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6. Empirisches Design

6.2. Methode

6.2.1. Stichprobe: Bewohner des VinziDorfs

Die Vinzenzgemeinschaft besteht aus selbständigen und unabhängigen Gruppen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Dabei handelt es sich darum, armen Menschen das Leben zu erleichtern und/oder sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Vorbild der Gemeinschaft ist der namensgebende Vinzenz von Paul (1581–1660), dem Gründer der Lazaristen und der Barmherzigen Schwestern. Er erkannte, dass Nächstenliebe auch organisiert vollzogen werden darf. 1833 gründete Frédéric Ozanam, Vinzenz von Paul als Vorbild nehmend, in Frankreich die Vinzenzgemeinschaft. Die im Jahre 1990 in Eggenberg entstandene Gemeinschaft hat das Ziel, Obdachlosen, die aufgrund einer Alkoholabhängigkeit in keiner sonstigen Einrichtung bleiben dürfen, einen Platz zur Verfügung zu stellen. Dies führte 1993 zur Gründung des VinziDorfs. Diese Einrichtung leistete in Österreich Pionierarbeit, da hier das Konsumieren von alkoholhaltigen Getränken erlaubt wurde (vgl. Musenbichler o. J., S. 2). Das VinziDorf bietet einen niederschwelligen Zugang, außerdem sollen die alkoholabhängigen Bewohner so angenommen werden, wie sie sind – auch in ihrem Suchtverhalten –, und dies soll nicht von außen verändert werden. Das Dorf bietet insgesamt 33 Einzelschlafplätze, die sich in Baucontainern befinden (vgl. vinzi.at o. J., o. S.). Das Angebot wird wie folgt definiert:

„dauerhafte Wohnversorgung von chronisch alkoholkranken obdachlosen Männern (hauptsächlich Inländer),

Abdeckung der primären Bedürfnisse (Wohnen in Baucontainern, Versorgung mit Kleidung, Hygieneartikeln und warmer Mahlzeit),

Hauptwohnsitzbestätigung der einzelnen Bewohner, Bemühungen um eine Sozialversicherung und ein geregeltes Einkommen,

Begleitung bzw. Unterstützung in finanziellen Belangen, bei Ämtern und Behörden, im gesundheitlichen Bereich (medizinische Betreuung durch die VinziMed),

Unterstützung in der Körperpflege,

soziales Netzwerk (Beschäftigungs-, Gesprächs- und Beratungsmöglichkeiten durch haupt- und ehrenamtliche MitarbeiterInnen)“ (vinzi.at o. J., o. S.).

Aufgrund des Angebotes im VinziDorf und der dort betreuten Personen fiel die Wahl

der Stichprobe auf Bewohner des VinziDorfs, da hier der Zugang zu an Alkoholismus erkrankten Personen gegeben ist. Zudem besteht bei den Bewohnern aktuell eine Suchtproblematik, wodurch die Lebensgeschichte aus der Sicht eines akut Betroffenen und nicht rein retrospektiv erzählt wird.

6.2.1.1. Kurzbeschreibung der Interviewpartner

In diesem Unterkapitel werden die einzelnen Interviewpartner kurz beschrieben und vorgestellt, um eine Kurzbiographie aller Teilnehmenden zu erhalten. Die Kurzbiographien beschränken sich auf den jeweiligen Lebenslauf der interviewten Person und weisen keine Interpretationen auf. Aufgrund der Anonymisierung sind die im Rahmen dieser Arbeit aufgeführten Namen der Interviewpartner frei erfunden und Informationen, die auf die jeweilige Person schließen lassen könnten (Wohnorte, Namen von Angehörigen), werden nicht erwähnt.

Interviewpartner 1: Stefan

Interviewpartner 1, der im Folgenden Stefan genannt wird, wurde1970 als viertes von fünf Kindern geboren. Er besuchte die Volksschule, die Hauptschule und danach das Polytechnikum. Anschließend wollte er eine Lehre als Fliesenleger absolvieren.

Aufgrund von Lehrplatzmangel hätte er aber ein Jahr auf einen Lehrplatz warten müssen, weswegen er dank der Kontakte seines Vaters eine Lehre als Rauchfangkehrer begann. Diese schloss er mit Auszeichnung ab, arbeitete danach aber nur knapp ein Jahr in diesem Beruf. Der Grund hierfür war die schlechte Bezahlung. Er wechselte auf den Bau, wo er bis zu einem schweren Unfall ebenfalls ein Jahr lang arbeitete. Nach seiner Genesung war er für zirka fünf Jahre bei einer neuen Firma beschäftigt, bei der er Verputzarbeiten auf Baustellen erledigte. Nach dieser Zeit folgte eine Phase, in der er mehrere Nebenberufe gleichzeitig ausübte. Danach arbeitete er ein Jahr lang bei einer Firma für Betonsanierungen, verlor die Arbeitsstelle aber aufgrund seines Alkoholkonsums. Er schaffte es selbst, seinen Alkoholkonsum einzuschränken, und fing mit 26 Jahren seine erste richtige Beziehung an, die sechs Jahre hielt und aus der zwei Kinder hervorgingen. In dieser Zeit arbeitete er als Verkaufsfahrer für eine Bäckerei.

