• Keine Ergebnisse gefunden

Forschungskonzepte und Fragen

Im Dokument Prekäre Arbeit, prekäre Liebe (Seite 67-77)

Prekarität im Lebenszusammenhang

2.5 Forschungskonzepte und Fragen

Wir sind am Ende unseres Parcours durch die Prekarisierungs- und Anerken-nungsforschung angelangt, mit dem wir unser Forschungskonzept und die Fragen dieses Buches vorbereitet haben. Als ein zentrales, empirisch fundier-tes und theoriegenerierendes Ergebnis unserer Studie präsentieren wir in Ka-pitel 12.6 eine um Anerkennung erweiterte Forschungsheuristik zu Prekari-tät im Lebenszusammenhang (Tabelle 5). Diese soll auch weitere empirische Studien anleiten und theoretische Überlegungen anregen. Bevor wir uns nun der Fülle unseres empirischen Materials zuwenden, welches der Heuristik zugrunde liegt, präsentieren wir abschließend unsere anerkennungstheoreti-sche Perspektive auf Prekarität im Lebenszusammenhang (2.5.1) und präzi-sieren unsere Forschungsfragen (2.5.2.).

2.5.1 Prekarität im Lebenszusammenhang – um Anerkennung erweitert Unserer um Anerkennung erweiterten Perspektive auf Prekarität im Le-benszusammenhang (Motakef/Wimbauer 2019a) liegt die sozialtheoreti-sche Grundannahme einer relational-intersubjektiven Konstitution des So-zialen und der Subjekte – als Individuen-in-Beziehungen (Wimbauer 2003, 2012; Wimbauer/Motakef 2017a,b) – sowie ein generell anerkennungsthe-oretischer Rahmen zugrunde. Hierbei differenzieren wir analytisch drei Perspektiven:

Aus einer ersten, gesellschaftlichen und vorgelagerten Blickrichtung fra-gen wir, ausgehend von Butler und Honneth, zunächst nach den übergrei-fenden gesellschaftlichen Rahmen der Anerkennbarkeit. Im Zentrum stehen hier also normativ-rechtlich, kulturell und/oder diskursiv institutionalisier-te Rahmen der (ungleichen und prekären) Anerkennbarkeit. Beispiele bil-den das Leitbild der Arbeitsmarktbürger*in, der Leistungsgesellschaft bzw.

Meritokratie (die zum Beispiel die Delegitimierung von Nichterwerbsarbeit begünstigen) oder Geschlechternormen wie Heterosexualität (aufgrund de-rer etwa nicht heterosexuelle Menschen ausgeschlossen und abgewertet wer-den), Geschlechterbinarität (welche etwa trans- und intergeschlechtliche Menschen ausschließt) oder Paarnormativität (mit der Folge der Abwertung oder Nichtanerkennung von Menschen ohne Paarbeziehung oder mit meh-reren Partner*innen) (siehe Tabelle 1, 1a). Wir fokussieren weiter die Ebene der Subjekte und fragen, inwiefern sie sich diesen gesellschaftlichen

Anru-fungen – etwa als Arbeitsmarktbürger*in – entziehen möchten und können und welche Konsequenzen dies für sie hat oder hätte (Tabelle 1, 1b).

Basierend auf dieser ersten, gesellschaftlichen Fundierung entwickeln wir zweitens unsere zentrale Perspektive: Hier stehen mit Honneths Anerken-nungstheorie intersubjektive Anerkennungsverhältnisse im Zentrum. Auf dieser für uns im Mittelpunkt stehenden Ebene fokussieren wir Individu-en-in-Beziehungen und fragen nach der ermöglichten oder verwehrten, un-gleichen, intersubjektiven Anerkennung in verschiedenen Dimensionen und nach der subjektiven Bedeutung derselben.22

Zu diesen beiden genuin anerkennungstheoretischen Perspektiven kommt eine dritte hinzu, die explizit prekarisierungstheoretische Blickwin-kel aus dem Forschungsstand integriert. Diese sind Planungs- und Gestal-tungsunsicherheiten der Einzelnen, Zukunftsperspektiven und subjektiv empfundene Einschränkung von Handlungsautonomie, Erfahrungen der Heteronomie und Ohnmacht.

