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Sonderproblem der „weltbesten“ Behandlung

Zum Problem der „weltbesten“ Behandlung wurde ja bereits ausgeführt, dass der Versicherte nach ständiger Rechtsprechung des OGH keinen Rechtsanspruch auf die jeweils weltbeste medizinische Versorgung hat. Der Versichertengemeinschaft ist es nicht zuzumuten, die (wesentlich höheren) Kosten einer Operation im Ausland zu übernehmen, wenn eine gleiche Operation mit ausreichender Erfolgswahrscheinlichkeit innerhalb des notwendigen Zeitraums kostengünstiger im Inland möglich wäre. Solange der KV-Träger im Inland eine zweckmäßige und ausreichende Krankenbehandlung zur Verfügung stellt, hat er seiner

138 Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 20 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

139 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (483).

48 Verpflichtung zur Sachleistungsvorsorge entsprochen und es besteht daher in diesem Fall kein Anspruch auf Ersatz der tatsächlichen Kosten einer medizinisch gleichwertigen, allenfalls auch aufwendigeren Therapie im Ausland.140

Diesem Standpunkt ist auch grundsätzlich nichts entgegenzuhalten, solange eine Behandlungsmöglichkeit in Österreich gegeben ist. Allerdings ist es unklar, ob die gesetzliche KV auch dann leistungspflichtig ist, wenn die Behandlung weltweit nur in einer Krankenanstalt verfügbar ist und somit im Inland eine Behandlungsmöglichkeit überhaupt nicht vorhanden ist. Bei besonders seltenen und schweren Erkrankungen ist dies durchaus denkbar. In der letzten Lebensphase ist es dann von herausragender Bedeutung, ob in einem solchen Fall ausnahmsweise doch ein Anspruch auf die „weltbeste“ Behandlung besteht.

Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, ob eine Leistungspflicht besteht, wenn in Österreich nicht genügend Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, bzw. wenn der Versicherte einer langen Wartezeit ausgesetzt ist und die Behandlung im Ausland zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen könnte.

Im Kontext der grenzüberschreitenden Krankenbehandlung sind neben den inländischen auch internationale bzw. europarechtliche Bestimmungen zu beachten.

Gewisse Klarheit schafften die Urteile des EuGH, in denen wiederholt festgestellt wird, dass eine Behandlung im Ausland nicht verweigert werden darf, wenn die gleiche oder eine ebenso wirksame Behandlung im Heimatstaat nicht rechtzeitig erlangt werden kann.141 Sprich, bei einer ungenügenden Anzahl an Behandlungsmöglichkeiten im Inland, welche schlussendlich zu langen Wartezeiten führt, könnte man quasi über den EU-rechtlichen „Umweg“ zur Behandlung gelangen.

In einem jüngeren Urteil bestätigt der EuGH dies und erweitert seine Rechtsprechung dahingehend, dass eine Behandlung im Ausland nicht verweigert werden darf, wenn der

140 OGH 13.03.2012, 10ObS20/12g.

141 EuGH 23.10.2003, C-56/01, Inizan, EU:C:2003:578, Rz 60; siehe auch EuGH 16.05.2006, C-372/04, Watts, EU:C:2006:325, Rz 61; und EuGH 05.10.2010,C-173/09, Elchinov, EU:C:2010:581, Rz 65.

49 Sozialversicherte die betreffende Krankenhausbehandlung im Wohnsitzmitgliedstaat aufgrund des Fehlens von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material nicht rechtzeitig erhalten kann.142

Wendet man diese Rechtsprechung auf besondere „Härtefälle“ an, kann argumentiert werden, dass ausnahmsweise doch der Anspruch auf die „weltbeste“ Behandlung besteht. Wenn laut EuGH gilt, dass eine Behandlung im Ausland nicht verweigert werden darf, wenn die Behandlung im Inland nicht rechtzeitig erbracht werden kann, so muss dies erst recht auch dann gelten, wenn es überhaupt gar keine Behandlungsmöglichkeit in Österreich gibt. In diesem Einzelfall wäre dann nämlich das Recht des Versicherten auf „ausreichende“

Krankenbehandlung tangiert, weil keine ausreichende andere Leistung zur Verfügung steht, die denselben gesundheitlichen Zweck erreicht (siehe 5.2.2). Nach dieser Argumentation käme eine Übernahme der Kosten durch die KV in Betracht. Letztendlich entscheidet die zuständige Krankenkasse, ob die Kosten übernommen werden oder nicht.