Nach der Trennung von seiner Ehefrau zog er in sein Elternhaus zurück. Durch die Abgeschiedenheit seines Heimatortes fand er keine neue Arbeit und er verfiel wieder

dem Alkoholismus. Daraufhin zog er in einen größeren Ort, um im Hinblick auf einen Job von besseren Ausgangschancen profitieren zu können. In einer Therapieeinrichtung lernte er eine Frau kennen, mit der er in die Stadt zog. Diese Beziehung hielt ein Jahr.

Währenddessen arbeitete er in einer Firma für Kühlgeräte. Nach der Trennung wohnte er übergangsweise bei einem Freund und ging anschließend ins Landeskrankenhaus Graz Süd-West Standort Süd aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit. Während dieser Zeit lernte er erneut eine Frau kennen, mit der er sieben Jahre zusammenwohnte. Die Frau starb infolge einer Gehirnblutung. Aufgrund dieses Schicksalsschlages suchte Stefan das VinziDorf auf, in dem er nun seit zweieinhalb Jahren wohnt (vgl. B1 2018, S. 1–4, Z. 7–

127).

Interviewpartner 2: Uwe

Interviewpartner 2, der im Weiteren den Namen Uwe erhält, ist 50 Jahre alt und in einem kleinen Dorf außerhalb von Graz mit seinen Eltern und zwei Geschwistern aufgewachsen. Er besuchte die Volksschule sowie die Hauptschule und schloss die HTL der Elektrotechnik 1987 mit Matura ab. Bis zirka zur vierten Klasse der HTL nahm Uwe zudem an Staatsmeisterschaften in Judo teil. Nach der HTL leistete er seinen Bundesheerdienst bei der Garde ab. Anschließend arbeitete er sich bei einer Firma vom Kodierer zum Gesamtprojektleiter von Hoch- und Höchstspannungsleitungen hoch. Zu dieser Zeit war er schon mit einer Frau verheiratet, aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor. In seiner Heimatgemeinde war er außerdem als Schriftführer tätig und half bei organisatorischen Dingen mit. Allerdings scheiterte seine Ehe. Vor zirka dreieinhalb Jahren starben zudem drei enge Verwandte innerhalb von zehn Tagen. Aufgrund dieses Schicksalsschlages begann Uwe damit, Alkohol zu konsumieren. Nach diesen Todesfällen, dem Scheitern der Ehe und dem Alkoholkonsum landete Uwe auf der Straße. Durch die Vermittlung der Polizei, die ihn auf der Straße antraf, gelangte er zunächst ins VinziTel und daraufhin ins VinziDorf. Seit einem Unfall ist Uwe unbefristeter Pensionist (vgl. B2 2018, S. 1–15, Z. 3–422).

Interviewpartner 3: Leon

Interviewpartner 3, der im Folgenden als Leon bezeichnet wird, wurde als fünftes von sieben Kindern geboren. Er besuchte die Volksschule, die Hauptschule und für drei

Monate die HTL, die er aber für eine Lehre als Einzelhandelskaufmann abbrach. Er absolvierte auch zwei Jahre der Handelsakademie, brach diese jedoch ab. Leon kündigte nach seiner Lehrzeit sofort. Daraufhin beschloss er unter Alkoholeinfluss und aufgrund Geldmangels durch seine Spielsucht, den Tresor dieser Firma auszurauben, woraufhin er eine bedingte Strafe erhielt. Er heiratete mit 23 Jahren eine Frau und zog anschließend in ein anderes Land, seine Frau holte er nach sechs Monaten nach. Dort arbeitete er zwei Jahre lang im Handel und schloss eine Prüfung zum Schweißer ab.