Die nachfolgende Tabelle veranschaulicht unsere generelle, um Anerken-nung erweiterte Perspektivierung von Prekarität im Lebenszusammenhang anhand der drei analytisch differenzierten Blickwinkel. Sie ist ein wesent-liches Ergebnis unserer Forschungen und im rekursiven Prozess empirisch fundierter Theoriegenerierung entstanden. Dennoch stellen wir sie vor den empirischen Ergebnissen dar, da dies das Verständnis der Empirie erleich-tert. Eine differenzierte Heuristik (Tabelle 5) präsentieren wir abschließend in Kapitel 12.6.

22 Die einzelnen Dimensionen und analytischen Fragen hierzu (2a bis d sowie e und f) führen wir in Kapitel 12.6 (Tabelle 5) auf. Schließlich sind die beiden Perspektiven auf (normative Rahmen von) Anerkennbarkeit (Tabelle 1, 1.1, Butler und Honneth) und in-tersubjektive Anerkennung (1.2, Honneth) nicht analytisch trennscharf, u. a. da (1b) wie (2) nach Subjekten fragt. Die Subjekte sind in ihren Handlungen und Deutungen nach unseren sozialtheoretischen Grundannahmen immer in soziale Beziehungen sowie in gesellschaftliche und normative Kontexte eingebunden. Sprich: Wir trennen die beiden Perspektiven hier nur analytisch.

Tabelle 1: Generelle, um Anerkennung erweiterte Perspektive auf Prekarität im Lebenszusammenhang

Generelle Perspektive Unterfragen/ausdifferenzierte Perspektiven der Analyse subjektive Folgen der Möglichkeit, Normen zu überschreiten

a) Wofür wünschen die Einzelnen Anerkennung (subjektive Relevanz der Anerkennungsfor-men/-sphären)? Welche subjektive Sinnorien-tierung weisen die Einzelnen auf?

b) Welche Erfahrungen der Nicht-/Anerkennung (bis zu Missachtung, Entfremdung, Verdingli-chung) machen die Einzelnen in den verschie-denen Sphären/Dimensionen?

c) Wie zeigt sich das Wechselverhältnis der An-erkennungssphären/-formen?

Können Anerkennungsdefizite in einer mension durch Anerkennung in anderen Di-mensionen abgefedert werden?

Kumulieren oder verstärken sich Anerken-nungsdefizite?

Welche Ambivalenzen von Anerkennung zei-gen sich?

d) Welche Ungleichheiten in der Verteilung von Anerkennungschancen und

e) Planungs- und Gestaltungsunsicherheiten, Zukunftsperspektiven?

f) Einschränkung von Handlungsautonomie, Er-fahrungen der Heteronomie und Ohnmacht?

Quelle: Motakef/Wimbauer (2019a).

Auf dieser Grundlage und in Anlehnung an Klenner et al. (2012) bestimmen wir Prekarität im Lebenszusammenhang als eine »Gefährdungs- und Un-sicherheitslage« (ebd.: 218), in der Individuen-in-Beziehungen (Wimbauer 2003, 2012; Wimbauer/Motakef 2017a,b) in vielfältigen Dimensionen ih-rer individuellen und familialen Lebensführung Einschränkungen und An-erkennungsdefizite erfahren können, bis dahin, dass sie in ihrer Handlungs-fähigkeit und Autonomie eingeschränkt werden. Dabei gehen wir davon aus, dass sich Nicht-/Anerkennung in verschiedenen Dimensionen des Lebens-zusammenhangs wechselseitig beeinflusst und mit Ambivalenzen und Para-doxien verknüpft sein kann. Während wir mit dem Begriff der Ambivalenz die Mehrdeutigkeit von Anerkennungsverhältnissen zum Ausdruck bringen, benennen wir mit dem Begriff der Paradoxie Widersprüche in Anerken-nungsverhältnissen, die unauflösbar sein können.

