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Exkurs: Prekarisierungsprozesse in der Erwerbsarbeit und einige Ursachen

Im Dokument Prekäre Arbeit, prekäre Liebe (Seite 126-150)

4.3 »Gute Arbeit« als Ausdruck des Selbst: Veronika Vetter

4.6 Exkurs: Prekarisierungsprozesse in der Erwerbsarbeit und einige Ursachen

Things are changing, und bei vielen Befragten haben sich die Erwerbssituati-on und die Arbeitsbedingungen mitsamt den aktualisierten Anerkennungs-erfahrungen im Laufe ihres Lebens nicht nur verändert, sondern verschlech-tert. Die (tendenziell) negativen Deutungen von Erwerbsarbeit bildeten sich fast immer erst im Zeitverlauf und im Kontext dieser Prekarisierungsprozes-se heraus, so jedenfalls unPrekarisierungsprozes-sere Rekonstruktion aus den Erzählungen der Be-fragten. Daher begeben wir uns zuerst auf einen Exkurs, bevor wir in den Kapiteln 4.7 und 4.8 die (tendenziell) negativen Bedeutungen von Erwerbs-arbeit vorstellen: Wir nehmen eine Verlaufsperspektive ein und blicken auf

die Veränderungen und Verschlechterungen, die sich im Lauf der Zeit für die Befragten ergeben haben und sich auf die eine oder andere Weise für ihre Er-werbssituation als relevant erweisen.

In Kapitel 4.6.1 rücken wir schwerpunktmäßig Verschlechterungen der persönlichen Arbeitssituation in den Mittelpunkt wie Kündigungen oder ein Wechsel der Vorgesetzten. Es folgen strukturelle und gesellschaftliche Verän-derungen von Erwerbsarbeit wie Restrukturierungen (4.6.2).35 Zuletzt the-matisieren wir Veränderungen, die sich nicht in der Erwerbssphäre selbst, sondern im weiteren Lebenszusammenhang durch die Wechselfälle des Le-bens ergeben, die aber auch erwerbsarbeitsrelevant wirken (4.6.3). Wo mög-lich gehen wir auf damit einhergehende Erfahrungen der Nichtanerkennung ein. Schließlich sind die drei Arten von Veränderungen wie immer bei einer Perspektive auf den Lebenszusammenhang nicht strikt voneinander zu tren-nen, so dass unsere Zuordnung bisweilen nur schwerpunktmäßig erfolgt.

Eine Vorbemerkung vor dem Exkurs: Drei Verlaufsmuster der Prekarisierung Neben diesen drei Ebenen, auf denen Prekarisierungsprozesse ausgelöst oder verstärkt werden können (individuelle Erwerbssituation, strukturelle Verän-derungen der Erwerbssphäre und Wechselfälle des Lebens), haben wir auch prekäre Erwerbsverläufe betrachtet. Hier haben wir vereinfacht drei Verlaufs-muster unterschieden, wobei auch hier die Kategorisierung der Fälle nicht immer ganz eindeutig ausfällt.

Bei einer ersten Gruppe gestaltete sich die Erwerbssituation mehr oder weniger von Anfang an als schwierig: So hat etwa Patricia Poturica ihre Aus-bildung abgebrochen, als sie mit 17 Jahren schwanger wurde, und ist als drei-fache Vollzeit-Mutter und Vollzeit-Hausfrau seither nicht mehr erwerbstätig (siehe Kapitel 6.2.2 und 8.1.1).

Bei einer zweiten Gruppe oszilliert der Erwerbsverlauf zwischen mehr oder weniger prekären Beschäftigungen, Zeiten der Nichtbeschäftigung und Arbeitslosigkeit, etwa bei Oliver Oswald, Sabine Schomann (siehe oben) und Clemens Caspar. Clemens Caspar hat nur kurz in seinem Ausbildungs-beruf als Klempner gearbeitet und ist seitdem prekär beschäftigt oder ar-beitslos. Eine lebenslange Vollzeit-Beschäftigung war für ihn nie Ziel. Ihm

35 Beides ist empirisch nicht immer trennbar: Etwa wirken sich strukturelle Veränderun-gen in einer Branche oft auch auf die individuelle Arbeitssituation aus. Dennoch ist es für unsere Fragstellung ein Unterschied, ob etwa ein Wechsel des Vorgesetzten oder eine Umstrukturierung einer ganzen Branche zu Prekarisierung führt.

sind zudem auch seine ehrenamtlichen Projekte im regionalen Naturschutz sehr wichtig (siehe Kapitel 6.3.1).