Verneint man einen Rechtsanspruch, könnte man überlegen, ob die Übernahme der Kosten dann strafrechtliche Folgen für den KV-Träger nach sich zieht, da Leistungen gewährt werden auf die kein Anspruch besteht. Eine strafrechtliche Belangung wird aber daran scheitern, dass kein Schädigungsvorsatz vorliegt (§ 302 StGB). Eventuell kommen andere, beispielweise interne, Konsequenzen in Frage. Solche wären aber auch zu verneinen, wenn die Übernahme der Kosten aus einem gesondert eingerichteten „Härtefälle-Fond“ für genau solche Situationen erfolgt.

142 EuGH 09.10.2014, C-268/13, Petru, EU:C:2014:2271, Rz 36.

50 5.4 Ziele der Krankenbehandlung in Bezug auf unheilbare Zustände

Aus den Überlegungen Holzers können einige wichtige Erkenntnisse für die vorliegende Arbeit gewonnen werden, da er die Ziele der Krankenbehandlung unter dem Blickwinkel unheilbarer Leidenszustände betrachtet.

Gemäß § 133 Abs 2 ASVG bezweckt die Krankenbehandlung die Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederherzustellen, zu festigen oder zu bessern. Nach Ansicht Holzers ist es daher ausreichend, wenn eine bloße Besserstellung oder gar nur Vermeidung einer Verschlechterung des Leidens angestrebt wird, eine vollständige und endgültige Heilung des Versicherten ist nicht zwangsläufig das Ziel der Krankenbehandlung. Somit sind auch unbehebbare Leiden grundsätzlich der Krankenbehandlung im Sinne des ASVG zugänglich, solange die Entwicklung des Dauerleidens noch nicht abgeschlossen ist. So werden insbesondere irreversible Organausfälle, die zur Lebenserhaltung eine ständige Behandlung erfordern, von der Verwaltungspraxis der KV-Träger unstrittigerweise als Krankheit anerkannt und die jeweiligen Therapien als Krankenbehandlung von der KV übernommen.

Dies gilt für die Insulinbehandlung Zuckerkranker ebenso wie für die Dialysebehandlung bei Niereninsuffizienz und die Schmerztherapie bei Krebspatienten.143

Aus den Ausführungen Holzers geht auch hervor, dass die ärztliche Behandlung nicht ausschließlich in einer Heilbehandlung mit Aussicht auf Besserung des Leidens bestehen müsse, es sei auch hinreichend, wenn sie sich auf die ärztliche Überwachung der Lebensführung der Erkrankten oder auf die Schmerzlinderung und die Eindämmung von Anfällen beschränkt. Krankheit im Sinne des § 120 Z 1 ASVG liege immer dann vor, wenn äußere Krankheitserscheinungen in solcher Art auftreten, dass sie der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe und der Anwendung von Heilmitteln bedürfen, wobei unter Heilmittel, wie

143 Holzer, Der Leistungsanspruch unheilbar Kranker im System der gesetzlichen Krankenversicherung, in FS Krejci (2001) Bd II, 1549 - 1550.

51 sich aus § 136 Abs 1 lit b ASVG ergebe, auch schmerzlindernde Mittel verstanden werden müssen. Bei Dauerzuständen sei es vor allem entscheidend, dass die ärztliche Mitwirkung wenigstens dem Zweck einer erträglicheren Gestaltung des Leidens dient. Die KV habe daher grundsätzlich auch für Dauerleiden einzustehen, solange die Entwicklung nicht abgeschlossen und eine ärztliche Behandlung noch erforderlich ist.“144

Anlehnend an die Ausführungen von Holzer kann festgehalten werden, dass eine Krankenhandlung bei unheilbaren Dauerleiden nicht per se ausgeschlossen ist. Diese Argumentation kann jedenfalls damit begründet werden, dass ein Ausschluss mit den genannten Zielen aus § 133 Abs 2 nicht im Einklang stünde.

Laut OGH liegt eine echte Krankenbehandlung im Sinne des § 133 vor, wenn eine medizinische Behandlung dazu dient, die Remission zu verlängern.145 Eine Remission ist das temporäre oder dauerhafte Nachlassen von Krankheitssymptomen, ohne jedoch eine tatsächliche Genesung zu erzielen. Die Ansicht des OGH ist somit deckungsgleich mit jener von Holzer.

