• Keine Ergebnisse gefunden

§ 136 gibt den Anspruch auf die „notwendigen“ Arzneien, ohne den Leistungsanspruch weiter zu konkretisieren. „Notwendig“ ist hier im Sinne des gesamten § 133 Abs 2 zu verstehen: Die Krankenbehandlung muss – zur Erreichung der dort genannten Ziele – ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf das Maß des Notwendigen jedoch nicht überschreiten.176

Neben diesen allgemeinen, vagen Vorgaben des § 133 Abs 2 sieht das Gesetz für Arzneimittel zusätzliche Regelungen vor, welche die Leistungsgewährung beeinflussen sollen: spezifisch für Arzneimittel den Erstattungskodex und die Liste nach § 351 c Abs 2 (Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351 c Abs 2 ASVG), ferner die Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen (RöV als Parallele zu den RöK) sowie einen Bewilligungsvorbehalt (des chef- und kontrollärztlichen Dienstes).177 Die zusätzlichen Regelungen werden vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger erlassen.

Die bedeutsamste dieser spezifischen Regelungen ist der Erstattungskodex (EKO; geregelt in

§ 31 Abs 3 Z 12 und §§ 351 c ff ASVG). Der EKO ist (auch) im Verhältnis zu den Versicherten eine (Rechts-)Verordnung.178

Der EKO ist in drei bzw. faktisch vier Bereiche gegliedert (sogenanntes „Boxen“-Modell).

Mittel aus dem grünen Bereich (green box) sind ohne chef- und kontrollärztliche Bewilligung auf Kassenkosten und damit „frei“ verschreibbar. Die bewilligungsfreie Verschreibbarkeit kann aber auf bestimmte Verwendungen (Gruppen von Krankheiten, ärztliche Fachgruppen,

175 OGH 26.03.1996, 10ObS52/96.

176 Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 136 ASVG Rz 10 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

177 Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 136 ASVG Rz 15 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

178 Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 136 ASVG Rz 16 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

65 Altersstufen, Darreichungsform) beschränkt sein. In den gelben Bereich (yellow box) des EKO werden Arzneispezialitäten aufgenommen, die einen wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzen für Patientinnen und Patienten aufweisen und die aus medizinischen und/oder gesundheitsökonomischen Gründen nicht in den grünen Bereich des EKO aufgenommen wurden. Die Kosten werden von den KV-Trägern nur bei Vorliegen einer Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes übernommen (RE1). Für einzelne Arzneispezialitäten im gelben Bereich kann die Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes durch eine nachfolgende Kontrolle der Einhaltung der bestimmten Verwendung ersetzt werden. Diese Arzneispezialitäten sind mit RE2 gekennzeichnet.179 Also Mittel aus dem gelben Bereich sind dann ohne Bewilligung verschreibbar (hellgelber Bereich), wenn die Aufnahme in den gelben Bereich auf bestimmte Verwendungen beschränkt ist, der Arzt ist dann im Verhältnis zur KV zu Dokumentation und Begründung verpflichtet. Mittel aus dem gelben Bereich, für die dies nicht zutrifft (dunkelgelber Bereich), und aus dem roten Bereich dürfen auf Kassenkosten nur mit kontrollärztlicher Bewilligung abgegeben werden. Der rote Bereich (red box) beinhaltet zeitlich befristet jene Arzneispezialitäten, die erstmalig am österreichischen Markt lieferbar sind und für deren Aufnahme in den EKO ein vollständiger Antrag gestellt wurde, solange bis über den Antrag durch den Hauptverband rechtskräftig entschieden wurde.

Der EKO enthält zwar viele (2017: 7.343; davon 5.952 in der grünen Box)180, aber nicht alle in Österreich zugelassenen Arzneimittel. In Bezug auf die nicht im EKO enthaltenen Mittel sprechen manche von „No-Box“. Die KV wendet auch für diese Arzneimittel beträchtliche Summen auf.181

179 Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger – Erstattungskodex EKO 1/2017.

180 PHARMIG Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs – Daten und Fakten 2017 (http://www.pharmig.at/DE/Infothek/Rund%20um%20das%20Gesundheitssystem/Erstattungssystem/Erstattungs system+in+%C3%96sterreich.aspx); Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.

