mit neuen Beziehungen einhergehen könne. Statusheterogene Beziehungen kämen etwa über gleichaltrige Kinder zustande. Hier könne zurücktreten, dass die erwerbslosen Eltern bei gemeinsamen Aktivitäten nur schwer in der Lage sind, mitzuhalten. Wenn die Erwerbslosen aber den Ein-druck hätten, die Reziprozitätserwartungen nicht erfüllen zu können oder Ausschlusserfahrungen machten, zögen sie sich in statushomogene Bezie-hungen zurück, was ihre prekäre Lage und Distanz zur Erwerbsgesellschaft verfestigen könne.

Marliese Weißmann (2016) untersucht, wie Personen im SGB II-Bezug Zugehörigkeit herstellen und arbeitet idealtypische Verarbeitungsmuster he-raus. So gelingt es im Muster Statusnivellierung, alternative Anerkennungs-quellen zu generieren – etwa Videospiele oder »fankulturelle Sonderwelten«

(Weißmann 2016: 244). Die Erwerbslosen versuchen, ihre eigene Person über die Zugehörigkeit zu diesen Welten aufzuwerten. Ein weiterer Verar-beitungsmodus ist Normalisierung: Die Befragten würden sich entweder de-fensiv darum bemühen, nicht negativ aufzufallen, oder ofde-fensiv ihre eigene Normalität behaupten und verteidigen. Als wichtige Normalisierungsquel-le erweist sich die Verantwortung für Kinder (vgl. auch Marquardsen 2012;

Dörre et al. 2013). Ein drittes Verarbeitungsmuster besteht im Modus der Selbst er mäch ti gung: Anders als bei der Normalisierung stellen die Erwerbs-losen hier ihre spezifische Besonderheit heraus, womit sie alltagsweltlich als

»Querulanten oder Sonderlinge« wahrgenommen würden (Weißmann 2016:

191). Im Modus des Prozessiertwerdens erwarten sie von anderen, etwa dem Jobcenter oder ihrer Familie, dass für sie Zugehörigkeit hergestellt werde.

Weißmann (2016) und Marquardsen (2012) ist es ein Anliegen, aufzu-zeigen, dass erwerbslose Menschen nicht (nur) Opfer ihrer prekären Verhält-nisse sind, sondern um Handlungsmacht und Zugehörigkeit ringen. De-ren Versuche, »alternative StruktuDe-ren der Anerkennung« (Weißmann 2016:

242) zu etablieren, erweisen sich jedoch in der Erwerbsgesellschaft als äu-ßerst fragil.

André Knabe et al. (2018) stellen die Bedeutung von Anerkennung nicht erst als empirisches Ergebnis fest, sondern rücken – wie wir – die subjektiv

empfundenen Anerkennungsdefizite prekär Beschäftigter und Erwerbsloser sowie mögliche Kompensationen von Anerkennungsdefiziten ins Zentrum.

Unter Rückgriff auf Harrison C. White gehen sie davon aus, dass soziale Netzwerke in Subgruppen mit eigenen Anerkennungsordnungen unterteilt sind, in denen die Akteure unterschiedliche Identitäten ausbilden. Wird den Erwerbslosen oder prekär Beschäftigten Anerkennung in einer Identität ver-weigert, versuchen sie »alternative Identitäten« in anderen Subgruppen aus-zubilden (Knabe et al. 2018: 190). Diese rekonstruieren sie bei einem ihrer Fälle: Eine hochqualifizierte erwerbslose Frau zieht sich aus ihrer Familie und ihren Freundschaftsbeziehungen zurück, da jene ihr unterstellen wür-den, sie bemühe sich nicht ausreichend um Beschäftigung. Erwerbsseitige Anerkennungsdefizite werden hier durch fehlende Anerkennung in der Fa-milie und in Freundschaftsbeziehungen verstärkt. In statushomogenen Be-ziehungen zu anderen Erwerbslosen muss sie sich hingegen für ihre prekä-re Lage nicht erkläprekä-ren und kann Anerkennungsdefizite abfedern. Aufgrund großer Bildungsunterschiede erlebt sie diese Kontakte aber nicht als Aus-tausch von Gleichgesinnten. Nach Knabe et al. können daher »subjektiv als negativ empfundenen Auswirkungen verweigerter Anerkennung zwar redu-ziert, aber nicht aufgehoben werden« (Knabe et al. 2018: 206).

