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Bodenbewußtsein: Ansätze zur Umwelterziehung in Costa Rica

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Boden gehört aufgrund seiner Funktion als Grundlage der Nahrungsmittelproduktion zu den kostbarsten, aber auch am stärksten gefährdeten Ressourcen. Im Vergleich zu anderen Umweltproblemen, z.B. solchen, die mit Wasser oder Luft verbunden sind, findet Boden (noch) zu wenig Beachtung. Dies belegen Umfrageergebnisse oder Unter-suchungen zum Umweltbewußtsein ebenso wie die geringe Bedeutung, die dem Boden in Umwelterziehungspro-grammen zukommt.

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Ein anderes Bild zeigt sich in Costa Rica, einem Land, das heute nur noch 17% seiner ursprünglichen Waldbe-deckung aufweist. Die einstmals riesigen Waldflächen wurden in Weideflächen für eine exportorientierte Rindfleischproduktion oder in Ackerflächen für die Produktion von Nahrungsmitteln für eine rasch anwachsende Bevölkerung sowie für devisenbringende Erzeugnisse wie Kaffee, Kakao oder Bananen verwandelt (Cash Crops).

Die Folgen der Entwaldung und der unangepaßten Landnutzungsformen für die Böden sind offensichtlich (vgl. Ka-sten 8).

Die Notwendigkeit von Maßnahmen zum Schutz des Waldes und der Böden wird in Costa Rica erkannt. Es gibt verschiedene Strategien und konkrete Ansätze, um der Probleme Herr zu werden (vgl. Kasten 14). Erkannt wurde auch die Notwendigkeit einer umfassenden Umwelterziehung. 1988 wurde ein erstes Grundsatzprogramm zur Umwelterziehung vom Ministerium für Ressourcen, Energie und Bergbau (MIRENEM) und vom Erziehungsmini-sterium (MEP) vorgelegt. Im Gegensatz zu kurzfristig wirkenden ökonomischen und politischen Maßnahmen sind Erziehungsprogramme eher auf eine langfristige Wirkung angelegt, vor allem, wenn man, wie in Costa Rica, damit schon die Kinder in den ersten Schuljahren zu erreichen versucht. Im Rahmen des PRODAF-Projekts (Proyecto Desarollo Agricola Forestal), einem vom MAG (Landwirtschaftsministerium), MIRENEM und der GTZ in Deutschland getragenen Projekt zur Entwicklung angepaßter, nachhaltiger Produktionssysteme im agroforstlichen Bereich, wurde unter aktiver Beteiligung der Gemeindemitglieder eine Reihe von Lehrmaterialien entwickelt (Abb.

21). Für den Unterricht in Schulen gibt es z.B. für verschiedene Schulstufen insgesamt zehn Malbücher, in denen die Schüler zunächst den „Baum“, den „Wald“, den „Boden“ mit ihren Bestandteilen, Wachstumsprozessen und Funktionen kennenlernen, aber auch den Aufbau der „Biosphäre“ oder das Funktionieren von „Ökosystemen“. Be-reits im sechsten Heft lernen die Kinder, was beim Pflanzen eine Baumes zu beachten ist, und dieses Wissen wird schließlich auch bei Baumpflanzaktionen in die Praxis umgesetzt. Ein wichtiges Thema ist die Bodenerosion: Ursa-chen, Folgen und vor allem Abhilfemaßnahmen lernen die Schüler anhand eines großen Puzzle kennen. Durch eine Vorher- und Nachher-Version erfahren sie, wie die verschiedenen Formen von Bodendegradation durch einzelne Sanierungsschritte wieder kuriert werden können. Bis 1993 haben – allein im Rahmen dieses Projekts – 4.500 Kin-der in 75 Schulen an solchen Umwelterziehungsprogrammen teilgenommen.

Umwelterziehung ist aber nicht auf Programme in den Schulen beschränkt. Vielmehr bemüht man sich, alle Bevöl-kerungsgruppen zu erreichen, insbesondere solche, die, wie die Bauern, unmittelbar mit der Bodenbearbeitung und Waldbewirtschaftung zu tun haben. Das Prinzip der Wissensvermittlung beruht auf Kommunikation und Partizipa-tion. Den als selbstbewußt und besserwisserisch geltenden Farmern wird nichts aufgezwungen, es gibt keine Beleh-rung; vielmehr wird auf dem vorhandenen Wissen und den kulturellen Überzeugungen der Farmer aufgebaut, um mit ihnen zusammen und durch sie motiviert, Techniken der nachhaltigen Landbewirtschaftung zu lernen.

