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Anspruch auf Krankenbehandlung bei unheilbarer Krankheit

Ist die „bloße“ Erleichterung des Leidenszustandes noch Krankenbehandlung oder liegt dabei Gebrechen oder Pflegebedürftigkeit vor?

Die Beantwortung dieser Frage ist vor allem für die jeweiligen unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen von Relevanz.

Die unrichtige Beurteilung des Leidenszustands eines Patienten als Gebrechen würde dazu führen, dass bei unheilbaren chronischen Krankheiten (wie z.B. Hepatitis C, HIV [Aids], Krebs etc.), bei denen die Therapie typischerweise auf Symptombekämpfung beschränkt ist, nie eine Qualifikation als Krankheit im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG möglich wäre.149 Eine solche Beurteilung würde also auch die Palliativversorgung von vornherein aus dem Krankheitsbegriff ausschließen, weil die Palliation in der Medizin als eine Form der medizinischen Behandlung beschrieben wird, die nicht auf die Heilung einer Erkrankung, sondern auf die Linderung der von ihr verursachten Beschwerden gerichtet ist. Die Unbehebbarkeit des Leidens ist nach der Legaldefinition des § 120 aber gar kein Ausschlusskriterium.150

148 Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 33 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

149 OGH 08.11.2011, 10ObS70/11h.

150 OGH 08.11.2011, 10ObS70/11h.

53 Als Zwischenergebnis kann festgestellt werden, dass prinzipiell ein Anspruch auf Krankenbehandlung bei „bloßer“ Erleichterung des Leidenszustandes bestünde. Zumindest finden sich in der Lehre und Rechtsprechung einige stichhaltige Argumente, die diesen Anspruch befürworten. Auch aus der Auslegung des Gesetzes ergeben sich Anhaltspunkte, die für einen Anspruch sprechen.

Im Extremfall könnte der KV-Träger anderer Ansicht sein, weshalb dem Patienten dann nur mehr die Möglichkeit bleibt, den Rechtsweg zu beschreiten.

Es scheint doch äußerst insuffizient, einen Patienten auf den Rechtsweg zu verweisen und eine höchstgerichtliche Entscheidung in seinem Fall abzuwarten, zumal gerade am Ende des Lebens die Zeit drängt.

Die komplizierten Regelungen des Gesetzgebers, wo medizinische und juristische Maßstäbe aufeinandertreffen und sich zum Teil überlappen, können durch die demographischen Veränderungen und den medizinischen Fortschritt, den aktuellen Gegebenheiten nicht mehr gerecht werden.

Die Judikatur des OGH ist augenscheinlich von dem Anliegen geprägt, einerseits dem Gesetzeswortlaut gerecht zu werden, andererseits aber auch der Einzelfallgerechtigkeit ausreichend Platz zu lassen. Dies erweist sich freilich in der Praxis als ein schwieriger Spagat.

Die verschwommenen Grenzen werden dadurch nicht beseitigt.151

Blickt man mit diesen Gedanken in die Zukunft, wird die Finanzierung der KV noch wesentlich schwieriger werden. Alleine die Belastungen durch teure Behandlungsmethoden sowie Medikamente (z.B. Krebstherapie) stellen große Herausforderungen dar. Um auch teure Behandlungen für alle Versicherten finanzieren zu können, wird es notwendig sein, im Rand- und Bagatellbereich restriktiv zu sein. So ist es durchaus zumutbar, dass die einzelne betroffene Person die Kosten für Behandlungen und Mittel, die die Abkehr von der Nikotinsucht unterstützen, oder für Appetitzügler und Haarwuchsmittel selbst übernimmt, da

151 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (482).

54 diese im Normalfall für den Einzelnen auch leistbar sind, zumindest leistbarer als teure Therapien bei schweren Erkrankungen.152 Auch wenn nicht außer Acht gelassen wird, dass der Begriff der Krankenbehandlung nicht völlig von der betroffenen Person abstrahiert werden kann und subjektive Komponenten aufweist, muss in dem von einer objektiven Sichtweise geprägten SV-Recht eine Grenze der Leistungspflicht dort gezogen werden, wo Bedürfnisse aus der höchstpersönlichen Lebenssphäre des einzelnen Versicherten prägend in den Vordergrund treten.153