Ein weiteres Argument, das für die Einordnung als Krankenbehandlung spricht, ist, dass der Krankenbehandlungsanspruch nicht vom Erfolg der eingesetzten Therapie abhängig ist. Dies bedeutet im Endeffekt, dass eine vollständige Heilung nicht nachgewiesen werden muss.

Bloße Schmerzlinderung, ärztliche Überwachung oder die Anordnung einer bestimmten Lebensweise ist ausreichend.146 Selbst eine Verbesserung oder Verhütung von Verschlimmerungen muss dadurch aber nicht tatsächlich eintreten. Es reicht bereits die bloße Eignung der Behandlung, da laut OGH die Ziele „nach Möglichkeit“ wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden sollen.147

144 Holzer, Der Leistungsanspruch unheilbar Kranker im System der gesetzlichen Krankenversicherung, in FS Krejci (2001) Bd II, 1549 - 1550.

145 Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 31 (Stand 31.12.2012, rdb.at) mwN.

146Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 32 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

147 OGH 12.09.1996, 10ObS2303/96s.

52 Auch die Eignung zur Symptombekämpfung (zum Beispiel Schmerzbehandlung) ist Krankenbehandlung, weil sie zu einer Verbesserung des Gesundheitszustands führt.148

In Summe, spricht einiges dafür, die „bloße“ Erleichterung des Leidenszustandes unter die Krankenbehandlung zu subsumieren. Dies kann jedenfalls für bestimmte Einzelfälle gelten.

Jedoch wird man losgelöst vom Einzelfall, eine solche Zuordnung nicht ohneweiters vornehmen können.

5.5 Anspruch auf Krankenbehandlung bei unheilbarer Krankheit

Ist die „bloße“ Erleichterung des Leidenszustandes noch Krankenbehandlung oder liegt dabei Gebrechen oder Pflegebedürftigkeit vor?

Die Beantwortung dieser Frage ist vor allem für die jeweiligen unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen von Relevanz.

Die unrichtige Beurteilung des Leidenszustands eines Patienten als Gebrechen würde dazu führen, dass bei unheilbaren chronischen Krankheiten (wie z.B. Hepatitis C, HIV [Aids], Krebs etc.), bei denen die Therapie typischerweise auf Symptombekämpfung beschränkt ist, nie eine Qualifikation als Krankheit im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG möglich wäre.149 Eine solche Beurteilung würde also auch die Palliativversorgung von vornherein aus dem Krankheitsbegriff ausschließen, weil die Palliation in der Medizin als eine Form der medizinischen Behandlung beschrieben wird, die nicht auf die Heilung einer Erkrankung, sondern auf die Linderung der von ihr verursachten Beschwerden gerichtet ist. Die Unbehebbarkeit des Leidens ist nach der Legaldefinition des § 120 aber gar kein Ausschlusskriterium.150

148 Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 33 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

149 OGH 08.11.2011, 10ObS70/11h.

150 OGH 08.11.2011, 10ObS70/11h.

53 Als Zwischenergebnis kann festgestellt werden, dass prinzipiell ein Anspruch auf Krankenbehandlung bei „bloßer“ Erleichterung des Leidenszustandes bestünde. Zumindest finden sich in der Lehre und Rechtsprechung einige stichhaltige Argumente, die diesen Anspruch befürworten. Auch aus der Auslegung des Gesetzes ergeben sich Anhaltspunkte, die für einen Anspruch sprechen.

Im Extremfall könnte der KV-Träger anderer Ansicht sein, weshalb dem Patienten dann nur mehr die Möglichkeit bleibt, den Rechtsweg zu beschreiten.

Es scheint doch äußerst insuffizient, einen Patienten auf den Rechtsweg zu verweisen und eine höchstgerichtliche Entscheidung in seinem Fall abzuwarten, zumal gerade am Ende des Lebens die Zeit drängt.

Die komplizierten Regelungen des Gesetzgebers, wo medizinische und juristische Maßstäbe aufeinandertreffen und sich zum Teil überlappen, können durch die demographischen Veränderungen und den medizinischen Fortschritt, den aktuellen Gegebenheiten nicht mehr gerecht werden.

Die Judikatur des OGH ist augenscheinlich von dem Anliegen geprägt, einerseits dem Gesetzeswortlaut gerecht zu werden, andererseits aber auch der Einzelfallgerechtigkeit ausreichend Platz zu lassen. Dies erweist sich freilich in der Praxis als ein schwieriger Spagat.

