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Der Begriff des Gebrechens findet sich im § 154 ASVG. Diese Bestimmung regelt die Maßnahmen der Hilfe bei Gebrechen. Konkret ermächtigt dieser Paragraph den KV-Träger, Zuschüsse für die Anschaffung von Hilfsmitteln vorzusehen und zwar bei Vorliegen von Verstümmelungen, Verunstaltungen und körperlichen Gebrechen, welche die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit oder die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, wesentlich beeinträchtigen.

Wie bereits zuvor schon festgestellt wurde, muss eine notwendige Krankenbehandlung nicht zwangsläufig die vollständige Heilung eines Patienten zum Ziel haben. Ausreichend ist eine Besserung des Zustandes bzw. auch eine Verhütung von Verschlimmerungen. Die KV-Träger haben allerdings für Dauerleiden nur solange einzutreten, als deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Fehlt infolge der abgeschlossenen Entwicklung des Leidens die Möglichkeit ärztlicher Einflussnahme im Sinn einer Heilung, Besserung oder Verhütung von

22 Verschlimmerungen, ist die Regelwidrigkeit dem Gebrechen zuzuordnen. Der Krankheitsbegriff (§ 120 ASVG) und der Gebrechensbegriff (§ 154 ASVG) schließen einander aus.54

In ständiger Rechtsprechung hält der OGH zum Begriff des Gebrechens Folgendes fest:

Gebrechen sind ihrem Wesen nach medizinisch nicht beeinflussbare, gänzliche oder teilweise Ausfälle von normalen Körperfunktionen, die im medizinischen Sinne nicht mehr als Krankheit zu beurteilen sind.55

Problematisch ist hier die Grenzziehung. Folgt man den genannten Ausführungen zum Begriff des Gebrechens könnte man zu dem Schluss kommen, alle zum natürlichen Ablauf des menschlichen Lebens gehörenden Prozesse seien aus dem Krankheitsbegriff auszuscheiden.56 Dies hätte weitreichende Folgen, allein aufgrund der Tatsache, dass eine Vielzahl an Krankheiten sich erst mit Fortschreiten des Alters entwickelt bzw. allein bedingt durch die Alterung entsteht. Somit wären all diese Krankheiten von vornherein keine Krankheiten im Sinne der Sozialversicherung und es bestünde kein Anspruch auf Krankenbehandlung. Sinn und Zweck dieser Regelungen kann aber nicht sein, diese altersbedingten Zustände komplett aus dem Krankenversicherungsrecht zu filtern, zumal gerade die Ziele des Krankenversicherungsrechtes dazu im Widerspruch stehen würden.

Es ist unerlässlich diese getroffenen Aussagen nicht pauschal stehen zu lassen. Natürlich sind typische, die Allgemeinheit treffende Erscheinungen im Alter von jenen Zuständen zu trennen, die zumindest einer Schmerzbehandlung bedürfen. Einzelfallbezogene Erwägungen sind jedenfalls auch zu berücksichtigen.

Aufgrund der bisher gewonnenen Erkenntnisse können Leidenszustände bei unheilbaren Krankheiten nicht einfach in die „Schublade“ der Gebrechen geschoben werden. Trotzdem ist

54OGH 02.09.2003, 10ObS224/02t; vgl auch Binder in Tomandl (Hrsg.), System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 15. Ergänzungslieferung, 202.

55OGH 25.07.2000, 10ObS148/00p.

56Vgl Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 15-17 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

23 festzuhalten, dass diese Zustände auch nicht generell als „Krankheit“ anzusehen sind. Ob losgelöst vom Einzelfall eine genaue Abgrenzung der einzelnen Begriffe vorgenommen werden kann, bleibt in der Folge noch zu untersuchen.

4.1.1 Leistungen bei Gebrechen

Einschlägig ist hier § 154 ASVG, der die Hilfe bei körperlichen Gebrechen regelt. Das ASVG unterscheidet deutlich zwischen Leistungen, die im Krankheitsfall erbracht werden (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) und Leistungen bei körperlichen Gebrechen (Hilfsmittel).57 Wichtiger Unterschied ist, dass im Falle von Gebrechen „bloß“ die Ermächtigung der KV-Träger besteht, in der Satzung Zuschüsse für die Anschaffung von Hilfsmitteln vorzusehen.

Es besteht daher keine gesetzliche Verpflichtung diese vorzusehen. Sieht der KV-Träger jedoch Zuschüsse vor, so sind die satzungsgemäßen Leistungen Pflichtleistungen.58 Zudem ist die Leistung von Hilfsmitteln aus der KV subsidiär. Das bedeutet, dass sie nur gewährt werden, soweit nicht bereits ein Anspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung, eine Leistungsverpflichtung aus der gesetzlichen Pensionsversicherung im Rahmen der medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation oder ein gleichartiger Anspruch nach den im § 154 genannten Gesetzen besteht.59 Aus Abs 1 ergibt sich weiters, dass der KV-Träger Krankenbehandlung und Anstaltspflege als freiwillige Leistung gewähren kann, sofern dies notwendig und zweckmäßig ist und soweit auf diese Leistungen nicht schon ein Anspruch aus dem Versicherungsfall der Krankheit besteht.

Beschrieben werden die Hilfsmittel im Gesetz als Gegenstände oder Vorrichtungen, die geeignet sind, die Funktion fehlender oder unzulänglicher Körperteile zu übernehmen oder

57 OGH 10.09.2012, 10ObS118/12v.

58 Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 154 ASVG Rz 1 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

59 Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 154 ASVG Rz 2 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

24 die mit einer Verstümmelung, Verunstaltung oder einem Gebrechen verbundene körperliche oder psychische Beeinträchtigung zu mildern oder zu beseitigen.

Überschneidungen können sich zu den Heilbehelfen, die im Rahmen der Krankenbehandlung gewährt werden, ergeben. Eine Unterscheidung zwischen Heilbehelfen (§ 137 Abs 1) und Hilfsmitteln (§ 154 Abs 1) ist nach ständiger Rechtsprechung des OGH und herrschender Lehre danach zu treffen, ob der Behelf (im konkreten Anwendungsfall) dem Heilungszweck dient (Heilbehelf) oder ob er erst nach Abschluss des Heilungsprozesses (als Hilfsmittel) zum Einsatz kommt.60 So sind Behelfe, die zur Milderung oder Behebung wesentlicher Beeinträchtigungen bei Verstümmelungen, Verunstaltungen und körperlichen Gebrechen eingesetzt werden, Hilfsmittel.61

Im Wesentlichen bildet die Differenzierung zwischen Heilbehelfen und Hilfsmitteln eine Konsequenz der vom Gesetzgeber vorgenommenen Trennung zwischen Krankheit (im sozialversicherungsrechtlichen Sinn) und dem Gebrechen. Es kann daher nach diesem Verständnis ein und derselbe Gegenstand einmal Heilbehelf, ein anderes Mal Hilfsmittel sein.62 Als Beispiel nennt Mazal eine Krücke, die im Rahmen der Therapie nach einer Operation als Heilbehelf zu qualifizieren ist, nach Abschluss eines Heilungsprozesses bei einer Amputation aber als Hilfsmittel gewährt werden kann.63