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Diplomstudium Rechtswissenschaften. Diplomarbeit aus Arbeits- und Sozialrecht

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Academic year: 2022

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(1)

Diplomstudium Rechtswissenschaften

D

ER

K

RANKENBEHANDLUNGSANSPRUCH IM

H

INBLICK AUF

L

EIDENSZUSTÄNDE BEI UNHEILBARER

K

RANKHEIT MIT BEGRENZTER

L

EBENSERWARTUNG

Diplomarbeit aus Arbeits- und Sozialrecht

zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Rechtswissenschaften an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg

eingereicht von

Jelena Ratkovica

01120084

Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Rudolf Mosler Fachbereich: Arbeits- und Sozialrecht

Salzburg, Dezember 2017

(2)

I

E

IDESSTATTLICHE

E

RKLÄRUNG

Ich erkläre hiermit eidesstattlich durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht.

Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Bachelorarbeit, Masterarbeit, Diplomarbeit oder Dissertation eingereicht.

____________________________________________

Datum, Unterschrift

G

ENDER

-H

INWEIS

Um eine leichtere Lesbarkeit des Textes zu gewährleisten, wurde im Rahmen dieser Diplomarbeit darauf verzichtet, durchgehend geschlechtsspezifische Formulierungen zu verwenden. Ausdrücklich wird festgehalten, dass die bei Personen oder Personengruppen verwendete maskuline oder neutrale Form des Wortes für beide Geschlechter zu verstehen ist und keinesfalls eine Geschlechterdiskriminierung oder eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck bringen soll.

(3)

II

A

BSTRACT

Die vorliegende Diplomarbeit untersucht den Krankenbehandlungsanspruch im Hinblick auf Leidenszustände bei unheilbarer Krankheit mit begrenzter Lebenserwartung. Hierzu wird zunächst der derzeitige Regelungsstand im Bereich der Hospiz- und Palliativversorgung aufgezeigt, wobei deutlich wird, dass diesbezüglich explizite Regelungen im ASVG fehlen. In der Folge wird untersucht, inwieweit die Leidenszustände schwer kranker Patienten als Krankheit im Sinne des ASVG angesehen werden können und ob die gesetzliche KV für eine oft bis zum Lebensende notwendige gesundheitliche Betreuung dieser Patienten leistungspflichtig ist. Dazu wird Krankheit von Gebrechen, Pflegebedürftigkeit und Behinderung abgegrenzt und der Umfang der Krankenbehandlung sowie die Gewährung von Heilmitteln jeweils bezogen auf schwere Leidenszustände beschrieben. Dabei wird ersichtlich, dass einige Behandlungsmaßnahmen, wie etwa die psychosoziale Betreuung, nicht von der KV zu erbringen sind, was zu dem Ergebnis führt, dass nur durch die Verankerung eines Rechtsanspruchs auf Hospiz- und Palliativversorgung im ASVG die aufgezeigten Problematiken und Versorgungsdefizite bei schwer kranken Patienten beseitigt werden können.

This thesis analyses the claim for medical treatment concerning the state of suffering due to an incurable disease with a limited life expectancy. First, the thesis deals with the current regulations on hospice and palliative care in Austria and reveals that explicit regulations in the ASVG are missing. Furthermore, it is examined if sufferings of critically ill patients may be interpreted as a disease in the sense of the ASVG and whether the statutory health insurance has to pay for this treatment. For this analysis, the terms disease, physical infirmity, care and disability are defined and the extent to which medical treatment and medication are granted is described. This shows that several treatments of critically ill patients, such as psychosocial care, are not part of the statutory health insurance. Therefore, it can be concluded that problems and deficits regarding the treatment of critically ill patients can only be solved with a legal claim to hospice and palliative care in the ASVG.

(4)

III

I

NHALTSVERZEICHNIS

1EINLEITUNG ... 1

1.1 Aufbau und Struktur der vorliegenden Arbeit ... 3

2RECHTLICHE BESTIMMUNGEN IM BEREICH DER PALLIATIVEN VERSORGUNG ... 5

2.1 Derzeitiger Regelungsstand in der Hospiz- und Palliativversorgung ... 7

2.1.1 Konzept der abgestuften Hospiz- und Palliativversorgung ... 7

3DER ANSPRUCH AUF KRANKENBEHANDLUNG IM KRANKENVERSICHERUNGSRECHT ... 10

3.1 Der gesetzliche Rahmen der Leistungsvoraussetzungen... 10

3.1.1 „Regelwidrigkeit“ ... 11

3.1.2 „Behandlungsbedürftigkeit“ ... 18

4ABGRENZUNGSPROBLEMATIKEN ... 21

4.1 Abgrenzung zu Gebrechen ... 21

4.1.1 Leistungen bei Gebrechen ... 23

4.2 Abgrenzung zur Pflegebedürftigkeit ... 24

4.2.1 Leistungen bei Pflegebedürftigkeit ... 28

4.3 Abgrenzung zur Behinderung ... 30

4.3.1 Leistungen bei Behinderung ... 34

5DER UMFANG DER KRANKENBEHANDLUNG ... 37

5.1 Prinzip der Sachleistungen ... 37

5.2 Umfang der Leistungspflicht ... 39

5.2.1 Kriterium der Zweckmäßigkeit ... 42

5.2.2 Ausreichende Krankenbehandlung ... 43

5.2.3 Kriterium der Notwendigkeit ... 45

5.3 Sonderproblem der „weltbesten“ Behandlung ... 47

5.4 Ziele der Krankenbehandlung in Bezug auf unheilbare Zustände ... 50

5.5 Anspruch auf Krankenbehandlung bei unheilbarer Krankheit ... 52

5.5.1 Anwendung von Außenseitermethoden bzw. Alternativ- oder Komplementärmedizin im Stadium der Unheilbarkeit ... 55

5.5.2 Psychosoziale Betreuung im Stadium der Unheilbarkeit ... 59

6DIE GEWÄHRUNG VON HEILMITTELN (IM RAHMEN DER KRANKENBEHANDLUNG) ... 62

6.1 Begriffsbestimmung ... 62

(5)

IV

6.2 Steuerungsinstrumente ... 64

6.3 Leistungsumfang ... 70

6.3.1 Therapeutischer Nutzen (Zweckmäßigkeit) ... 72

6.3.2 Wirtschaftlichkeit ... 78

6.4 Verschreibung über die Steuerungsinstrumente hinaus ... 82

6.4.1 Verwendung nicht zugelassener Medikamente ... 85

6.4.2 Anspruch auf hochpreisige Medikamente am Beispiel Hepatitis C ... 90

6.4.3 Schmerztherapie ... 95

7VERANKERUNG EINES RECHTSANSPRUCHES AUF HOSPIZ- UND PALLIATIVVERSORGUNG IN ÖSTERREICH –MÖGLICHKEITEN UND AUSBLICK ... 99

7.1 Schaffung von Rahmenbedingungen ... 99

7.2 Parlamentarische Enquete-Kommission „Würde am Ende des Lebens“ ... 101

7.3 Ergebnis der Analyse ... 107

7.4 Blick auf Deutschland ... 109

8ZUSAMMENFASSUNG ... 115 9QUELLENVERZEICHNIS ... VIII 9.1 Literatur ... VIII 9.2 Judikatur ... XIII EuGH ... XIII OGH ... XIII Rechtssätze ... XV VfGH ... XV VwGH ... XV 9.3 Sonstige Quellen ... XVI

(6)

V

A

BKÜRZUNGSVERZEICHNIS

ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch

Abs Absatz

AMG Arzneimittelgesetz

Anm Anmerkung (-en)

Art Artikel

ÄrzteG Ärztegesetz

ASVG Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

BBG Bundesbehindertengesetz

Bd Band

BEinstG Behinderteneinstellungsgesetz

BGStG Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz

BPGG Bundespflegegeldgesetz

dh das heißt

DRdA Das Recht der Arbeit

B-VG Bundes-Verfassungsgesetz

bzw beziehungsweise

EG Vertrag über die Gründung der Europäischen Union

EKO Erstattungskodex

EU Europäische Union

EuGH Europäischer Gerichtshof

f und der (die) folgenden

ff und die folgenden

Fn Fußnote

FS Festschrift

GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Hrsg Herausgeber

(7)