Die verschwommenen Grenzen werden dadurch nicht beseitigt.151

Blickt man mit diesen Gedanken in die Zukunft, wird die Finanzierung der KV noch wesentlich schwieriger werden. Alleine die Belastungen durch teure Behandlungsmethoden sowie Medikamente (z.B. Krebstherapie) stellen große Herausforderungen dar. Um auch teure Behandlungen für alle Versicherten finanzieren zu können, wird es notwendig sein, im Rand- und Bagatellbereich restriktiv zu sein. So ist es durchaus zumutbar, dass die einzelne betroffene Person die Kosten für Behandlungen und Mittel, die die Abkehr von der Nikotinsucht unterstützen, oder für Appetitzügler und Haarwuchsmittel selbst übernimmt, da

151 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (482).

54 diese im Normalfall für den Einzelnen auch leistbar sind, zumindest leistbarer als teure Therapien bei schweren Erkrankungen.152 Auch wenn nicht außer Acht gelassen wird, dass der Begriff der Krankenbehandlung nicht völlig von der betroffenen Person abstrahiert werden kann und subjektive Komponenten aufweist, muss in dem von einer objektiven Sichtweise geprägten SV-Recht eine Grenze der Leistungspflicht dort gezogen werden, wo Bedürfnisse aus der höchstpersönlichen Lebenssphäre des einzelnen Versicherten prägend in den Vordergrund treten.153

Der Regelungsbedarf in diesem Kontext lässt sich auch dadurch erschließen, dass seit der Stammfassung des ASVG aus dem Jahre 1955, also seit nunmehr über 60 Jahren, die gesetzlichen Grundlagen des Krankenbehandlungsanspruches gleich geblieben sind. Eine Umstrukturierung des Gesetzes wäre schon aus diesem Gesichtspunkt angebracht, um auch in Zukunft eine bestmögliche und gleichzeitig leistbare Gesundheitsversorgung sicherstellen zu können.154

Wünschenswert und sinnvoll wäre es auch, einen Rechtsanspruch auf Palliativ- und Hospizversorgung gesetzlich zu verankern. Mit der Normierung eines gesetzlichen Tatbestandes, müsste man nicht mehr unbedingt auf den Einzelfall abstellen, sondern könnte dadurch Einheitlichkeit und Rechtsicherheit schaffen. Angelehnt an die deutsche Bestimmung (siehe 7.4), könnte die Ungleichbehandlung und Überlappung eventuell vermieden werden.

Solange noch keine rechtliche Verankerung besteht, bleibt im Einzelfall zu entscheiden.

Über die bereits bestehende Forderung, einen derartigen Anspruch in Österreich zu verankern, wird in einem der nachfolgenden Kapitel berichtet.

152 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (488).

153 Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 20 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

154 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (476).

55

5.5.1 Anwendung von Außenseitermethoden bzw. Alternativ- oder Komplementärmedizin im Stadium der Unheilbarkeit

Besteht ein Anspruch auf Krankenbehandlung auch bei Anwendung von Außenseitermethoden bzw. alternativ- oder komplementärmedizinischen Methoden? Diese Frage stellt sich gerade im Zusammenhang mit unheilbaren Erkrankungen, Betroffene sehen in diesen Methoden oft noch eine „letzte Chance“. Konkret ist zu klären, ob eine Leistungspflicht für Außenseitermethoden besteht, wenn diese „bloß“ zur Erleichterung des Leidenszustandes beitragen.

Die angeführten Methoden sind außerhalb der Schulmedizin stehende und von der Wissenschaft nicht anerkannte Behandlungsmethoden, weil sie wissenschaftlich (noch) nicht erprobt sind.155 Sie haben gemein, dass ihre Wirksamkeit in den meisten Fällen nicht mit der für anerkannte Mittel und Methoden geltenden Sicherheit abgeschätzt werden kann.156

Dem Gesetzestext des § 133 Abs 1 und 2 ist ein expliziter Ausschluss derartiger Methoden nicht zu entnehmen. Der Anspruch auf Krankenbehandlung ist im ASVG „methodenneutral“

formuliert, in dem Sinne, dass nicht allein Methoden der Schulmedizin zum Leistungsspektrum der KV gehören.157

In der Lehre spricht sich der Großteil für eine Kostenübernahme bei Anwendung von Außenseitermethoden aus, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Beispielweise nennt Mazal als Voraussetzung, dass die vom Arzt anzuwendende Sorgfalt eingehalten werde.158 Auch Schrammel bejaht die Leistungspflicht, wenn mit dieser alternativen Behandlung typischerweise ein Erfolg erzielt werden könne, wobei er darauf abstellt, dass die Methode in einer ausreichenden Zahl von Fällen wirksam war.159

155 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 120.

