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Überbeanspruchung marginaler Standorte: Das „Sahel-Syndrom“

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Ergänzende Literatur:

1.3.3.3 Überbeanspruchung marginaler Standorte: Das „Sahel-Syndrom“

Eine andere in weiten Bereichen identifizierbare Art der Bodendegradation, das „Sahel-Syndrom“, zeigt sich typi-scherweise bei der landwirtschaftlichen Inanspruchnahme marginaler Standorte. Das Syndrom umfaßt die Überwei-dung und Übernutzung arider und semiarider Grasländer und die Erschließung steiler, strukturschwacher, erosionsan-fälliger Böden.

Im Sahel gehen seit der großen Dürre in den 70er Jahren jedes Jahr etwa 1,5 Mio. ha landwirtschaftlich nutzbarer Fläche durch Bodenerosion und Degradation verloren (Hahn, 1991). Inzwischen sind bereits ca. 90% des Weidelandes und 80% des unbewässerten Ackerlandes von zumindest schwacher Desertifikation betroffen. Die Brennpunkte der Übernutzung marginaler Standorte liegen neben der Sahelzone im Maghreb, in Ostafrika, Westarabien, Teilen Ost-und Zentralasiens, Indien, Mexiko, Mittelamerika Ost-und Teilen Ostbrasiliens. In all diesen Regionen führen analoge Ur-sachenkomplexe zu strukturell ähnlich gelagerten Bodenkrankheitsbildern vom Typ „Sahel-Syndrom“.

Das „Sahel-Syndrom“ beschreibt die Zerstörung der natürlichen Ressourcen durch unangepaßten Feldbau, Überwei-dung und Feuer (ausführlich hierzu Kap. D 2.1). Daraus resultiert eine verminderte Produktivität und besondere An-fälligkeit des Naturraumes. Zusammen mit den oftmals stark fluktuierenden jährlichen Niederschlägen in ariden Ge-bieten führt dies zu einer (raum-zeitlich variablen) Degradation von Steppen oder Savannen hin zu wüstenähnlichen Landschaften. Die Symptome dieser Desertifikation sind:

– Degradation der Pflanzendecke, Rückgang der Biomasseproduktion in der Primärvegetation als auch in der land-wirtschaftlichen Vegetation.

– Veränderungen im Wasserhaushalt (Bodenwasser, Grundwasser, Verdunstung, Oberflächenabfluß).

– Veränderte morphologische Prozesse wie verstärkte Wind- und Wassererosion und Reaktivierung von Dünenwan-derungen und Dünenneubildung.

– Degradation der Böden (Aridifizierung, verminderte Bodenfruchtbarkeit, Bodenverkrustung, -versalzung und -alkalinisierung, Bodenstrukturzerstörung).

Als eine Hauptursache ist die Landnutzungsänderung, von Subsistenzlandwirtschaft hin zu kapitalintensivem Monokul-turanbau von Cash Crops anzusehen (siehe auch „Dust-Bowl-Syndrom“ und „Aralsee-Syndrom“). Dadurch ist die länd-liche Bevölkerung verstärkt gezwungen, auf marginale Standorte auszuweichen. In Verbindung mit dem Bevölkerungs-wachstum führt das zu einer Ausdehnung der landwirtschaftlich genutzten Flächen und zur Intensivierung der Nutzung.

Hinzu kommt die Brennholznutzung bei immer knapper werdenden Holzvorräten.

Der Einfluß westlicher Kulturen durch die Kolonialisierung und später durch die modernen Medien hat eine Reihe so-zialer bzw. kultureller Veränderungen in den betroffenen Regionen angestoßen: die Konsumbedürfnisse veränderten sich, die Monetarisierung der vormals auf Tausch und gegenseitige Hilfeleistung ausgerichteten wirtschaftlichen Be-ziehungen führt zu einer Entfremdung von den natürlichen Lebensgrundlagen. Traditionelle Formen des Zusammen-lebens in Stämmen, Clans und Dörfern haben einer zunehmenden Individualisierung Platz gemacht. Eine der Folgen ist der Verlust traditionellen Wissens um angepaßte landwirtschaftliche Praktiken mit der entsprechenden Verände-rung der traditionellen Landwirtschaft.