Bei einer dritten Gruppe lässt sich eine Abwärtsbewegung, sozusagen eine Abstiegskarriere,36 nachzeichnen – wenn auch von unterschiedlichen Start-punkten aus und in unterschiedlichem Ausmaß: Kontinuierlich verschlech-tert hat sich die Situation etwa bei Theo Tettler, Rolf Radler, Maria Melchior, Ulrike Urban, Birthe Bruhns, Veronika Vetter und Caroline Christiansen.

Bei einigen pendelte sich die Situation auch auf einem niedrigen Niveau ein, etwa bei Anna Aulinger, Anton Alsdorf, Petra Podan, Pepo Poturica, Lara Laubenthal, Lars Löbner, Nils Novic und Ben Borg. Bei Rolf Radler, Theo Tettler, Ulrike Urban, Veronika Vetter und Walter Wenke wird nachgera-de ein erhebliches Verlaufskurvenpotential (Schütze 1981, 1983, 1984, 1995) deutlich, das sich in ihrer gesamten Biographie entfaltet.37

Bei diesen Verlaufsmustern spielen Ereignisse auf den drei eingangs vor-gestellten Ebenen eine Rolle, und diesen wenden wir uns nun zu. Zwar steht die Erwerbssphäre im Zentrum von Kapitel 4, dennoch kommen wir in Ka-pitel 4.6.3 bereits auf den weiteren Lebenszusammenhang zu sprechen. Aus-führlich um den Lebenszusammenhang geht es in den Kapiteln 6 und 7, denn es ist der gesamte Lebenszusammenhang zu berücksichtigen, um pre-käre Lebenslagen erklären und verstehen zu können.

36 Viertens ist der dauerhafte Übergang in eine nicht prekäre Beschäftigung denkbar. Dies kann in unserem Sample aber deswegen nicht der Fall sein, weil eine prekäre Beschäfti-gung Sampling-Kriterium ist.

37 »Verlaufskurvenpotential« beschreibt Schütze (1995) als erste Stufe seines Ablaufmo-dells für Verlaufskurvenprozesse, als »allmählicher Aufbau eines Bedingungsrahmens für das Wirksamwerden einer Verlaufskurve […]; dieses hat in der Regel eine Kompo-nente biographischer Verletzungsdispositionen und eine KompoKompo-nente der Konstellation von zentralen Widrigkeiten in der aktuellen Lebenssituation« (Schütze 1995: 129). Die Verlaufskurve ist eine grundlagentheoretische Kategorie der Biographieanalyse (u. a.

Schütze 1995: 126ff.) und eine von vier »Prozeßstrukturen des Lebensablaufs« (Schütze 1981; 1984: 92). Verlaufskurven stehen »für das Prinzip des Getriebenwerdens durch so-zialstrukturelle und äußerlich-schicksalhafte Bedingungen der Existenz. […] Negative Verlaufskurven – Fallkurven – schränken den Möglichkeitsspielraum für Handlungs-aktivitäten und Entwicklungen des Biographieträgers progressiv im Zuge besonderer Verlaufsformen der Aufschichtung ›heteronomer‹ Aktivitätsbedingungen ein, die vom Betroffenen nicht kontrolliert werden können« (Schütze 1983: 288).

4.6.1 Verschlechterung der persönlichen Arbeitssituation

Viele Befragte berichten, teilweise eingebettet in gesellschaftliche Verände-rungen (4.6.2), wie sich ihre persönliche Arbeitssituation verschlechtert hat.

Dies betrifft etwa Theo Tettler, Rolf Radler, Maria Melchior, Petra Podan, Ulrike Urban, Birthe Bruhns und Caroline Christiansen. Veronika Vetter stellen wir nun ausführlicher dar, weil sie exemplarisch für eine Verände-rung von einst hoher Sinnstiftung durch Erwerbsarbeit hin zu Destruktivität durch jene steht. Danach gehen wir auf Arbeitsverdichtung in den konkre-ten Beschäftigungsverhältnissen ein sowie auf verbreitete Mobbingerfahrun-gen, die wir als Erfahrungen intersubjektiver Nichtanerkennung in der Er-werbssphäre deuten.