Daß in einem solchen Kommunikationsprozeß viele Barrieren zu überwinden sind, wird deutlich, wenn man einige der in Costa Rica weitverbreiteten kulturellen Überzeugungen und sozialen Normen kennt:

– Wald gilt als „feindlich“, erst bezwungener, kontrollierter Wald ist „guter“ Wald.

– Boden muß „sauber“ sein, d. h. von Bäumen, Wurzeln, Unkraut befreit. Je sauberer der Boden, desto höher der Preis, den man beim Verkauf erzielen kann. Anstelle eines Vorgartens sieht man auf dem Land in Costa Rica häufig blanke Erde, die sorgfältig mit weiß bemalten Steinen eingefaßt und vom letzten Hälm-chen befreit wur-de.

– Höchstes Sozialprestige genießt der Viehzüchter. Daher wird selbst auf ungeeigneten Böden noch Vieh gehalten, anstatt besser angepaßte Bewirtschaftungsformen zu übernehmen.

Derartige Vorstellungen und Präferenzen muß man kennen, wenn man Erwachsene, aber auch Kinder und Jugendli-che, für Umweltprobleme sensibilisieren und zum nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen bewegen will.

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1.3.1.7.4 Bodendegradation und menschliches Verhalten

Im Gegensatz zu anderen Umweltproblemen, denen oft ohne weiteres abgrenzbare Verhaltensmuster als auslösende bzw.

aufrechterhaltende Faktoren zugeordnet werden können (z.B. Treibhauseffekt: CO2-Anstieg durch Nutzung fossiler En-ergieträger beim Heizen, Autofahren usw.), ist die Bodendegradation auf den ersten Blick relativ weit von konkreten Einzelhandlungen entfernt. Lange, indirekte Kausalketten zwischen einzelnen Verhaltensweisen und der daraus resultie-renden Bodenschädigung, etwa zwischen dem Konsum von Schweinefleisch in Deutschland und der Bodendegradation durch Überdüngung von Agrarflächen in einem Entwicklungsland, auf denen Importfutter für deutsche Schweine ange-baut wird (Buntzel, 1986), führen dazu, daß Ursache-Wirkungs-Beziehungen kognitiv nicht repräsentiert sind und dem-entsprechend auch nicht handlungsleitend werden können (vgl. 1.3.1.7.2).

Abbildung 21:Lehrtafeln für Schulkinder in Santa Marta, Costa Rica, über Bodendegradation Quelle:PRODAF

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Dies hängt zum einen mit der Vielzahl der qualitativ unterscheidbaren Degradationsformen (z.B. Bodenverdichtung, -versauerung, -versiegelung) zusammen, die durch eine ganze Reihe unterschiedlicher menschlicher Handlungen be-dingt sind (z.B. Autofahren, Heizen, Bauen), welche allerdings häufig additiv bzw. synergistisch wirken können. Zum anderen ist der einzelne in seinem alltäglichen Verhalten kaum einmal unmittelbar als Bodenschädiger auszumachen.

Vielmehr scheinen es in erster Linie überindividuelle Akteure wie die Landwirtschaft (Überdüngung, Bodenverdich-tung), die Industrie (Emissionen, Altlasten) oder die Bau- und Planungsbehörden (Nutzungsänderungen, Bodenversie-gelung) zu sein, die für die – meist langfristige – Schädigung von Böden verantwortlich sind. Lösungsansätze zur Bo-denproblematik müssen folglich auf mehreren Ebenen ansetzen und zudem beachten, daß sich hinter den genannten anonymen Akteuren stets Menschen mit ihren Wahrnehmungen, Einstellungen, Werthaltungen, ihrem Wissen verber-gen, die aber auch als Rollenträger unter bestimmten Einflüssen und Zwängen handeln. Wichtig für den Umgang mit Boden sind dabei insbesondere die Eigentums- und Besitzverhältnisse sowie – damit zusammenhängend – die Dauer der Nutzung (vgl. Tab. 21).

