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Bodendegradation durch Tourismus: Das „Alpen-Syndrom“

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Das „Los-Angeles-Syndrom“

1.3.3.11 Bodendegradation durch Tourismus: Das „Alpen-Syndrom“

Die stetige Zunahme touristischer Aktivitäten in aller Welt hat in den letzten Jahrzehnten in erheblichem Maße auch zur Degradation von Böden geführt. Brennpunkte sind dabei neben Küstengebieten vor allem alpine Regionen. So er-schließen etwa in den Alpen Skilifte und Wanderwege bislang unberührte Gegenden, was die Ausdehnung der flächen-intensiven Formen sportlicher Aktivitäten ermöglichte. Folgen sind die Zerstörung oder Beeinträchtigung der Pflan-zendecke und der Baumvegetation, was in Verbindung mit starker mechanischer Belastung und anderen Eingriffen in den Naturhaushalt (Planierung, Geländekorrekturen, Schneekanonen) vor allem zu Bodenerosion durch Wasser und Wind führt. Inzwischen sind manche Regionen derart geschädigt, daß die Wohnansiedlungen dort ganzjährig der Ge-fahr von Erdrutschen bzw. Lawinen ausgesetzt sind.

Ein zweiter großer Tourismusstrom zieht in strandnahe Gebiete. Der Massentourismus an Stränden bzw. auf Inseln bedeutet für den Boden zumeist zusätzlichen Flächenverbrauch durch Versiegelung von strandnahen Gebieten durch Bau touristischer Infrastruktur wie Hotels, Zweitwohnungen, Ferienhäuser, Verkehrswege (vgl. „Los- Angeles-Syn-drom“). Im Mittelmeergebiet sind zur Zeit etwa 4.400 km2durch touristische Wohninfrastruktur verbaut, wobei noch eine Verdopplung bis zum Jahr 2000 prognostiziert wird. Zudem induziert diese Form des Tourismus eine starke Zu-nahme des örtlichen Verkehrs; die Folge sind zunehmende Luftbelastung und ein weiterer Ausbau von Straßen.

Die starke, oft saisonal unterschiedliche Belastung der Tourismusgebiete bringt besondere Probleme bei der Abwasserbehandlung mit sich, Kontamination und Eutrophierung küstennaher Regionen können die Folge sein. Zu-dem wird das steigende Abfallaufkommen zunehmend zum Problem. Im Mittelmeerraum verursacht der Tourismus derzeit rund 2,8 Mio. t Abfall, prognostiziert sind ca. 10 Mio. t im Jahr 2000. Steigender Flächenbedarf für Entsor-gungsanlagen mit entsprechenden Problemen der Grundwasserkontamination sind die Folge. Des weiteren kommt es durch die touristische Erschließung in den betroffenen Gebieten oft zu einem Mangel an Süßwasser (swimming pools, hoher Wasserbedarf der Touristen), das in den Tourismusgebieten oftmals ohnehin knapp ist. Die Folge ist Konkur-renz mit der einheimischen Bevölkerung um Wasser für deren privaten Gebrauch und für die Landwirtschaft. Lang-zeitfolgen können Grundwasserabsenkung, Bodenaustrocknung und Erosion sein.

Von den Auswirkungen der touristischen Aktivitäten, die im „Alpen-Syndrom“ zusammengefaßt werden, sind an Kü-stengebieten und Inseln zur Zeit besonders betroffen: das Mittelmeer, die europanahen subtropischen Inseln (Madeira, Kanaren), die tropischen Inseln in der Karibik, im Indischen Ozean (Malediven, Seychellen) und in der Südsee. Be-sonders betroffene Bergregionen sind die Alpen, die Bergregionen Nordamerikas, der Himalaya und zunehmend auch die Anden.

Induziert wird das wachsende Tourismusaufkommen unmittelbar durch steigende Einkommen in den Industrieländern bei gleichzeitig sinkenden Arbeitszeiten, d.h. durch mehr Freizeit. Die sinkenden relativen Preise in diesem Sektor sind

182 D 1.3.3 Hauptsyndrome der Bodendegradation

Automatisierung, Mechanisierung

Zunahme ethnischer und nationaler Konflikte

Anspruchssteigerung Individualisierung

Urbanisierung Zersiedelung Zunehmender Tourismus

Wirtschaftswachstum Änderung des Verkehrsträgermix

Abfallakkumulation

Erosion, morphologische Änderungen Versiegelung

Konversion von naturnahen Ökosystemen (Wälder, Feuchtgebiete etc.) Absinken des Grundwasserspiegels Troposphärenverschmutzung

Süßwasserverknappung Ausbau der Verkehrswege Wachsendes Verkehrsaufkommen

Verlust biologischer Vielfalt Zunahme von Freizeit

Monotonisierung des Alltagslebens

visuelle Landschaftsbelastung WISSENSCHAFT / TECHNIKGESELLSCHAFTLICHE ORGANISATION

BEVÖLKERUNG PSYCHOSOZIALE SPHÄRE

WIRTSCHAFT VERKEHR

BIOSPHÄREHYDROSPHÄREATMOSPHÄRE LITHOSPHÄRE / PEDOSPHÄRE

Abbildung 43:Syndromspezifisches Beziehungsgeflecht: Alpen-Syndrom

D 1.3.3 Hauptsyndrome der Bodendegradation 183

Folge und Ursache des Problems zugleich. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die leichte Erreichbarkeit von fast allen Rei-sezielen, nicht nur im Sinne einer technischen Erreichbarkeit durch den Ausbau der Infrastruktur, sondern auch im Sinne einer subjektiv als problemlos empfundenen Überwindung selbst größter Distanzen.