Veronika Vetter: Früher »ist man als Mensch auch noch gesehen worden«

Veronika Vetter erfährt erhebliche Verschlechterungen ihrer persönlichen Beschäftigungsverhältnisse, die eingebunden sind in schlechter werdende Arbeitsbedingungen in der gesamten Versicherungsbranche. Ihre gegenwär-tigen Arbeitsbedingungen bezeichnet sie als »schwierig«. Auch ihre finan-zielle Situation hat sich »abschüssig entwickelt«. Zum Interviewzeitpunkt bezieht sie ALG I in Höhe von 1.100 Euro. Seit der Jahrtausendwende hät-ten sich in ihrer Branche »gravierende Veränderungen« eingestellt und es sei

»eine gewisse Ökonomisierung« eingezogen,38 die »das Leben am Arbeits-platz nicht unbedingt leichter gemacht« hätten. Auch bei ihrem damaligen Arbeitgeber setzten Restrukturierungen und Stellenstreichungen ein, der Konkurrenzdruck steigt, die Arbeit wird verdichtet und die Einkommen sin-ken. Veronika Vetters Handlungs- und Sinnorientierung können als sehr er-werbszentriert bezeichnet werden und sie ist gleichsam als Jobnomadin und Arbeitsmarktbürgerin bereit, nahezu allen erwerbsseitig an sie gestellten Ver-fügbarkeits- und Mobilitätsanforderungen zu entsprechen. Dennoch erlebte sie seit etwa 2000 eine jahrelange Abstiegskarriere bis zur Aushilfe und meh-rere Phasen der Arbeitslosigkeit, so auch zum Interviewzeitpunkt.

38 Gesellschaftliche Veränderungen sind eigentlich Kern von Kapitel 4.6.2. Diese lassen sich aber nicht von Veronika Vetters persönlicher Erwerbssituation trennen. Generell gilt: Wenn wir Fälle in ihrer Gesamtheit nachzeichnen, benennen wir notwendig ver-schiedene Aspekte – auch solche, die in dem jeweiligen Teilkapitel gerade nicht im Zen-trum stehen.

Nachdem sie kurz nach der Jahrtausendwende erstmals ihren Job gekün-digt hatte, weil Ökonomisierungstendenzen ihr Konzept von »guter Arbeit«

beeinträchtigten, wechselte sie noch häufig die Stellen und ihren Wohnort – weil sie selbst kündigte, ihr Vertrag auslief oder ihr gekündigt wurde. Nach den bereits genannten Umzügen setzte sich die Entwicklung fort:

»Nach zwei Jahren hab’ ich dann auch wieder aufgehört, eben weil die Entwicklung da schwierig ist und ja Stellenstreichungen ’n Thema waren, aber nicht nur. Also ich hab’ einfach gemerkt, die Daumenschrauben kommen rücken mir auch wieder so unangenehm auf ’n Leib, dass es mir eigentlich ganz recht ist, dass der Vertrag aus-läuft. Und so ging das jetzt immer weiter.«

Die veränderten Arbeitsbedingungen beschreibt Veronika Vetter mit »Dau-menschrauben«. Sie spricht an verschiedenen Stellen anschaulich in Meta-phern der körperlichen Bedrängung, ja der Folter – was vermuten lässt, dass ihre Wünsche nach Sich-Einbringen und Selbstausdruck durch Erwerbsar-beit sich nicht mehr umsetzen ließen, sondern sich in körperliche Pein trans-formierten. Im Kontext dieser Belastungen erkrankt Veronika Vetter zwei-mal lebensbedrohlich (siehe Kapitel  4.6.3) und verändert daraufhin ihre Lebenshaltung.

In ihrer gesamten Arbeitssituation zeigen sich für Veronika Vetter große Anerkennungsdefizite: Einerseits will sie sich unbedingt emphatisch und als ganze Person in der Erwerbssphäre einbringen, auf der anderen Seite findet sie nur noch krankmachende und ausbeuterische Beschäftigungsverhältnis-se. Direkt gefragt nach Anerkennung in und für Erwerbsarbeit, sagt sie:

»Früher war es so, dass ich so als Persönlichkeit und überhaupt sehr geschätzt war an meinem Arbeitsplatz und ich war da eingebunden und es war ’ne gewisse Verbind-lichkeit da.«

Hier sind zwei Aspekte beachtenswert: Erstens fühlte sie sich früher als Per-sönlichkeit und als ganze Person anerkannt und geschätzt, heute hingegen nicht mehr. Zweitens beklagt sie eine heute mangelnde Verbindlichkeit. In der Interpretation wird deutlich, dass sie damit vor allem Aus- und Zusagen der Firmen über Inhalte und Dauer der Arbeitsverhältnisse meint, welche ihrer Erfahrung und den Erfahrungen in ihrem Bekanntenkreis nach nicht mehr eingehalten werden. Die Firmen scheinen Veronika Vetter Versprechen vorgegaukelt zu haben, die überhaupt nicht der Realität entsprachen, was sie sehr verletzend empfindet:

»Das ist was ganz ganz Entscheidendes für mich auf jeden Fall. Also, dass ich einfach weiß, was wird gespielt, was für ein Spiel wird gespielt ja. Dann kann ich mich drauf

einstellen. Und in letzter Zeit ist es mir eben relativ häufig passiert, dass mir Arbeit-geber signalisiert haben, ja das ist so auf längere Sicht […] und so weiter und so fort.

