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Das „Huang-He-Syndrom“

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Der Huang He (Gelber Fluß, Länge 5.500 km) fließt durch das Lößplateau der Provinz Shaanxi in China. Die frucht-baren Böden dieser Provinz gehören zu den am stärksten erodierenden Flächen der Erde. Seit geschichtlicher Zeit ist dort Erosion zu beobachten (Jiang und Wu, 1980), aber seit sich die traditionellen Landnutzungsmethoden wandeln, hat der Bodenverlust katastrophale Ausmaße angenommen.

Unangepaßter Ackerbau auf steilen Hangflächen hat dazu geführt, daß jedes Jahr etwa 1,6 Mrd. t des hochprodukti-ven Lößbodens verlorengehen. Der Fluß transportiert den feinkörnigen Boden als gelbbraunen Schlamm (daher der Name), was nach Sedimentation zu Rückstau und zu großflächigen Überschwemmungen führt. Jährlich werden über 600 Mio. t Boden ins Meer geschwemmt. Auch Winderosion ist ein Problem: im Mauna Loa Observatorium (Hawaii) kann anhand der Luftproben nachvollzogen werden, wann die Bauern in China mit dem Pflügen beginnen (Brown, 1988).

Das „Huang-He-Syndrom“ beschreibt damit Bodendegradationen, die durch die Aufgabe ehemals nachhaltiger Landnutzung auf Gunstböden verursacht werden. Die nachhaltigen traditionellen Methoden der Landwirtschaft ba-sieren auf einem hohen Personalaufwand. Arbeitsintensive, kleinräumige Pflegemaßnahmen, wie z.B. die Erhaltung terrassierter Hänge oder Maßnahmen gegen Winderosion (Hecken, möglichst dauerhaft geschlossene Vegetati-onsdecke durch geeignete Fruchtfolgen etc.) werden bei veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zuneh-mend unrentabel. Sobald die Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen vernachlässigt werden, verstärkt sich die Bode-nerosion. Ein Ersatz der menschlichen Arbeitskraft durch Mechanisierung der Landwirtschaft erfordert hohen Kapi-taleinsatz und stößt häufig aufgrund topographischer Gegebenheiten an Grenzen.

156 D 1.3.3 Hauptsyndrome der Bodendegradation

Zentralisierung der Wirtschaftsplanung

Soziale und ökonomische MarginalisierungReduktion kultureller Vielfalt

Anspruchssteigerung

Urbanisierung

MigrationKommerzialisierung, Ausbreitung der Marktwirtschaft Globalisierung der Märkte Internationale Verschuldung

Erosion, morphologische Änderungen Wasserverschmutzung, Eutrophierung

Abflußänderungen auf Landflächen Störungen der Sedimentdynamik

Verlust biologischer Vielfalt Zusammenbruch der traditionellen Landwirtschaft WISSENSCHAFT / TECHNIKGESELLSCHAFTLICHE ORGANISATION

BEVÖLKERUNG PSYCHOSOZIALE SPHÄRE

WIRTSCHAFT VERKEHR

BIOSPHÄREHYDROSPHÄREATMOSPHÄRE LITHOSPHÄRE / PEDOSPHÄRE

Abbildung 33:Syndromspezifisches Beziehungsgeflecht: Huang-He-Syndrom

D 1.3.3 Hauptsyndrome der Bodendegradation 157

Neben der Huang-He-Region in China finden sich weitere durch dieses Syndrom betroffene Gebiete unter anderem auf den Philippinen (Banaue), in Indonesien und auf fruchtbaren Vulkanböden im Bereich des ostafrikanischen Gra-bens.