181 Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 136 ASVG Rz 16 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

66 Vor der Verordnung einer Arzneispezialität aus dem gelben Bereich des EKO ist zu überprüfen, ob nicht die Verordnung einer Arzneispezialität aus dem grünen Bereich des EKO zweckmäßiger und wirtschaftlicher wäre. Vor der Verordnung einer Arzneispezialität aus dem roten Bereich ist zu überprüfen, ob nicht eine Verordnung aus dem grünen oder gelben Bereich des EKO zweckmäßiger und wirtschaftlicher wäre. Es gilt also das „Ampelprinzip“:

Grün vor Gelb vor Rot. Arzneispezialitäten können nur dann als Leistung der Krankenbehandlung auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers abgegeben werden, wenn sie im EKO angeführt sind. Lediglich in besonders begründeten Einzelfällen ist die Erstattungsfähigkeit auch dann gegeben, wenn die Arzneispezialität nicht im EKO angeführt, aber die Behandlung aus zwingenden therapeutischen Gründen notwendig ist und nicht mit im EKO angeführten Arzneispezialitäten durchgeführt werden kann.182

Der EKO wird durch die Liste nach § 351 c Abs 2 ergänzt. Die darin genannten Mittel dürfen

„im Allgemeinen“ nicht und wenn, dann nur mit kontrollärztlicher Bewilligung auf Kosten der KV verschrieben werden.183

Der EKO und das kontrollärztliche Bewilligungserfordernis beschränken zwar den Leistungsanspruch der Versicherten auf Arzneien rechtlich nicht endgültig. Faktisch wie rechtlich richten sich die Verschreibung und damit die Konkretisierung allerdings weitgehend nach dem EKO. Er gibt eine klare Präferenzordnung vor: Verschreibungen auf Kosten der KV sollen womöglich aus und nach dem EKO nach dem „Ampelprinzip“ erfolgen.184

Das Erfordernis einer Bewilligung des Chef- bzw. Kontrollarztes ist zwar auch für andere Leistungen vorgesehen, bei Heilmitteln aber spezifisch ausgestaltet. Nach dem Gesetz bedarf jede Verschreibung eines Heilmittels auf Kosten der KV, jedenfalls im Verhältnis KV – Vertragsarzt, dieser Bewilligung des Kontrollarztes, außer die bewilligungsfreie Verschreibbarkeit ist durch Gesetz oder Verordnung vorgesehen. Dies ergibt sich aus § 31

182 Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger – Erstattungskodex EKO 1/2017.

183 Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 136 ASVG Rz 17 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

184 Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 136 ASVG Rz 18 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

67 Abs 3 Z 12 Satz 5 iVm § 351 c ASVG (vgl auch § 1 Abs 4 RöV). Bewilligungspflicht ist also rechtlich die Regel, Bewilligungsfreiheit rechtlich die Ausnahme; bei ärztlichen Leistungen ist es umgekehrt. Faktisch entfallen auf die bewilligungsfreien Mittel allerdings über 80 % der Verschreibungen auf Kosten der KV.185

Der Hauptverband hat ferner gemäß § 31 Abs 5 Z 13 Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise (RöV) erlassen. Die RöV sind als (Rechts-)Verordnung auch für die Vertragspartner/innen verbindlich. In den RöV wird nicht nur die Bindung an die kontrollärztliche Bewilligung wiederholt, sondern auch das Verschreibungsverhalten zu beeinflussen gesucht, insbesondere durch das Ökonomiegebot.186

Die Pflicht der Vertragsärzte zur Beachtung von EKO, RöV und der Liste nach § 351 c Abs 2 bei Verschreibungen ergibt sich außer aus deren Charakter als Verordnung auch aus dem Einzelvertrag mit der Sozialversicherung.

Die genannten Steuerungsinstrumente beeinflussen, unabhängig von ihrem Verhältnis zum Leistungsanspruch der Versicherten, die Leistungsgewährung und damit die Verwirklichung der Leistungsansprüche faktisch. Wird die Bewilligung abgelehnt, so kann der Versicherte den behaupteten Anspruch auf das Mittel nur im Rechtsweg durchsetzen.187

Hierbei rückt die Frage in den Vordergrund, ob durch die zusätzlichen Instrumente der Anspruch des Patienten auf Heilmittel in ungerechtfertigter Weise gekürzt wird.

Dem OGH zufolge können den in der österreichischen KV versicherten Patienten grundsätzlich alle erhältlichen Medikamente verordnet werden, wenn dies im einzelnen Behandlungsfall den gesetzlich festgelegten Kriterien einer ausreichenden, zweckmäßigen und das Maß des Notwendigen nicht übersteigenden Krankenbehandlung dient. Weiters betont der OGH, dass der EKO, der jene Heilmittel auflistet, die ohne die sonst notwendige chefärztliche Bewilligung verschrieben werden können, das Recht der Versicherten auf

185 Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 136 ASVG Rz 19 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

186 Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 136 ASVG Rz 20 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

187 Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 136 ASVG Rz 22 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