Und das hat sich dann einfach überhaupt nicht so dargestellt, als ich dann begonnen hab, zu arbeiten. […] und dann find ich’s auch fairer, wenn diese […] Unternehmen mit LEIHarbeitern arbeiten. Ja dann wissen die Mitarbeiter gleich, auf was sie sich einlassen und ziehen nicht mit Sack und Pack irgendwo hin und stellen dann fest, das is alles nur projektbezogen […]. Und das hab’ ich jetzt auch in meinem Bekann-tenkreis […] ganz oft gehört ja.«

Weiter moniert sie das Verhalten ihrer Vorgesetzten. Früher habe sie sich mit ihnen austauschen können, sie seien verantwortungsvoll gewesen und hät-ten sich hinter die Mitarbeiter*innen gestellt. Heute sei dies nicht mehr so:

»Also früher war’s so, wenn mich dann irgendwas beschäftigt hat oder belastet hat, konnt ich mit meinen Chefs drüber reden. Ja. Konnt konnte einfach mal auch was loslassen oder so, weil ich wusste, mein Chef steht hinter mir, wenn irgendwas schwierig wird.«

Zudem empfindet sie, dass »die Hierarchien« für sie »mit zunehmendem Al-ter […] immer steiler geworden« sind, was sie persönlich stark einschränkt und ihr die Luft zum Atmen raubt – ein wieder sehr körperliches Bild, das Veronika Vetter von ihrer Arbeitssituation zeichnet: »Ab ’ner bestimmten (atmet tief aus) Hierarchieform kann ich einfach auch nicht mehr atmen.«

Offenbar hatte sie diesbezüglich sehr negative Erlebnisse, die sie vehement kritisiert. Sie erläutert ihre Haltung zu Hierarchien:

»Wenn es in ’ner gesunden Art und Weise praktiziert wird, hab’ ich da absolut gar nichts dagegen, im Gegenteil […] Nur wenn es eben sehr sehr missbräuchlich ge-handhabt wird und sehr hart und sehr unfair, wie ich’s jetzt eben auch in Nahoststadt erlebt hab, da kann ich dann echt nicht mehr mit ja. DAS IST AUCH DE FACTO rückwärtsgerichtet.«

Ihre Erlebnisse auf ihrer letzten Stelle scheinen Veronika Vetter nachgerade traumatisiert zu haben, sie erlebte die Bedingungen als »sehr hart«, »sehr un-fair« und »sehr sehr missbräuchlich« und klagt an vielen Stellen im Interview über diese Erfahrungen.

Neben Machtmissbrauch in Hierarchien und dem Vorenthalten von In-formationen ist willkürliche »Geringschätzung« ein weiterer Aspekt, den sie mit Blick auf Nichtanerkennung in ihren beruflichen Tätigkeiten erfahren hat und kritisiert. So hatte einer ihrer Chefs »die Tendenz, immer mal wie-der auszurasten« und sie einmal sogar »angebrüllt«: »›Wenn Sie wüssten, wie blöd Sie sind!‹«

Schließlich resümiert sie, gefragt nach dem gesellschaftlichen Wert ihrer Tätigkeiten, ihre erfahrene Nicht-/Anerkennung:

»Is geteilt. Also einerseits und andererseits. Einerseits hab’ ich das Gefühl, ich hab’

sehr viel Wertschätzung erhalten so die letzten Jahre über und gleichzeitig aber genau das GEGENteil. Es ist wirklich beides.«

Positive Wertschätzung habe sie früher »deutlich« mehr erlebt als heute. Die

»mangelnde Wertschätzung« drückt sich für sie auch in der genannten »Un-verbindlichkeit« der Vorgesetzten aus, deren Informationen zu Vertrags-dauer und Perspektiven sich als »Luftnummer entpuppen«. Veronika Vet-ters Erfahrungen der Nichtanerkennung beschreiben wir ausführlich noch in Kapitel 4.8.2.

