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5.2 Umfang der Leistungspflicht

5.2.2 Ausreichende Krankenbehandlung

Dem OGH folgend wird mit dem Wort „ausreichend“ eine Minimalgrenze der Leistungsverpflichtung festgelegt, die unter Zugrundelegung von gesicherten medizinischen Erkenntnissen und nach dem anerkannten Stand der Medizin nach Umfang und Qualität eine hinreichende Chance auf einen Heilungserfolg bieten muss.126 In diesem Sinn besteht kein Anspruch des Patienten, gerade eine bestimmte Gesundheitsleistung zu erhalten, wenn der KV-Träger eine ausreichende andere Leistung zur Verfügung stellt, die denselben gesundheitlichen Zweck erreicht.127 Wie der VfGH in einem Erkenntnis vom 01.12.2000 dargelegt hat, besteht keine Pflicht des KV-Trägers, alle erdenklichen und medizinisch möglichen Leistungen als Sachleistungen ohne Zuzahlungen des Versicherten zu erbringen.128 Dem entspricht es, dass dem Versicherten auch in der Rechtsprechung des OGH ganz

124 Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 50 - 51 (Stand 31.12.2012, rdb.at) mwN.

125 OGH 08.02.1994,10ObS 200/93.

126 OGH 09.11.1993, 10ObS174/93.

127 Marhold, Der Behandlungsanspruch des sozialversicherten Patienten, in Schrammel (Hrsg.), Rechtsfragen der ärtzlichen Behandlung (1992) 13; vgl auch Neumayr, Der Anspruch auf Krankenbehandlung im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot, in Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg.), Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung (2007) 151.

128 Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 52 (Stand 31.12.2012, rdb.at); vgl auch VfGH G 24/98, VfSlg 15.787 und V 20/99, VfSlg 15.968; OGH 12.05.2009, 10ObS182/08z.

44 allgemein kein Rechtsanspruch auf die „jeweils weltbeste medizinische Versorgung“, sondern bloß auf eine ausreichende und zweckmäßige, das Maß des Notwendigen nicht überschreitende Krankenbehandlung (§ 133 Abs 2 ASVG) zuerkannt wird.129

Ob diese Argumentation auch auf Einzelfälle bei unheilbarer Krankheit zu übertragen ist, bleibt in der Folge noch zu klären. Durch die Festlegung der Minimalgrenze der Leistungsverpflichtung, findet auch eine gewisse Mindestabsicherung der Qualität statt.

Dadurch, dass der OGH den Rechtsanspruch auf die „weltbeste“ Behandlung verneint, entsteht auch eine Obergrenze der Leistungsverpflichtung, über das gesetzte „Maximum“

hinaus gewährt die KV keine Krankenbehandlung. Fraglich ist dabei, ob durch die Festsetzung der Höchstqualität eine ungerechtfertigte Kürzung derselben erfolgt. Des Weiteren ist zu hinterfragen, ob das Recht des Patienten auf ausreichende Krankenbehandlung berührt wird, wenn man die „weltbeste“ Behandlung von Grund auf schlichtweg verneint, da diese im Einzelfall geboten sein könnte und die einzig „ausreichende“ Behandlung für den Patienten darstellten könnte. Dies kann durchaus der Fall sein, wenn die Behandlung weltweit nur in einer Klinik angeboten wird. Hierbei würde es dann ausnahmsweise doch zur weltbesten Behandlung kommen, sofern die KV leistungspflichtig wäre. Zum Sonderproblem der „weltbesten“ Behandlung Näheres unter 5.3.

Fragt man nach dem Sinn und Zweck einer ausreichenden Krankenbehandlung, so kann es nicht Sinn und Zweck dieser Bestimmung sein, den Kostenfaktor über dieses Kriterium zu stellen. In einer „Hierarchieordnung“ wäre es jedenfalls zweckmäßig das Ökonomieprinzip der „ausreichenden Krankenbehandlung“ nachzustellen.

