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4. Ressourcenorientierung

4.2. Vertreter der Ressourcenorientierung

4.2.3. Bourdieu

Um Bourdieus Verständnis von Ressourcenorientierung zu erläutern, wird zunächst der Begriff des Habitus definiert und anschließend werden die Kapitalsorten nach Bourdieu beschrieben.

4.2.3.1. Habitus

Bourdieu versuchte, die Produktion und Reproduktion des sozialen Lebens zu verstehen (vgl. Müller 2014, S. 27). Hierbei setzte er den Begriff des Habitus ein, der als Vermitt-lung zwischen Struktur und Praxis angesehen werden kann. Bourdieu definierte diesen Begriffe nicht endgültig, vielmehr näherte er sich durch dauerhafte Begriffsarbeit an seine Begrifflichkeit an (vgl. Müller 2014, S. 37).

„Habitus (lat.) oder Hexis (griech.) meint wörtlich das ‚Gehabte‘ vom la-teinischen habere (‚haben‘) und zielt auf die Gewohnheit oder die Disposi-tion“ (Müller 2014, S. 37).

Habitus definiert ein System von Dispositionen, das als „Denk-, Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata fungiert“ (Müller 2014, S. 38.). Dispositionen sind nicht mit Handlungen gleichzusetzten. Sie sind stark von sozialen Situationen und Kontexten

ab-hängig und durch eine systematische Ordnung gekennzeichnet. Jeder Mensch erhält sei-nen Habitus durch die Inkorporation von gesellschaftlichen Strukturen. (vgl. Müller 2014, S. 38). Dies wird als Inkorporationsannahme bezeichnet und bedeutet, dass durch den Prozess der Sozialisation gesellschaftliche Strukturen verinnerlicht werden (vgl.

Müller 2014, S. 42). Durch die Bezugnahme zu den gesellschaftlichen Strukturen ent-steht die Subjektivität des Habitus (vgl. Müller 2014, S. 38 zit. n. Bourdieu/Wacquant 1996, S. 159). Nach Bourdieu stellt der Körper, der durch Prozesse „der Sozialisation und Erziehung, der Konditionierung und Disziplinierung das notwendige Weltwissen“

(Müller 2014, S. 38) erwirbt, eine Gedächtnisstütze dar. Der Habitus wird in einer sozia-len Struktur gebildet und weist somit „klassenspezifische Dispositionen“ (Müller 2014, S. 39) auf. Diese wiederum produzieren strukturell angepasste Praxisformen, die zu ei-nem strukturierenden Aufbauführen führen (vgl. Müller 2014, S. 39).

„Der Habitus ist also ein praktischer Operator, ein Mechanismus, der die Praxis der Strukturen anpasst und damit die praktische Reproduktion der Struktur gewährleistet“ (Müller 2014, S. 39).

Dies wird als Unbewusstheitsannahme bezeichnet und bedeutet, dass diese Dispositio-nen unbewusst spezifische Praxisstrategien einleiten. Jedoch folgt jede Person ihren ei-genen Interessen, was mit dem Konzept der Strategieannahme beschrieben wird (vgl.

Müller 2014, S. 42).

Habitus ist somit „die Lösung des Paradoxons vom objektiven Sinn ohne subjektive Ab-sicht“ (Bourdieu et al. 1982, S. 170 zit. n. Müller 2014, S. 40). Dieser Einklang zwi-schen Habitus und Struktur löst sich auf, indem dieses Konstrukt auseinanderfällt, bei-spielsweise durch einen Umzug in ein fremdes Milieu. Dieses Phänomen wird nach Bourdieu als Hysteresis-Effekt bezeichnet (vgl. Müller 2014, S. 40). Dieses Konzept wird Stabilitätsannahme genannt und bedeutet, dass bereits erworbene Dispositionen bleiben und individuelle Praxisstrategien einleiten, obwohl die Struktur der gewandelten Umwelt nicht mehr passend ist (vgl. Müller 2014, S. 42). Eine Spaltung des Habitus erfolgt durch voneinander abweichende Anforderungen und Erwartungen an eine Per-son, dies findet jedoch meist nur in Krisensituationen statt. Demnach handelt es sich beim Habitus um ein starres Prinzip (vgl. Müller 2014, S. 40f.). Änderungen der Dispo-sitionen beruhen auf bereits vorhandene Voraussetzungen, wodurch eine radikale Ände-rung nicht vorkommt (vgl. Bourdieu 2001a, S. 207 zit. n. Müller 2014, S. 41). Dies wird

mit dem Konzept der Wandlungsannahme beschrieben (vgl. Müller 2014, S. 43). Der Habitus als Vermittler zwischen Struktur und Praxis stellt eine Verbindungvom kol-lektiven Geschehen und der individuellen Praxis her (vgl. Müller 2014, S. 42). Zusam-mengefasst können somit fünf Konzepte des Habitus genannt werden: die Inkorporati-ons-, die Unterbewusstseins-, die Strategie-, die Stabilitäts- und die Wandlungsannahme (vgl. Müller 2014, S. 42f.).

Um neue Situationen nicht komplett neu bewerten zu müssen, wird auf bereits bekannte Schemata zurückgegriffen und lediglich situationsbedingt werden kleine Anpassungen durchgeführt. Diese Schemata werden in Habitualisierungsprozessen erlernt, können jedoch nur angewandt werden, wenn der kulturelle Kontext, in dem die Schemata er-lernt wurden, gleich bleibt (vgl. Barlösius 2006, S. 49 ff.).

