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6.4 Verschreibung über die Steuerungsinstrumente hinaus

6.4.3 Schmerztherapie

Wie bereits erläutert wurde, verbleibt auch die „bloße“ Schmerzlinderung bei Schwerkranken im Leistungskatalog der KV. Die Palliativmedizin verfolgt das Ziel der Schmerzbekämpfung am Lebensende. Eine adäquate Schmerzversorgung ist Voraussetzung zur Erhaltung der Würde des Menschen. Schwere Erkrankungen verlaufen in den seltensten Fällen ohne Schmerzen. Schmerz satellt in den meisten Fällen von fortgeschrittenen Tumorerkrankungen sogar das Hauptsymptom dar. Problematisch wird es, wenn sich der Schmerz

„verselbstständigt“. Dann besteht im Sinne einer eigenständigen Schmerzkrankheit die Schmerzempfindung weiter, abgekoppelt von der „verursachenden Krankheit“. Diese eigenständige Schmerzkrankheit wird auch als „chronischer Schmerz“ bezeichnet. Im

272 Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Zehn Jahre Erstattungskodex für Arzneimittel - Sozialversicherung kämpft gegen steigende Medikamentenpreise, SozSi 2015, 96.

96 klinischen Alltag ist die Behandlung der Schmerzkrankheit schwierig und bedarf einer eigenen Spezialisierung.273 Mit dieser zunehmenden Bedeutung der Schmerzbehandlung treten auch die mit ihr verbundenen rechtlichen Fragen in den Vordergrund. Gibt es einen Rechtsanspruch auf eine ausreichende Schmerztherapie? Gibt es rechtliche Konsequenzen bei einer unzureichenden Schmerztherapie?274

Die rechtliche Pflicht zur Schmerzlinderung ist im Gesetz nicht explizit umschrieben. Aus § 49 Abs 1 ÄrzteG ergibt sich, dass der Arzt verpflichtet ist, jeden von ihm in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden und Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen.275 Somit ergibt sich das Recht auf Schmerztherapie aus der allgemeinen Behandlungspflicht. Außerdem sind grundlegende Patientenrechte in der Patientencharta ausführlich beschrieben. Die Patientencharta ist eine Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG, die zwischen Bund und Ländern abgeschlossen wurde.276 In Artikel 7 findet sich das Recht auf bestmögliche Schmerztherapie.

Die Vernachlässigung der Pflicht zur bestmöglichen Schmerzbehandlung zieht unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich. Einerseits macht sich der Arzt eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn er die Berufspflichten verletzt (§ 136 Abs 1 Z 2 in Verbindung mit § 49 Abs 1 ÄrzteG). Anderseits ergeben sich auch zivilrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen. Zivilrechtlich besteht ein Schadenersatzanspruch bei Unterlassung der erforderlichen Schmerzbehandlung, so hat der Patient gemäß § 1325 iVm § 1294 ABGB einen Anspruch auf Schmerzengeld.277

273 Endel, Schmerzversorgung in Österreich, SozSi 2013, 24 (24).

274 Schmoller, Schmerztherapie und Palliativmedizin: Rechtliche Aspekte, in Bernatzky/Sittl/Likar (Hrsg.), Schmerzbehandlung in der Palliativmedizin (2012) 301 (301).

275 Schmoller, Schmerztherapie und Palliativmedizin: Rechtliche Aspekte, in Bernatzky/Sittl/Likar (Hrsg.), Schmerzbehandlung in der Palliativmedizin (2012) 301 (301 – 302).

276 https://www.gesundheit.gv.at/gesundheitssystem/patientenrechte/patientencharta.

277 Schmoller, Schmerztherapie und Palliativmedizin: Rechtliche Aspekte, in Bernatzky/Sittl/Likar (Hrsg.), Schmerzbehandlung in der Palliativmedizin (2012) 301 (302 – 303).

