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2 Zur Struktur der deutschen Forschung zum globalen Wandel

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Der WBGU hat in seinem Jahresgutachten 1993 einen Katalog von Forschungsdefiziten im Hinblick auf den globalen Wandel aufgestellt. Der Beirat erwartet, daß die dort benannten Themen, soweit noch nicht geschehen, alsbald in die Forschungsstrategien der zuständigen Ministerien aufgenommen und Gegenstand von neuen Forschungsprojekten werden; sie sollten aber auch in den Programmen bestehender Institute und Forschungsverbünde gebührenden Nieder-schlag finden. Als Beispiel, wie dies realisiert werden kann, ist die Umwelt-FuE-Strategie „Die Zukunft sichern hel-fen“ des BMFT vom März 1994 zu nennen, in welcher bereits wesentliche Teile der Vorschläge des WBGU integriert wurden. Die darin enthaltenen Ansätze zur Überwindung der nachfolgend aufgeführten Schwächen weisen in die ge-wünschte Richtung und sollten dazu führen, daß dieser Weg auch von anderen Ministerien begangen wird. Die in Kap.

D 4 aufgeführten speziellen Forschungsempfehlungen zur Bodendegradation stehen mit den im Jahresgutachten 1993 aufgeführten, übergeordneten Themen im Einklang.

Außer den inhaltlichen Defiziten hatte der Beirat 1993 aber auch festgestellt, daß die Organisation der deutschen For-schung zu Fragen des globalen Wandels den Herausforderungen nicht gerecht wird. Ihr fehlt es noch immer sowohl an Interdisziplinarität, um komplexe Probleme hinreichend behandeln zu können, als auch an internationaler Verflech-tung, um dem globalen Charakter der Umweltveränderungen und ihrer Auswirkungen in anderen Teilen der Welt an-gemessen zu entsprechen. Darüber hinaus fehlt es aber auch und vor allem an Kompetenz zur Aufzeigung von Wegen zur Lösung der Probleme des globalen Wandels. Auf diese strukturellen Defizite der deutschen Forschung zum globa-len Wandel wird im folgenden eingegangen.

2.1 Interdisziplinarität

Während die Diagnose von physischen Umweltveränderungen überwiegend eine Aufgabe naturwissenschaftli-cher Einzeldisziplinen ist, basiert die Entwicklung von Handlungsanweisungen zur Behebung dieser Veränderungen und zur Behandlung ihrer Ursachen wie ihrer Folgen auf dem Zusammenwirken von Natur-, Ingenieur- und Gesellschafts-wissenschaften. Keine der in diesem Gutachten angesprochenen zentralen Fragen hinsichtlich des standortgerechten, nachhaltigen und umweltschonenden Umgangs mit den Böden dieser Erde kann ohne eine solche interdisziplinäre Zu-sammenarbeit erfolgversprechend behandelt werden.

Der Wissenschaftsrat hat im Mai 1994 in seiner Stellungnahme zur Umweltforschung in Deutschland eine Reihe von Aussagen gemacht. In Ergänzung zu der natur- und ingenieurwissenschaftlichen Befassung mit Umweltproblemen for-dert er eine stärkere Hinwendung verschiedener Zweige der Kultur-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften sowie auch der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften zu den Problemen des globalen Wandels. Dies gilt sowohl für die Ebene des Einzelforschers, der Konzepte und Befunde anderer Disziplinen in seine Untersuchungen einbeziehen muß, als auch für die Kooperation von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen.

Für derartige Forschungsansätze sind in erster Linie, aber nicht ausschließlich, die Universitäten prädestiniert, da sie alle potentiell relevanten Disziplinen unter einem Dach vereinigen. Es ist aber nach Auffassung des Beirats nicht zu übersehen, daß an den Universitäten die Bereitschaft zum multidisziplinären Dialog und zur interdisziplinären Per-spektive gesunken ist. Beides paßt nicht in das gängige Karrieremuster vieler Fachgebiete und Fakultäten und wird dementsprechend nicht honoriert.

In der akademischen Lehre finden die Probleme des globalen Wandels nach Ansicht des Beirats noch zu wenig Auf-merksamkeit. Auch die berechtigte Forderung nach einem zeitlich und inhaltlich straff organisierten Studium läßt dafür tendenziell wenig Raum. Trotzdem sollten diese Themen auch im Grundstudium angesprochen und im Aufbau-studium vertieft behandelt werden. Das Zusammenspiel von Forschung und Lehre im Hinblick auf die Probleme des globalen Wandels können Graduiertenkollegs wesentlich beleben. Um die interdisziplinäre Forschung hierzu voran-zutreiben, sollten weitere einschlägige, zeitlich befristete und personell flexible Forschungs-zentren, Stiftungs-professuren und Sonderforschungsbereiche an Universitäten eingerichtet werden. Sie würden es erlauben, die

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laktivitäten einzelner Lehrstühle zu bündeln und auf bestimmte, gemeinsam gewählte Themen des globalen Wandels zu fokussieren, so daß größere Projekte in Angriff genommen werden und auch entsprechende Problemlösungskompe-tenz entstehen könnte.

