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Bodennutzung, Tragfähigkeit, Nahrungsversorgung

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Zur ökonomischen Bewertung der Bodendegradation

1.2.3 Bodennutzung, Tragfähigkeit, Nahrungsversorgung

In den vorangehenden Abschnitten wurden umfassende Bewertungsschemata vorgestellt, mit deren Hilfe es möglich wird, anthropogene Belastungen im Hinblick auf die Lebensraum-, Regelungs- als auch Nutzungsfunktion der Bö-den zu beurteilen. Dies soll mit dem Ziel erfolgen, weltweit die Degradation von BöBö-den zu reduzieren und eine stan-dortgerechte, nachhaltige und umweltschonende Bodennutzung zu gewährleisten.

Wesentlich hierbei ist es festzustellen, wie groß das Vermögen von Standorten ist, vom Menschen verwertbare Pro-dukte zu erzeugen, um darauf aufbauend deren Tragfähigkeit für die Bevölkerung zu ermitteln. Der Begriff der Tragfähigkeit stammt aus der Ökologie und bezeichnet die Anzahl von Individuen einer Art, die pro Flächeneinheit ihres Lebensraumes langfristig überleben kann. Bei Überschreitung dieses Wertes wird die Lebensgrundlage betroffen und letztlich zerstört, die Population wird abwandern oder zusammen-brechen. So gesehen stellt die Tragfähigkeit gemäß der vorher gegebenen Definition eine kritische Größe dar.

Tabelle 9: Kostenfaktoren der Bodenbelastung durch globale Umweltveränderungen

Primär- Kostenfaktoren Funktion

beeinträchtigungen L N R

Beeinträchtigung Störung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Zersetzung x der Lebensraumfunktion organischer Substanz

Maßnahmen zur Minimierung der Störeinflüsse durch Klima- x

und Nutzungsänderungen (auf Stoffakkumulation und -freisetzung)

Beeinträchtigung Produktionsverluste durch klimatische Einflüsse x

der Nutzungsfunktion (CO2, UV-B-Strahlung, Temperatur, Niederschlag) Düngung, Schädlingsbekämpfung zur Ertragssteigerung, Erhaltung der Produktion

Schutz empfindlicher, wenig belastbarer Böden x x

Schutz anderer Ökosysteme x x

Bereitstellung zusätzlicher Produktionsflächen

Forschung und Verwertung/Weitergabe der Ergebnisse

Rückstände im Wasser, in anderen Ökosystemen und Nahrungsmitteln x Beschaffung zusätzlicher Nahrungsmittel

Verlust natürlicher Bodenflächen x x

Beeinträchtigung künstliche Bewässerung, Wasserbeschaffung x

der Regelungsfunktion (bei Versiegelung, Verdichtung, Humusmangel)

Erhalt des Bodens als Filter, Puffer und Transformator für x x sauberes Grundwasser

schlechte Bodenbedeckung durch Vegetation (verhindert CO2-Abbau) x x

Erhaltung des Bodens als Kohlenstoffspeicher x x

Kompensation für N2O-Freisetzung aus fruchtbaren und stark gedüngten landwirtschaftlichen Flächen (Wasser-/Wärmehaushalt)

Reduzierung der CH4-Emission aus natürlichen und künstlichen Feuchtgebieten (besonders Reisanbau) Schadstoffaustritt aus Böden bei nachlassender Speicherfähigkeit

Quelle: WBGU, 1993

L = Lebensraumfunktion N = Nutzungsfunktion R = Regelungsfunktion

72 D 1.2 Belastbarkeit und Tragfähigkeit

Das Vermögen, unter den jeweils herrschenden Standortbedingungen Nahrungsmittel zu produzieren, ist begrenzt. Die Begrenzungen liegen in der Qualität der Böden, den klimatischen Bedingungen und den angewandten oder verfügba-ren Strategien der Landbewirtschaftung.