Vor diesem Hintergrund sind Dynamiken denkbar, in denen Prekari-tät etwa aufgrund von Anerkennungsdefiziten in der Erwerbssphäre durch Anerkennung in Nahbeziehungen oder anderen Dimensionen abgefedert oder durch Anerkennungsdefizite weiter verstärkt werden kann. Ob und falls ja, wie Anerkennungsdefizite kompensiert werden können, möchten wir im Folgenden empirisch beantworten, ebenso die Frage nach ambivalen-ten oder paradoxen Anerkennungsverhältnissen. Auf Grundlage von Tabel-le 1 und insbesondere von Honneths Sphärenmodell bestimmen wir – vor-erst – folgende Dimensionen des Lebenszusammenhangs für unsere Studie (Tabelle 2).

Tabelle 2: Dimensionen von Prekarität im Lebenszusammenhang 1 Erwerbsarbeit

2 Einkommens- und Vermögenssituation, finanzielle Absicherung 3 Rechte und (ungleiche) rechtliche Anerkennung

4 Liebesanerkennung (nach Honneth) in der Sphäre sozialer Nahbeziehung 5 politische und soziale Teilhabe, Einbindung und Zugehörigkeit

6 Hausarbeit und insbesondere Sorge für andere (Care) 7 Gesundheit, Selbstsorge und verfügbare Zeit 8 Wohnsituation

Quelle: Motakef/Wimbauer (2019a).

Anders als in den bisher vorgelegten Konzepten von Prekarität im Lebenszu-sammenhang berücksichtigen wir mit Honneth Anerkennung systematisch und übernehmen die Sphäre des Rechts und der Liebe als bei uns dritte und vierte Dimension. Durch den Bremer Lebenslagenansatz (Voges et al. 2003) und Amacker (2014) inspiriert, nehmen wir Wohnen als achte Dimension auf. Klenner et al. (2012) fassen Geschlechterarrangements als eine eigene Dimension. Wir führen sie als eine Unterdimension von Liebesanerkennung (Dimension 4), sie ist aber mit Blick auf Geschlechterungleichheiten in al-len Dimensionen von Bedeutung. Wie in Kapitel 12.6 (Tabelle 5) deutlich wird, differenzierten wir diese Dimensionen in Auseinandersetzung mit un-serem Material weiter aus. In der empirischen Rekonstruktion von Prekari-tät im Lebenszusammenhang sind aber nicht immer alle acht Dimensionen relevant. Es ist eine empirische Frage, in welcher Dimension sich Prekarität zeigt und welche Wechselwirkungen mit anderen Dimensionen dabei deut-lich werden.

2.5.2 Forschungsfragen

Nachdem wir nun unsere anerkennungstheoretische Perspektive auf Preka-rität im Lebenszusammenhang und die für unsere Studie zentralen Dimen-sionen hiervon bestimmt haben, führen wir zuletzt unsere Forschungsfragen aus, die wir in drei Fragenkomplexe unterteilen:

Der erste Fragenkomplex bezieht sich auf die subjektive Bedeutung der verschiedenen Honneth’schen Anerkennungssphären, v. a. von Erwerbsar-beit und von Paar- und Nahbeziehungen (Liebe), aber auch von weiteren Lebensbereichen, und auf dort auffindbare Anerkennung/sdefizite.

In unserer Studie unterscheiden wir zwischen Menschen, die in einer ro-mantischen Paarbeziehung leben, und Menschen ohne Paarbeziehung: Wäh-rend Menschen in Paarbeziehungen (zumindest dem Ideal nach) Zugang zur Anerkennungsform der romantischen Liebe haben, steht prekär Beschäftig-ten ohne Paarbeziehung keine Paarebene für intersubjektive Liebesanerken-nung zur Verfügung. Allerdings könnten sie in anderen Nahbeziehungen, wie Freundschaften, Familie oder Wahlverwandtschaften, Liebesanerken-nung als ganze und einzigartige Person in ihren Idiosynkrasien und ihren besonderen Bedürfnissen finden. Womöglich stehen ihnen also zur Paarbe-ziehung alternative Anerkennungsquellen zur Verfügung (Wimbauer/Mota-kef 2019).