Interdisziplinäre Forschung in den Natur- und Ingenieurwissenschaften findet meist in größeren Instituten oder in schungsverbünden mit Universitäten (z.B. den Ökosystemforschungszentren) statt. Hauptträger der deutschen For-schung zum globalen Wandel sind bisher außeruniversitäre Institute, die GroßforFor-schungseinrichtungen und Blaue-Li-ste-Institute, auf einzelnen Sektoren auch Institute der Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft so-wie Institute der Bundes- und Landesressorts. Speziell bezogen auf Probleme des globalen Wandels fehlt es in diesen Instituten aber durchweg an gesellschaftswissenschaftlichem Sachverstand, sie beschränken sich auf natur- und ingeni-eurwissenschaftliche Problemanalysen und dringen daher nicht zu umfassenden Lösungsansätzen vor.

Für die mit Problemen des globalen Wandels befaßten natur- und ingenieurwissenschaftlichen Institute sollten daher seitens der Zuwendungsgeber geeignete organisatorische Maßnahmen getroffen werden, damit sie unter Umschich-tung und Bündelung von Potential in die Lage versetzt werden, in enger Kooperation mit den Universitäten entspre-chende Forschungsprojekte durchzuführen und dabei gesellschaftswissenschaftlichen Sachverstand stärker einzubezie-hen. Um dies zu erreichen, bedarf es aber nicht nur staatlicher Förderung und Anreize, vor allem durch BMFT und DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft), sondern auch einer Abkehr der Universitäten, Fakultäten und Institute von der primär disziplinär orientierten Organisation ihrer Forschung. Nur flexible, themen- und projektorientierte Struktu-ren sowie Forschungsverbünde über InstitutsgStruktu-renzen hinweg können den Anforderungen der Forschung zum globalen Wandel gerecht werden.

2.2 Internationale Verflechtung

Die internationale Dimension der deutschen Forschung zum globalen Wandel wurde im Jahresgutachten 1993 bereits kurz angesprochen. Der Beirat hält darüber hinaus die folgenden Argumente für besonders wichtig: Die deutsche Kli-maforschung, verknüpft mit Meeres- und Polarforschung, ist in die globalen und europäischen Forschungsprogramme fest eingebunden und prägt diese mit. Für andere Forschungsfelder ist die Situation weniger günstig und bedarf drin-gend der Verbesserung, damit die deutsche Forschung einen angemessenen Platz in der Gruppe der führenden For-schungsnationen einnehmen und insbesondere den Verpflichtungen im Rahmen der zu implementierenden globalen Konventionen („Konvention über die biologische Vielfalt“, 1993; „Klimarahmenkonvention“, 1994; „Konvention zur Desertifikationsbekämpfung“, 1994) nachkommen kann.

Um dies zu erreichen, sollte die deutsche Forschung einerseits ermutigt werden, einen stärkeren Einfluß auf die Pla-nung und Gestaltung internationaler Programme, z.B. im Rahmen des International Geosphere-Biosphere Programme (IGBP) zu nehmen und die Vernetzung der Forschung auf europäischer und internationaler Ebene voranzutreiben. An-dererseits gilt es, die Forschungseinrichtungen und ihre Programme stärker auf die internationalen Programme auszu-richten; dies bezieht sich insbesondere auf die schon bestehenden großen Programme wie Human Dimensions of Glo-bal Change Programme (HDP), Man and the Biosphere Programme (MAB) und World Climate Research Programme (WCRP). Einflußnahme auf und Ausrichtung an internationalen Programmen können einen Innovationsschub für die deutsche Forschung zum globalen Wandel bewirken und so effektiver als bisher zur Lösung der globalen Umweltpro-bleme beitragen.

In bezug auf die Analyse der Probleme des globalen Wandels und entsprechende Lösungsansätze ergeben sich zwei Schwerpunkte für die Forschung in den Entwicklungsländern, speziell in den Tropen und Subtropen. Diese Regionen sind wichtige Teile der globalen Systeme, insbesondere hinsichtlich des Bevölkerungswachstums, des Klimas, der Bi-odiversität und der Böden- und Wasserprobleme. Globale Modelle über Umweltveränderungen und ihre natürlichen und sozioökonomischen Ursachen und Auswirkungen sind zudem ohne ausreichende wissenschaftliche Information aus den Tropen und Subtropen nicht besonders aussagefähig. Trotz erheblicher Anstrengungen und beachtlicher wis-senschaftlicher Leistungen sind die Forschungseinrichtungen dieser Länder aber nicht in der Lage, diese Informatio-nen im erforderlichen Umfang und mit der notwendigen Qualität aus eigener Kraft zu liefern und damit eiInformatio-nen vollen wissenschaftlichen Beitrag zu den internationalen Forschungsprogrammen zum globalen Wandel zu leisten.