Auf der Suche nach den treibenden Kräften anthropogener Bodendegradation kommt den in den vorangegangenen Ab-schnitten vorgestellten Faktoren (mangelnde Wahrnehmbarkeit, mangelnde Wertschätzung, Indirektheit der Bodende-gradation) vermutlich nur eine verhältnismäßig geringe Bedeutung zu. Zumindest für die alten Industrieländer und für die neuen Industrieländer (newly industrializing countries, NICs), liegt die Annahme nahe, daß eine wesentliche Ursa-che der Bodendegradation in der vorherrsUrsa-chenden Art des Wirtschaftens und den entspreUrsa-chenden Strukturen (extreme räumliche Arbeitsteilung, spezialisierte Produktion und monofunktionale Nutzung des Raumes) zu suchen ist. So las-sen Wachstumsdenken und Sachzwanglogik bei wirtschaftlichen Entscheidungen ökologische Schäden oft nur als Ne-benwirkungen oder als unumgängliches Übel erscheinen, etwa, um als Industrie- oder Landwirtschaftsbetrieb konkur-renzfähig bleiben oder „überleben“ zu können.

Auf kurzfristige, individuelle Gewinnmaximierung angelegtes Verhalten in vielen Bereichen der Anthroposphäre (z.B.

unsachgemäße Entsorgung schadstoffhaltiger Produkte, Überdüngung von Agrarflächen) führt häufig zu langfristiger Bodendegradation, unter der letztlich die Allgemeinheit zu leiden hat.

Allerdings ist die entscheidende „Ursache“ für menschliche Eingriffe in den Boden bereits weit vor der Industrialisie-rung anzusiedeln. Bereits mit dem Seßhaftwerden des Menschen vor etwa 10.000 Jahren wurden massive Eingriffe in den Naturhaushalt unumgänglich: Rodungen und Bodenbearbeitung boten erst die Voraussetzungen für den Anbau von Kulturgräsern zur Sicherung der Ernährungsgrundlage. Zugleich war mit der Seßhaftwerdung aber auch der ent-scheidende Impuls für das Wachsen der Bevölkerung und damit auch für die Erfordernis weiterer Ausbeutung der Ressource Boden gegeben: Ein Prozeß mit positivem Rückkopplungseffekt kam in Gang (Achilles, 1989).

Tabelle 21: Taxonomie bodenbezogenen Verhaltens

Verhaltensart Status

Eigentum Besitz Temporäre Nutzung

Agrarisch-produktiv Landwirt Pächter

Baulich-konsumtiv Bauherr, Architekt Architekt, Baugewerbe

Gewerblich-konsumtiv Unternehmer Unternehmer

Infrastrukturell-konsumtiv Betreiber Nutzer

Rekreativ-konsumtiv Eigentümer (Eigenbedarf) Mieter Nutzer

Ökologisch-konservierend Naturschützer

Monetär orientiert Anleger, Vermieter,

Verpächter Beauftragter Investor

Normen setzend Gesetzgeber, Planer

Quelle: Farago und Peters, 1990

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Jeder und jede einzelne trägt tagtäglich erheblich zur weiteren Belastung der Pedosphäre bei, wenn auch nur indirekt und in den meisten Fällen, ohne es zu merken: Die Liste der im weiteren Sinne boden-relevanten Verhaltensweisen reicht von der Wahl des Wohnorts und dem (häufig damit zusammenhängenden) Mobilitätsverhalten über den Kon-sum von Waren und Dienstleistungen (z.B. Art der Ernährung, Abfallproduktion) bis hin zum Freizeitverhalten (Tou-rismus).

Eine entsprechende quantitative Abschätzung der jeweiligen Anteile menschlichen Verhaltens am Gesamtphänomen Bodendegradation, wie sie etwa für den Treibhauseffekt vorgenommen wurde (WBGU, 1993), scheint zwar kaum möglich zu sein. Das bedeutet jedoch nicht, daß man die einzelnen Bürgerinnen und Bürger aus ihrer alltäglichen (Mit-)Verantwortung für das kollektiv bedeutsame Gut Boden entlassen könnte.

Kasten 20

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