VI

iSd im Sinne des, - der

iVm in Verbindung mit

JAS Journal für Arbeitsrecht und Sozialrecht

Komm Kommentar

KV Krankenversicherung (gesetzliche)

lit litera

LKF Leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung

Mio Million (-en)

mwN mit weiteren Nachweisen

ÖBIG Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen

OGH Oberster Gerichtshof

ÖGGH Österreichische Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie ÖKAP/GGP Österreichischer Kuranstalten- und Großgeräteplan

OPG Österreichische Palliativgesellschaft

rdb Rechtsdatenbank

RdM Recht der Medizin

Reha Rehabilitation

RL Richtlinie

RöK Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung

RöV Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen

RS Rechtssatz

Rz Randziffer

SAPV Spezialisierte ambulante Palliativversorgung

SBG V Fünftes Sozialgesetzbuch

SMG Suchtmittelgesetz

(8)

VII SozSi Soziale Sicherheit (Fachzeitschrift der österreichischen

Sozialversicherung)

StGB Strafgesetzbuch

SV Sozialversicherung

SV-Komm Kommentar zur Sozialversicherung

u.dgl. und dergleichen

UN United Nations (Vereinte Nationen)

VfGH Verfassungsgerichtshof

VfSlg Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes; Ausgewählte Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes

Vgl vergleiche

VO Verordnung

VwGH Verwaltungsgerichtshof

WHO Weltgesundheitsorganisation

Z Ziffer

ZAS Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht

zB zum Beispiel

(9)

1

„Menschen am Ende ihres Lebens

haben keine Zeit mehr zu verlieren“

(Caritas Österreich)

1 E

INLEITUNG

Im österreichischen Sozialversicherungsrecht wird der Begriff der Krankheit im ASVG definiert. Im Unterschied zum Krankheitheitsbegriff der Medizin, welcher einem weiten Verständnis unterliegt, ist der sozialversicherungsrechtliche Begriff enger gefasst und gesetzlich relativ genau abgegrenzt. Ansprüche aus der gesetzlichen KV auf Krankenbehandlung ergeben sich nur, wenn die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen gegeben sind. Liegt eine Krankheit im medizinischen Sinne vor, die diesen Kriterien nicht entspricht, können keine Leistungsansprüche gegen die gesetzliche KV geltend gemacht werden. Weiters wird in der Sozialversicherung zwischen den Begriffen der Krankheit und des Gebrechens differenziert. Dies hat zur Folge, dass die KV bei Vorliegen von Gebrechen prinzipiell nicht leistungspflichtig ist. Schließlich sind davon auch die Begriffe der Pflegebedürftigkeit und Behinderung abzugrenzen. Bei Pflegebedürftigkeit besteht kein Anspruch auf Krankenbehandlung, die Leistung erfolgt in diesem Fall nach dem Bundespflegegeldgesetz. Die Problematik liegt in der relativ scharfen Trennlinie zwischen den einzelnen Begriffen, vor allem im Hinblick auf den fließenden Übergang von Krankheit zu Gebrechen bzw. Pflegebedürftigkeit. Wo genau liegt die Grenze der Leistungspflicht für Krankenbehandlungen nach der KV?

Gerade in Grenzfällen kommt die Brisanz dieses Problems besonders zum Ausdruck. Für Menschen am Ende ihres Lebens ergeben sich spezielle Problematiken hinsichtlich der

(10)

2 Krankenbehandlung. Erreicht die Krankheit das Stadium der Unheilbarkeit stößt man nicht nur auf ethische Herausforderungen, es ergibt sich auch eine Reihe von rechtlichen Fragen. Ist die Erleichterung des Leidenszustandes noch Krankenbehandlung oder liegt Gebrechen bzw.

Pflegebedürftigkeit vor?

Die Betreuung Schwerstkranker und Sterbender, die sogenannte Palliation, wird beschrieben als eine Form der medizinischen Behandlung, die nicht auf die Heilung einer Erkrankung, sondern auf die Linderung der von ihr verursachten Beschwerden gerichtet ist. Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation ist die Palliativmedizin ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.1

Hierbei stoßen der Gesundheitssektor und der Sozialsektor aufeinander. Dies eröffnet die Frage, ob Hospiz- und Palliativversorgung noch dem Leistungsspektrum der KV angehört.

Die Palliativversorgung gewann in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung und dies wird auch in Zukunft so bleiben, einerseits wegen der Altersstruktur, die sich kontinuierlich verschiebt, andererseits auch wegen schweren Erkrankungen, die unabhängig vom Alter eintreten und eine palliative Betreuung notwendig machen. Die Etablierung einer adäquaten Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich steht derzeit strukturellen und kompetenzrechtlichen Grenzen sowie finanziellen Problemen gegenüber.

Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Österreich keinen Rechtsanspruch auf Hospiz- und Palliativversorgung. Laut Caritas Österreich habe das ASVG bisher lediglich die Zielgerade

1https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/WHO_Definition_2002_Palliative_Care_englisch- deutsch.pdf.

(11)

3 der Heilung, es brauche aber auch die Zielgerade der Palliativversorgung.2 Caritas-Präsident Landau3 bringt es auf den Punkt: „Jeder Sterbende ist vor allem ein Lebender – bis zuletzt.“

Für die Beantwortung der Frage, ob die gesetzliche KV für eine oft bis zum Lebensende notwendige gesundheitliche Betreuung schwer kranker Patienten leistungspflichtig ist, kommt dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, inwieweit diese als Krankenbehandlung im Sinne des ASVG angesehen werden kann.4

Unter diesen Aspekten soll im Rahmen dieser Arbeit analysiert werden, inwiefern sich Ansprüche auf bestimmte Behandlungen im Stadium der Unheilbarkeit aus der Rechtsordnung ableiten lassen.

1.1 Aufbau und Struktur der vorliegenden Arbeit

Ziel dieser Arbeit ist es, die relevanten Bestimmungen und die sich daraus ergebenden Ansprüche im Hinblick auf Leidenszustände am Lebensende zu untersuchen. Mit

„Lebensende“ ist die letzte Lebensphase aufgrund einer schweren Erkrankung gemeint, unabhängig vom Alter.

Zunächst soll im Kapitel 2 „Rechtliche Bestimmungen im Bereich der palliativen Versorgung“ geklärt werden, welche Leistungen Aufgabe der gesetzlichen KV sind und welche nicht. Außerdem wird das Konzept der „abgestuften Hospiz- und Palliativversorgung“

vorgestellt.

Im Kapitel 3 „Der Anspruch auf Krankenbehandlung im Krankenversicherungsrecht“ werden die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen für Krankenbehandlung nach dem Gesetz beschrieben. Hier erfolgt auch die Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Krankheit“. Die

2 https://www.caritas.at/aktuell/news/detail/news/75893-caritas-zu-welthospiztag-sterbende-menschen-duerfen- nicht-laenger-alleine-gelassen-werden/.

3 https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2014/PK1038/; http://orf.at/stories/2395447/2395505/.

4 Holzer, Der Leistungsanspruch unheilbar Kranker im System der gesetzlichen Krankenversicherung, in FS Krejci (2001) Bd II, 1549.

(12)

4 Beschreibung der einzelnen Tatbestandselemente erfolgt unter Heranziehung der Rechtsprechung und Literatur.

In der Folge wird im Kapitel 4 „Abgrenzungsproblematiken“ eine Abgrenzung des Krankheitsbegriffs zu den Begriffen „Gebrechen“, „Pflegebedürftigkeit“ und „Behinderung“

vorgenommen, wobei untersucht wird, ob Leidenszustände am Lebensende eindeutig einem dieser Begriffe zugeordnet werden können. Zusätzlich wird beschrieben, welche Leistungen in diesen Fällen nach der KV zustehen oder auf welche eben kein Anspruch besteht.

Kapitel 5 beschäftigt sich mit dem „Umfang der Krankenbehandlung“. Die zentrale Frage, die sich dabei stellt, ist, ob die „bloße Erleichterung“ des Leidenszustandes als Krankenbehandlung argumentiert werden kann. Gibt es einen Anspruch auf die jeweils

„weltbeste Behandlung“? Gehören psychosoziale Betreuung und die Anwendung von unkonventionellen Behandlungsmethoden zum Umfang der Krankenbehandlung?