Wie oben gezeigt wurde, kann es durch Einträge, Eingriffe oder Austräge zu Bodendegradation kommen, deren Folge auch eine reduzierte Produktivität der Böden sein kann und damit verbunden eine verminderte Tragfähigkeit. Pro Flächeneinheit können dann weniger Menschen ernährt werden als vorher. Umgekehrt können durch Bodenverbesse-rungen (Düngung, Be- oder Entwässerung, Melioration) aber auch bodeninterne Mängel kompensiert werden, wo-durch der Ertrag und damit auch die Tragfähigkeit erhöht werden kann; auch wo-durch pflanzenbauliche Maßnahmen (Be-wirtschaftung, Züchtung) lassen sich die Erträge erhöhen. Alle Maßnahmen zur Steigerung der Erträge sind aber nur im Rahmen des Produktionspotentials der Standorte möglich und werden darüber hinaus stark durch sozioökonomi-sche Größen gesteuert, die den Einsatz fördernder Maßnahmen ermöglichen oder verhindern (Puetz et al., 1992).

Die Tragfähigkeit für die Bevölkerung wird somit durch die Zahl der Menschen bestimmt, die langfristig pro Flächeneinheit Boden bei herrschendem Klima und den jeweiligen Nutzungsbedingungen ausreichend mit Nahrungs-mitteln und nachwachsenden Rohstoffen versorgt werden kann, ohne daß es zur Degradation der Böden und zur über-mäßigen Belastung von Nachbarsystemen kommt. Zur Sicherung der Langfristigkeit der Bodenbewirtschaftung sollte die Produktion mit einem Minimum an externer Energie und an Rohstoffen erfolgen.

Auf der Basis des Tragfähigkeitskonzepts können die kritischen Populationsdichten für jede Region abgeschätzt wer-den, deren Überschreitung auf längere Sicht zur Degradation der Böwer-den, zur Produktionsminderung, zu Hunger und damit verbunden zu Migration oder zum Bevölkerungsrückgang führt (siehe Kap. D 1.3.1.4).

Tragfähigkeitsermittlungen sollten jedoch möglichst von einem erweiterten Ansatz ausgehen, der nicht nur die Befriedi-gung der Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Brennmaterial und Wohnraum berücksichtigt, sondern auch die so-zialen und kulturellen Voraussetzungen menschlichen Lebens einbezieht. Auch unter den bescheidensten Lebensbedin-gungen besteht ein Bedarf nach Gütern, die nicht zur Sicherung des Existenzminimums dienen und deren Erstellung und Nutzung ebenfalls mit einer Inanspruchnahme von Bodenfunktionen verbunden ist. Die Tragfähigkeit von Böden wird maßgeblich davon beeinflußt, wie mit den natürlichen Ressourcen umgegangen wird. In den Industrieländern ist die Tragfähigkeit nur dadurch so hoch, daß in großem Umfang externe Energie und Rohstoffe eingesetzt werden – ein Mo-dell, das weltweit nicht übertragbar ist. Zunehmend spielen Abfälle, die Art ihrer Entsorgung sowie Spurengase eine Rolle für die Begrenzung der Tragfähigkeit von Böden. Dabei liegt die Begrenzung nicht allein in der Belastung von Bö-den, sondern auch in der von Nachbarsystemen.

Die Erkenntnis, daß weder die Umwelt noch Nutzer und Verbraucher durch die Landnutzung zusätzlich belastet wer-den dürfen, ist relativ neu bzw. nicht allgemein akzeptiert. Bei bisherigen Betrachtungen wurde diese Limitierung der Bodennutzung zu wenig mit einbezogen, sie sollte aber auch und gerade in den Entwicklungsländern frühzeitig berücksichtigt werden, damit die Fehler der Industrieländer nicht wiederholt werden.