68 Krankenbehandlung mit Heilmitteln nicht einschränke.188 Nicht jede ärztliche Verschreibung lässt einen gesetzlichen Anspruch auf eine Kostenerstattung des verordneten Heilmittels entstehen. Ein Leistungsanspruch ist nur gegeben, wenn die ärztliche Verschreibung auch den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht. Wesentlich ist jedoch, dass das Recht der Versicherten auf Krankenbehandlung weder durch den EKO, noch durch den Chefarzt eingeschränkt werden kann.189

Nach den Grundsätzen des ASVG unterliegen alle Heilmittel gemäß § 350 einer ex ante chefärztlichen Genehmigung. Davon ausgenommen sind jene Heilmittel, die im EKO angeführt sind. Die Verweigerung der Genehmigung durch den Chefarzt ist gerichtlich überprüfbar (vgl. § 350 Abs 3 ASVG).190

Die Konkretisierung des Leistungsanspruchs des Versicherten in der KV erfolgt daher im Streitfall durch die Gerichte, weil der Leistungsanspruch nach dem Gesetz letztlich nur im Einzelfall und nicht durch generelle Regelungen wie den EKO abschließend festgelegt werden darf. Die soziale KV hat demnach keine eigenständige Befugnis, den Leistungsumfang - hier bei den Heilmitteln - endgültig festzulegen.191 Hier merken Thaler und Plank an, dass in der Praxis der Leistungsumfang der gesetzlichen KV durch die Organe der KV dadurch stark beeinflusst wird, dass sie generelle Regelungen wie beispielsweise den EKO erlassen oder Verträge abschließen, wie etwa Gesamtverträge, sowie durch Einzelfallentscheidungen, die insbesondere durch die Chefärzte getroffen werden. Dies kann einem Versicherten im Bereich der Pflichtleistungen zwar nicht explizit das Recht auf eine bestimmte Leistung nehmen, sehr wohl aber den Weg dazu erschweren, weil er nur die Leistungen ohne weiteres bekommt, die im Gesamtvertrag oder im EKO vorgesehen sind.

Gibt sich ein Versicherter mit diesen Leistungen nicht zufrieden, so muss er zumindest die

188 OGH 07.03.2006, 10ObS22/06t.

189 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 187.

190 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 187.

191 OGH 07.03.2006, 10ObS22/06t.

69 Genehmigung des Chefarztes einholen oder bei deren Verweigerung klagen. Möglich ist einerseits eine Klage auf Erstattung der angefallenen Kosten für eine bereits erfolgte Behandlung und andererseits eine Feststellungsklage, dass eine Leistungspflicht über den Gesamtvertrag hinaus besteht.192

Wie der OGH bereits wiederholt ausgesprochen hat, hat der Versicherte somit keinen Anspruch auf Beistellung eines jeden (von ihm gewünschten oder ihm vom Arzt verschriebenen) Heilmittels; es steht ihm nur das im konkreten Fall notwendige und wirtschaftlichste Heilmittel zu.193

Diesen Ausführungen zufolge beschränken die genannten Steuerungsmittel - Bewilligungsvorbehalt, EKO, Liste nach § 351 c Abs 2 und RöV - den Leistungs- und Behandlungsanspruch nicht. Die Rechtsprechung greift zur Konkretisierung des Leistungsanspruchs – wenn die kontrollärztliche Bewilligung versagt wurde, aber auch im Verhältnis zu EKO und Liste – allein auf die allgemeinen Regeln zum Umfang des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach § 133 Abs 2 zurück.194

Neben dem OGH hat auch der VfGH bereits mehrfach ausgesprochen, dass der gemäß § 31 Abs 3 Z 12 vom Hauptverband herausgegebene EKO das Recht des Versicherten auf die für eine ausreichende und zweckmäßige Krankenbehandlung notwendigen Heilmittel nicht einschränke.195

Zwar wird der Anspruch nicht konkret eingeschränkt, trotzdem erscheint es fragwürdig, warum in manchen Fällen nur der Gerichtsweg offen bleibt. Eine indirekte Einschränkung des Anspruchs ist bei einem absoluten Ausschluss bestimmter Mittel in bestimmten Verordnungen gegeben, das Mittel kann in diesem Fall eventuell und nur nach einem meist langwierigen gerichtlichen Prozess zugesprochen werden. Der gesetzliche Anspruch auf alle

192 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 187.

193 OGH 23.03.2010, 10ObS21/10a.

194 Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 136 ASVG Rz 23 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

195 Seyfried in Sonntag (Hrsg.), ASVG8 (2017) § 351c Rz 4.

70 Heilmittel, sofern „nur“ die Kriterien des § 133 erfüllt sind, ist bei Verweisung des Patienten auf den Rechtsweg de facto stark entwertet. Es ist daher in der konkreten Behandlungssituation sehr wohl maßgeblich, welche Hürden für den Zugang zu welchen Heilmitteln bestehen.196