Die „Gewährung von Heilmitteln“ wird eigenständig in Kapitel 6 behandelt. Der Grund dafür ist, dass sich dabei spezielle Problematiken im Hinblick auf die Krankenbehandlung ergeben können. Diesen Regelungen ist aus der Perspektive schwer kranker Patienten in der palliativen Versorgung deshalb eine besondere Gewichtung beizumessen, da bei deren Behandlung oft sehr teure oder nicht zugelassene Mittel zum Einsatz kommen müssen.

Schließlich finden sich im Kapitel 7 „Verankerung eines Rechtsanspruches auf Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich – Möglichkeiten und Ausblick“ rechtspolitische Schlussfolgerungen. Dabei werden Überlegungen betreffend der Umsetzung einer österreichweit flächendeckenden Hospiz- und Palliativversorgung aufgezeigt.

(13)

5

2 R

ECHTLICHE

B

ESTIMMUNGEN IM

B

EREICH DER PALLIATIVEN

V

ERSORGUNG

Die Suche nach den Begriffen „Palliativversorgung“ oder auch „Hospizversorgung“ ist in den Gesetzen der Sozialversicherung vergebens. Das bedeutet aber nicht, dass Schwerstkranke, die einer derartigen Versorgung bedürfen, keine Leistungen aus der sozialen KV erhalten.5 Die Leidenszustände Schwerstkranker können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein.

Dementsprechend können zwei Menschen mit derselben Krankheit einen komplett differierenden Behandlungsbedarf haben. Je nach Ausprägung und Grad der Erkrankung kann Gebrechen vorliegen, bei einer chronischen Krankheit kann auch von Behinderung gesprochen werden. Es kann sich ein erhöhter Pflegebedarf infolge der Krankheit ergeben.

Die Erkrankung kann psychisch belastend sein und deswegen auch einer psychotherapeutischen Behandlung bedürfen. Es stellt sich die Frage, ob diese Zustände bzw.

zusätzlichen Behandlungen, die zur Krankenbehandlung hinzutreten, auch Aufgabe der gesetzlichen KV sind. Im § 116 ASVG sind die Aufgaben gelistet. Nach Abs 1 trifft die KV Vorsorge: für die evidenzbasierte Früherkennung von und Frühintervention bei Krankheiten und die Erhaltung der Volksgesundheit; für die Versicherungsfälle der Krankheit, der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit und der Mutterschaft; für den Versicherungsfall der Wiedereingliederung nach langem Krankenstand; für Zahnbehandlung und Zahnersatz sowie für die Hilfe bei körperlichen Gebrechen; für medizinische Maßnahmen der Rehabilitation;

für zielgerichtete, wirkungsorientierte Gesundheitsförderung (Salutogenese) und Prävention.

Überdies können nach Abs 2 aus Mitteln der KV Maßnahmen zur Festigung der Gesundheit (§ 155 ASVG) und Maßnahmen zur Krankheitsverhütung (§ 156 ASVG) gewährt werden.

Das Leistungsangebot ist auf die genannten Leistungen beschränkt, darüber hinausgehende Leistungen sind nicht zu erbringen.6

5 Maksimovic, Ist die Hospizfinanzierung Aufgabe der sozialen Krankenversicherung? SozSi 2002, 188 (188).

6 Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 116 ASVG Rz 1 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

(14)

6 Damit sind einige Leistungen für den Bereich der Palliativ- und Hospizversorgung von der gesetzlichen KV (bereits) gedeckt. Die Grundversorgung der schwer kranken Versicherten erfolgt im Rahmen der Krankenbehandlung. Dazu gehören ärztliche Hilfe, Heilmittel (z.B.

Medikamente für die Schmerztherapie) und Heilbehelfe, die zur Behandlung einer Krankheit notwendig sind. Auch bei Gebrechen gibt es bestimmte Leistungen, die von der KV zu erbringen sind. Im Falle von Behinderung kommt die medizinische Hauskrankenpflege oder medizinische Rehabilitation als Leistung der KV in Betracht. Sogar bei Vorliegen (bis zu einem bestimmten Grad) der Pflegebedürftigkeit besteht Leistungspflicht, und zwar in Form von Anstaltspflege oder medizinischer Hauskrankenpflege. Auch gewisse hospizliche Leistungen fallen (bereits) in den Zuständigkeitsbereich der KV, solange sie unter den Begriff der Krankenbehandlung fallen.7

Allerdings sind einige Bereiche in der Palliativ- und Hospizversorgung (noch) nicht von der KV gedeckt. Die spezielle Bedürfnislage schwer kranker Versicherter erfordert auch spezielle Leistungen. So wird die reine Pflege eines Schwerkranken oder seine seelische Betreuung nicht als Leistung der KV erbracht.8 Zu analysieren ist deshalb, ob eine spezialisierte Versorgung Schwerkranker als allumfassende (und nicht nur medizinische) Betreuung innerhalb der KV erbracht werden kann und soll. Dabei ist zu beachten, dass diese Art der Versorgung speziell qualifiziertes Personal erfordert, besondere medizintechnische Apparate benötigt werden, unkonventionelle Behandlungsmethoden zum Einsatz kommen könnten und die Versicherten in einer Vielzahl der Fälle auf spezielle (und sehr teure) Mittel und Medikamente angewiesen sind, die in Österreich beispielsweise (noch) gar nicht verfügbar sind.

7 Maksimovic, Ist die Hospizfinanzierung Aufgabe der sozialen Krankenversicherung? SozSi 2002, 188 (190).

8 Maksimovic, Ist die Hospizfinanzierung Aufgabe der sozialen Krankenversicherung? SozSi 2002, 188 (190).

(15)

7 Dazu wird zuerst der aktuelle Stand der Umsetzung einer Palliativ- und Hospizversorgung in Österreich aufgezeigt, um in der Folge auf die Schnittstellen und Problematiken, die sich durch die besondere Bedürfnislage Schwerkranker ergeben, eingehen zu können.

2.1 Derzeitiger Regelungsstand in der Hospiz- und Palliativversorgung

2.1.1 Konzept der abgestuften Hospiz- und Palliativversorgung

Eine vollständige gesetzliche Regelung der Palliativversorgung ist in Österreich derzeit noch nicht gegeben, wobei sich ansatzweise Regelungen im Konzept zur sogenannten „abgestuften Hospiz- und Palliativversorgung“ finden. Im Gegensatz zur deutschen Rechtslage gibt es aber (noch) keinen Anspruch auf Palliativversorgung im ASVG.

Die systematische Verankerung der Palliativmedizin in Österreich erfolgte erstmals im Österreichischen Krankenanstalten- und Großgeräteplan (ÖKAP/GGP) 1999 unter dem Titel

„Hospiz“. Im ÖKAP/GGP 2001 wurde der flächendeckende Auf- und Ausbau von Palliativeinheiten in den Akutkrankenhäusern zwischen dem Bund und allen Bundesländern vereinbart und konkret geplant. Dies war der erste Schritt zu einem alle Versorgungsbereiche umfassenden Hospiz- und Palliativversorgungskonzept in Österreich. Seit dem Jahr 2005 besteht zwischen dem Bund und allen Bundesländern im Rahmen der jeweils gültigen

„Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens“ Einvernehmen darüber, dass „eine österreichweit gleichwertige, flächendeckende abgestufte Versorgung im Palliativ- und Hospizbereich prioritär umzusetzen“ ist. In diesem Zusammenhang wurde im Auftrag des Gesundheitsressorts das Konzept einer abgestuften Hospiz- und Palliativversorgung von Experten aus allen

(16)

8 Bundesländern sowie aus den Organisationen HOSPIZ ÖSTERREICH und OPG erarbeitet.9 Eine Aktualisierung dieses Konzepts erfolgte im Jahr 2014.10

Das Konzept beinhaltet sechs verschiedene Versorgungsangebote, die auf unterschiedliche Bedürfnislagen abgestimmt sind.11 Somit kann dem Grundsatz „die richtigen Patienten zur richtigen Zeit am richtigen Ort“ zu versorgen, entsprochen werden.12 Die palliative Grundversorgung erfolgt dabei in den bestehenden Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens.