129 OGH 13.03.2012, 10ObS20/12g; OGH 12.05.2009, 10ObS182/08z.

45 5.2.3 Kriterium der Notwendigkeit

In Zusammenschau der oberstgerichtlichen Ausführungen und einschlägigen Lehrmeinungen ergibt sich, dass das Maß des Notwendigen aus dem Zweck der Leistung bestimmt wird.

Notwendig ist jene Maßnahme, die zur Erreichung des Zweckes unentbehrlich oder unvermeidbar ist. Es sollen mit dieser Bestimmung unnötige Maßnahmen vermieden und damit die finanzielle Belastung in Grenzen gehalten und andererseits die zur medizinisch notwendigen Versorgung erforderlichen Maßnahmen gewährleistet werden. Die Beschränkung des Leistungsumfanges auf das Maß des Notwendigen beinhaltet auch das Gebot der Wirtschaftlichkeit der Krankenbehandlung. Bei mehreren gleichermaßen zweckmäßigen Behandlungsmethoden ist jeweils diejenige zu wählen, die die geringsten Kosten verursacht, bzw. bei der die Relation der Kosten zum Nutzen (Heilerfolg) am günstigsten ist. Bei Beurteilung der Wirtschaftlichkeit kommt es aber auf die Gesamtbetrachtung einer zweckmäßigen Behandlung an, sodass nicht immer auch die billigste Lösung dem Gebot der Zweckmäßigkeit entsprechen muss.130 Stehen mehrere zweckmäßige Möglichkeiten der Leistungserbringung zur Wahl, ist unter Berücksichtigung der Patienteninteressen die kostengünstigste zu wählen.131 Je mehr der genannte Zweck der Behandlung und die Betroffenheit des Patienten in den Hintergrund treten, tritt der ökonomische Aspekt in den Vordergrund. Bei im Wesentlichen wirkungsgleichen diagnostischen oder therapeutischen Verfahren wäre dann aber das billigere zu wählen. Die Abwägung zwischen den Interessen des Individuums und den der krankenversicherungsrechtlichen Solidargemeinschaft wird jeweils von den Umständen des Einzelfalles abhängen.132

Wie zuvor ausgeführt wurde, ist aber schon bei der Zweckmäßigkeit zu prüfen, ob an sich gleichwertige Methoden im Einzelfall für den Patienten mit weniger Nebenwirkungen

130 OGH 09.11.1993, 10ObS174/93.

131 Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 53 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

132 OGH 26.04.1994, 10ObS113/94.

46 verbunden oder weniger belastend sind und deshalb unabhängig von Kostenerwägungen vorrangig zu erbringen sind.133 Ist die kostengünstigste Behandlung aus medizinischen Gründen nicht möglich oder zumutbar, besteht nur Anspruch auf die nächstgünstigste verträgliche Behandlung.134 Auch hier wird wieder ersichtlich, dass die „weltbeste“

Behandlung nicht von Anfang an zusteht, was bedeuten würde, dass sich ein schwer kranker Patient „durchprobieren“ müsste, dies wiederum könnte sich in einem fortgeschrittenen Stadium der unheilbaren Krankheit eher nachteilig auf seinen Zustand auswirken. Dem Patienten kann nicht zugemutet werden, sich auf eine solche Vorgehensweise einzulassen.

Aus diesem Grund ist die notwendige Krankenbehandlung jedenfalls auch anzunehmen, wenn die Behandlung geeignet erscheint, eine Verschlechterung des Zustandsbildes hintanzuhalten.135 Im Hinblick auf den sozialen Zweck der KV muss dies auch bei Dauerzuständen gelten. Bei diesen wird die Notwendigkeit schon als gegeben erachtet, wenn die Krankenbehandlung nur dem Ziel einer erträglicheren Gestaltung des Leidens und der Verlängerung des Lebens dient.136 Unter diesem Blickwinkel könnte eine „bloße“

Erleichterung des Leidenszustandes, natürlich nur den Einzelfall betreffend, als

„Krankenbehandlung“ argumentiert werden.