162 D 1.3.3 Hauptsyndrome der Bodendegradation

Zentralisierung der Wirtschaftsplanung

Anomie von Landnutzungsrechten Automatisierung, Mechanisierung

Soziale und ökonomische Marginalisierung Institutionalisierung von SozialleistungReduktion kultureller Vielfalt Normenerosion

Anspruchssteigerung Individualisierung Bevölkerungswachstum Inhomogenisierung der Verteilung Migration Monetarisierung Globalisierung der Märkte

Internationale Verschuldung

Fertilitätsverlust (Humus, Nährstoffe) Erosion, morphologische Änderungen

Konversion von naturnahen Ökosystemen (Wälder, Feuchtgebiete etc.) Destabilisierung naturnaher Ökosysteme

Übernutzung Absinken des Grundwasserspiegels

Süßwasserverknappung Globaler und regionaler Klimawandel Ausweitung der Bewässerung Versalzung, Alkalisierung

Ausweitung landwirtschaftlich genutzter Fläche Intensivierung der Landwirtschaft

Verlust biologischer Vielfalt Zusammenbruch der traditionellen Landwirtschaft WISSENSCHAFT / TECHNIKGESELLSCHAFTLICHE ORGANISATION

BEVÖLKERUNG PSYCHOSOZIALE SPHÄRE

WIRTSCHAFT VERKEHR

BIOSPHÄREHYDROSPHÄREATMOSPHÄRE LITHOSPHÄRE / PEDOSPHÄRE

Abbildung 35:Syndromspezifisches Beziehungsgeflecht: Sahel-Syndrom

D 1.3.3 Hauptsyndrome der Bodendegradation 163

Innenpolitisch werden diese Effekte vor allem durch die Förderung moderner Intensivlandwirtschaft, durch zentralisti-sche Strukturen ohne ausreichende Partizipationsmöglichkeit der ländlichen Bevölkerung und durch Bürokratismus verstärkt. Hinzu kommt die tendenzielle Geringschätzung der traditionellen Lebensweise, die oft in Repression mün-det (z.B. Seßhaftmachung von Nomaden).

Außenwirtschaftliche Zwänge ergeben sich durch verschlechterte terms of trade auf dem Weltmarkt. Die traditionellen Exportprodukte dieser Länder sind zumeist Rohstoffe, deren Preise immer weiter gesunken sind. In Verbindung mit ihrer hohen internationalen Verschuldung sind die betroffenen Länder zunehmend gezwungen, zusätzliche Devisen durch den Anbau von Cash Crops zu erwirtschaften.

Fehlkonzipierte Entwicklungshilfe, die der überhasteten Modernisierung der (land)wirtschaftlichen Strukturen oft den Vorrang vor lokalen, angepaßten, kleinskaligen Projekten gab und die Bedürfnisse und Traditionen der lokalen Bevöl-kerung nur ungenügend berücksichtigte, hat zumindest in der Vergangenheit ebenfalls zum Problem beigetragen.

Auswirkungen hat das „Sahel-Syndrom“ auf die Hydrosphäre, wo es zu Süßwasserverknappung und zum Absinken der Grundwasserspiegel kommt. Die Biosphäre ist durch die Konversion naturnaher Flächen (siehe auch „Sarawak-Syndrom“) und durch die Intensivierung der Nutzung betroffen, beides führt zum Verlust biologischer Vielfalt. Im Ge-folge von großflächiger Änderung der Vegetation können lokale oder regionale Klimaveränderungen auftreten. Auch in der Anthroposphäre hat die Bodendegradation erhebliche Auswirkungen. Der Verlust an Kulturfläche führt unter anderem zu Verarmung, Mangelernährung und Hunger, zu Migration und weiterer Intensivierung und Ausweitung der Landwirtschaft.

Potentielle Abhilfemaßnahmen und Hinweise

Die Übernutzung marginaler Standorte kann nur durch ein Bündel lokaler Maßnahmen, nationaler politischer Ent-scheidungen und internationaler Vereinbarungen gemindert werden:

● Angepaßte Intensivierung der Landwirtschaft zur Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung, unter Nutzung nachhaltiger Anbaumethoden (geeignete Fruchtfolgen, Bodenschutzmaßnahmen)

● Entwicklung von alternativen Einkommensquellen für die ländliche Bevölkerung

● Schutz regionaler Märkte vor subventionierten Agrarimporten, z.B. aus der EU

● Aufstellung von Landesentwicklungsplänen

● gezielte (partielle) Entschuldung der betroffenen Länder

Den Ländern, in denen auf marginalen Standorten auch nach Einführung bodenschonender und ertragssteigernder landwirtschaftlicher Praktiken die Ernährungsbasis nicht gesichert ist, muß Hilfe von außen gewährt werden. Dabei ist der Mitteleinsatz besser zu koordinieren und zu überwachen. Die Hilfe ist in Abstimmung mit der Regierung und der lokalen Bevölkerung besonders in die Erziehung, die Entwicklung angepaßter Technik, in Familienplanung und in den Aufbau von lokalen Märkten zu lenken.