97 Für das Strafrecht stellt sich die Frage, ob Schmerzen den in den strafrechtlichen Vorschriften verwendeten Begriff der „Gesundheitsschädigung“ erfüllen. Der OGH278 stellt fest, dass auch Schmerzen, die nicht auf eine pathologische Veränderung des Körpers zurückzuführen sind, eine Schädigung an der Gesundheit begründen, wenn ein von vom Betroffenen als Leiden empfundener Schmerzzustand von einiger Dauer vorliegt, welcher die Einwirkung auf seinen Körper überdauert und solcherart einer krankheitswertigen körperlichen (oder seelischen) Störung entspricht.279 Die Gesundheitsschädigung kann auch in bloßen Schmerzen bestehen, wobei auch (nur) zeitweise auftretende Schmerzen genügen.280 Bevor der OGH 2012 wieder zu dieser Judikaturlinie zurückkehrte, vertrat er zwischenzeitlich den Standpunkt, dass Schmerzen bloß Symptom einer Gesundheitsschädigung seien und deshalb das Vorhandensein von Schmerzen für sich allein keine Gesundheitsschädigung darstellen könne.281 Diese restriktive Position des OGH war deshalb kritikwürdig, weil selbst chronische Schmerzen mitunter ohne erkennbare Ursache auftreten und in diesem Fall die Schmerzen als solche die Krankheit sind.282 Somit ergibt sich für das Strafrecht, dass die Verlängerung eines Schmerzzustandes durch unzureichende Schmerzbehandlung den Straftatbestand des § 83 bzw. § 88 StGB durch Unterlassen erfüllt.283

Die Schmerztherapie ist zwar im Rahmen der Krankenbehandlung zu erbringen. Die spezielle Bedürfnislage der Schmerzpatienten erfordert aber wiederum spezielles Fachwissen für die adäquate Behandlung, vor allem im Bereich der Analgetika und multimodalen Therapien. Um eine flächendeckende Versorgung chronischer Schmerzpatienten gewährleisten zu können, ist die Errichtung von Schmerzzentren bzw. Schaffung weiterer Schmerzambulanzen, in denen

278 OGH 17.06.1982, 13 Os 18/82; OGH 18.10.2012, 13Os96/12k.

279 Schmoller, Schmerztherapie und Palliativmedizin: Rechtliche Aspekte, in Bernatzky/Sittl/Likar (Hrsg.), Schmerzbehandlung in der Palliativmedizin (2012) 301 (303).

280 OGH 06.06.1989, 11Os44/89.

281 OGH 28.02.1995, 14 Os 193/94.

282 Schmoller, Unzureichende Schmerzbehandlung strafbar! - Christian Kopetzki zum 60. Geburtstag, RdM 2014/190, 292.

283 Schmoller, Schmerztherapie und Palliativmedizin: Rechtliche Aspekte, in Bernatzky/Sittl/Likar (Hrsg.), Schmerzbehandlung in der Palliativmedizin (2012) 301 (304).

98 diese Patienten adäquat behandelt werden können, anzustreben. Nur mit multimodalen, aufeinander abgestimmten Therapiekonzepten und entsprechend geschultem, hochqualifiziertem Personal ist es möglich, dieses komplexe Krankheitsbild zufriedenstellend zu behandeln.284 Die Schmerzbehandlung schwer kranker Versicherter ist bei der Hospiz- und Palliativbetreuung mitumfasst. Dies spricht auch dafür, Hospiz- und Palliativversorgung rechtlich zu verankern, weil dadurch eine „allumfassende“ Behandlung gewährleistet wäre.

284 Endel, Schmerzversorgung in Österreich, SozSi 2013, 24 (36).

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7 V

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USBLICK

Nach Analyse der Bestimmungen im ASVG lässt sich zwar feststellen, dass diese Bestimmungen auch für die Behandlung schwer kranker Versicherter eine rechtliche Grundlage bieten, sie sind aber nicht in einem zufriedenstellenden und ausreichenden Maß auf die speziellen Bedürfnisse dieser Menschen zugeschnitten. Damit im Härtefall eine Versagung der Krankenbehandlung (weil beispielsweise Gebrechen vorliegt) nicht dazu führt, dass ein Versicherter auf sich allein gestellt bleibt, sollte ein eigenständiger Rechtsanspruch auf Hospiz- und Palliativversorgung in das ASVG aufgenommen werden. Das eingangs erwähnte Konzept der „abgestuften Hospiz- und Palliativversorgung“ ist schon ein Schritt in die richtige Richtung. Damit dieses Konzept und darauf aufbauend ein Rechtsanspruch verwirklicht werden kann, müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. In der Politik finden sich bereits plausible Umsetzungsideen.