Auch die Entwicklung verbesserter Technologien und die wachsende Fähigkeit, auftretende Probleme zu lösen, haben natürlich Einfluß auf die Tragfähigkeit der Böden. Hinzu kommt das soziale, kulturelle und ökonomische Verhalten der Menschen. Ohne die Einbeziehung gerade der letztgenannten Faktoren wird die Ermittlung der zukünftigen Trag-fähigkeit von Böden unvollkommen bleiben.

Trotz der genannten Vorbehalte ist das Tragfähigkeitskonzept auf der Basis der unbedingt erforderlichen Nahrungs-mittelversorgung für die Regionen der Erde, in denen gegenwärtig ein starkes Wachstum der Bevölkerung stattfindet, ein Ansatz, um auf bestehende und zu erwartende Mißverhältnisse zwischen der Tragfähigkeit und der Bevöl-kerungsdichte aufmerksam zu machen. Darauf aufbauend können vorsorgende Entlastungsstrategien entwickelt wer-den, die Mangelernährung und Hunger vermeiden und die daraus resultierenden Migrationen oder militärischen Kon-flikte verhindern helfen.

Die Tragfähigkeit natürlicher terrestrischer Ökosysteme ist für Menschen äußerst gering, da von der produzierten Bio-masse nur sehr geringe Anteile direkt von den Menschen als Nahrung genutzt werden können. Auch das Erlegen von Tieren, die von der produzierten Biomasse leben, erhöht diese Tragfähigkeit nur unwesentlich, da die Überführung von pflanzlicher in tierische Biomasse mit erheblichen Energieverlusten verbunden ist.

D 1.2 Belastbarkeit und Tragfähigkeit 73

Der weitaus größte Teil der Erdbevölkerung ist also auf die gezielte Nutzung terrestrischer Ökosysteme angewiesen.

Dies geschieht auf etwa 11% der Landfläche der Erde in Form des Ackerbaus mit unterschiedlicher Intensität und durch Beweidung eines großen Teils der Grünländer, die ca. 25% der eisfreien Landoberfläche ausmachen. Zuneh-mend werden auch die Wälder, die zur Zeit noch etwa 30% der Landoberfläche bedecken, in den Nutzungsprozeß ein-bezogen, wobei aber ein immer größerer Anteil durch Rodung verloren geht. Es muß nicht speziell darauf hingewiesen werden, daß jede Form der Landnutzung durch den Menschen zu Lasten natürlicher Systeme geht, die dabei in Struk-tur und Funktion verändert werden. Letzteres bedeutet jedoch nicht, daß sich der bodenchemische Zustand oder die biologische Vielfalt in jedem Fall negativ verändern muß. Die vorindustrielle Landwirtschaft in Mitteleuropa ist ein Beispiel für die Zunahme der biologischen Vielfalt, gleichzeitig aber auch ein Beispiel für eine fortschreitende Bodendegradation.

Im Vergleich zu der Nettoprimärproduktion (NPP) natürlicher Ökosysteme, die über sehr lange Zeiträume ihre Bio-masseproduktion optimiert haben und deren Pflanzengesellschaften an die jeweiligen Standortbedingungen gut ange-paßt sind, weisen landwirtschaftliche Kulturen meist eine wesentlich geringere NPP auf. Besonders in den Entwick-lungsländern beträgt die NPP der Kulturpflanzen oft nur 10 bis 20% der natürlichen Produktivität der Standorte. Dies deutet darauf hin, daß die Effizienz der durch den Menschen betriebenen Pflanzenproduk-tion im Vergleich zur NPP natürlicher Ökosysteme noch nicht weit fortgeschritten ist (FAO, 1993a).

Die NPP der natürlichen Ökosysteme ist nicht gleichmäßig über die Landoberfläche verteilt, sondern weist zwei Zo-nen mit hoher Produktivität auf, zum eiZo-nen im tropischen Bereich und zum anderen in den gemäßigten ZoZo-nen. In Abb.