Ergänzende Literatur:

Achtnich, W. (1984): Angepaßte Formen der Landnutzung im Sahel. Entwicklung und Ländlicher Raum, 18(6), 10 – 14.

Ibrahim, F. (1983): Sahel: Der Kampf gegen die Ausbreitung der Wüste. Entwicklung und Zusammenarbeit, 10/83, 26 – 29.

Lachenmann, G. (1992): „Grüner Wall gegen die Wüste“ oder ökologischer Diskurs im Sahel. In: Glaeser, B. und Teherani-Krönner, P. (Hrsg.): Humanökologie und Kulturökologie. Grundlagen, Ansätze, Praxis. Opladen: Westdeutscher Verlag, 329 – 356.

Mensching, H. (1990): Desertifikation: Ein weltweites Problem der ökologischen Verwüstung in den Trockengebieten der Erde. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Osman, M. (1992): Ausbreitung der Wüsten in Afrika. In: Barbro, I. und Kappel, R. (Hrsg.): Ökologische Zerstörung in Afrika und alternative Strategien. Bremen: Lit Münster, 80 – 95.

Schiffers, H. (1971): Die Sahara und ihre Randgebiete. Band 3. Physiogeographie. München: Weltforum.

164 D 1.3.3 Hauptsyndrome der Bodendegradation

1.3.3.4 Konversion bzw. Übernutzung von Wäldern und anderer naturnaher Ökosysteme: Das „Sarawak-Syndrom“

Das „Sarawak-Syndrom“ steht für die Zerstörung oder Degradation ganzer Ökosysteme (Biome) wie Wälder, Savan-nen oder Feuchtgebiete. So sind in Sarawak, einer 124.500 km2großen Provinz Malaysias auf der Insel Kalimantan (Borneo), weite Teile des einst reichlich vorhandenen Primärwaldes vernichtet, die Bedeutung der nicht-nachhaltigen Holzwirtschaft als eine Haupteinnahmequelle nimmt auch heute noch weiter zu.

Zu unterscheiden ist zwischen einer Vernichtung des Ökosystems mit einer darauf folgenden alternativen Nutzungs-form (Konversion) und einer Übernutzung naturnaher Ökosysteme, wenn einzelne Leistungen/Funktionen in einem Maße nachgefragt werden, welche die natürliche Regenerationsfähigkeit des Systems übersteigt.

In Form der Zerstörung von Waldökosystemen findet sich das „Sarawak-Syndrom“ im tropischen Bereich z.B. auch in Amazonien und Indien; in der borealen Zone sind Kanada, die USA und Rußland betroffen. Ein besonderes Problem ist die Zerstörung von Bergwäldern in China (Tibet) und Nepal. Das „Sarawak-Syndrom“ umfaßt darüber hinaus die Zerstörung und Degradation von Savannen (z.B. in Zaire und im Sudan) und Feuchtgebieten (z.B. das Donaudelta, die Guadalquivir-Mündung in Spanien, das Menderes-Tal in der Türkei).

Die Abholzung der tropischen Wälder führt über Nährstoffauswaschung und Bodenverdichtung zu großflächigen und meist irreversiblen Zerstörungen des Bodens (WBGU, 1993). Ein gravierendes Problem sind die Eingriffe in Bergwälder.

So hat z.B. Tibet seit 1965 etwa 45% seiner Waldfläche verloren (dies entspricht der gesamten Waldfläche der alten Bun-desländer der Bundesrepublik). Durch das steile Relief kommt es zu schnellen Abflüssen und starken Überschwemmun-gen im Tiefland (Beispiel Bangladesch 1991). Sieben der größten Flüsse Asiens, die etwa 47% der Weltbevölkerung mit Wasser versorgen, entspringen in Tibet. Die Eingriffe in Tibets Wasserhaushalt und die Verseuchung von Flüssen und Grundwasser haben somit zum Teil katastrophale Folgen für fast die Hälfte der Menschheit (ECO-Tibet, 1994).

Dieses Problem wird auch bei der wirtschaftlichen Nutzung der borealen Nadelwälder deutlich. Die russischen Wälder sind mit rund 5 Mio. km2etwa doppelt so groß wie das Regenwaldgebiet am Amazonas und entsprechen damit etwa der Hälfte der Landfläche Europas. Seit dem Umbruch in Rußland dürfen ausländische Firmen den borealen Nadelwald industriell nutzen. Mit Maschinen wird die Abholzung großflächig durchgeführt, wobei ein „Erntegerät“ durchschnittlich 300 Bäume pro Stunde fällen kann. Diese schweren Maschinen verdichten den Boden und zerstören so den nicht nutzbaren Jungwuchs.