Dem könnte aber entgegen gehalten werden, dass durch die Beschränkung auf das Maß des Notwendigen zum Ausdruck gebracht wird, dass es nicht Aufgabe der gesetzlichen KV sein kann, dem Versicherten durch eine Behandlung maximale Bedürfnisbefriedigung zu ermöglichen.137 Auch wenn der Begriff der Krankenbehandlung nicht völlig von der betroffenen Person abstrahiert werden kann und subjektive Komponenten aufweist, muss in dem von einer objektiven Sichtweise geprägten Sozialversicherungsrecht eine Grenze der

133 Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 53 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

134 OGH 28.04.1998, 10ObS73/98b; vgl auch Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 53 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

135 Schober in Sonntag (Hrsg.), ASVG8 (2017) § 133 Rz 8.

136Teschner/Widlar/Pöltner, Allgemeine Sozialversicherung mit erläuternden Bemerkungen 134.

Ergänzungslieferung, § 120 Anm 1.

137 OGH 27.07.2004, 10ObS227/03k; OGH 22.10.2013, 10ObS111/13s.

47 Leistungspflicht dort gezogen werden, wo Bedürfnisse aus der höchstpersönlichen Lebenssphäre des einzelnen Versicherten prägend in den Vordergrund treten.138 Dies trifft beispielsweise bei Fällen der Körpergewichtsregulierung zu. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, dass solche sogenannten „Lifestyle“-Produkte ausnahmsweise zur Heilung von Krankheiten bzw. zur Hintanhaltung von Verschlimmerungen eingesetzt werden können.

Keinesfalls ist es aber der Zweck der Krankenbehandlung, Defizite in der Willensstärke auszugleichen, um von einem ungesunden Lebensstil wegzukommen. Wenn daher ein Appetitzügler das Abnehmen unterstützt oder ein Nikotinpflaster die Reduktion oder Einstellung des Tabakkonsums, kann das sinnvoll sein, es fällt aber in die Sphäre der Eigenverantwortung bzw. der Prophylaxe. Die „richtige“ Vorgangsweise wäre die Änderung des Lebensstils (z.B. Umstellung der Essgewohnheiten, Sport).139

Bei einem Leidenszustand am Ende des Lebens ist wohl nicht von derartigen Bedürfnissen aus der höchstpersönlichen Lebenssphäre auszugehen, sondern tritt die Linderung der Schmerzen in den Vordergrund.

5.3 Sonderproblem der „weltbesten“ Behandlung

Zum Problem der „weltbesten“ Behandlung wurde ja bereits ausgeführt, dass der Versicherte nach ständiger Rechtsprechung des OGH keinen Rechtsanspruch auf die jeweils weltbeste medizinische Versorgung hat. Der Versichertengemeinschaft ist es nicht zuzumuten, die (wesentlich höheren) Kosten einer Operation im Ausland zu übernehmen, wenn eine gleiche Operation mit ausreichender Erfolgswahrscheinlichkeit innerhalb des notwendigen Zeitraums kostengünstiger im Inland möglich wäre. Solange der KV-Träger im Inland eine zweckmäßige und ausreichende Krankenbehandlung zur Verfügung stellt, hat er seiner

138 Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 20 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

139 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (483).

48 Verpflichtung zur Sachleistungsvorsorge entsprochen und es besteht daher in diesem Fall kein Anspruch auf Ersatz der tatsächlichen Kosten einer medizinisch gleichwertigen, allenfalls auch aufwendigeren Therapie im Ausland.140

Diesem Standpunkt ist auch grundsätzlich nichts entgegenzuhalten, solange eine Behandlungsmöglichkeit in Österreich gegeben ist. Allerdings ist es unklar, ob die gesetzliche KV auch dann leistungspflichtig ist, wenn die Behandlung weltweit nur in einer Krankenanstalt verfügbar ist und somit im Inland eine Behandlungsmöglichkeit überhaupt nicht vorhanden ist. Bei besonders seltenen und schweren Erkrankungen ist dies durchaus denkbar. In der letzten Lebensphase ist es dann von herausragender Bedeutung, ob in einem solchen Fall ausnahmsweise doch ein Anspruch auf die „weltbeste“ Behandlung besteht.

Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, ob eine Leistungspflicht besteht, wenn in Österreich nicht genügend Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, bzw. wenn der Versicherte einer langen Wartezeit ausgesetzt ist und die Behandlung im Ausland zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen könnte.

Im Kontext der grenzüberschreitenden Krankenbehandlung sind neben den inländischen auch internationale bzw. europarechtliche Bestimmungen zu beachten.

Gewisse Klarheit schafften die Urteile des EuGH, in denen wiederholt festgestellt wird, dass eine Behandlung im Ausland nicht verweigert werden darf, wenn die gleiche oder eine ebenso wirksame Behandlung im Heimatstaat nicht rechtzeitig erlangt werden kann.141 Sprich, bei einer ungenügenden Anzahl an Behandlungsmöglichkeiten im Inland, welche schlussendlich zu langen Wartezeiten führt, könnte man quasi über den EU-rechtlichen „Umweg“ zur Behandlung gelangen.

In einem jüngeren Urteil bestätigt der EuGH dies und erweitert seine Rechtsprechung dahingehend, dass eine Behandlung im Ausland nicht verweigert werden darf, wenn der

140 OGH 13.03.2012, 10ObS20/12g.

141 EuGH 23.10.2003, C-56/01, Inizan, EU:C:2003:578, Rz 60; siehe auch EuGH 16.05.2006, C-372/04, Watts, EU:C:2006:325, Rz 61; und EuGH 05.10.2010,C-173/09, Elchinov, EU:C:2010:581, Rz 65.

49 Sozialversicherte die betreffende Krankenhausbehandlung im Wohnsitzmitgliedstaat aufgrund des Fehlens von Medikamenten und grundlegendem medizinischen Material nicht rechtzeitig erhalten kann.142

Wendet man diese Rechtsprechung auf besondere „Härtefälle“ an, kann argumentiert werden, dass ausnahmsweise doch der Anspruch auf die „weltbeste“ Behandlung besteht. Wenn laut EuGH gilt, dass eine Behandlung im Ausland nicht verweigert werden darf, wenn die Behandlung im Inland nicht rechtzeitig erbracht werden kann, so muss dies erst recht auch dann gelten, wenn es überhaupt gar keine Behandlungsmöglichkeit in Österreich gibt. In diesem Einzelfall wäre dann nämlich das Recht des Versicherten auf „ausreichende“

Krankenbehandlung tangiert, weil keine ausreichende andere Leistung zur Verfügung steht, die denselben gesundheitlichen Zweck erreicht (siehe 5.2.2). Nach dieser Argumentation käme eine Übernahme der Kosten durch die KV in Betracht. Letztendlich entscheidet die zuständige Krankenkasse, ob die Kosten übernommen werden oder nicht.

Verneint man einen Rechtsanspruch, könnte man überlegen, ob die Übernahme der Kosten dann strafrechtliche Folgen für den KV-Träger nach sich zieht, da Leistungen gewährt werden auf die kein Anspruch besteht. Eine strafrechtliche Belangung wird aber daran scheitern, dass kein Schädigungsvorsatz vorliegt (§ 302 StGB). Eventuell kommen andere, beispielweise interne, Konsequenzen in Frage. Solche wären aber auch zu verneinen, wenn die Übernahme der Kosten aus einem gesondert eingerichteten „Härtefälle-Fond“ für genau solche Situationen erfolgt.