Gleich-40 C 2 Forschung zum globalen Wandel

zeitig leiden viele Länder der Tropen und Subtropen in besonderem Maße unter den Folgen globaler Umweltverän-derungen. Insbesondere benötigen sie wissenschaftlich fundierte Lösungsansätze bei der Bekämpfung und Vermei-dung von Umweltschäden und dem Aufbau von Konzepten zur nachhaltigen Entwicklung (sustainable development).

Im Rahmen der AGENDA 21 hat Deutschland hierzu erhebliche Verpflichtungen übernommen. Es beteiligt sich auch an einer Reihe einschlägiger Entwicklungsprojekte, aber nur in sehr geringem Maße an der dafür notwendigen For-schung. Mit dem SHIFT Programm des BMFT ist hierzu ein erfolgversprechender Anfang gemacht, der inhaltlich, rä-umlich und organisatorisch ausgeweitet werden sollte.

Der Beirat stellt fest: Die deutsche Forschung zu den ökologischen Problemen der Entwicklungsländer und zum Zu-sammenhang von Umwelt und Entwicklung ist von wenigen Ausnahmen abgesehen noch nicht hinreichend ent-wickelt, sie sollte daher institutionell und personell gestärkt und regional und thematisch fokussiert werden. Hierzu be-darf es eines entsprechenden Förderungskonzeptes seitens der Bundesregierung, das insbesondere auch eine verstärkte Kooperation zwischen den Bundesressorts vorsieht. Eine unabhängige wissenschaftliche Kommission könnte die strukturbildenden Maßnahmen vorbereiten und die zu entwickelnden Forschungsprogramme begutachten. Die For-schungskomponente in den Entwicklungsprojekten des BMZ sollte verstärkt und insbesondere mit dem BMFT, dem BML und dem BMU enger abgestimmt werden. Zur Aktivierung des Forschungspotentials der Universitäten muß auch die DFG in die Konzipierung solcher Programme einbezogen werden. Der Forschung „vor Ort“ kommt eine be-deutende Multiplikatorfunktion zu. Die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen in Entwicklungslän-dern zum Thema globaler Wandel sollte daher in Forschung und Weiterbildung auf der Basis der Partnerschaft weiter ausgebaut werden. Hierzu ist eine entsprechende Förderung des wissenschaftlichen Personalaustausches einschließlich ausreichend dotierter Stipendienprogramme erforderlich.

2.3 Problemlösungskompetenz

Hinsichtlich der Problemlösungskompetenz zum Thema globaler Wandel gibt es in Deutschland erst wenige überzeu-gende institutionelle Ansatzpunkte. Zwar fehlt es nicht an Aktivitäten zur Diagnose des globalen Wandels, wohl aber an ausreichender wissenschaftlicher Expertise bei der Zielformulierung und bei der Entwicklung geeigneter Instru-mentarien. Bei den Lösungsansätzen für die Probleme des globalen Wandels handelt es sich um komplexe Zusammen-hänge, zu denen naturwissenschaftliche und sozioökonomische Ansätze miteinander handlungsorientiert verknüpft werden müssen. Die hierauf gerichtete Forschung sollte dementsprechend interdisziplinär und interinstitutionell ange-legt sein.

Nach Auffassung des Beirats muß in Zukunft die wissenschaftlich fundierte Politikberatung insbesondere die Ziele, Instrumente und institutionellen Rahmenbedingungen für die völkerrechtlich verbindlichen globalen Konventionen, die Rahmenübereinkommen selbst sowie die betreffenden Umsetzungsprotokolle, erarbeiten bzw. evaluieren. Einen ersten Ansatz für den Aufbau von Problemlösungskompetenz auf der Basis ökologisch/ökonomischer Interaktionsmo-delle stellt das Gründungskonzept des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung dar. Es soll einen wichtigen Beitrag zur Behebung des geschilderten strukturellen Defizits in der deutschen Forschung zum globalen Wandel leisten. Wenn aber der Aufbau dieses Instituts derzeit stockt, ist dies auch ein Indiz für den unbefriedigenden Zustand der deutschen Forschungsförderung.

Der Beirat empfiehlt, solche und ähnliche, potentiell schlagkräftige Zentren zügig aufzubauen und zugleich zu Ansatz-punkten für flexible, themen- und projektorientierte Forschungsverbünde zwischen natur- und gesellschaftswissen-schaftlichen Arbeitsgruppen zu entwickeln. Darüber hinaus sollte sorgfältig geprüft werden, ob in Deutschland eine neue Einrichtung für globale Umweltpolitikforschung zu gründen ist.

D 1.1.1 Mensch und Böden 41

D Schwerpunktteil:

Die Gefährdung der Böden

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