Der Regelungsbedarf in diesem Kontext lässt sich auch dadurch erschließen, dass seit der Stammfassung des ASVG aus dem Jahre 1955, also seit nunmehr über 60 Jahren, die gesetzlichen Grundlagen des Krankenbehandlungsanspruches gleich geblieben sind. Eine Umstrukturierung des Gesetzes wäre schon aus diesem Gesichtspunkt angebracht, um auch in Zukunft eine bestmögliche und gleichzeitig leistbare Gesundheitsversorgung sicherstellen zu können.154

Wünschenswert und sinnvoll wäre es auch, einen Rechtsanspruch auf Palliativ- und Hospizversorgung gesetzlich zu verankern. Mit der Normierung eines gesetzlichen Tatbestandes, müsste man nicht mehr unbedingt auf den Einzelfall abstellen, sondern könnte dadurch Einheitlichkeit und Rechtsicherheit schaffen. Angelehnt an die deutsche Bestimmung (siehe 7.4), könnte die Ungleichbehandlung und Überlappung eventuell vermieden werden.

Solange noch keine rechtliche Verankerung besteht, bleibt im Einzelfall zu entscheiden.

Über die bereits bestehende Forderung, einen derartigen Anspruch in Österreich zu verankern, wird in einem der nachfolgenden Kapitel berichtet.

152 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (488).

153 Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 20 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

154 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (476).

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5.5.1 Anwendung von Außenseitermethoden bzw. Alternativ- oder Komplementärmedizin im Stadium der Unheilbarkeit

Besteht ein Anspruch auf Krankenbehandlung auch bei Anwendung von Außenseitermethoden bzw. alternativ- oder komplementärmedizinischen Methoden? Diese Frage stellt sich gerade im Zusammenhang mit unheilbaren Erkrankungen, Betroffene sehen in diesen Methoden oft noch eine „letzte Chance“. Konkret ist zu klären, ob eine Leistungspflicht für Außenseitermethoden besteht, wenn diese „bloß“ zur Erleichterung des Leidenszustandes beitragen.

Die angeführten Methoden sind außerhalb der Schulmedizin stehende und von der Wissenschaft nicht anerkannte Behandlungsmethoden, weil sie wissenschaftlich (noch) nicht erprobt sind.155 Sie haben gemein, dass ihre Wirksamkeit in den meisten Fällen nicht mit der für anerkannte Mittel und Methoden geltenden Sicherheit abgeschätzt werden kann.156

Dem Gesetzestext des § 133 Abs 1 und 2 ist ein expliziter Ausschluss derartiger Methoden nicht zu entnehmen. Der Anspruch auf Krankenbehandlung ist im ASVG „methodenneutral“

formuliert, in dem Sinne, dass nicht allein Methoden der Schulmedizin zum Leistungsspektrum der KV gehören.157

In der Lehre spricht sich der Großteil für eine Kostenübernahme bei Anwendung von Außenseitermethoden aus, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Beispielweise nennt Mazal als Voraussetzung, dass die vom Arzt anzuwendende Sorgfalt eingehalten werde.158 Auch Schrammel bejaht die Leistungspflicht, wenn mit dieser alternativen Behandlung typischerweise ein Erfolg erzielt werden könne, wobei er darauf abstellt, dass die Methode in einer ausreichenden Zahl von Fällen wirksam war.159

155 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 120.

156 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 121.

157 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 154.

158 Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung (1992) 267.

159 Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht? ZAS 1986, 145 (151).

56 Der OGH bejaht einen Anspruch allerdings nur in Ausnahmefällen. Er setzt voraus, dass zunächst eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst versucht wurde. Das Maß des Notwendigen wäre anderenfalls überschritten.160 Der OGH vertritt daher in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz, dass kein Anlass zur Kostenübernahme für alternative Heilmethoden durch den gesetzlichen KV-Träger besteht, wenn herkömmliche Behandlungsmethoden erfolgreich und ohne Nebenwirkungen angewandt werden konnten (bzw. angewandt hätten werden können). Wenn jedoch schulmedizinische Behandlungsmethoden zu unerwünschten (erheblichen) Nebenwirkungen führen und durch alternative Heilmethoden der gleiche Behandlungserfolg (ohne solche Nebenwirkungen) erzielt werden kann, kommt im Sinn einer „zweckmäßigen“

Krankenbehandlung auch eine Kostenübernahme für alternative Heilmethoden durch den gesetzlichen KV-Träger in Betracht.161