Wir fragen hier zunächst nach der Bedeutung von Liebesanerkennung für die Einzelnen und bei den Paaren auch im Paar (Tabelle 1, Absatz 2a, b, d).

Weiter interessiert uns: Wofür wünschen sich prekär Beschäftige in der Er-werbssphäre Anerkennung? Wofür fühlen sie sich (nicht) anerkannt? Zei-gen sich Anerkennungs- und Selbstverwirklichungswünsche im Sinne einer Subjektivierung von und durch Arbeit oder liegt eher ein instrumentelles Arbeitsverständnis vor? Welche Paarbeziehungskonzepte haben die Befrag-ten jeweils individuell und welche Paarkonzepte lassen sich in den Paaren rekonstruieren? Wofür wünschen und finden sie in der Erwerbssphäre, in der Paarbeziehung und in Nahbeziehungen Anerkennung? Welche weite-ren Lebensbereiche sind anerkennungsrelevant? Werden Anerkennungsdefi-zite deutlich und wenn ja, welche? Und schließlich: Welche Ungleichheiten lassen sich hierbei finden?

Der zweite Themenkomplex umfasst das Verhältnis der Anerkennungsfor-men, -sphären und Dimensionen, insbesondere der beiden Anerkennungs-formen Leistung (Erwerbssphäre) und Liebe (Paar-/Nahbeziehungen) (Ta-belle 1, Absatz 2c):

a) individuell bei den Einzelnen (intrapersonal)

b) im Paar zwischen den Partner*innen (innerpartner schaftlich-inter per so-nell) bzw.

c) in der Sphäre weiterer sozialer Nahbeziehungen (interpersonell):

Wie gestalten sich die Relationen und Wechselwirkungen zwischen den ver-schiedenen Anerkennungssphären bzw. Dimensionen? Können Anerken-nungsdefizite in einer Sphäre, v. a. in der Erwerbssphäre, in der Sphäre der Paar- und Nahbeziehungen (etwa Familie, Freundschaften) oder in anderen Lebensbereichen, durch anderes Sinnstiftendes abgefedert und sogar kom-pensiert werden und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Oder dehnen sich Anerkennungsdefizite in der beruflichen Sphäre auch auf Paar- und Nahbeziehungen aus, auf Selbstsorge, Gesundheit, Wohnen und andere Di-mensionen? Entfalten Anerkennungsdefizite also kumulative Wirkungen, womöglich in verschiedenen Sphären, bis hin zu multiplen Exklusionen?

Eine wichtige Ausgangsfrage dieser Untersuchung war, ob sich wie bei den Doppelkarriere-Paaren auch bei den prekär Beschäftigten »Anerken-nungsfallen« (Wimbauer 2012) rekonstruieren lassen. Bei den oben vor-gestellten Doppelkarriere-Paaren sind zwei Ur sachen solcher »Fallen« die Versprechen einer Subjektivierung durch Arbeit und das Streben nach An-erkennung für berufliche Leistung. Nun dürften prekär Beschäftigte per se

weniger An er ken nungschancen in der Erwerbssphäre haben als sicher Be-schäftigte, und vielleicht streben sie auch weniger nach Anerkennung in der Er werbssphäre (siehe erste Frage): Angesichts eines womöglich instrumentel-len Arbeitsverständnisses könnte die Suche nach Liebe in der Erwerbssphäre also begrenzt und die erste »Anerkennungsfalle« der Liebessuche in der Er-werbssphäre unwirksam sein. Womöglich führt aber auch gerade die prekäre Beschäf tigungssituation zu einem umfassenden Einbringen der ganzen Per-son und Arbeitskraft, um so eine dauerhafte Beschäftigung, eine bessere be-rufliche Position, ein höheres Einkommen etc. zu erzielen und die prekäre Situation zu verbessern. Nicht das Stre ben nach Selbstverwirklichung, son-dern ökonomische Notwendigkeit könnte somit eine »An er kennungsfalle«

generieren.