Daraufhin war er als selbständiger Schweißer im Straßenbau tätig. Seine Joblaufbahn ist von zahlreichen Jobwechseln gekennzeichnet und von Phasen, in denen er sich eine Auszeit von der Arbeit nahm und freiwillig keiner Tätigkeit nachging, unterbrochen wird. Im Ausland besuchte er die Universität als außerordentlicher Hörer des Faches Astrophysik. Seine erste Haftstrafe erlangte er wiederum durch den Einfluss von Alkohol. Im Anschluss daran verbrachte er eine längere Zeit zuhause und arbeitete im Nebenjob als Mechaniker. Während dieser Tätigkeit musste er infolge eines Mordversuchs an einem seiner Kunden eine Haftstrafe im Ausmaß von 13 Jahre antreten. In der Haft half er zunächst beim Aufbau der EDV und arbeitete anschließend sieben Jahre lang für einen Verlag als Lektor für Deutsch und Englisch. Gegen Ende seiner Haft absolvierte er für drei Jahre eine Lehre als Elektriker, diese brach er aber aufgrund einer ihm verweigerten frühzeitigen Entlassung ab. Durch die Auflagen einer ambulanten Alkoholtherapie konnte Leon die Haft dennoch früher beenden und absolvierte in Freiheit das vierte Berufsschuljahr. Nach der Prüfung erhielt er eine Stelle als Elektriker in einer Firma, bei der er zwei Jahre beschäftigt war. Diese Stelle verlor er aufgrund eines Autounfalles unter Alkoholeinfluss, bei dem zusätzlich festgestellt wurde, dass er ohne Führerschein gefahren war. Aufgrund der Tatsache, dass sein Arbeitnehmer erfuhr, dass er keinen Führerschein mehr hat, konnte er nicht mehr die Baustellen in ganz Österreich erreichen und wurde gekündigt. Im Anschluss daran war er für Leihfirmen tätig. So konnte er sich bei einer Firma zum Bauleiter hocharbeiten.

Allerding erlitt er nach zwei Jahren ein Burnout und musste die Stelle aufgeben.

Weiteres hatte er körperliche Probleme, wie Gastritis und den Alkoholismus. Nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit besuchte er für 18 Monate einen AMS-Kurs für Automatisierungstechnik. Über eine Leihfirma arbeitet er anschließend bis 2014 bei einer Firma. Diese Arbeitsstelle verlor er wiederum aufgrund seines Alkoholkonsums

und in der Folge auch seine Wohnung. Infolgedessen lebte er für ein Jahr auf der Straße.

Durch einen Bekannten konnte er in dessen Firma für Grünpflege unangemeldet mitarbeiten und sich dadurch wieder eine Wohnung leisten. Nach dem Ende dieser Tätigkeit verlor er seine Wohnung und musste erneut für 18 Monate und ohne Bezüge auf der Straße leben. Durch die Polizei, die ihn unter einer Brücke antraf und seinen Platz räumen ließ, gelangte er ins VinziDorf, wo er Notstandsgeld erhielt. Aufgrund des Drucks vonseiten des AMS besuchte er für drei Wochen das Landeskrankenhaus Süd-West Standort Süd, um eine Alkoholtherapie anzutreten sowie um die Forderungen des AMS bezüglich der Suche nach einer Arbeitsstelle zu umgehen. Aufgrund seiner Bewerbung auf ein Inserat im AMS-Jobportal erhielt er eine Anstellung bei einer Firma, bei der er bereits für Folgebaustellen gebucht wurde (vgl. B3 2018, S. 1–202, Z. 1–7).

Interviewpartner 4: Rainer

Interviewpartner 4 wird im Weiteren der Name Rainer gegeben. Er wurde am 6. Februar 1947 als neuntes Kind seiner Eltern geboren. Nach dem Besuch der Volks- und Hauptschule absolvierte er eine vier Jahre dauernde Lehre zum Gas-Wasser-Heizungsinstallateur. Danach war er für zwei Jahre beim Bundesheer als Panzerfahrer tätig. Anschließend arbeitete er in einer Maschinenfabrik für Waggonwägen. Er heiratetet aufgrund einer Schwangerschaft, verließ die Frau aber nach dreieinhalb Monaten. Mit einer weiteren Frau wohnte er zusammen und zeugte einen Sohn, doch auch diese Beziehung hielt aufgrund seines Freiheitsdranges nicht. Daraufhin entschloss er sich für ein Leben auf der Straße, das er 20 Jahre lang führte. In dieser Zeit beschäftigte er sich mit seiner Kunst. So verfasste er zahlreiche Schriften und er fertigte Zeichnungen an. Auf der Straße machte er viele Bekanntschaften, unter anderem mit Frauen, mit denen er zum Teil Beziehungen einging. Nach einem Unfall, bei dem sein Knöchel zertrümmert wurde, versucht er nach einem langen Krankenhausaufenthalt, weiterhin auf der Straße zu leben, entschied sich jedoch am 1. Dezember 1994, ins VinziDorf zu ziehen. 2016 hatte er gesundheitliche Probleme mit der Prostata, weswegen ihm ein künstlicher Harnausgang gelegt wurde. Zurzeit leidet er unter einem beidseitigen Leistenbruch (vgl. B4 2018, S. 1–44, Z. 11–1214).