Bezogen auf die Leidenszustände am Lebensende, ist diesen Ausführungen nicht Folge zu leisten. Auch wenn es sich „nur“ um die „bloße“ Erleichterung des Zustandes handelt, kann dem Versicherten gerade in dieser Phase nicht zugemutet werden, sich dem Risiko des

„Durchprobierens“ zu stellen. Wenn die Evidenz gegeben ist, dass eine bestimmte Außenseitermethode den Zustand erleichtert, sollte krankenversicherungsrechtlich eine Gleichstellung mit den schulmedizinischen Methoden gewährleistet sein. Unter dem Umstand, dass Evidenz besteht, sollte ein Anspruch auf Außenseitermethoden bzw.

alternative oder komplementäre Methoden jedenfalls bejaht werden, denn diesfalls scheint die Differenzierung zwischen schulmedizinischer und nicht schulmedizinscher Methode nicht gerechtfertigt. Thaler und Plank betonen sogar, dass bei besonders hohem Leidensdruck eines Versicherten (Krebs, HIV-Erkrankungen) sowie Personen, die von der Schulmedizin bereits

160 OGH 24.07.2008, 10ObS46/08z.

161 OGH 24.07.2008, 10ObS46/08z.

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„aufgegeben“ wurden, auch wissenschaftlich (noch) nicht ausreichend anerkannte Verfahren angewendet und ex ante auf Kosten der KV vergütet werden sollen.162

Letztendlich liegt die Entscheidung bei der KV. Aufgrund der dargelegten Argumente, sollte das Leistungsspektrum aber auf die erwähnten Fälle ausgeweitet werden.

Im Rahmen dieses Kapitels soll noch ein Blick auf einen weiteren Aspekt der

„unkonventionellen“ Methoden geworfen werden. Kann man aus dem zuvor Gesagten auch einen Anspruch auf Verfahren des Heilpraktikers ableiten, wenn diese Art der Behandlung erfolgreich war?

Dazu ist zuerst klarzustellen, dass der Beruf des Heilpraktikers in Österreich nur Inhabern eines Arztdiploms vorbehalten ist.163 Außerhalb des Arztberufes, ist diese Art der Behandlung verboten und steht in Österreich unter Strafe. Der OGH stellt dazu fest, dass die beabsichtigte Inanspruchnahme eines Heilpraktikers nicht zu den für eine Krankenbehandlung im Sinn des ASVG vorgesehenen Leistungen gehört.164 Wird eine solche Behandlung aber von einem Arzt durchgeführt und war sie erfolgreich, könnte auf Basis der obigen Ausführungen zu alternativmedizinischen Behandlungen grundsätzlich ein Anspruch auf Kostenübernahme befürwortet werden. Diese „Ausnahme“ soll nur gelten, wenn die angeführten Voraussetzungen vorliegen. Es muss sich um eine evidenzbasierte Methode handeln, der Versicherte sich in einem besonders starken Leidenszustand befinden und die Schulmedizin an ihrem „Ende“ angelangt sein. Für eine generelle Aufnahme „unkonventioneller“ Methoden in den Leistungskatalog der gesetzliche KV liegen keine stichhaltigen Argumente vor, zumal dies zu einem Ausarten der Leistungen führen würde und die gesetzlich geforderte Wissenschaftlichkeit für Krankenbehandlungen nicht mehr gewährleistet wäre. Die Forderung nach der Evidenz ist deshalb so wichtig, weil es einen beträchtlichen Unterschied macht, ob

162 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 212.

163 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 205.

164 OGH 20.02.2001, 10ObS2/01v.

58 die konkrete Behandlungstherapie in kausalem Zusammenhang mit der Verbesserung des Leidenszustands des Versicherten stand oder, ob es zur Spontanheilung (Selbstheilung) kam.

Nur wenn die Methode des Heilpraktikers den Zustand tatsächlich erleichtert, kann eine Kostenübernahme bejaht werden.

Aufschlüsse zu dieser Thematik lassen sich auch aus den Bestimmungen zu Heilmitteln ableiten, weil sie Teil der Krankenbehandlung sind. „Herkömmliche“ Medikamente müssen zahlreichen Tests unterzogen werden, bevor sie überhaupt zugelassen werden können. Dies muss dann selbstverständlich (und erst recht) auch für (Heil-) Mittel unkonventioneller Methoden gelten, damit die Evidenz für ihre Wirksamkeit gegeben ist. Nachdem schulmedizinische Mittel einem Zulassungsverfahren unterliegen, muss sich ein solches auch auf nicht schulmedizinische Mittel erstrecken.