Bei der zweiten »Anerkennungsfalle« – »Leistung (z)ersetzt Liebe« – ließ das ausgreifende Streben nach Anerkennung für Erfolg den Doppelkarrie-re-Paaren keinen Raum für die Liebe (die Paarbeziehung, Familie, Freund-schaften). Wie zeigt sich hier die Situation bei den prekär Beschäftigten mit und ohne Paarbeziehung? Sind sie gar nicht, ebenso oder gar vermehrt be-ruflich orientiert, um Anerkennung zu erzielen? Oder führt zwar nicht so sehr das Streben nach beruflicher Anerkennung, aber dafür die ökonomische Notwendigkeit, ein existenzsicherndes Einkommen zu erwirtschaften und den Arbeitsplatz zu erhalten oder zu verbessern, zu einem hohen beruflichen Engagement, das wiederum der Familie oder Paarbeziehung keinen Raum mehr lassen kann?

Auch könnte gerade die finanziell nicht existenzsichernde und/oder pla-nungsungewisse Beschäftigungssituation Auswirkungen auf Paar- und Nah-beziehungen haben: Womöglich wird die Situation individuell als belastend wahrgenommen und kann so auch die Beziehungen belasten. Andererseits könnten die Paar- und Nahbeziehungen auch Orte sein, an denen die beruf-lichen Belastungen gewissermaßen ausgegberuf-lichen werden – sozusagen der »si-chere Hafen« in einer »heartless world« (Hochschild 1997).

Vielleicht erweisen sich aber bei den prekär beschäftigten Menschen auch andere Dimensionen außer oder neben Erwerbsarbeit als relevant – und wo-möglich gestalten sich die Verhältnisse weniger als eindeutige, zweidimen-sionale »Fallen« aus Arbeit und Liebe, sondern als komplexe, mehrdimensi-onale, ambivalente oder gar paradoxe (Nicht-/Anerkennungs-)Verhältnisse.

Drittens fragen wir, wie sich schließlich die Geschlechterverhältnisse im Kontext prekärer Beschäftigung gestalten: Welche alten oder neuen Ge-schlechterungleichheiten lassen sich in Paarbeziehungen, aber auch bei

pre-kär beschäftigten Personen ohne Paarbeziehung finden, insbesondere mit Blick auf die geschlechterdifferenzierende Arbeitsteilung? Ein wichtiger The-menkomplex ist auch die Frage nach den Männlichkeits- und Geschlechter-konzepten: Welche Wechselverhältnisse von prekärer Beschäftigung und Geschlecht (Ge schlechtervorstellungen allgemein und Männlichkeitsvorstel-lungen im Besonderen) lassen sich bei den Einzelnen und in den Paaren re-konstruieren? Wenn prekär beschäftigte Männer keine erfolgreiche Erwerbs-tätigkeit (mehr) aufweisen und nicht (mehr) Familienernährer sein können, die Leitidee und Umsetzbarkeit der industriegesellschaftlichen Männlichkeit also brüchig werden, wie gehen die Männer dann damit um und was pas-siert in den Paaren? Kommt es hier zu einem Festhalten an überkommenen ungleichen Geschlechterkonzepten und dem Versuch, diese zu verstärken?

Oder werden bislang gültige Geschlechter- und Männlichkeits normen sowie -leitbilder brüchig, unterwandert und/oder revidiert – mit größeren Freiräu-men etwa für Sorge auch seitens der Männer?