Weitere Fälle: Ulrike Urban, Rolf Radler und Theo Tettler

Verschiedene weitere Fälle lassen sich durch eine Verschlechterung ihrer beruflichen Situation beschreiben. Wir nennen eine Auswahl und einige Kritikpunkte.

Ulrike Urban (siehe Kapitel  4.1.2) absolvierte nach längerer Tätigkeit als Heilerziehungspflegerin ein Studium, aber findet trotz zweier sehr gu-ter Abschlüsse keine ausbildungsadäquate Beschäftigung. Seit den Studien-abschlüssen ist sie in einer finanziell und beschäftigungstechnisch prekären Lage und nahm vor einiger Zeit eine geringfügige Beschäftigung als Pflegen-de an:

»Da hatt’ ich dann endlich meine  […] Diplomzeugnisse,  […] aber keinen Job.

(Lacht) Ja dann hab’ ich mich da schon beworben und mh naja hm dann musst’ ich Hartz IV beantragen, weil ich immer noch keinen Job hatte und dann (holt Luft) ja dann musst ich dann auch wieder zurück in die Heilerziehung, dann hab’ ich dann irgendwie noch mal ’n Jahr in der Heilerziehung gearbeitet. Dann hatt ich ’n befris-teten Vertrag, dann ist mir der nicht verlängert worden, […] dann war ich ’n Jahr arbeitslos. Hab’ in der Zeit hab’ ich dann also […] ’n Pflegebedürftigen kennen ge-lernt, mit dem ich ein besonderes Verhältnis hab, ’ne beson besondere Beziehung hab’ dann so mehr oder weniger seine Pflege übernommen.«

Ulrike Urbans Situation als Pflegende ist für sie mit Blick auf erwerbsarbeits-seitige Anerkennung belastend und schwer erträglich, vor allem zeitlich, in-haltlich und finanziell. Die Einrichtungsleitung bezahle sie nicht entspre-chend ihrer Arbeitsleistung und die Kollegen würden die Pflegebedürftigen oft unterversorgt lassen. Dies ist für sie auch mit Konflikten mit den

Kolle-gen verbunden, die sie desweKolle-gen des Öfteren »dann richtig laut und wütend anruft«. Die Dynamik und – nicht nur – anerkennungstheoretische Ambiva-lenz dieses Falles, die sich erst im gesamten Lebenszusammenhang verstehen lässt, zeichnen wir in Kapitel 7.2.1 nach.

Bei Rolf Radler, Mitte 40, waren die Arbeitsbedingungen im Prinzip von Anfang an schlecht und sind seit Beendigung der Ausbildung prekär. Er hat eine technische Ausbildung, aber wollte nie wirklich in seinem Beruf arbei-ten, in dem er dann auch keine Stelle fand. Nach einer vom Arbeitsamt ge-förderten Weiterbildung machte er sich selbstständig, aber nach Ablauf der Existenzgründungsförderung musste er Insolvenz anmelden. Er wurde ar-beitslos und wechselte später in den SGB II-Bezug, in dem er »drin« ist, »seit es Hartz IV gibt«. Daneben übt/e er verschiedene geförderte Arbeitsgelegen-heiten aus, wodurch er incl. Wohngeld monatlich über etwa 850 Euro ver-fügt. Eine Umschulung wird ihm nicht genehmigt, weil er therapeutischen Auflagen nicht nachkommt. Hierbei und bei seiner Einstufung als schwer vermittelbar spielen vermutlich eine diagnostizierte Depression, die er im In-terview aber nur andeutet, eine wichtige Rolle. So richtet er sich in seinem SGB  II-Bezug ein und ist geringfügig in der Kleinkunstkneipe SubZe be-schäftigt. Hier verdient er 100 Euro nebenher und verortet auch seinen Le-bensmittelpunkt. Wie dies für ihn jedoch nicht nur Anerkennung vermitteln und eine positive Zugehörigkeit begründen kann, sondern auch (s)ein Ver-harren in dieser Gegenwelt zur Leistungsgesellschaft, führen wir in Kapitel 7 aus.