 Palliativstationen übernehmen die Versorgung in besonders komplexen Situationen, die durch andere Einrichtungen oder Dienste nicht bewältigt werden können.

 Stationäre Hospize versorgen rund um die Uhr Palliativpatienten in besonders komplexen Situationen, in denen die pflegerische und psychosoziale Betreuung im Vordergrund steht.

 Tageshospize betreuen Palliativpatienten, die den Großteil der Zeit in ihrer gewohnten Umgebung verbringen können, tagsüber und entlasten damit das betreuende Umfeld.

 Palliativkonsiliardienste unterstützen die Mitarbeiter der Abteilungen und Ambulanzen im Krankenhaus mit fachlicher Expertise in der Betreuung von Palliativpatienten.

 Mobile Palliativteams unterstützen die Mitarbeiter der Gesundheits- und Sozialversorgung außerhalb des Krankenhauses mit fachlicher Expertise in der Betreuung von Palliativpatienten.

 Hospizteams begleiten Palliativpatienten sowie An- und Zugehörige in allen Versorgungskontexten.13

9 Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen, Abgestufte Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich (2004), 8.

10 Bundesminsterium für Gesundheit und Frauen

(https://www.bmgf.gv.at/home/Gesundheit/Gesundheitssystem_Qualitaetssicherung/Planung_und_spezielle_Ver sorgungsbereiche/Hospiz_und_Palliativversorgung_in_Oesterreich).

11 Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen, Abgestufte Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich (2004), 12.

12 Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen, Abgestufte Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich (2004), 7.

13 Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen, Abgestufte Hospiz- und Palliativversorgung für Erwachsene (2014), 8-9.

(17)

9 Zur Veranschaulichung dieses Konzepts soll nachstehende Grafik dienen. Die abgestufte Hospiz ‐ und Palliativversorgung ergänzt mit ihren sechs spezialisierten Leistungsangeboten die Einrichtungen und Dienstleister in der Grundversorgung. In allen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens soll eine palliative Grundversorgung stattfinden. Die spezialisierte Hospiz- und Palliativversorgung kann darüber hinaus auf komplexere Situationen und schwierigere Fragestellungen eingehen. 14

15

14 HOSPIZ- UND PALLIATIVE CARE IN ÖSTERREICH 2015 - DATENBERICHT DER SPEZIALISIERTEN HOSPIZ- UND PALLIATIVEINRICHTUNGEN FÜR ERWACHSENE (http://www.hospiz.at/pdf_dl/HOSPIZ_datenbericht_fin_web_barr.pdf).

15 Hospiz und Palliative Care in Österreich Facts & Figures (http://www.hospiz.at/pdf_dl/Hospiz_und_Palliative_Care_in_Oesterreich_Facts_Figures.pdf).

(18)

10

3 D

ER

A

NSPRUCH AUF

K

RANKENBEHANDLUNG IM

K

RANKENVERSICHERUNGSRECHT

3.1 Der gesetzliche Rahmen der Leistungsvoraussetzungen

Die Leistungen der KV sind im Zweiten Teil des ASVG geregelt. Die Grenzen der Aufgaben der KV ergeben sich, wie bereits erläutert wurde, aus § 116. Jenseits der gesetzlichen Aufgaben darf die KV keine Leistungen erbringen. Dies wären etwa Maßnahmen der Sterbehilfe oder Sterbebegleitung. Soweit ärztliche Hilfe, Heilmittel oder medizinische Hauskrankenpflege benötigt werden, ist die KV zur Leistungserbringung zuständig. Für die Beteiligung an reiner Pflegeleistung und seelischer Begleitung bieten die Gesetze der Sozialversicherung keine rechtliche Grundlage.16 Ein expliziter Ausschluss der Palliation ist dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen, da aber keine rechtliche Verankerung derselben gegeben ist, verbleibt nur die Analyse der übrigen Bestimmungen des ASVG im Hinblick auf Leidenszustände bei unheilbaren Krankheiten.

§ 120 Z 1 definiert den Versicherungsfall der Krankheit als regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der eine Krankenbehandlung notwendig macht, durch die wiederum nach

§ 133 Abs 2 die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden sollen.17 Durch diese Formulierung ergibt sich eine Zweigliedrigkeit, die beiden Tatbestandelemente „Regelwidrigkeit“ und „Behandlungsbedürftigkeit“ sind kumulativ zu erfüllen. Dies wird auch stets vom OGH betont. So wird Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn eingeschränkt nur dann anerkannt, wenn der regelwidrige Körperzustand oder Geisteszustand auch eine Krankenbehandlung notwendig macht.18 Eine

16Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 116 ASVG Rz 7 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

17 Schober in Sonntag (Hrsg.), ASVG8 (2017) § 120 Rz 1.

18RS0084692.

(19)

11 Beschreibung dieser Elemente wird durch den Gesetzgeber nicht vorgenommen, weshalb ein Rückgriff auf die Rechtsprechung und Literatur notwendig ist.

3.1.1 „Regelwidrigkeit“

In ständiger Rechtsprechung bezieht sich der OGH durchwegs konstant auf bestimmte Kriterien zur Beurteilung der Regelwidrigkeit. Dabei wird auf die in der Lehre vertretenen Meinungen Bezug genommen, somit kann festgehalten werden, dass sich die Rechtsprechung größtenteils auf die von der Lehre herausgearbeiteten Kriterien zur Beurteilung der Regelwidrigkeit hält. Zur Veranschaulichung dieser Zusammenhänge werden in der Folge einschlägige Lehrmeinungen und oberstgerichtliche Ausführungen untersucht.

Rein aus dem normalen Sprachgebrauch des Begriffes lassen sich noch keine konkreten Rückschlüsse für die sozialversicherungsrechtliche Bedeutung ableiten, prinzipiell herrscht aber Einigkeit darüber, dass „Regelwidrigkeit“ ein Abweichen von der Norm „Gesundheit“

bedeutet. Es stellt sich die Frage, welche Erscheinungen davon erfasst sind und welche Merkmale im Einzelnen das Wesen bzw. das „Leitbild“ eines gesunden Menschen ausmachen.19 Schrammel betont, dass sich das Leitbild des gesunden Menschen für sozialversicherungsrechtliche Zwecke nicht vorgefertigt der medizinischen Wissenschaft entnehmen lässt, da die Aussagen der Medizin zum allgemeinen Krankheitsbegriff relativ unverbindlich sind.20 Seiner Meinung nach ist ein Zustand dann regelwidrig, wenn aus der Sicht des Versicherten aufgrund störender Symptome das Bedürfnis nach ärztlicher Behandlung besteht, aus der Sicht des Arztes ärztliches Tätigwerden in Form von Diagnose

19Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht? ZAS 1986, 145 (147).

20Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht? ZAS 1986, 145 (147).

(20)

12 und Behandlung erforderlich ist und der Versicherte nach allgemeiner Auffassung auf Kosten der Versichertengemeinschaft therapiert werden soll.21

Die Grenze der Regelwidrigkeit ist so weit zu ziehen, dass bereits ein objektivierbarer Krankheitsverdacht als regelwidriger Zustand angesehen werden muss.22 Dabei ist zwischen der Situation der Diagnose und der eigentlichen Therapie zu differenzieren. Bei der „ersten“

Diagnose kann noch ein hohes Maß an subjektiver Einschätzung des Patienten ausreichen (sodass auch jemand, der tatsächlich nicht krank ist, sich aber aus irgendeinem Anhaltspunkt krank fühlt, „auf Kassakosten“ einen Arzt aufsuchen kann); bei Entscheidung über die Anwendung einer Therapie wird hingegen ein höheres Maß an Objektivierbarkeit zu fordern sein, nämlich die Darlegung der objektiven Umstände seitens des Arztes, aus denen eine bestimmte Therapie angezeigt ist.23

Mosler24 verweist darauf, dass den Voraussetzungen für das Vorliegen einer Krankenbehandlung keine allzu hohe Gewichtung beizumessen ist, weil die subjektiv empfundene Störung des Befindens und die glaubhafte Schilderung gegenüber dem Arzt genügen, um ein Tätigwerden seinerseits zu begründen. Somit ergibt sich, dass die Untersuchung wegen der vom Patienten (beispielsweise) angegebenen Bauchschmerzen also auch dann Krankenbehandlung ist, wenn sich herausstellt, dass objektiv keine Regelwidrigkeit vorliegt. Da sich die Behandlungsnotwendigkeit in aller Regel erst nach einer Untersuchung feststellen lässt, ist die Erstordination auch in diesen Fällen notwendig, es sei denn, dass von vornherein klar ist, dass eine Krankenbehandlung nicht in Betracht kommt (z.B. der Patient sucht jemanden zum Plaudern).25

21Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht? ZAS 1986, 145 (149).