In welchem Verhältnis die Anerkennungsformen Leistung und Liebe stehen und welche Ungleichheiten sich hierbei zwischen den Geschlech-tern finden, fokussiert Wimbauer (2012) bei gut qualifizierten und stark beruflich orientierten Doppelkarriere-Paaren. Sie rekonstruierte anhand von Paarinterviews die Relationierungen von Arbeit und Liebe bei diesen Paaren, die häufig eine Subjektivierung qua Erwerbsarbeit anstreben. Hier-bei fand sie zwei Konstellationen, nach denen sich a) Anerkennung für Leistung in der Erwerbssphäre und b) Liebesanerkennung im Paar wech-selseitig ergänzen, also in einer Balance befinden. Daneben zeigten sich aber auch zwei sozial- und selbstdestruktive Konstellationen, die durch die gesellschaftlichen Versprechen einer Subjektivierung durch Erwerbsarbeit und ein gesteigertes Leistungs- und Anerkennungsstreben der Einzelnen befördert werden. Wimbauer bezeichnet diese als »Anerkennungsfallen subjektivierter Arbeit«: Wenn c) Liebesanerkennung als ganze Person aus-schließlich in der Erwerbssphäre gesucht wird oder wenn d) ein vereinsei-tigtes Streben nach Anerkennung für Erwerbsarbeit/Leistung – oft seitens der männlichen Partner – sämtliche andere Selbstbezüge und sozialen Be-züge zurückdrängt und letztlich auch im Paar die Liebe (z)ersetzt (Wim-bauer 2012: 323ff.).

Neben diesen »Anerkennungsfallen« führt Wimbauer weiter »geschlech-terdifferente Anerkennungshürden« (Wimbauer 2012: 317–323) aus. Hier wird der Zugang zu einer der beiden Anerkennungssphären erschwert oder verhindert: für Frauen, vor allem nach einer Familiengründung, der Zugang zur Erwerbssphäre und für Männer oft der Zugang zur familialen Sphäre, etwa wenn sie Elternzeit nehmen möchten. Diese Hürden werden zum ei-nen durch vergeschlechtlichte Strukturen in sozialstaatlichen Regelungen und Arbeitsorganisationen verursacht, etwa durch eine mangelhafte Betreu-ungsinfrastruktur und die Zuschreibung von Betreuungstätigkeiten an Frau-en. Zum anderen können sie auch intersubjektiv durch den Partner, biswei-len auch durch die Partner*in, hervorgebracht werden.

Als theoretisches Ergebnis bestimmt Wimbauer (2012) Anerkennung unter Bezugnahme auf das Strukturebenenmodell sozialer Ungleichheit von Heike Solga, Peter A. Berger und Justin Powell (2009: 17f.) als eine bisher vernachlässigte, zentrale Dimension sozialer Ungleichheit. Anerkennung ist demnach also ein erstrebtes, aber systematisch ungleich verteiltes Gut – in diesem Falle zwischen den Geschlechtern ungleich verteilt, weshalb sich das Geschlechterverhältnis als ungleiches Anerkennungsverhältnis (siehe auch Wagner 2004) darstellt. Anerkennung ist aber, so Wimbauer (2012), nicht nur eine zentrale Dimension, sondern zugleich kann Anerkennung auch zu einer Determinante sozialer Ungleichheit werden – namentlich das Streben nach Anerkennung für Leistung in der Erwerbssphäre, wie auch das Streben nach Anerkennung in der Liebessphäre.

Aus dieser Studie über Doppelkarriere-Paare aus der Zone der Integra-tion ergeben sich – ausgehend von der Annahme, dass Anerkennung ein er-strebtes, aber systematisch ungleich verteiltes Gut und damit eine zentrale Dimension sozialer Ungleichheit ist – vielfältige Anschlussfragen (u. a. Wim-bauer 2012: 376–380). Zwei Anschlussfragen, die wir aufgreifen möchten, sind: Wie zeigen sich die Anerkennungschancen und die Verhältnisse der Anerkennungssphären und -formen a) allgemein bei weniger gut qualifizier-ten, prekär Beschäftigten und konkret b) bei prekär beschäftigten Paaren so-wie bei prekär Beschäftigten ohne Paarbeziehung?

Im Dokument Prekäre Arbeit, prekäre Liebe (Seite 63-67)