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Anspruch auf hochpreisige Medikamente am Beispiel Hepatitis C

6.4 Verschreibung über die Steuerungsinstrumente hinaus

6.4.2 Anspruch auf hochpreisige Medikamente am Beispiel Hepatitis C

Die begrenzten finanziellen Mittel stellen in Bezug auf teure Medikamente eine große Herausforderung für die österreichische Sozialversicherung dar.

Hepatitis C geht in rund 80 % der Fälle in eine chronische Infektion über. Bei einigen infizierten Personen kommt es als Folge der Infektion zu klinisch relevanten Leberkrankheiten (vor allem Zirrhose infolge eines Gewebeumbaus), während andere Infizierte auch über viele Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg keine klinisch relevanten Leberveränderungen entwickeln. Nun gibt es ein neues, sehr teures Medikament, mit welchem eine vollständige Heilung möglich ist.256

Im Verlauf der chronischen Leberkrankheit, beginnend bei Leberfibrose bis zu Leberzirrhose, ist nach Fibrosegraden zu unterscheiden (F0, F1, F2, F3 und F4). F0 steht für keine Fibrose, während die anderen Kennzeichen aufsteigend eine geringgradige (F1), mittelgradige (F2) und hochgradige Fibrose (F3) sowie Leberzirrhose (F4) beschreiben. Wird die Leberfibrose nicht behandelt führt sie zur lebensgefährlichen Leberzirrhose.257

255 Kopetzki, „Off-label-use“ von Arzneimitteln, in Ennöckl/Raschauer/Schulev-Steindl/Wessely, Über Struktur und Vielfalt im Öffentlichen Recht, FS Raschauer, 2008, 73 (87).

256 Drs/Jobst, Leistungsanspruch auf Heilmittel (Medikamente) in der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich, SozSi 2016, 356 (360).

257Österreichische Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (http://www.oeggh.at/files/brief_zu_verschreibepraxis_der_daas_bei_chc.pdf);

http://flexikon.doccheck.com/de/Leberfibrose.

91 Das Problem dabei ist, dass die Kostenerstattung der KV für die benötigte Therapie erst ab der mittelgradigen Fibrose (F2) erfolgt, was im Endeffekt bedeutet, dass nicht jeder Erkrankte die Therapie erhält, vielmehr muss ein infizierter Versicherter so lange warten bis sich sein Krankheitsbild deutlich verschlechtert hat.

Deshalb stellt sich die Frage, ob man den Versicherten zumuten kann so lange zu warten bis die Krankheit sehr weit fortgeschritten ist. In der Folge wird untersucht, ob ein Anspruch für jeden Erkrankten besteht. Eine Differenzierung zwischen den Erkrankten ist nämlich nicht nachvollziehbar. Aus diesem Grund fordert die Österreichische Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH), die Behandlungskosten bereits ab dem Fibrosegrad 1 zu übernehmen.258 Einerseits minimiert sich dadurch die Ansteckungsgefahr, weil auch bei Fibrosegrad 1 die Erkrankten erst durch die entsprechende Behandlung virenfrei werden. Andererseits ist dies die einzig gerechte Vorgehensweise, die auch dem Gesetz entspricht, wonach bei Vorliegen einer Krankheit jedem ein Behandlungsanspruch zusteht, unabhängig vom Grad der Erkrankung. Zudem können rein ökonomische Aspekte einen Ausschluss nicht rechtfertigen.259 Es wurde bereits in den vorigen Kapiteln festgestellt, dass die Beurteilung nicht allein nach ökonomischen Gesichtspunkten erfolgen darf. Hier überwiegt nicht nur das Interesse des Einzelnen, sondern auch das der Allgemeinheit aufgrund der Minimierung der Ansteckungsgefahr. Außerdem liegt es auf der Hand, dass es durch die frühzeitigere Behandlung auch zur Einsparung von Folgekosten kommt. Weiters tritt hinzu, dass das neue, teure Mittel eine Behandlung ohne Nebenwirkungen ermöglicht, was bei den anderen vorhandenen Mitteln nicht der Fall ist. Der OGH betont in diesem Zusammenhang, dass bei mehreren in etwa gleich geeigneten Mitteln, dasjenige auszuwählen ist, dessen Einsatz einen Erfolg mit den geringsten nachteiligen Nebenwirkungen für den Patienten

258 Österreichische Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (http://www.oeggh.at/files/brief_zu_verschreibepraxis_der_daas_bei_chc.pdf).

259 Österreichische Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (http://www.oeggh.at/files/brief_zu_verschreibepraxis_der_daas_bei_chc.pdf).