Auch die Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen (RöV) fordern grundsätzlich das Vorliegen einer Zulassung in Österreich (siehe 6.2 und 6.4). Eine Ausnahme besteht, wenn eine zumutbare, erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst mit in Österreich zugelassenen Heilmitteln nicht zur Verfügung steht oder erfolglos blieb und entweder die Behandlung mit dem nicht zugelassenen Heilmittel erfolgreich war oder von der Behandlung nach den Ergebnissen einer für die Bildung eines Erfahrungssatzes ausreichenden Zahl von Fällen ein Erfolg erwartet werden konnte (§ 6 Abs 1 Z 1 RöV). Ausgeschlossen von der Kostenübernahme sind nach § 8 Z 4 RöV Mittel mit offensichtlich nicht ausreichendem Nachweis einer therapeutischen Wirkung.

In Summe ergibt sich, dass die Kosten bei Anwendung von Außenseitermethoden, Alternativ- oder Komplementärmedizin bzw. Verfahren des Heilpraktikers im Stadium der Unheilbarkeit von der gesetzlichen KV zu tragen sind, wenn erwiesen ist, dass der Zustand des Patienten dadurch erleichtert wird.

59 5.5.2 Psychosoziale Betreuung im Stadium der Unheilbarkeit

Die schwere Erkrankung eines Versicherten kann eine starke psychische Belastung nach sich ziehen. Erfolgt eine Betreuung durch einen Psychotherapeuten, der bei der „Bewältigung“ der Situation hilft, stellt sich die Frage, ob die Kosten dieser Betreuung auch von der KV zu tragen sind. Ist die Begleitung in der aktuellen Lebenssituation im Sinne einer psychosozialen Betreuung im Leistungskatalog der KV enthalten?

Zu den Leistungen der Krankenbehandlung gehört neben der Gewährung von Heilmitteln auch die ärztliche Hilfe. Psychotherapeutische Behandlungen sind nach § 135 Abs 1 Z 3 der ärztlichen Hilfe gleichgestellt. Eine Gleichstellung für erforderliche diagnostische Leistung eines klinischen Psychologen findet sich in § 135 Abs 1 Z 2. Dies ist aber keine „echte“

Gleichstellung, weil klinische Psychologen lediglich diagnostische Leistungen nach ärztlicher Verschreibung oder psychotherapeutischer Zuweisung erbringen dürfen, während die in Z 3 genannte Berufsgruppe zur Durchführung von Behandlungen auf Kosten der KV berechtigt ist.165

Aus der Systematik des ASVG ergibt sich, dass die „allgemeinen“ Regelungen über die Leistungen der KV auch auf psychotherapeutische Behandlungen anzuwenden sind. Daraus folgt, dass psychotherapeutische Leistungen nur zu gewähren sind, wenn eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn vorliegt. Die psychotherapeutischen Leistungen müssen den in § 133 ASVG genannten Zielen der Krankenbehandlung dienen. Die Leistungen müssen ausreichend und zweckmäßig sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen aber nicht übersteigen.166 Der weit gefasste Begriff der Psychotherapie im Psychotherapiegesetz wird somit deutlich eingeengt und umfasst nur psychologische Diagnostik bzw. die psychotherapeutische Krankenbehandlung. Somit ist nicht jede Tätigkeit, zu der ein Psychotherapeut oder Psychologe berufsrechtlich ermächtigt ist, Krankenbehandlung im

165 Felten in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 135 ASVG Rz 12 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

166 Schrammel, Psychotherapie und soziale Krankenversicherung - Rechtsgutachten über Kostenzuschüsse zu psychotherapeutischen Leistungen, SozSi 2001, 351 (358).

60 Sinne der Sozialversicherung. Außer den genannten, sind andere Behandlungen im Sinne des

§ 1 Abs 1 Psychotherapiegesetz, wie etwa die psychosoziale Betreuung, nicht von der Leistungszuständigkeit der gesetzlichen KV erfasst.167

Somit besteht prinzipiell keine Leistungspflicht der KV für die psychosoziale Betreuung eines unheilbar kranken Versicherten. Jedoch ist zu überlegen, ob sich eventuell Argumente für einen Anspruch finden lassen.

