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Fehlplanung landwirtschaftlicher Großprojekte: Das „Aralsee-Syndrom“

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Ergänzende Literatur:

1.3.3.5 Fehlplanung landwirtschaftlicher Großprojekte: Das „Aralsee-Syndrom“

Die ökologische Katastrophe der Aralsee-Region steht für ähnliche Wasserbau- und Landwirtschaftsprojekte, die durch zentralistische Planung und Großtechnik an den ökologischen Möglichkeiten der Region vorbeiwirtschaften und dadurch die Lebensgrundlagen für Menschen, Tiere und Pflanzen zerstören.

Der Aralsee war einmal der viertgrößte Süßwassersee der Erde, ein abflußloses Wasserbecken, gespeist durch zwei Flüsse (Syr Darya und Amu Darya), in einer Region mit wüstenähnlichem Klima. In einer ehemals fruchtbaren, wald-und artenreichen Region wurden Fischfang wald-und Landwirtschaft betrieben. Seit 30 Jahren werden die Zuläufe des Aral-sees angezapft und dem Kara Kum Bewässerungskanal zugeführt (Länge 1.300 km). Zwei Drittel des Wassers wur-den bisher abgeleitet, nur noch etwa 10% erreichen wur-den See. Der Wasserspiegel des Aralsees sank, die Fläche ging drastisch zurück, und der Salzgehalt des Wassers stieg an. Die umliegenden, landwirtschaftlich genutzten Flächen sind durch hohe Pestizid- und Düngemittelgaben kontaminiert und versalzen. Die kurzfristig mögliche Ausdehnung der landwirtschaftlichen Produktion hat durch ihre ökologischen Folgeschäden weite Teile der Region unproduktiv ge-macht.

Andere dem Syndrom zuzuordnende Problemkomplexe sind große Staudammprojekte bzw. Eindeichungen, die Bo-dendegradationen aufgrund der Eingriffe in den Wasserhaushalt bzw. der Ausdehnung der Bewässerungslandwirt-schaft zur Folge haben. Regionen mit solchen Problemen sind China (hier befinden sich über 50% der großen Stau-dämme der Welt), Indien, Indonesien, die Arabischen Emirate, Libyen und Nordostbrasilien.

Bekannte Großprojekte sind der:

– Assuan Staudamm/Ägypten (Bodendegradation, Absinken des Flußbetts, niedrigere Wasserstände, Versalzung, De-position von Sediment im Staubereich).

– Theri Damm/Indien (geplant) (Austrocknung des Flußbetts aufgrund bereits vorhandenen Kofferdamms zum Ab-leiten des Flusses).

– Sardar Sarovar Damm/Indien (Überflutung von ca. 40.000 ha Ackerland, etwa 100.000 Menschen verlieren ihr Land).

– Tamil Nadu/Südindien (Grundwasserspiegel sinkt drastisch, Salzwasserintrusion in das Grundwasser).

– Great Man-Made River Project/Libyen (200.000 – 240.000 ha Land sollen durch fossiles Grundwasser bewässert werden).

– Eindeichung des Ganges-Unterlaufs/Indien (Weiterleitung der Monsunflutwellen nach Bangladesch mit der Folge von Flutkatastrophen).

Diese und andere Projekte wurden geplant, um die Landwirtschaft durch Bewässerung und hohen Einsatz von Energie, Dünger und Pestiziden zu intensivieren. Dazu wurden die in Monokultur bewirtschafteten Flächen ausgedehnt, mit oft geringer Effizienz der Bewässerungsmethoden. In der Aralsee-Region erreichen auf ca.

7,5 Mio. ha Fläche nur etwa 50% des Wassers das Ziel.

Die Auswirkungen der Großprojekte auf die Böden umfassen die Zunahme der Winderosion, der chemischen Degra-dation (Nährstoffverarmung, Versalzung durch unangepaßte Bewässerung, Entwicklung von Salzböden auf ausge-trockneten Flußbetten und ehemaligem Seeboden), der physikalischen Degradation (Verdichtung und Struk-turänderung, Versumpfung) und der Kontamination (Pestizide und Mineraldünger in Böden und Grundwasser, Ver-frachtung belasteter Stäube auf umliegende und entferntere Flächen). Die Auswirkungen auf die Atmosphäre äußern

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Automatisierung, Mechanisierung Effizienzsteigerung

Verstärkung des nationalen Umweltschutzes Bedeutungszunahme der NRO

Partizipation

Demokratisierung

Wissens- und Technologietransfer Internationale Abkommen, Einrichtung intern. Institutionen Wirtschaftswachstum TertiärisierungSektoraler StrukturwandelInternationale Verschuldung Zerstörung (Struktur, Volumen)

Fertilitätsverlust (Humus, Nährstoffe) Erosion, morphologische Änderungen

Konversion von naturnahen Ökosystemen (Wälder, Feuchtgebiete etc.) Absinken des Grundwasserspiegels Wasserverschmutzung, Eutrophierung

Süßwasserverknappung

Abflußänderungen auf Landflächen Störungen der Sedimentdynamik Ausweitung der Bewässerung Versalzung, Alkalisierung

Ausweitung landwirtschaftlich genutzter Fläche Entwicklung bodenschonender Bewirtschaftungsformen

Verlust biologischer Vielfalt Destabilisierung naturnaher Ökosysteme WISSENSCHAFT / TECHNIKGESELLSCHAFTLICHE ORGANISATION

BEVÖLKERUNG PSYCHOSOZIALE SPHÄRE

WIRTSCHAFT VERKEHR

BIOSPHÄREHYDROSPHÄREATMOSPHÄRE LITHOSPHÄRE / PEDOSPHÄRE

Abbildung 37:Syndromspezifisches Beziehungsgeflecht: Aralsee-Syndrom

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sich in regionalen Klimaverschiebungen und Veränderungen der Luftfeuchte, der Anzahl der Regentage und der Sturmhäufigkeit.