Für viele Regionen ist der Tourismus inzwischen ein Haupterwerbszweig, was Konkurrenz und oft einen zerstöreri-schen Wettlauf im Angebot (z.B. Technisierung der Skipisten und Lifte) zur Folge hat. Ein weiteres Problem auf psy-chologischer Ebene besteht darin, daß trotz steigenden Umweltbewußtseins der Zusammenhang zwischen Urlaubsakti-vitäten und Umweltbelastung nicht erkannt oder aber negiert wird.

Ansonsten sind die Ursachen des steigenden Tourismusaufkommens aus den Industrieländern äußerst vielschichtig.

Die zunehmende Gesichtslosigkeit und Anonymität vieler Wohnsiedlungen und das steigende Verkehrsaufkommen in den Städten bewirken ein Bedürfnis nach Erholung, die innerhalb dieses Rahmens nicht mehr möglich erscheint. Hin-zu kommt eine, Hin-zumindest subjektiv empfundene, Monotonie des Alltagslebens, die den Drang, Neues, Ungewohntes zu erleben, wesentlich bedingt. Des weiteren besteht ein Zusammenhang zwischen Sozialstatus und Urlaubsaktivität.

Hier spielen vor allem Fernreisen zu exotischen Zielen eine wichtige Rolle. Auch ein gestiegenes Bildungsniveau hat zu einem vermehrten Interesse an fremden Kulturen und damit zu vermehrter Reiseaktivität geführt.

Auswirkungen auf die Biosphäre sind die Schädigung bzw. der Verlust von empfindlichen Berg- und Küsten-ökosystemen (z.B. Dünenlandschaften, Salzwiesen). Eine Konsequenz daraus ist der Verlust an biologischer Vielfalt.

Die Hydrosphäre wird besonders in mediterranen und tropischen Strandgebieten durch mangelhaft geklärte Abwässer belastet, was Eutrophierung zur Folge hat und ebenfalls die biologische Vielfalt beeinträchtigt. Der Anstieg von Fern-reisen mit dem Flugzeug (1994 wurden weltweit etwa 1,4 Mrd. Flugtickets verkauft) in den letzten Jahren trägt zur steigenden Belastung der Atmosphäre durch Luftschadstoffeinträge bei. Abgelegene, noch unberührte Gebiete werden in jüngster Zeit gerne unter dem Schlagwort des „sanften Tourismus“ erschlossen. In vielen Fällen führt allerdings selbst dies zu einer Destabilisierung fragiler Ökosysteme, Folge ist hier u.a. ein Verlust an biologischer Vielfalt.

Potentielle Abhilfemaßnahmen und Hinweise

Negative Auswirkungen des Tourismus auf die Böden können durch bestimmte Regelungen zumindest vermindert werden wie:

● Konzentration touristischer Infrastruktur (Hotelbauten, Erschließung von Zugängen, Straßen, Flugpisten) auf öko-logisch stabile Regionen,

● Entwicklung bodensparender/bodenangepaßter touristischer Infrastruktur (Sportstätten, Parkplätze).

Als kurative Strategie kommt aber auch eine räumliche und/oder zeitliche Einschränkung bodenschädigender touristi-scher Aktivitäten in Betracht. Präventiv ist eine Umwelt- bzw. Bodenverträglichkeitsprüfung bei der Einrichtung von touristischer Infrastruktur (Skipisten, Liftanlagen, Parkplätzen) vorzusehen. Zu prüfen sind die Möglichkeiten des Ein-satzes ökonomischer Instrumente (Abgaben) zur Steuerung ökologisch sensibler Flächennutzungen.

Ergänzende Literatur:

Dundler, F. und Keipinger, F. (1992): Urlaubsreisen 1954 – 1991. Starnberg: Studienkreis für Tourismus.

Hahn, H. und Kagelmann, H. J. (1993): Tourismuspsychologie und Tourismussoziologie. München: Quintessenz.

Hamele, H. (1987): Tourismus und Umwelt. Starnberg: Studienkreis für Tourismus.

Hasse, J. und Schumacher, F. (1990): Sanfter Tourismus. Über ein konstruktives Verhältnis von Tourismus, Freizeit und Um-weltschutz. Bunderhee: Verlag für Umweltforschung.

Klingenberg, K.H., Trensky, M. und Winter, G. (1991): Wende im Tourismus. Vom Umweltbewußtsein zu einer neuen Reise-kultur. Stuttgart: Verlagswerk der Diakonie.

Krippendorf, J. (1975): Die Landschaftsfresser. Tourismus und Erholungslandschaft – Verderben oder Segen? Bern, Stuttgart:

Hallwag.

Krippendorf, J. (1986): Alpsegen – Alptraum. Für eine Tourismus-Entwicklung im Einklang mit Mensch und Natur. Bern:

Kümmerle und Frey.

Opaschowski, H.W. (1991): Ökologie von Freizeit und Tourismus. Freizeit- und Tourismusstudien. Opladen: Leske und Budrich.

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