22 Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung (1992) 86.

23Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung (1992) 86 Fn 163.

24 Mosler, Rechtsfolgen unwirtschaftlicher Leistungserbringung durch Vertragsärzte, ZAS 2000, 5 (6).

25 Mosler, Rechtsfolgen unwirtschaftlicher Leistungserbringung durch Vertragsärzte, ZAS 2000, 5 (6).

(21)

13 Diesen Ansätzen folgt auch Marhold. Seiner Auffassung nach ist Krankenbehandlung auch dann gegeben, wenn das Bestehen eines konkreten Beschwerdezustands gegebenenfalls eben nicht verifiziert, sondern falsifiziert wird. Zu fordern ist aber jedenfalls, dass die ärztliche Behandlung durch bestimmte Symptome veranlasst wurde, mögen diese Symptome im Ergebnis auch nicht das Vorliegen eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustands begründen.26 Minimale Voraussetzung des Krankheitsbegriffs ist daher in der Regel, dass der Versicherte glaubhaft Symptome bezeichnen kann, die auf eine Abweichung von irgendeiner Norm - sei es physiologischer, psychischer oder sozialer Art - hindeuten.27

Letztlich ergibt sich dies auch aus dem Begriff der Krankenbehandlung. Sie muss nach den Grundsätzen der ärztlichen Wissenschaft erfolgversprechend sein. Erfolgversprechend kann eine Krankenbehandlung aber nur in Bezug auf eine diagnostizierte Regelwidrigkeit des Körper- oder Geisteszustands sein. Fehlt es an einer Diagnose, weil der Patient Symptome, die auf eine Behandlungsbedürftigkeit hindeuten, nicht nennen kann, so liegt Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn nicht vor.28

In der österreichischen Sozialversicherung kann somit von Regelwidrigkeit gesprochen werden, sobald eine Objektivierbarkeit derselben gegeben ist.29 Diese manifestiert sich darin, dass eine Störung der psycho-physischen Funktionen nach außen hin wahrnehmbar ist, und sei es nur durch entsprechende Äußerungen des Versicherten, die die Notwendigkeit einer Diagnoseerstellung indizieren. Der Krankheitsverdacht ist dann dem Versicherungsfall der Krankheit zuzurechnen, wenn er sich durch objektiv diagnostizierbare Symptome äußert, unabhängig davon, ob sich im Nachhinein der Krankheitsverdacht bewahrheitet oder nicht.30

26Marhold, Ökonomiegebot und Arzthaftung - Dargestellt an Screening-Untersuchungen, ZAS 1997, 97 (101).

27Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht? ZAS 1986, 145 (149).

28Marhold, Ökonomiegebot und Arzthaftung - Dargestellt an Screening-Untersuchungen, ZAS 1997, 97 (101).

29OGH 27.01.2009, 10ObS99/08v; Marhold, Ökonomiegebot und Arzthaftung - Dargestellt an Screening- Untersuchungen, ZAS 1997, 97 (102).

30Marhold, Ökonomiegebot und Arzthaftung - Dargestellt an Screening-Untersuchungen, ZAS 1997, 97 (101- 102).

(22)

14 Weiters wird in der Lehre diskutiert einen Maßstab zur Beurteilung der Regelwidrigkeit festzusetzen, um das „Leitbild des gesunden Menschen“ genauer bestimmen zu können. Es bietet sich durchaus an konkrete Anhaltspunkte dann an diesem Maßstab zu messen und so die Regelwidrigkeit zu beurteilen, jedoch ergeben sich Schwierigkeiten bei der Festlegung eines solchen.

Wie zuvor bereits definiert, soll (nach herrschender Ansicht) ein Abweichen von der Norm

„Gesundheit“ ausreichen. Dies allein reicht aber noch nicht, um von einem Maßstab sprechen zu können.31 Nach Risak soll der Idealzustand des gesunden Menschen maßgeblich sein.32 Es wird auch die Sicht vertreten, dass die Abweichung von der Norm „Gesundheit“ grundsätzlich durch die Medizin definiert wird.33 Diese Anlehnung an die Medizin wird, wie bereits beschrieben, von Schrammel zutreffend abgelehnt, da es an der Verbindlichkeit für das Sozialversicherungsrecht mangelt.

Der OGH spricht von einem „gesunden Menschen“, wenn dieser zur Ausübung normaler körperlicher und psychischer Funktionen in der Lage ist. Somit ist eine erhebliche Abweichung von dieser Norm regelwidrig (und damit typischerweise auch behandlungsbedürftig). Dabei reichen allerdings nicht Abweichungen von einer Idealnorm aus, solange die Abweichungen noch befriedigende körperliche und psychische Funktionen zulassen.34

Die eigentliche Problematik im Hinblick auf einen Maßstab liegt bei Prozessen, die zum natürlichen Ablauf des menschlichen Lebens gehören. Zwar herrscht in der Literatur weitgehend Übereinstimmung darüber, dass solche Prozesse und Zustände aus dem Krankheitsbegriff ausscheiden, aber auch solche bereiten Schwierigkeiten an ihren Grenzen.

Besonders deutlich wird dies bei altersbedingten Veränderungen von Organen. Ob

31 Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 3 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

32 Risak, Der Krankheitsbegriff und der Anspruch auf Krankenbehandlung nach österreichischem Recht, in Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg.), Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung (2007) 20.

33Pfeil, Leistungen der so genannten Lifestyle-Medizin im österreichischen Krankenversicherungsrecht, in Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg.), Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung (2007) 93.

34OGH 27.07.2004, 10ObS227/03k.

(23)

15 Schwerhörigkeit, Weitsichtigkeit oder Verkalkungserscheinungen Leistungsansprüche gegen die KV auslösen, hängt zunächst einmal davon ab, an welchem Leitbild des gesunden Menschen die Regelwidrigkeit oder Regelmäßigkeit dieser Zustände gemessen wird.

Maßgebend könnte hier beispielsweise sowohl das Leitbild des gesunden Menschen

„mittleren Alters“ als auch das Leitbild des „gesunden Pensionisten“ sein. Geht man vom Leitbild des gesunden Menschen mittleren Alters aus, dann wird man altersbedingte oder altersbegleitende Einschränkungen im Zweifel als regelwidrig ansehen; misst man die Schwerhörigkeit, die Weitsichtigkeit oder die Aderverkalkung am Leitbild des gesunden Pensionisten, werden diese Zustände vielleicht als normal angesehen werden können. In beiden Varianten hängt die endgültige Entscheidung aber letztlich davon ab, welche Elemente das jeweilige Leitbild des gesunden Menschen bestimmen.35 Je mehr die Fähigkeiten der Menschen steigen, die Vorgänge im menschlichen Organismus zu erkennen und zu beeinflussen, umso größer werden die Schwierigkeiten, Regel und Regelwidrigkeit zu unterscheiden und zu bewerten.36 Die Unterscheidung zwischen natürlichen Entwicklungen und Krankheiten wird immer unklarer, was schlussendlich die begrenzte Aussagekraft dieses Vergleichsmaßstabes aufzeigt. Die Beurteilung der Regelwidrigkeit kann somit nicht nach dem Maßstab der Funktionstüchtigkeit erfolgen. Zum Grad der Funktionseinschränkung müssen jedenfalls weitere Wertungen hinzutreten.37 Letztlich ist jede Beurteilung anhand eines Vergleichsmaßstabs vom Verständnis davon geprägt, welche Störungen des Wohlbefindens (im weitesten Sinn) auf Kosten der Sozialversicherung beseitigt bzw.

verbessert werden sollen und welche durch den Betroffenen auf seine eigenen Kosten.38

Auf Basis des bisher Gesagten ist deshalb stets auf einzelfallbezogene Erwägungen dahingehend Bedacht zu nehmen, als sie im gesetzlich vorgegebenen Rahmen Deckung

35Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht? ZAS 1986, 145 (147).