142 EuGH 09.10.2014, C-268/13, Petru, EU:C:2014:2271, Rz 36.

50 5.4 Ziele der Krankenbehandlung in Bezug auf unheilbare Zustände

Aus den Überlegungen Holzers können einige wichtige Erkenntnisse für die vorliegende Arbeit gewonnen werden, da er die Ziele der Krankenbehandlung unter dem Blickwinkel unheilbarer Leidenszustände betrachtet.

Gemäß § 133 Abs 2 ASVG bezweckt die Krankenbehandlung die Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederherzustellen, zu festigen oder zu bessern. Nach Ansicht Holzers ist es daher ausreichend, wenn eine bloße Besserstellung oder gar nur Vermeidung einer Verschlechterung des Leidens angestrebt wird, eine vollständige und endgültige Heilung des Versicherten ist nicht zwangsläufig das Ziel der Krankenbehandlung. Somit sind auch unbehebbare Leiden grundsätzlich der Krankenbehandlung im Sinne des ASVG zugänglich, solange die Entwicklung des Dauerleidens noch nicht abgeschlossen ist. So werden insbesondere irreversible Organausfälle, die zur Lebenserhaltung eine ständige Behandlung erfordern, von der Verwaltungspraxis der KV-Träger unstrittigerweise als Krankheit anerkannt und die jeweiligen Therapien als Krankenbehandlung von der KV übernommen.

Dies gilt für die Insulinbehandlung Zuckerkranker ebenso wie für die Dialysebehandlung bei Niereninsuffizienz und die Schmerztherapie bei Krebspatienten.143

Aus den Ausführungen Holzers geht auch hervor, dass die ärztliche Behandlung nicht ausschließlich in einer Heilbehandlung mit Aussicht auf Besserung des Leidens bestehen müsse, es sei auch hinreichend, wenn sie sich auf die ärztliche Überwachung der Lebensführung der Erkrankten oder auf die Schmerzlinderung und die Eindämmung von Anfällen beschränkt. Krankheit im Sinne des § 120 Z 1 ASVG liege immer dann vor, wenn äußere Krankheitserscheinungen in solcher Art auftreten, dass sie der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe und der Anwendung von Heilmitteln bedürfen, wobei unter Heilmittel, wie

143 Holzer, Der Leistungsanspruch unheilbar Kranker im System der gesetzlichen Krankenversicherung, in FS Krejci (2001) Bd II, 1549 - 1550.

51 sich aus § 136 Abs 1 lit b ASVG ergebe, auch schmerzlindernde Mittel verstanden werden müssen. Bei Dauerzuständen sei es vor allem entscheidend, dass die ärztliche Mitwirkung wenigstens dem Zweck einer erträglicheren Gestaltung des Leidens dient. Die KV habe daher grundsätzlich auch für Dauerleiden einzustehen, solange die Entwicklung nicht abgeschlossen und eine ärztliche Behandlung noch erforderlich ist.“144

Anlehnend an die Ausführungen von Holzer kann festgehalten werden, dass eine Krankenhandlung bei unheilbaren Dauerleiden nicht per se ausgeschlossen ist. Diese Argumentation kann jedenfalls damit begründet werden, dass ein Ausschluss mit den genannten Zielen aus § 133 Abs 2 nicht im Einklang stünde.

Laut OGH liegt eine echte Krankenbehandlung im Sinne des § 133 vor, wenn eine medizinische Behandlung dazu dient, die Remission zu verlängern.145 Eine Remission ist das temporäre oder dauerhafte Nachlassen von Krankheitssymptomen, ohne jedoch eine tatsächliche Genesung zu erzielen. Die Ansicht des OGH ist somit deckungsgleich mit jener von Holzer.

Ein weiteres Argument, das für die Einordnung als Krankenbehandlung spricht, ist, dass der Krankenbehandlungsanspruch nicht vom Erfolg der eingesetzten Therapie abhängig ist. Dies bedeutet im Endeffekt, dass eine vollständige Heilung nicht nachgewiesen werden muss.