156 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 121.

157 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 154.

158 Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung (1992) 267.

159 Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht? ZAS 1986, 145 (151).

56 Der OGH bejaht einen Anspruch allerdings nur in Ausnahmefällen. Er setzt voraus, dass zunächst eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst versucht wurde. Das Maß des Notwendigen wäre anderenfalls überschritten.160 Der OGH vertritt daher in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz, dass kein Anlass zur Kostenübernahme für alternative Heilmethoden durch den gesetzlichen KV-Träger besteht, wenn herkömmliche Behandlungsmethoden erfolgreich und ohne Nebenwirkungen angewandt werden konnten (bzw. angewandt hätten werden können). Wenn jedoch schulmedizinische Behandlungsmethoden zu unerwünschten (erheblichen) Nebenwirkungen führen und durch alternative Heilmethoden der gleiche Behandlungserfolg (ohne solche Nebenwirkungen) erzielt werden kann, kommt im Sinn einer „zweckmäßigen“

Krankenbehandlung auch eine Kostenübernahme für alternative Heilmethoden durch den gesetzlichen KV-Träger in Betracht.161

Bezogen auf die Leidenszustände am Lebensende, ist diesen Ausführungen nicht Folge zu leisten. Auch wenn es sich „nur“ um die „bloße“ Erleichterung des Zustandes handelt, kann dem Versicherten gerade in dieser Phase nicht zugemutet werden, sich dem Risiko des

„Durchprobierens“ zu stellen. Wenn die Evidenz gegeben ist, dass eine bestimmte Außenseitermethode den Zustand erleichtert, sollte krankenversicherungsrechtlich eine Gleichstellung mit den schulmedizinischen Methoden gewährleistet sein. Unter dem Umstand, dass Evidenz besteht, sollte ein Anspruch auf Außenseitermethoden bzw.

alternative oder komplementäre Methoden jedenfalls bejaht werden, denn diesfalls scheint die Differenzierung zwischen schulmedizinischer und nicht schulmedizinscher Methode nicht gerechtfertigt. Thaler und Plank betonen sogar, dass bei besonders hohem Leidensdruck eines Versicherten (Krebs, HIV-Erkrankungen) sowie Personen, die von der Schulmedizin bereits

160 OGH 24.07.2008, 10ObS46/08z.

161 OGH 24.07.2008, 10ObS46/08z.

57

„aufgegeben“ wurden, auch wissenschaftlich (noch) nicht ausreichend anerkannte Verfahren angewendet und ex ante auf Kosten der KV vergütet werden sollen.162

Letztendlich liegt die Entscheidung bei der KV. Aufgrund der dargelegten Argumente, sollte das Leistungsspektrum aber auf die erwähnten Fälle ausgeweitet werden.

Im Rahmen dieses Kapitels soll noch ein Blick auf einen weiteren Aspekt der

„unkonventionellen“ Methoden geworfen werden. Kann man aus dem zuvor Gesagten auch einen Anspruch auf Verfahren des Heilpraktikers ableiten, wenn diese Art der Behandlung erfolgreich war?

Dazu ist zuerst klarzustellen, dass der Beruf des Heilpraktikers in Österreich nur Inhabern eines Arztdiploms vorbehalten ist.163 Außerhalb des Arztberufes, ist diese Art der Behandlung verboten und steht in Österreich unter Strafe. Der OGH stellt dazu fest, dass die beabsichtigte Inanspruchnahme eines Heilpraktikers nicht zu den für eine Krankenbehandlung im Sinn des ASVG vorgesehenen Leistungen gehört.164 Wird eine solche Behandlung aber von einem Arzt durchgeführt und war sie erfolgreich, könnte auf Basis der obigen Ausführungen zu alternativmedizinischen Behandlungen grundsätzlich ein Anspruch auf Kostenübernahme befürwortet werden. Diese „Ausnahme“ soll nur gelten, wenn die angeführten Voraussetzungen vorliegen. Es muss sich um eine evidenzbasierte Methode handeln, der Versicherte sich in einem besonders starken Leidenszustand befinden und die Schulmedizin an ihrem „Ende“ angelangt sein. Für eine generelle Aufnahme „unkonventioneller“ Methoden in den Leistungskatalog der gesetzliche KV liegen keine stichhaltigen Argumente vor, zumal dies zu einem Ausarten der Leistungen führen würde und die gesetzlich geforderte Wissenschaftlichkeit für Krankenbehandlungen nicht mehr gewährleistet wäre. Die Forderung nach der Evidenz ist deshalb so wichtig, weil es einen beträchtlichen Unterschied macht, ob

162 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 212.