Der Wandel der Landnutzung wird durch verschiedene, teilweise auch gleichzeitig wirkende Faktoren vorangetrie-ben. Die finanzielle Belastung der Landnutzer durch Mehrwertabschöpfung (Kapitalabfluß aus den betroffenen Re-gionen durch Steuern und Pacht an ortsfremde Eigentümer) ist eine Ursache. Mit der Öffnung der Subsistenz-wirtschaft zum Weltmarkt lassen sich oft typische Abläufe beobachten: Zum einen passen sich die lokalen Erzeuger-preise an die niedrigen WeltmarktErzeuger-preise an, wodurch dann die Rentabilität des arbeitsaufwendigen Landmanage-ments nicht mehr gegeben ist. Zum anderen wird durch den Übergang zu ertragsunabhängigen Steuern und Pachtzah-lungen das Produktions- und Marktrisiko auf die Landnutzer abgewälzt. Durch Akkumulation von Schulden aus er-tragsschwachen Jahren kann der Landnutzer in einen „Teufelskreis“ von Verschuldung und Eigentumsverlust geraten und letztlich die Kontrolle über seine Produktion verlieren. Die Folge ist die Zentralisierung und Kommerzialisierung des Landeigentums. Diese Entwicklungen können schließlich dazu führen, daß multinationale Agrokonzerne zuneh-mend Einfluß auf das Saatgut- und Düngemittelangebot, die Maschinenausstattung sowie die Verarbeitung und das Marketing gewinnen. Damit werden die traditionellen Landnutzungsformen endgültig abgelöst. Hier ist zugleich der Übergang zum „Dust Bowl-Syndrom“ möglich: auf Gunstböden werden infolge dieser Entwicklung mit hohem Kapi-taleinsatz Cash Crops für den Export produziert. Die Landbevölkerung wird auf marginale Böden abgedrängt, oft mit massiven Bodendegradationsfolgen („Sahel-Syndrom“).

Durch die Notwendigkeit, eine größere Anzahl von Menschen zu ernähren, steigt der Landnutzungsdruck. Dies kann dazu führen, daß die traditionelle Risikominimierungsstrategie durch eine Ertragsmaximierungsstrategie abgelöst wird. Gleichzeitig gehen traditionelle gesellschaftliche Strukturen verloren. Damit wächst der Zwang, riskante und bodenschädigende, aber kurzfristig produktivere Methoden einzuführen.

Die negativen Einflüsse zentral gesteuerter Landwirtschaftspolitik lassen sich eindrucksvoll am Beispiel Chinas nachzeichnen. Eine wesentliche Ursache der Bodendegradation ist die diskontinuierliche Planung der Politik. Dies führte zunächst durch die Vernachlässigung der Landwirtschaft zu Hungersnöten dramatischen Ausmaßes mit mehr als 30 Mio. Opfern zwischen 1959 – 1961. Die daraufhin einsetzende Förderung von Getreidemonokulturen verur-sachte dann massive Erosion, die wiederum die dauerhafte Nahrungsbasis des Landes gefährdet. Erst in jüngerer Zeit werden adäquate Bodenschutzmaßnahmen propagiert (z.B. „Große Grüne Mauer“, chinesisches Aufforstungs- und Bodenschutzprogramm).

Die genannten Ursachen der Bodendegradation können letztendlich in einen „Teufelskreis“ führen: Die Vernachlässi-gung des Ressourcenschutzes führt zur Landdegradation (vor allem Erosion), was über Ertragseinbußen die Margina-lisierung und Verarmung (vor allem Mangel an Kapital und Ressourcen) der Landbevölkerung verstärkt. Durch die Marginalisierung kommt es zu unangepaßter Nutzung, wenn die Landnutzer gezwungen sind, die traditionelle, nach-haltige Nutzung aufzugeben. Hinzu kommt, daß die Aufrechterhaltung des arbeitsintensiven Landmanagements (wie z.B. Terrassierung und aufwendige Bewässerungen) zunehmend behindert wird durch mangelhafte Organisation (Zu-sammenbruch der lokalen Strukturen) und Kapitalmangel, aber auch durch Arbeitskräftemangel, da sich – bedingt durch Marginalisierung und Sogwirkung der urbanen Zentren – die Landflucht verstärkt.

Wesentliche Auswirkungen des Syndroms betreffen die Hydrosphäre, da durch Erosion abgeschwemmter Boden in Flußläufen, Staubecken und auch im Meer erhebliche Schäden verursachen kann (Verschlammung, Überschwem-mung, Eutrophierung der anliegenden Küstengewässer). Der Druck richtet sich auch auf die Bio-sphäre, denn großflächige Veränderungen in der Landnutzung stören das ökologische Gleichgewicht und führen zur Reduzierung der biologischen Vielfalt. Beispiele für atmosphärische Auswirkungen sind die vermehrte Emission von Treibhausga-sen aus intensivierter Produktion (z.B. Methan aus Reisanbau) und der mögliche regionale Klimawandel.

158 D 1.3.3 Hauptsyndrome der Bodendegradation

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