Bloße Schmerzlinderung, ärztliche Überwachung oder die Anordnung einer bestimmten Lebensweise ist ausreichend.146 Selbst eine Verbesserung oder Verhütung von Verschlimmerungen muss dadurch aber nicht tatsächlich eintreten. Es reicht bereits die bloße Eignung der Behandlung, da laut OGH die Ziele „nach Möglichkeit“ wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden sollen.147

144 Holzer, Der Leistungsanspruch unheilbar Kranker im System der gesetzlichen Krankenversicherung, in FS Krejci (2001) Bd II, 1549 - 1550.

145 Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 31 (Stand 31.12.2012, rdb.at) mwN.

146Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 32 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

147 OGH 12.09.1996, 10ObS2303/96s.

52 Auch die Eignung zur Symptombekämpfung (zum Beispiel Schmerzbehandlung) ist Krankenbehandlung, weil sie zu einer Verbesserung des Gesundheitszustands führt.148

In Summe, spricht einiges dafür, die „bloße“ Erleichterung des Leidenszustandes unter die Krankenbehandlung zu subsumieren. Dies kann jedenfalls für bestimmte Einzelfälle gelten.

Jedoch wird man losgelöst vom Einzelfall, eine solche Zuordnung nicht ohneweiters vornehmen können.

5.5 Anspruch auf Krankenbehandlung bei unheilbarer Krankheit

Ist die „bloße“ Erleichterung des Leidenszustandes noch Krankenbehandlung oder liegt dabei Gebrechen oder Pflegebedürftigkeit vor?

Die Beantwortung dieser Frage ist vor allem für die jeweiligen unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen von Relevanz.

Die unrichtige Beurteilung des Leidenszustands eines Patienten als Gebrechen würde dazu führen, dass bei unheilbaren chronischen Krankheiten (wie z.B. Hepatitis C, HIV [Aids], Krebs etc.), bei denen die Therapie typischerweise auf Symptombekämpfung beschränkt ist, nie eine Qualifikation als Krankheit im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG möglich wäre.149 Eine solche Beurteilung würde also auch die Palliativversorgung von vornherein aus dem Krankheitsbegriff ausschließen, weil die Palliation in der Medizin als eine Form der medizinischen Behandlung beschrieben wird, die nicht auf die Heilung einer Erkrankung, sondern auf die Linderung der von ihr verursachten Beschwerden gerichtet ist. Die Unbehebbarkeit des Leidens ist nach der Legaldefinition des § 120 aber gar kein Ausschlusskriterium.150

148 Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 33 (Stand 31.12.2012, rdb.at).

149 OGH 08.11.2011, 10ObS70/11h.

150 OGH 08.11.2011, 10ObS70/11h.

53 Als Zwischenergebnis kann festgestellt werden, dass prinzipiell ein Anspruch auf Krankenbehandlung bei „bloßer“ Erleichterung des Leidenszustandes bestünde. Zumindest finden sich in der Lehre und Rechtsprechung einige stichhaltige Argumente, die diesen Anspruch befürworten. Auch aus der Auslegung des Gesetzes ergeben sich Anhaltspunkte, die für einen Anspruch sprechen.

Im Extremfall könnte der KV-Träger anderer Ansicht sein, weshalb dem Patienten dann nur mehr die Möglichkeit bleibt, den Rechtsweg zu beschreiten.

Es scheint doch äußerst insuffizient, einen Patienten auf den Rechtsweg zu verweisen und eine höchstgerichtliche Entscheidung in seinem Fall abzuwarten, zumal gerade am Ende des Lebens die Zeit drängt.

Die komplizierten Regelungen des Gesetzgebers, wo medizinische und juristische Maßstäbe aufeinandertreffen und sich zum Teil überlappen, können durch die demographischen Veränderungen und den medizinischen Fortschritt, den aktuellen Gegebenheiten nicht mehr gerecht werden.