92 verspricht.260 Im Vergleich zwischen dem teuren Medikament („Sovaldi“) mit einem anderen („Ribavirin“) ist auch die Heilungschance bei letzterem deutlich geringer.

Dieses neue zur Behandlung von Hepatitis C dienende Mittel („Sovaldi“) war bis 31. Juli 2016 im EKO im gelben Bereich gelistet. Eine Abgabe dieses Mittels auf Kosten des KV-Trägers war nur nach chef- und kontrollärztlicher Genehmigung möglich. Außerdem waren noch weitere Voraussetzungen angegeben, die eingehalten werden mussten, damit eine entsprechende Bewilligung erteilt werden konnte: Die Patienten müssen mindestens 18 Jahre alt sein und an chronischer Hepatitis C mit nachgewiesenem Fibrosegrad 2, 3 oder 4 leiden;

die Patienten sind weiters vor Therapiebeginn in das Hepatitis-C-Register des Hauptverbands aufzunehmen.261 Zusätzlich darf die Verschreibung nur durch bestimmte Fachärzte in ausgewählten spezialisierten Zentren erfolgen.262

Diese Zusatzvoraussetzungen sind auch nach wie vor noch bei Mitteln, die im EKO gelistet sind (beispielsweise „Ribavirin“) gegeben. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Zusatzvoraussetzungen zulässig sind. Gesetzliche Voraussetzung für die Kostenübernahme eines Medikaments ist im Wesentlichen, dass dieses von einem Arzt verschrieben wird und die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet bzw. im Einklang mit dem EKO und den RöV steht. Dadurch, dass „Sovaldi“ im gelben Bereich gelistet war, kam auch noch die chef- bzw. kontrollärztliche Genehmigung dazu.263

Es wurde bereits zuvor erwähnt, dass es im gelben Bereich zulässig ist, Medikamente für eine bestimmte Verwendung zu beschränken (z. B. Gruppen von Krankheiten, ärztliche

260 OGH 29.04.2003, 10ObS409/02y.

261 Drs/Jobst, Leistungsanspruch auf Heilmittel (Medikamente) in der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich, SozSi 2016, 356 (362).

262 Drs, Leistungsanspruch auf Heilmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich, in Touschek, Hochpreisige Medikamente - eine Herausforderung für die gesetzliche Krankenkasse - 16. Deutsch-Österreichische Sozialrechtsgespräche 2016 am 28. und 29. Jänner in Passau, SozSi 2016, 236 (237).

263 Drs/Jobst, Leistungsanspruch auf Heilmittel (Medikamente) in der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich, SozSi 2016, 356 (362).

93 Fachgruppen, Altersstufen von Patienten, Mengenbegrenzung, Darreichungsform). Dies ergibt sich aus § 31 Abs 3 Z 12 lit b ASVG. Die in lit b genannten Beispiele stellen eine demonstrative Aufzählung („z. B.“) dar. Laut Rebhahn räume das Gesetz dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger dadurch wohl einen gewissen Ermessensspielraum ein.264 Drs und Jobst betonen, dass der Hauptverband damit nur die Voraussetzungen schaffen möchte, um die Wirksamkeit der neuen Behandlung zu kontrollieren, was angesichts der enormen Kosten der neuen Behandlung nachvollziehbar sei.265

In der demonstrativen Aufzählung des § 31 Abs 3 Z 12 lit b ASVG findet sich auch eine Beschränkung auf bestimmte ärztliche Fachgruppen. Sie enthält aber keine Aufzählung einer Einschränkung auf bestimmte Krankenanstalten, wie im EKO gefordert wird. Da die Aufzählung aber eben nur demonstrativer Natur ist, kommen auch andere Beschränkungen der Verwendung in Frage, soweit sie sachlich zu rechtfertigen sind.266 Laut Drs ist diese Vorgehensweise für die Hepatitis-C-Behandlung sachlich gerechtfertigt und deshalb zulässig.267

Was das Medikament „Sovaldi“ betrifft, kommt noch dazu, dass dessen Aufnahme in den gelben Bereich nur befristet erfolgte (bis 31. Juli 2016). Eine befristete Aufnahme ist im Gesetz allerdings nur für den roten, nicht aber für den gelben oder grünen Bereich vorgesehen (§ 31 Abs 3 Z 12 lit a bis lit c ASVG).268 In diesem Zusammenhang ist § 351 f Abs 1 ASVG zu beachten, welcher den Hauptverband verpflichtet, den EKO regelmäßig darauf zu prüfen, ob die gelisteten Arzneispezialitäten weiterhin den Aufnahmekriterien (§ 31 Abs 3 Z 12, §

264 Rebhahn in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 351c ASVG Rz 82 (Stand 1.3.2016, rdb.at).

265 Drs/Jobst, Leistungsanspruch auf Heilmittel (Medikamente) in der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich, SozSi 2016, 356 (363).