36OGH 27.07.2004, 10ObS227/03k.

37 Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung (1992) 64.

38 OGH 27.07.2004, 10ObS227/03k.

(24)

16 finden. Diese (auch vom OGH angesprochene) Problematik zeigt sich deutlich im psychischen Bereich: Wo ist die Grenze zwischen psychischen Unlustgefühlen und krankheitswertigen Störungen anzunehmen?39 Auch hier wird die begrenzte Aussagekraft eines Vergleichsmaßstabes sichtbar, weil die Einstufung, ob eine psychische Krankheit vorliegt, nicht bloß von einem Maßstab abhängig gemacht werden kann, sondern gerade im sensiblen Bereich der Psyche einzelfallbezogene Komponenten eine tragende Rolle spielen.

Die erwähnten zusätzlichen Wertungen, die zum Grad der Funktionseinschränkung hinzutreten müssen, sind als die soziale Komponente der Regelwidrigkeit anzusehen und damit ein weiterer berücksichtigungswürdiger Faktor bei der Beurteilung der Regelwidrigkeit.

Mazal beschreibt Krankheit als eine Form der „sozialen Regelwidrigkeit“ und definiert den

„sozialen Krankheitsbegriff“ dahingehend, dass für einen Anspruch auf Krankenbehandlung ein sozialer Konsens über die Inanspruchnahme von Maßnahmen der Krankenbehandlung bestehen muss.40 Zusammengefasst, müsse dieser soziale Konsens aus Wertungen erschlossen werden, die der Rechtsordnung innewohnen, wobei entscheidende Bedeutung bei der Abwägung zwischen den Interessen des Individuums an der „besten“ Behandlung und der Gemeinschaft an einer kostenoptimalen Versorgung dem Maß der „Betroffenheit“ des Patienten zugedacht wird.41 Bei den für die Betroffenheitsintensität maßgeblichen Wertungen ist in erster Linie die absolute Priorität des Lebens zu beachten, dem andere Güter nachgeordnet sind. Geringeren Stellenwert besitzen die körperliche Integrität, die körperliche Bewegungsfreiheit und die geistige Betätigungsfreiheit, die spezielle Ausformungen in der Arbeitsfähigkeit und der Selbsthilfefähigkeit finden. Diesen Gütern sind andere wie z.B.

Schmerzfreiheit nach der allgemeinen Auffassung nachgeordnet.42

39Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 3 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

40 Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung (1992) 214.

41 Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung (1992) 361ff.

42 Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung (1992) 364.

(25)

17 Eine derartige „Prioritätensetzung“ scheint zwar einleuchtend, bezieht man sich auf ein mögliches Ausarten der Regelwidrigkeitszustände. Kritisch erscheint hierbei allerdings die

„Nachrangigkeit“ der Schmerzfreiheit, zumal gerade diese bei Versicherten am Ende des Lebens die einzig mögliche Art der „Behandlung“ darstellt, da Aussichten auf eine Heilung zumeist unwahrscheinlich sind. Somit kann in diesen Fällen nicht auf „Krankenbehandlung“

im Sinne der konkreten Behandlung oder Heilung der unheilbaren Krankheit abgestellt werden, vielmehr ist der Fokus auf die Schmerzlinderung zu setzen. Allerdings stellt sich hierbei die Frage, ob die „bloße“ Erleichterung der Leidenszustandes überhaupt eine

„Krankenbehandlung“ darstellt. Auf diese Frage wird in den folgenden Kapiteln noch näher einzugehen sein.

Stellt man die gesetzlichen Bestimmungen in Zusammenhang, können in Rückgriff auf § 133 Abs 2 ASVG die Ziele der Krankenbehandlung zur Konkretisierung der Regelwidrigkeit als erster Anhaltspunkt herangezogen werden. Da diese Bestimmung die Wiederherstellung, Festigung oder Besserung der Arbeitsfähigkeit und der Fähigkeit, für lebensnotwendige persönliche Bedürfnisse zu sorgen („Selbsthilfefähigkeit“) als Ziele der Krankenbehandlung definiert, sind jene Zustände jedenfalls als regelwidrig anzusehen, die zu einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit und der Selbsthilfefähigkeit führen. Das ASVG nennt daneben aber auch die „Gesundheit“, woraus sich zumindest ergibt, dass der Gesetzgeber nicht nur Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit und der Selbsthilfefähigkeit als Regelwidrigkeiten anerkennt, sondern auch sonstige funktionelle Beeinträchtigungen physischer und psychischer Funktionen.43

43 Risak, Der Krankheitsbegriff und der Anspruch auf Krankenbehandlung nach österreichischem Recht, in Jabornegg/Resch/Seewald (Hrsg.), Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung (2007) 22.

(26)

18 3.1.2 „Behandlungsbedürftigkeit“

Das ASVG fordert neben der Regelwidrigkeit auch die Erfüllung der

„Behandlungsbedürftigkeit“ als Tatbestandsmerkmal. Dies wird auch vom OGH in ständiger Rechtsprechung wiederholt betont, wobei auch hierbei wieder gewisse Beurteilungskriterien herausgearbeitet wurden, die sich aus der Lehre ableiten.

Für das Vorliegen einer Krankheit, die einen Anspruch auf Krankenbehandlung auslöst, muss nach der Legaldefinition zur Regelwidrigkeit die Notwendigkeit einer Krankenbehandlung (Behandlungsbedürftigkeit) treten. Die Voraussetzung der Behandlungsbedürftigkeit ist nach herrschender Ansicht dann erfüllt, wenn der regelwidrige Zustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, zumindest aber gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn die ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern.44 Die Notwendigkeit der Krankenbehandlung ist ex ante zu beurteilen, stets losgelöst vom Erfolg bzw. Nichterfolg der tatsächlichen Krankenbehandlung. Kann ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft durch ärztliche Hilfe, Heilmittel oder Heilbehelfe gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden, so ist damit laut Schrammel45 stets auch die Notwendigkeit der Krankenbehandlung indiziert.46

Der OGH nennt hier, sowie in vielen anderen Urteilen, als Voraussetzung der Behandlungsbedürftigkeit, unter anderem, eine Behandlung, die erforderlich ist, um Schmerzen zu lindern. Ob man sich problemlos darauf stützen kann, wenn es um die Schmerzlinderung eines unheilbar kranken Patienten handelt, bleibt in der Folge zu analysieren.

44Karl, Der krankenversicherungsrechtliche Leistungsanspruch psychisch Kranker, DRdA 2006, 152 (155).

45Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruchs durch Vertragspartnerrecht? ZAS 1986, 145 (151).

46OGH 01.04.2008, 10ObS14/08v.

(27)

19 Grundlegend ist zum Begriff der Behandlungsbedürftigkeit festzuhalten, dass sich die genannte „ex-ante-Beurteilung“ darin manifestiert, dass die Kosten der Untersuchung zur Beseitigung eines Krankheitsverdachts auch dann von der KV zu tragen sind, wenn im Ergebnis keine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn vorliegt.47 Weiteres Wesensmerkmal der sozialversicherungsrechtlich gedeckten Krankenbehandlung ist die diagnoseabhängige Behandlung.48 Es kommt somit dem Arzt eine wesentliche Rolle bei der Abgrenzung des Krankheitsbegriffes zu. Ihm obliegt es, festzustellen, wann eine Störung ein solches Ausmaß erreicht hat, dass Behandlungsbedürftigkeit medizinisch geboten ist.49 Je größer allerdings die medizinische Machbarkeit ist und je mehr das Bedürfnis bei der Bevölkerung nach medizinischen Beeinflussungen körperlicher und geistiger Zustände steigt, desto weiter würde der Krankheitsbegriff gezogen werden.50 Darin wird eine der Grundproblematiken des Rechts der gesetzlichen KV deutlich: Der Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung muss mit der Belastungsfähigkeit der Versichertengemeinschaft in Einklang gebracht werden.51

Eine Grenzziehung zwischen der Besserung der Gesundheit und der Besserung des persönlichen Wohlbefindens scheint in diesem Hinblick geboten. Nur durch eine solche Grenzziehung kann ein „Ausarten“ der Leistungsansprüche hintangehalten werden, zusätzlich kann dadurch ein gewisser Qualitätsstandard der Behandlungen erhalten werden. Auch hier ist das Gesetz wieder in einem systematischen Zusammenhang zu lesen, die Ziele der Krankenbehandlung aus § 133 ASVG sind stets im Hinterkopf zu behalten. Nur so können Ansätze zu Fragen an der „Grenze“ der Krankenbehandlung, vor allem betreffend die Erleichterung der Leidenszustände im Rahmen der Palliation, herausgearbeitet werden. So wird unter Heranziehung des § 133 beispielsweise die Notwendigkeit schon als gegeben

47Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung (1992) 84ff.

48Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht? ZAS 1986, 145 (149-150).

49 OGH 17.06.2003, 10ObS145/03a.

50Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 9 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

51Tomandl, Besprechung von OGH 26.04.1994, 10ObS113/94, ZAS 1994/18, 203 (205).

(28)

20 erachtet, wenn die Krankenbehandlung nur dem Ziel einer erträglicheren Gestaltung des Leidens und der Verlängerung des Lebens dient.52

Eine genaue Analyse dieser Zusammenhänge zwischen § 120 und § 133 ASVG erfolgt im Kapitel zum Umfang der Krankenbehandlung.

Trotzdem ergeben sich nach dem Betrachten der gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Krankenbehandlung keine klaren Aufschlüsse darüber, wo genau die Grenzen der Krankenbehandlung verlaufen, dies vor allem deswegen, weil der Gesetzestext an sich unklar formuliert ist. Eine gewisse Annäherung ergibt sich allenfalls noch aus dem Umstand, dass seit der Stammfassung des ASVG kosmetische Behandlungen und Hilfe bei körperlichen Gebrechen, Verstümmelungen und Verunstaltungen ausdrücklich nicht der Krankenbehandlung zuzurechnen sind. Damit hat der Gesetzgeber zu verstehen gegeben, dass er davon ausgeht, dass in all diesen Fällen keine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne vorliegt. Der Grund dafür besteht weniger darin, dass kein regelwidriger Gesundheitszustand gegeben wäre, sondern in der fehlenden Behandlungsbedürftigkeit.53 Da Überschneidungen aber keinesfalls ausgeschlossen sind, sollen in der Folge Abgrenzungen zu ausgewählten Begriffen erfolgen.

52 Schober in Sonntag (Hrsg.), ASVG8 (2017) § 133 Rz 8.

53 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (477).

(29)

21

4 A

BGRENZUNGSPROBLEMATIKEN

Besonders bei Leidenszuständen schwer kranker Versicherter ergeben sich Unklarheiten bezüglich der rechtlichen Einordung ihres Zustandes. Eine unheilbare Krankheit kann unter Umständen als Gebrechen qualifiziert werden. Im Endstadium einer Krankheit kommen auch pflegerische Aspekte in Betracht. Chronische Krankheiten unterliegen oftmals dem Begriff der „Behinderung“. Eine klare Einordung ist dabei meist nicht möglich. Dies wirft die Frage auf, ob die gesetzliche KV in diesen (Grenz-) Fällen (noch) leistungspflichtig ist, bzw. welche Leistungen generell bei Vorliegen von Gebrechen, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung gegeben sind.

Die Leistungen der KV bei Krankheit werden im nachfolgenden Kapitel analysiert.

4.1 Abgrenzung zu Gebrechen

Der Begriff des Gebrechens findet sich im § 154 ASVG. Diese Bestimmung regelt die Maßnahmen der Hilfe bei Gebrechen. Konkret ermächtigt dieser Paragraph den KV-Träger, Zuschüsse für die Anschaffung von Hilfsmitteln vorzusehen und zwar bei Vorliegen von Verstümmelungen, Verunstaltungen und körperlichen Gebrechen, welche die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit oder die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, wesentlich beeinträchtigen.

Wie bereits zuvor schon festgestellt wurde, muss eine notwendige Krankenbehandlung nicht zwangsläufig die vollständige Heilung eines Patienten zum Ziel haben. Ausreichend ist eine Besserung des Zustandes bzw. auch eine Verhütung von Verschlimmerungen. Die KV-Träger haben allerdings für Dauerleiden nur solange einzutreten, als deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Fehlt infolge der abgeschlossenen Entwicklung des Leidens die Möglichkeit ärztlicher Einflussnahme im Sinn einer Heilung, Besserung oder Verhütung von

(30)

22 Verschlimmerungen, ist die Regelwidrigkeit dem Gebrechen zuzuordnen. Der Krankheitsbegriff (§ 120 ASVG) und der Gebrechensbegriff (§ 154 ASVG) schließen einander aus.54

In ständiger Rechtsprechung hält der OGH zum Begriff des Gebrechens Folgendes fest:

Gebrechen sind ihrem Wesen nach medizinisch nicht beeinflussbare, gänzliche oder teilweise Ausfälle von normalen Körperfunktionen, die im medizinischen Sinne nicht mehr als Krankheit zu beurteilen sind.55

Problematisch ist hier die Grenzziehung. Folgt man den genannten Ausführungen zum Begriff des Gebrechens könnte man zu dem Schluss kommen, alle zum natürlichen Ablauf des menschlichen Lebens gehörenden Prozesse seien aus dem Krankheitsbegriff auszuscheiden.56 Dies hätte weitreichende Folgen, allein aufgrund der Tatsache, dass eine Vielzahl an Krankheiten sich erst mit Fortschreiten des Alters entwickelt bzw. allein bedingt durch die Alterung entsteht. Somit wären all diese Krankheiten von vornherein keine Krankheiten im Sinne der Sozialversicherung und es bestünde kein Anspruch auf Krankenbehandlung. Sinn und Zweck dieser Regelungen kann aber nicht sein, diese altersbedingten Zustände komplett aus dem Krankenversicherungsrecht zu filtern, zumal gerade die Ziele des Krankenversicherungsrechtes dazu im Widerspruch stehen würden.

Es ist unerlässlich diese getroffenen Aussagen nicht pauschal stehen zu lassen. Natürlich sind typische, die Allgemeinheit treffende Erscheinungen im Alter von jenen Zuständen zu trennen, die zumindest einer Schmerzbehandlung bedürfen. Einzelfallbezogene Erwägungen sind jedenfalls auch zu berücksichtigen.

Aufgrund der bisher gewonnenen Erkenntnisse können Leidenszustände bei unheilbaren Krankheiten nicht einfach in die „Schublade“ der Gebrechen geschoben werden. Trotzdem ist

54OGH 02.09.2003, 10ObS224/02t; vgl auch Binder in Tomandl (Hrsg.), System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 15. Ergänzungslieferung, 202.

55OGH 25.07.2000, 10ObS148/00p.

56Vgl Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 15-17 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

(31)

23 festzuhalten, dass diese Zustände auch nicht generell als „Krankheit“ anzusehen sind. Ob losgelöst vom Einzelfall eine genaue Abgrenzung der einzelnen Begriffe vorgenommen werden kann, bleibt in der Folge noch zu untersuchen.

4.1.1 Leistungen bei Gebrechen

Einschlägig ist hier § 154 ASVG, der die Hilfe bei körperlichen Gebrechen regelt. Das ASVG unterscheidet deutlich zwischen Leistungen, die im Krankheitsfall erbracht werden (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) und Leistungen bei körperlichen Gebrechen (Hilfsmittel).57 Wichtiger Unterschied ist, dass im Falle von Gebrechen „bloß“ die Ermächtigung der KV- Träger besteht, in der Satzung Zuschüsse für die Anschaffung von Hilfsmitteln vorzusehen.

Es besteht daher keine gesetzliche Verpflichtung diese vorzusehen. Sieht der KV-Träger jedoch Zuschüsse vor, so sind die satzungsgemäßen Leistungen Pflichtleistungen.58 Zudem ist die Leistung von Hilfsmitteln aus der KV subsidiär. Das bedeutet, dass sie nur gewährt werden, soweit nicht bereits ein Anspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung, eine Leistungsverpflichtung aus der gesetzlichen Pensionsversicherung im Rahmen der medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation oder ein gleichartiger Anspruch nach den im § 154 genannten Gesetzen besteht.59 Aus Abs 1 ergibt sich weiters, dass der KV-Träger Krankenbehandlung und Anstaltspflege als freiwillige Leistung gewähren kann, sofern dies notwendig und zweckmäßig ist und soweit auf diese Leistungen nicht schon ein Anspruch aus dem Versicherungsfall der Krankheit besteht.