Problematisch ist dies im Hinblick darauf, dass diese Befindensstörung nicht zwangsläufig einen Krankheitswert erreicht. Unter Umständen kann auf die Ziele der Krankenbehandlung zurückgegriffen werden. Die (psychotherapeutische) Krankenbehandlung wäre dann notwendig, wenn der regelwidrige Zustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, zumindest aber gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn die ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern. Entscheidend ist, ob die Ziele erreichbar scheinen. Es genügt somit, dass der regelwidrige Zustand durch die (psychotherapeutische) Krankenbehandlung günstig beeinflusst werden kann, auch wenn diese das Leiden nur erträglicher gestalten und der Verlängerung des Lebens dienen kann.168

Schrammel169 und Binder170 betonen, dass das seelische Leiden bereits manifest sein muss und auch eine gewisse Schwere aufweisen muss. Dementsprechend gilt, dass die bloße Möglichkeit des Umschlagens einer psychischen Belastung in eine psychische Störung, also die bloße Gefahr einer psychischen Erkrankung, noch keine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne darstellt. Die bloße psychische Belastung hat somit noch keinen Krankheitswert.171

167 Karl, Der krankenversicherungsrechtliche Leistungsanspruch psychisch Kranker, DRdA 2006, 152 (152).

168 Karl, Der krankenversicherungsrechtliche Leistungsanspruch psychisch Kranker, DRdA 2006, 152 (155).

169 Schrammel, Psychotherapie und soziale Krankenversicherung - Rechtsgutachten über Kostenzuschüsse zu psychotherapeutischen Leistungen, SozSi 2001, 351 (353).

170 Binder, Psychotherapie und sozialversicherungsrechtlicher Krankheitsbegriff, SozSi 1999, 1173 (1188).

171 Schrammel, Psychotherapie und soziale Krankenversicherung - Rechtsgutachten über Kostenzuschüsse zu psychotherapeutischen Leistungen, SozSi 2001, 351 (353).

61 Schrammel führt aus, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot auch bei psychotherapeutischen Behandlungen letztlich zur Frage zwinge, ob die durch eine Behandlung erreichte Veränderung im Befinden des Versicherten noch in einem einigermaßen vernünftigen Verhältnis zu den aufzuwendenden Kosten stehe.172 Abzuwägen ist dabei, in welchem Ausmaß die Solidargemeinschaft belastet werden kann und ob in einem solchen Fall das gesundheitliche Interesse des Einzelnen wirklich stärker gewichtet werden kann.

In Summe, sprechen die gesetzlichen Bestimmungen und die Stimmen in der Literatur insgesamt eher gegen einen Anspruch auf psychosoziale Betreuung bei einem unheilbar kranken Versicherten.

Ein möglicher Lösungsansatz besteht in der bereits erwähnten gesetzlichen Verankerung der Palliativ- und Hospizversorgung in der KV. Diese beinhaltet als „allumfassende“ Versorgung Schwerstkranker auch die begleitende psychosoziale Betreuung.

172 Schrammel, Psychotherapie und soziale Krankenversicherung - Rechtsgutachten über Kostenzuschüsse zu psychotherapeutischen Leistungen, SozSi 2001, 351 (354).

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Die Heilmittel stellen im Rahmen der Krankenbehandlung einen wesentlichen Bestandteil der medizinischen Versorgung dar. In diesem Kapitel soll die gesetzliche Regelung samt ihren Grenzen analysiert werden. Gerade bei schwer kranken Menschen könnten sich an der

„Grenze“ Probleme ergeben, da neben den „etablierten“ Heilmitteln beispielsweise auch Mittel wie Cannabinoide von Relevanz sein könnten. Dabei stellt sich die Frage, welche Heilmittel überhaupt dem Leistungsspektrum der gesetzlichen KV angehören und in weiterer Folge, ob ein bestimmtes Mittel unter den gesetzlichen Tatbestand zu subsumieren ist.

Aufgrund der besonderen Bedeutung von Heilmitteln im letzten Lebensabschnitt, vor allem schmerzlindernden Mitteln, werden die Heilmittel im Rahmen der vorliegenden Arbeit in einem gesonderten Kapitel einer Analyse unterzogen.