Auf den Wasserhaushalt üben solche Projekte unmittelbar großen Einfluß aus. Im Aralsee fiel der Wasserstand um 16,5 m und seine Oberfläche nahm um etwa 45% ab. Die großen Staudammprojekte mit ihren Bewässerungssystemen führen zu einer großräumigen Verschiebung des Abflußregimes sowie zu starken Veränderungen des Grundwasserspiegels. Die Oberflächen- und Grundwässer werden kontaminiert. Direkte Auswirkungen haben die Projekte auch auf Flora und Fau-na. Dazu gehören die Umwandlung natürlicher Vegetation in Kulturflächen (und unter Umständen anschließend in Wü-ste), die Rodung bzw. Überflutung von Wäldern und das Artensterben (173 Arten der Aralsee-Region gelten inzwischen als ausgestorben, darunter alle einheimischen Fischarten).

Die Bevölkerung ist durch Kontamination von Nahrung und Trinkwasser und damit durch ein erhöhtes Gesundheitsri-siko betroffen (Aralsee-Region: die Krebsrate soll fünffach höher sein als in der übrigen Sowjetunion, die Hepatitisra-te ist um das siebenfache, die TyphusraHepatitisra-te um das fünffache gestiegen, die SHepatitisra-terblichkeit aufgrund infektiöser Erkran-kungen ist ebenfalls fünffach höher). Daraus ergibt sich ein wachsender Migrationsdruck.

Wirtschaft und Verkehr sind direkt betroffen. Die Produktivität der Landwirtschaft nimmt zunächst zu, um bei Einset-zen der Bodendegradation wieder zu sinken. Die Weiterverarbeitung der landwirtschaftlichen Produkte nimmt ab. duktqualität und Exportquote sinken. Meist werden hohe Subventionen zur Gegensteuerung eingesetzt und lokale Pro-dukte durch Importe ersetzt. Mittelbar steigt die Transportintensität bei sinkender Gewinnmöglichkeit. Kulturelle und politische Auswirkungen umfassen den Verlust herkömmlicher Wirtschaftsformen sowie lokaler Traditionen und Kul-turen.

Die diesem Syndrom zugrundeliegenden Trends sind insbesondere die Vernachlässigung von Nachhaltigkeits-kriteri-en, eine zentrale Planung ohne Rücksicht auf die lokalen Möglichkeiten und Grenzen und Kommunikationsmängel zwischen den beteiligten Regionen und Institutionen. Zum Teil spielen auch die gezielte kulturelle Überformung und eine zentralistische Bevölkerungspolitik eine Rolle.

Potentielle Abhilfemaßnahmen und Hinweise

Um zukünftig Fehlplanungen landwirtschaftlicher Großprojekte zu vermeiden, sind insbesondere folgende Maßnah-men zu erwägen:

● Umweltverträglichkeitsprüfungen unter Einbeziehung der langfristigen Auswirkungen der Projekte auf Bodendeg-radation und biologische Vielfalt,

● Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung bei der Planung (Partizipation),

● Wassersparende Bewässerungstechniken in Anpassung an Menge und Qualität der nachhaltig verfügbaren Wasser-mengen.

Die generelle Abkehr von Großprojekten, einschließlich ihrer Finanzierung (Adressat Weltbank), sollte ernsthaft dis-kutiert werden.

Ergänzende Literatur:

Bush, K. (1974): The Soviet Response to Environmental Disruption. In: Volgyes, I. (Hrsg.): Environmental Deterioration in the Soviet Union and Eastern Europe. New York: Präger.

Ellis, W.S. (1990): The Aral: A Soviet Sea Lies Dying. National Geographic (2), 73 – 92.

Frederick, K. D. (1991): The Disappearing Aral Sea. Resources (102), 11 – 14.

Gleick, P. (1992): Water and Conflict. Toronto: International Security Studies Program. Project on Environmental Change and Acute Conflict.

Goldman, M.I. (1972): The Spoils of Progress: Environmental Pollution in the Soviet Union. Cambridge, Ma.: MIT Press.

Gore, A. (1991): Earth in the Balance. Ecology and the Human Spirit. Boston, New York, London: Houghton Mifflin.

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Micklin, P.P. (1991): The Water Management Crisis in Soviet Central Asia. The Carl Beck Papers in Russian and East Euro-pean Studies (905), 122.

Pearce, F. (1994): Neighbours Sign Deal to Save Aral Sea. New Scientist 141 (1909), 10.

Postel, S. (1993): Die letzte Oase. Der Kampf um das Wasser. Frankfurt a.M.: S. Fischer.

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