4.2.3.2. Kapitalsorten

Bourdieu lehnt sich an Marx’ Kapitalbegriff an und verallgemeinert diesen, indem er drei Hauptkapitale und ein zusammengefasstes Kapital voneinander unterscheidet. Bei den Hauptkapitalen handelt es sich um das ökonomische, das soziale und das kulturelle Kapital, das zusammengefasste Kapital nennt er symbolisches Kapital.

Das ökonomische Kapital spielt hierbei eine übergeordnete Rolle, da das kulturelle und das soziale Kapital in gewisser Weise an den Erfolg des ökonomischen Kapitals gekop-pelt sind (vgl. Müller 2014, S. 47f.). Kapital ist laut Bourdieu „akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Materie oder in verinnerlichter ‚inkorporierter‘ Form“ (Müller 2014, S. 48 zit. n. Bourdieu 1983a, S. 183). Messbar werden die Kapitalsorten anhand ihrer Arbeitszeit, hierunter werden die akkumulierte und die transformatierte Arbeit ver-standen (vgl. Müller 2014, S. 48). Die Kapitalsorten werden „im Hinblick auf ihr Sub-strat, ihre Konvertierbarkeit, ihre Form und ihr Schwundrisiko“ (Müller 2014, S. 48) analysiert. Die Konvertierbarkeit zeigt sich beim ökonomischen Kapital deutlich, da es in Geld oder Besitz gemessen werden kann. Zudem dient es als Schlüsselpunkt für das Ausmaß der anderen Kapitalsorten (vgl. Müller 2014, S. 48f.).

Das soziale Kapital besteht aus einem Netz aus Beziehungen, die als Ressourcen ge-nutzt werden können (vgl. Bourdieu 193a, S. 190f. zit. n. Müller 2014, S. 49). Soziales Kapital bedarf ständiger Pflege, um sein Fortbestehen zu sichern. Erst eine dauerhafte Investition in eine Beziehung schafft es, eine stabile Grundlage zu bilden, in der

Res-sourcen genutzt werden können. Durch das Beziehungsnetzwerk, das die Grundlage des sozialen Kapitals darstellt, entsteht ein erhöhtes Risiko und eine Instabilität dieser Res-source. Bei der Beziehungsfalle handelt es sich um eines der drei Risiken, die beim so-zialen Kapital auftreten können. Sie bezeichnet das Risiko, nicht dasjenige zurückzube-kommen, was investiert wurde, kurz gesagt, Undankbarkeit zu erhalten. Hierbei besteht eine rein informelle Beziehung, in der das Gegenüber nicht automatisch gleich viele Ressourcen investieren muss, als ihm gegeben wurden. Eine Rolle spielt dabei der all-gemeine Status der Personen. Demgemäß ist der Statusschwächere gegenüber dem Sta-tusüberlegenen von diesem Risiko vermehrt betroffen (vgl. Müller 2014, S. 49f.). Bei einem weiteren Risiko, dem der Statusschwächere ausgesetzt ist, handelt es sich um die Statusfalle. Hierbei besteht das Risiko bei einer asymmetrischen Reziprozität: Der Sta-tusschwächer wird weitaus mehr investieren, als er erhalten wird. Je größer diese Diffe-renz zwischen den Status ist, desto mehr muss der Statusschwächere investieren (vgl.

Müller 2014, S. 50). Das dritte Risiko ist die Freundschaftsfalle, die mit der Unzumut-barkeit einhergeht. Wurde eine Beziehung zu einer Freundschaft, verliert sich dadurch ein Stück weit das rein ökonomische Interesse. So wird von einer/einem Freund/in kein Gefallen verlangt, der sie/ihn übermäßigen Risiken aussetzt und somit unzumutbar ist (vgl. Müller 2014, S. 50).

Bourdieu unterteilt das kulturelle Kapital in drei Einheiten, und zwar in das inkorporier-te, das objektivierte und das institutionalisierte Kulturkapital. Unter dem inkorporierten Kulturkapital versteht er die Sozialisation, die in der Familie und der Schule erworben wird (vgl. Müller 2014, S. 53).

„Das Resultat dieses Prozesses ist ein verinnerlichtes, körpergebundenes und in Dispositionen verfestigtes Potenzial einer Person. Es kommt im kog-nitiven Sinn als Kompetenz zum Ausdruck, im evaluativen Sinn als Moral, im ästhetischen Sinn als Geschmack und im expressiven Sinn als Lebens-stil“ (Müller 2014, S. 53).

Somit ist es somit unflexibel (vgl. Müller 2014, S. 53). Das objektivierte Kulturkapital besteht aus Kulturgütern (Bücher, Bilder usw.). Objektiviertes Kulturkapital ist materi-ell übertragbar (materimateri-elle Aneignung), die Bedeutung der betreffenden Gegenstände jedoch nicht (symbolische Aneignung) (vgl. Müller 2014, S. 53f.). Das institutionali-sierte Kulturkapital bezieht sich auf Titel. Demgemäß benötigt eine Gesellschaft

Institu-tionen, die das kulturelle Wissen vermitteln und Personen mit Bildungsqualifikationen auszeichnen (vgl. Müller 2014, S. 54).

„Das Bildungssystem erfüllt somit eine technische Reproduktionsfunktion, insoweit es Titel als rechtliche Kompetenzbürgschaft verleiht, und eine sozi-ale Reproduktionsfunktion, insoweit es Anwartschaften auf privilegierte Be-rufspositionen eröffnet“ (vgl. Müller 2014, S. 54).

Das zusammengefasste symbolische Kapital stellt den Stellenwert einer Person in einer Gruppe dar, indem das ökonomische, das soziale und das kulturelle Kapital gewertet werden. Anhand dieser Bewertung wird der Status einer Person eruiert, was als Prestige bezeichnet werden kann (vgl. Müller 2014, S. 54).