Nur die Hälfte der Baumernte wird zur Weiterverarbeitung abtransportiert, die Restbiomasse verbleibt am Standort. Ver-traglich festgelegte Aufforstungsprogramme werden in der Regel unter Inkaufnahme einer für die Firmen geringen Strafe unterlassen. Durch die fehlende Baumdecke kann der Permafrostboden auftauen, wodurch es zu Trockenheit, Grundwasser-absenkung und gesteigerten Methanemissionen kommt. Mit Abnahme der Vegetation wird auch eine der Senken für das Treibhausgas Kohlendioxid verkleinert. Das in Sibirien geerntete Holz wird beispielsweise nach Südkorea verschifft; die dort erzeugte Zellulose geht nach Japan und in andere Teile der Welt. Die Bundesrepublik Deutschland ist der weltweit zweitgrößte Verbraucher von sibirischem Holz.

Allgemeine Folge des „Sarawak-Syndroms“ ist die Beeinträchtigung des Gleichgewichts zwischen Biosphäre und Pe-dosphäre durch Bodendegradation und die Umwandlung von Ökosystemen. Als wichtigste Auswirkungen sind die Re-duzierung der biologischen Vielfalt, Erosion und großflächige Verluste der oberflächlichen, nährstoffreichen Boden-schichten sowie Änderungen des hydrologischen Kreislaufs zu nennen.

Potentielle Abhilfemaßnahmen und Hinweise

Der Beirat hat im Jahresgutachten 1993 ausführlich die Handlungsoptionen zum Schutz der natürlichen Vegetation, insbe-sondere der tropischen Wälder, beschrieben. In diesem Zusammenhang seien die wichtigsten nochmals hervorgehoben:

● Verabschiedung einer völkerrechtlich verbindlichen Waldkonvention,

● Verstärkung und Ausweitung der internationalen Schutzprogramme für Wälder,

● Einbeziehung nachhaltiger Forstwirtschaft in internationale Handelsabkommen,

● Durchführung von Kompensationslösungen.

D 1.3.3 Hauptsyndrome der Bodendegradation 165

Automatisierung, Mechanisierung Verstärkung des nationalen Umweltschutzes Bedeutungszunahme der NRO

Partizipation

Demokratisierung Stärkung des Föderalismus Internationale Abkommen, Einrichtung intern. Institutionen Herausbildung supranatio- nalen Bewußtseins

Reduktion kultureller Vielfalt Wachsendes Umweltbewußtsein

MigrationKommerzialisierung, Ausbreitung der Marktwirtschaft Globalisierung der MärkteInternationalisierung der Produktion Internationale Verschuldung Zerstörung (Struktur, Volumen)

Fertilitätsverlust (Humus, Nährstoffe) Erosion, morphologische Änderungen

Konversion von naturnahen Ökosystemen (Wälder, Feuchtgebiete etc.)

Übernutzung Absinken des Grundwasserspiegels

Verstärkter Treibhauseffekt Wasserverschmutzung, Eutrophierung

Globaler und regionaler Klimawandel

Abflußänderungen auf Landflächen Störungen der Sedimentdynamik Ausweitung landwirtschaftlich genutzter Fläche

Verlust biologischer Vielfalt Effizienzsteigerung

Soziale und ökonomische Marginalisierung WISSENSCHAFT / TECHNIKGESELLSCHAFTLICHE ORGANISATION

BEVÖLKERUNG PSYCHOSOZIALE SPHÄRE

WIRTSCHAFT VERKEHR

BIOSPHÄREHYDROSPHÄREATMOSPHÄRE LITHOSPHÄRE / PEDOSPHÄRE

Abbildung 36:Syndromspezifisches Beziehungsgeflecht: Sarawak-Syndrom

166 D 1.3.3 Hauptsyndrome der Bodendegradation

Die Konversion und Übernutzung naturnaher Ökosysteme kann des weiteren durch die Ausweisung von Schutzgebie-ten (z.B. Biosphärenreservate) und durch die Einführung von Agroforststrategien gebremst werden.

Ergänzende Literatur:

Chisholm, A. and Dumslay, R. (Hrsg.) (1987): Land Degradation: Problems and Policies. New York, Cambridge: Cambridge University Press.

Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ des Deutschen Bundestags (1990): Schutz der Tropenwäl-der. Eine internationale Schwerpunktaufgabe. Bonn, Karlsruhe: Economica, C.F. Müller.

Ives und Pitt (Hrsg.): 1988. Deforestation: Social Dynamics in Watersheds and Mountain Ecosystems. New York: Routledge.

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