Theo Tettler, Mitte 50, hat lange studiert, aber sein Studium nicht abge-schlossen, und hatte verschiedene Studentenjobs, so als Pförtner mit Schicht-diensten in einer Klinik. Als er nach vielen Semestern sein Studium abbricht, arbeitet er einfach weiter in der Klinik als Pförtner, in der Materialdispositi-on, als Lagerist, handwerklicher und technischer Helfer. Über 20 Jahre lang ist er so in der Klinik tätig und verdient zwar nicht gut, aber für ihn und sei-ne zwischenzeitlich gegründete Familie subjektiv ausreichend. Auch fühlt er sich einigermaßen für das, was er arbeitete, anerkannt. Doch dies ändert sich im Laufe der Zeit: Zu einer länger sich anbahnenden Ehekrise gesellen sich zunehmende gesundheitliche Probleme zuerst körperlicher Art aufgrund der Arbeitsbedingungen im Nachtdienst, durch Arbeitsverdichtung und Mob-bing seitens des Chefs, später wachsende psychische Beschwerden. Die nega-tive Entwicklung kulminiert schließlich in der knapp aufeinander folgenden Scheidung, dem Entzug des Sorgerechtes für die Tochter, dem Verlust des Arbeitsplatzes durch Kündigung (trotz seiner Klage vor dem Arbeitsgericht)

und schließlich einem »Burnout« und seiner Selbsteinweisung in die Psychi-atrie am Tag der Kündigung. Danach bezog Theo Tettler erst ALG I und seit vier Jahren bis zum Interviewzeitpunkt ALG II. Berufliche und anderweitige Perspektiven hat er keine mehr. Gefragt danach, wie er »so gesellschaftliche Anerkennung oder Wertschätzung« erlebe, antwortet er mit, »ich bin abso-lut isoliert, ich hab’ keine Freunde mehr«. Auch die Dynamik dieses Falles, nachgerade Musterbeispiel einer Verlaufskurve (Schütze 1995), zeichnen wir im gesamten Lebenszusammenhang in Kapitel 7.3.3 nach.

Zusammenfassend haben viele Befragte erlebt, wie sich ihre persönliche Arbeitssituation verschlechtert hat und sie haben dabei vielfältige Erfahrun-gen der Nichtanerkennung in der Erwerbssphäre gemacht. Wie sie damit umgehen und ob sich Prekarität im Lebenszusammenhang verfestigt oder abgemildert wird, ist Thema späterer Kapitel.

Nachfolgend möchten wir noch zwei generelle Punkte exemplarisch an-hand Theo Tettler veranschaulichen: Erstens seine Kritik an der zunehmend geforderten Geschwindigkeit in der Arbeitswelt, die er mit steigendem Al-ter und aufgrund verschiedener Beeinträchtigungen nicht mehr wie früher vorlegen kann, ebenso Veronika Vetter. Zweitens seine mit einigen geteilten Mobbingerfahrungen.

Von Arbeitsverdichtung und steigender Geschwindigkeit, »Porsches« und

»Oldtimern«

Theo Tettler kritisiert mehrfach die Geschwindigkeit, die immer noch mehr und mehr erwartet werde. Früher seien die Anforderungen immerhin noch einigermaßen bewältigbar gewesen:

»Ich sag’s ja es war ’ne Rennerei von früh bis spät na. Natürlich war’s machbar, wenn man gesund ist und noch einigermaßen jung, dann war’s machbar.«

Später aber ergaben sich strukturelle Veränderungen, sein Arbeitsplatz wurde mehr oder weniger eingespart, zudem konnte er aufgrund gesundheitlicher Beschwerden bestimmte Arbeiten nicht mehr übernehmen. In dieser Situa-tion wurde ihm zunächst ein Änderungsvertrag mit 30 Prozent weniger Ge-halt angeboten:

»Ja dass ich für verschiedene Arbeiten halt nicht mehr in dem Maße zur Verfügung, daneben ah war aber auch ’ne Umorganisation […] also ah der der Geschäftsfüh-rer […] hat ah Stück für Stück meine Arbeiten übernommen na. Und ah

irgend-wann war halt auch nimmer genug Masse da, hm, um um meine Arbeit so zu ma-chen, wie wie ’s halt jahrzehntelang war. Alles zusammen waren dann 30 Prozent.«

Da er seine Familie ernähren musste, kam es aber für ihn »überhaupt nicht in Frage, das zu akzeptieren«. Er klagte, doch

»der Chef ist dran ausgerastet, wie man nur so was machen könnte, und hat ah ohne Begründung, zwei Zeilen, Sie sind hiermit gekündigt.«

»der Chef ist dran ausgerastet, wie man nur so was machen könnte, und hat ah ohne Begründung, zwei Zeilen, Sie sind hiermit gekündigt.«

Im Dokument Prekäre Arbeit, prekäre Liebe (Seite 126-150)