Die Judikatur des OGH ist augenscheinlich von dem Anliegen geprägt, einerseits dem Gesetzeswortlaut gerecht zu werden, andererseits aber auch der Einzelfallgerechtigkeit ausreichend Platz zu lassen. Dies erweist sich freilich in der Praxis als ein schwieriger Spagat.

Die verschwommenen Grenzen werden dadurch nicht beseitigt.151

Blickt man mit diesen Gedanken in die Zukunft, wird die Finanzierung der KV noch wesentlich schwieriger werden. Alleine die Belastungen durch teure Behandlungsmethoden sowie Medikamente (z.B. Krebstherapie) stellen große Herausforderungen dar. Um auch teure Behandlungen für alle Versicherten finanzieren zu können, wird es notwendig sein, im Rand- und Bagatellbereich restriktiv zu sein. So ist es durchaus zumutbar, dass die einzelne betroffene Person die Kosten für Behandlungen und Mittel, die die Abkehr von der Nikotinsucht unterstützen, oder für Appetitzügler und Haarwuchsmittel selbst übernimmt, da

151 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (482).

54 diese im Normalfall für den Einzelnen auch leistbar sind, zumindest leistbarer als teure Therapien bei schweren Erkrankungen.152 Auch wenn nicht außer Acht gelassen wird, dass der Begriff der Krankenbehandlung nicht völlig von der betroffenen Person abstrahiert werden kann und subjektive Komponenten aufweist, muss in dem von einer objektiven Sichtweise geprägten SV-Recht eine Grenze der Leistungspflicht dort gezogen werden, wo Bedürfnisse aus der höchstpersönlichen Lebenssphäre des einzelnen Versicherten prägend in den Vordergrund treten.153

Der Regelungsbedarf in diesem Kontext lässt sich auch dadurch erschließen, dass seit der Stammfassung des ASVG aus dem Jahre 1955, also seit nunmehr über 60 Jahren, die gesetzlichen Grundlagen des Krankenbehandlungsanspruches gleich geblieben sind. Eine Umstrukturierung des Gesetzes wäre schon aus diesem Gesichtspunkt angebracht, um auch in Zukunft eine bestmögliche und gleichzeitig leistbare Gesundheitsversorgung sicherstellen zu können.154

Wünschenswert und sinnvoll wäre es auch, einen Rechtsanspruch auf Palliativ- und Hospizversorgung gesetzlich zu verankern. Mit der Normierung eines gesetzlichen Tatbestandes, müsste man nicht mehr unbedingt auf den Einzelfall abstellen, sondern könnte dadurch Einheitlichkeit und Rechtsicherheit schaffen. Angelehnt an die deutsche Bestimmung (siehe 7.4), könnte die Ungleichbehandlung und Überlappung eventuell vermieden werden.

Solange noch keine rechtliche Verankerung besteht, bleibt im Einzelfall zu entscheiden.

Über die bereits bestehende Forderung, einen derartigen Anspruch in Österreich zu verankern, wird in einem der nachfolgenden Kapitel berichtet.

152 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (488).

153 Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 20 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

154 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (476).

55

5.5.1 Anwendung von Außenseitermethoden bzw. Alternativ- oder Komplementärmedizin im Stadium der Unheilbarkeit

Besteht ein Anspruch auf Krankenbehandlung auch bei Anwendung von Außenseitermethoden bzw. alternativ- oder komplementärmedizinischen Methoden? Diese Frage stellt sich gerade im Zusammenhang mit unheilbaren Erkrankungen, Betroffene sehen in diesen Methoden oft noch eine „letzte Chance“. Konkret ist zu klären, ob eine

Besteht ein Anspruch auf Krankenbehandlung auch bei Anwendung von Außenseitermethoden bzw. alternativ- oder komplementärmedizinischen Methoden? Diese Frage stellt sich gerade im Zusammenhang mit unheilbaren Erkrankungen, Betroffene sehen in diesen Methoden oft noch eine „letzte Chance“. Konkret ist zu klären, ob eine