163 Thaler/Plank, Heilmittel und Komplementärmedizin (2005) 205.

164 OGH 20.02.2001, 10ObS2/01v.

58 die konkrete Behandlungstherapie in kausalem Zusammenhang mit der Verbesserung des Leidenszustands des Versicherten stand oder, ob es zur Spontanheilung (Selbstheilung) kam.

Nur wenn die Methode des Heilpraktikers den Zustand tatsächlich erleichtert, kann eine Kostenübernahme bejaht werden.

Aufschlüsse zu dieser Thematik lassen sich auch aus den Bestimmungen zu Heilmitteln ableiten, weil sie Teil der Krankenbehandlung sind. „Herkömmliche“ Medikamente müssen zahlreichen Tests unterzogen werden, bevor sie überhaupt zugelassen werden können. Dies muss dann selbstverständlich (und erst recht) auch für (Heil-) Mittel unkonventioneller Methoden gelten, damit die Evidenz für ihre Wirksamkeit gegeben ist. Nachdem schulmedizinische Mittel einem Zulassungsverfahren unterliegen, muss sich ein solches auch auf nicht schulmedizinische Mittel erstrecken.

Auch die Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen (RöV) fordern grundsätzlich das Vorliegen einer Zulassung in Österreich (siehe 6.2 und 6.4). Eine Ausnahme besteht, wenn eine zumutbare, erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst mit in Österreich zugelassenen Heilmitteln nicht zur Verfügung steht oder erfolglos blieb und entweder die Behandlung mit dem nicht zugelassenen Heilmittel erfolgreich war oder von der Behandlung nach den Ergebnissen einer für die Bildung eines Erfahrungssatzes ausreichenden Zahl von Fällen ein Erfolg erwartet werden konnte (§ 6 Abs 1 Z 1 RöV). Ausgeschlossen von der Kostenübernahme sind nach § 8 Z 4 RöV Mittel mit offensichtlich nicht ausreichendem Nachweis einer therapeutischen Wirkung.

In Summe ergibt sich, dass die Kosten bei Anwendung von Außenseitermethoden, Alternativ- oder Komplementärmedizin bzw. Verfahren des Heilpraktikers im Stadium der Unheilbarkeit von der gesetzlichen KV zu tragen sind, wenn erwiesen ist, dass der Zustand des Patienten dadurch erleichtert wird.

59 5.5.2 Psychosoziale Betreuung im Stadium der Unheilbarkeit

Die schwere Erkrankung eines Versicherten kann eine starke psychische Belastung nach sich ziehen. Erfolgt eine Betreuung durch einen Psychotherapeuten, der bei der „Bewältigung“ der Situation hilft, stellt sich die Frage, ob die Kosten dieser Betreuung auch von der KV zu tragen sind. Ist die Begleitung in der aktuellen Lebenssituation im Sinne einer psychosozialen Betreuung im Leistungskatalog der KV enthalten?

Zu den Leistungen der Krankenbehandlung gehört neben der Gewährung von Heilmitteln auch die ärztliche Hilfe. Psychotherapeutische Behandlungen sind nach § 135 Abs 1 Z 3 der ärztlichen Hilfe gleichgestellt. Eine Gleichstellung für erforderliche diagnostische Leistung eines klinischen Psychologen findet sich in § 135 Abs 1 Z 2. Dies ist aber keine „echte“

Gleichstellung, weil klinische Psychologen lediglich diagnostische Leistungen nach ärztlicher Verschreibung oder psychotherapeutischer Zuweisung erbringen dürfen, während die in Z 3 genannte Berufsgruppe zur Durchführung von Behandlungen auf Kosten der KV berechtigt ist.165

Aus der Systematik des ASVG ergibt sich, dass die „allgemeinen“ Regelungen über die Leistungen der KV auch auf psychotherapeutische Behandlungen anzuwenden sind. Daraus

Aus der Systematik des ASVG ergibt sich, dass die „allgemeinen“ Regelungen über die Leistungen der KV auch auf psychotherapeutische Behandlungen anzuwenden sind. Daraus