Wie sind wir methodisch vorgegangen? Wir skizzieren zuerst die metho-dologischen Grundlagen unserer Untersuchung (3.1) und stellen dann die Samplingkriterien und Akquisestrategien (3.2), unsere Erhebungsform (3.3) sowie unsere Auswertungsmethoden (3.4) vor. Wir gehen dabei auch auf Herausforderungen ein, die sich im Laufe unserer Studie zeigten, und the-matisieren die Generalisierbarkeit unserer Ergebnisse. Zuletzt präsentieren wir eine Kurzdarstellung der anonymisierten Fälle, von denen unser Buch erzählt (3.5).

3.1 Methodologie

Nach unserer sozialtheoretischen Prämisse sind Menschen keine monadi-schen Einzelwesen, sondern werden in Verhältnissen intersubjektiver An-erkennung konstituiert. Daher sind nicht einzelne Individuen, sondern Individuen-in-Beziehungen in ihrer sozialen Eingebundenheit und Verflech-tung mit gesellschaftlichen Kontexten unser Analysegegenstand (Wimbau-er 2003, 2012; Wimbau(Wimbau-er/Motakef 2017a,b). Wir v(Wimbau-erorten uns im Int(Wimbau-er- Inter-pretativen Paradigma und spezifisch in einem sozialkonstruktivistischen, subjektorientierten, sinnrekonstruktiv-verstehenden sowie relationalen An-satz. Entsprechend wählten wir ein offenes, qualitatives Erhebungs- und Auswertungsverfahren.

Im Sinne der Verstehenden Soziologie, die »soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will« (Weber 1972 [1921]: 1), stellen wir das sinnhafte soziale Han-deln der Subjekte ins Zentrum. Der Tradition des Symbolischen Interaktio-nismus im Anschluss an Georg Simmel (1992 [1908]), William Isaac Thomas (1967), George Herbert Mead (1973 [1934]) und Herbert G. Blumer (1969) folgend, gehen wir von sinnvermittelt und sinnhaft handelnden Individu-en-in-Beziehungen aus und zielen darauf, den in Interaktionen geschaffenen

subjektiven Sinn – und im Fall der von uns untersuchten Paare: den inter-subjektiven Sinn – zu rekonstruieren (Wimbauer/Motakef 2017b: 9f.).

Unsere Studie folgt einem wissenssoziologisch-hermeneutischen An-satz (Hitzler/Reichertz/Schröer 1999, 2020; Schröer 1994; Soeffner 1999), der von mit Wissen ausgestatteten, sinnkonstituierenden und sinnverarbei-tenden Handelnden ausgeht, die ihre Wirklichkeiten in Interaktionen her-stellen. Wir schließen uns Peter L. Berger und Thomas Luckmann (2013 [1969]) darin an, dass (inter-)subjektiver Sinn in Wechselwirkung mit ge-sellschaftlichen Normen und institutionalisierten Wissensbeständen konsti-tuiert wird. Statt von der Existenz einer von den Individuen unabhängigen objektiven Wirklichkeit auszugehen, fassen wir die gesellschaftliche Wirk-lichkeit aus sozialkonstruktivistischer Sicht als ein durch sinnhafte mensch-liche Handlungen erzeugtes Phänomen. Dies meint aber mitnichten, wie so-zialkonstruktivistischen Ansätzen bisweilen fälschlich unterstellt wird, dass die Wirklichkeit von den Einzelnen beliebig erzeugt und verändert werden könnte. Vielmehr entstehen aus den subjektiv erzeugten Wissensbeständen über gesellschaftliche Verfestigungen und Institutionalisierungen (Berger/

Luckmann 2013 [1969]) Realitäten sui generis, die dann auf die Handelnden zurückwirken, etwa in Form von gesellschaftlichen Strukturen, sozialstaatli-chen Regelungen, kulturellen Normen und handlungswirksamen Wissens-kategorien (vgl. Wimbauer/Motakef 2017b: 8f.).

Im Dokument Prekäre Arbeit, prekäre Liebe (Seite 67-77)