11 ist die globale Verteilung der NPP dargestellt (Esser, 1993). Neben der Temperatur, der Niederschlagsmenge und -verteilung hängt die NPP stark von der Fruchtbarkeit der Böden ab. Der Kohlenstoff ist eng mit der organischen Sub-stanz des Bodens (Humus) verknüpft und kann als Indikator für den organischen Träger der Bodenfruchtbarkeit ange-sehen werden. Es zeigt sich, daß die Fruchtbarkeit der Böden der Tropen im wesentlichen auf der organischen Sub-stanz beruht, während im temperaten Klimabereich der mineralischen und der organischen Komponente große Bedeu-tung zukommt. Dies hat Konsequenzen für die Produktivität landwirtschaftlicher Kulturen, da die organische Substanz in Böden schneller und intensiver auf den Eingriff des Menschen reagiert als deren mineralische Substanz. Der starke Rückgang der NPP nach Inkulturnahme der Böden (Beweidung, Ackerbau) durch den Menschen beruht u.a. auf fol-genden Ursachen:

– Der Anbau von Monokulturen oder von stark vereinfachten Fruchtfolgen führt zu Entkopplungsprozessen im Stoff-haushalt und damit zur Nährstoffverarmung und Versauerung.

– Dieser Prozeß wird noch verstärkt durch den Export von Biomasse und deren nur teilweiser Rückführung.

– Die Bodenbearbeitung führt zum Humusabbau und damit zum Abbau von Nährstoffspeichern und Gefügestabilisa-toren.

– Der Parasitenbefall wird bei einheitlichen Beständen stärker.

– Intensive Beweidung reduziert die Diversität und die Dichte der Pflanzenbestände.

– Die Anpassung der Kulturpflanzen an die jeweiligen Standortbedingungen ist in der Regel nicht so gut wie diejeni-ge nativer Pflanzen.

– Angepaßte Kulturpflanzen werden zunehmend durch ertragreichere, aber weniger gut angepaßte Züchtungen er-setzt.

– Das zeitweise Fehlen einer geschlossenen Pflanzendecke oder die Auflichtung von Pflanzenbeständen erhöht die Bodendegradation und vermindert damit die Produktivität der Böden.

– Das Abbrennen von Bestandsabfällen führt zu Nährstoffverlusten und zur Minderung der biologischen Aktivität in den Böden.

Abb. 12 zeigt eine Karte, in der der relative Anteil der NPP der Kulturpflanzen im Verhältnis zu der potentiellen natürli-chen NPP dargestellt wird (Esser, 1993). Die Karte verdeutlicht, daß die NPP landwirtschaftlicher Kulturen in großen Teilen der Welt weit hinter der Produktivität natürlicher Vegetation liegt. Sie zeigt auch, daß bisher beim Ackerbau nur dort, wo mit hohem Aufwand an Düngemitteln und Pestiziden gearbeitet wird, eine Biomasseproduktion in Höhe der potentiellen natürlichen NPP erreicht oder überschritten wird. Beispiele dafür finden sich besonders in Westeuropa.

Allerdings sind dort die hohen Erträge nur unter den herrschenden ökonomischen Bedingungen rentabel und häufig mit erheblichen Umweltbelastungen durch die Landwirtschaft sowie mit hohem Einsatz von Energie verbunden, so daß die-se Nutzung weltweit nicht als Modell gedie-sehen werden kann.

74 D 1.2 Belastbarkeit und Tragfähigkeit

über 1.000 950 - 1.000 900 - 950 850 - 900 800 - 850 750 - 800 700 - 750 650 - 700 600 - 650 550 - 600 500 - 550 450 - 500 400 - 450 350 - 400 300 - 350 250 - 300 200 - 250 150 - 200 100 - 150 50 - 100 unter 50

Abbildung 11:Globale Verteilung der Netto-Primärproduktion im Jahre 1980, in g Kohlenstoff m-2Jahr-1 Quelle:Esser, 1993

D 1.2 Belastbarkeit und Tragfähigkeit 75

Kasten 11

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