266 Drs/Jobst, Leistungsanspruch auf Heilmittel (Medikamente) in der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich, SozSi 2016, 356 (363).

267 Drs, Leistungsanspruch auf Heilmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich, in Touschek, Hochpreisige Medikamente - eine Herausforderung für die gesetzliche Krankenkasse - 16. Deutsch-Österreichische Sozialrechtsgespräche 2016 am 28. und 29. Jänner in Passau, SozSi 2016, 236 (237).

268 Drs/Jobst, Leistungsanspruch auf Heilmittel (Medikamente) in der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich, SozSi 2016, 356 (365).

94 351 c ASVG) entsprechen, wobei insbesondere der Eintritt neuer pharmakologischer, medizinisch-therapeutischer oder gesundheitsökonomischer Umstände zu beachten ist. Dies kann dazu führen, dass eine Streichung, eine Einschränkung der Verschreibbarkeit auf bestimmte Verwendungen oder eine Einreihung in einen anderen Bereich vorzunehmen ist.269 Das Gesetz sieht also nur unter bestimmten Voraussetzungen eine nachträgliche Änderung der Listung im EKO vor, wobei vorab eine Überprüfung stattzufinden hat, ob die Arzneispezialität weiterhin die Aufnahmekriterien erfüllt. Eine befristete Aufnahme in den EKO mit der Rechtsfolge, dass das Medikament mit Fristablauf ohne weiteres aus dem EKO ausscheidet, ist gesetzlich nicht vorgesehen.270 Somit stellt sich die Frage, ob durch diese Vorgehensweise den Versicherten der Anspruch auf eine Behandlung mit „Sovaldi“

genommen wurde.

Die Verschreibung eines im EKO nicht (mehr) enthaltenen Medikaments kann aber unter Umständen erfolgen. § 6 Abs 1 Z 2 RöV regelt, dass die Bewilligung des chef- bzw.

kontrollärztlichen Dienstes für die Verschreibung eines nicht im EKO angeführten Heilmittels dann erteilt werden kann, wenn die Behandlung aus zwingenden therapeutischen Gründen notwendig ist und deshalb eine Arzneispezialität aus dem EKO zur Krankenbehandlung überhaupt nicht zur Verfügung steht. Wie bereits mehrmals festgestellt wurde, schränkt der EKO aber den Anspruch der Patienten auf Heilmittel nicht ein. Nach Ansicht des OGH besteht daher im Einzelfall auch keine Bindung an den EKO. Dem Versicherten steht vielmehr das im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und notwendige Mittel zu.271

Somit könnte ein Anspruch für den Einzelfall jedenfalls argumentiert werden. Im Hinblick auf die Gruppe der Patienten, die den Fibrosegrad 2 noch nicht erreicht haben, scheint dies aber doch eine unzureichende Vorgehensweise zu sein.

269 Drs/Jobst, Leistungsanspruch auf Heilmittel (Medikamente) in der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich, SozSi 2016, 356 (365).

270 Drs/Jobst, Leistungsanspruch auf Heilmittel (Medikamente) in der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich, SozSi 2016, 356 (365).

271 Drs/Jobst, Leistungsanspruch auf Heilmittel (Medikamente) in der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich, SozSi 2016, 356 (366).

95 Zur dieser Kritik, dass „Solvaldi“ erst verschrieben werde, wenn bereits schwere Leberschäden eingetreten sind, stellte der Vorsitzende des Hauptverbandes fest, dass Österreich das Medikament als eines der ersten Länder in Europa überhaupt zugelassen habe und es in enger Abstimmung mit ärztlichen Gesellschaften verwendet werden könne.272

Trotzdem ist dies kein Argument dafür, Patienten warten zu lassen. Zwar ist der erste Schritt, die Behandlung bestimmten Patienten zu gewähren, lobenswert. Mittlerweile sprechen in Summe die Argumente aber eher dafür, jedem Erkrankten eine entsprechende Behandlung zu gewähren. Dies allein schon deshalb, weil es mit dem Gesetz und der Rechtsprechung in Einklang stünde, wonach ökonomische Aspekte in den Hintergrund treten, wenn das Wohl des Patienten überwiegt. Deutlich geringere (bzw. gar keine) Nebenwirkungen und eine größere (bzw. vollständige) Heilungschance rechtfertigen dies. Weitere berücksichtigungswürdige Fakten sind die Minimierung der Ansteckungsgefahr und die Vermeidung bzw. Reduzierung von Folgekosten bei einer rechtzeitigen Behandlung.