Beschrieben werden die Hilfsmittel im Gesetz als Gegenstände oder Vorrichtungen, die geeignet sind, die Funktion fehlender oder unzulänglicher Körperteile zu übernehmen oder

57 OGH 10.09.2012, 10ObS118/12v.

58 Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 154 ASVG Rz 1 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

59 Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 154 ASVG Rz 2 (Stand 1.9.2016, rdb.at).

(32)

24 die mit einer Verstümmelung, Verunstaltung oder einem Gebrechen verbundene körperliche oder psychische Beeinträchtigung zu mildern oder zu beseitigen.

Überschneidungen können sich zu den Heilbehelfen, die im Rahmen der Krankenbehandlung gewährt werden, ergeben. Eine Unterscheidung zwischen Heilbehelfen (§ 137 Abs 1) und Hilfsmitteln (§ 154 Abs 1) ist nach ständiger Rechtsprechung des OGH und herrschender Lehre danach zu treffen, ob der Behelf (im konkreten Anwendungsfall) dem Heilungszweck dient (Heilbehelf) oder ob er erst nach Abschluss des Heilungsprozesses (als Hilfsmittel) zum Einsatz kommt.60 So sind Behelfe, die zur Milderung oder Behebung wesentlicher Beeinträchtigungen bei Verstümmelungen, Verunstaltungen und körperlichen Gebrechen eingesetzt werden, Hilfsmittel.61

Im Wesentlichen bildet die Differenzierung zwischen Heilbehelfen und Hilfsmitteln eine Konsequenz der vom Gesetzgeber vorgenommenen Trennung zwischen Krankheit (im sozialversicherungsrechtlichen Sinn) und dem Gebrechen. Es kann daher nach diesem Verständnis ein und derselbe Gegenstand einmal Heilbehelf, ein anderes Mal Hilfsmittel sein.62 Als Beispiel nennt Mazal eine Krücke, die im Rahmen der Therapie nach einer Operation als Heilbehelf zu qualifizieren ist, nach Abschluss eines Heilungsprozesses bei einer Amputation aber als Hilfsmittel gewährt werden kann.63

4.2 Abgrenzung zur Pflegebedürftigkeit

Zusätzlich zu den beschriebenen Abgrenzungsproblemen zwischen dem Versicherungsfall der Krankheit und jenem des Gebrechens ergibt sich noch ein weiterer Problemkreis; nämlich die Frage, wo die Grenze zwischen Krankenbehandlungen und reinen Pflegemaßnahmen verläuft.

Gerade bei schweren Erkrankungen, die z.B. zu einer Einschränkung des

60 OGH 10.09.2012, 10ObS118/12v.

61 OGH 08.11.2011, 10ObS70/11h.

62 Schober in Sonntag (Hrsg.), ASVG8 (2017) § 154 Rz 4.

63 Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung (1992) 304 Fn 85.

(33)

25 Bewegungsapparates und damit der Selbsterhaltungsfähigkeit führen, ist dies von praktischer Bedeutung. Denn von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, ob die soziale KV für die Erbringung konkreter Maßnahmen zuständig ist oder, ob eine Abgeltung durch das Bundespflegegeld zu erfolgen hat. Tatsächlich kann es hier auch zu Überschneidungen kommen.Eine klare Grenze lässt sich deshalb nur schwer ziehen, weil der Gesetzgeber weder definiert, was konkret unter Krankenbehandlung noch unter Pflege zu verstehen ist.64

1993 wurde in Österreich das Bundespflegegeldgesetz (BPGG) eingeführt, welches in Verbindung mit der Einstufungsverordnung, nunmehr novelliert, die rechtliche Grundlage der österreichischen Pflegevorsorge bildet.

Die verschwimmenden Grenzen zwischen Krankheit, Gebrechen, Pflegebedürftigkeit und Behinderung (vorübergehende Invalidität) führen dazu, dass rechtliche Problemfelder entstehen. In diesen „Grauzonen“ ist eine klare Zuordnung oft nur schwer möglich. Dadurch können sich Ungleichbehandlungen für die Betroffenen ergeben. Gewisse Rückschlüsse lassen sich aus den genannten Bestimmungen zum Teil aber schon ziehen. So werden im BPGG in Verbindung mit der Einstufungsverordnung beispielhaft jene Verrichtungen aufgezählt, die regelmäßig einen Anspruch auf Bundespflegegeld auslösen, wie Hilfe beim An- und Auskleiden, bei der Körperpflege, der Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten, der Verrichtung der Notdurft, der Einnahme von Medikamenten und der Mobilität.65

Schon aus dem Sprachgebrauch des Wortes „Pflege“ kann abgeleitet werden, dass diese nicht mehr einer mehr oder weniger erfolgsversprechenden Behandlung der Krankheit dienen soll.

Der Begriff der Pflege im Sinne des BPGG erfasst nur Maßnahmen der Betreuung und Hilfe, Maßnahmen der Krankenbehandlung fallen nicht unter diesen Begriff. Trotz der Definition im BPGG in Verbindung mit der Einstufungsverordnung, sind Abgrenzungs- bzw.

64 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (485).

65 Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRda 2015, 476 (485).

(34)

26 Schnittstellenprobleme keinesfalls ausgeschlossen.66 Dies allein schon aufgrund des Umstandes, dass im Rahmen des Leistungsspektrums der KV die Termini „Anstaltspflege“

und „Medizinische Hauskrankenpflege“ (§ 144 ff ASVG) anzutreffen sind.67

In der Jurisdiktion des OGH haben sich zur Einstufung der Pflegebedürftigkeit bestimmte Kriterien verfestigt. Nach herrschender Rechtsprechung ist die Abgrenzung zwischen dem bei der Einstufung zu berücksichtigenden Pflegeaufwand und den nicht im Rahmen der Pflegegeldgesetze zu ersetzenden medizinischen Behandlungen so vorzunehmen, dass ein Pflegeaufwand jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die ein - ansonsten - nicht behinderter Mensch gewöhnlich selbst vornehmen kann. Kann hingegen auch ein ansonsten völlig gesunder Mensch diese Verrichtung nicht ohne fremde Hilfe vornehmen, so unterscheidet sich der Anspruchswerber - trotz seiner Krankheit - diesbezüglich nicht von einem nicht behinderten Menschen, sodass er insoweit auch nicht den Schutz für Behinderte beim Pflegegeld beanspruchen kann.68

Dementsprechend wäre dann der notwendige Verbandswechsel (beispielsweise wegen ausgeprägter chronischer Unterschenkelgeschwüre bei venöser Insuffizienz) dann nicht Pflege, sondern eine nicht zu berücksichtigende medizinische Behandlung, wenn auch ein Mensch, der über das Venenleiden hinaus keine Behinderung hat, regelmäßig einen solchen Verbandswechsel nicht selbst durchführen könnte.69

Der OGH stellt somit fest, dass unter den Begriff der Pflegeleistung grundsätzlich alle zumindest im weiteren Sinne lebenswichtigen Verrichtungen nichtmedizinischer Art zu subsumieren sind, die ein – ansonsten – nicht behinderter Mensch gewöhnlich selbst vornehmen kann. Unklar ist allerdings, was konkret unter einer Verrichtung

66Gruber/Pallinger (Hrsg.), Kommentar zum Bundespflegegeldgesetz (1994) § 1 Rz 5.

67Pfeil, Zukunft der Pflege und Betreuung in Österreich – Versuch einer Einführung in eine komplexe Problematik, in Pfeil (Hrsg.), Zukunft der Pflege und Betreuung in Österreich (2007) 2.

68OGH 23.11.2004, 10ObS142/04m; OGH 31.08.1999, 10ObS158/99d; vgl auch Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld (2008) Rz 14.

69 OGH 23.06.1998, 10ObS102/98t; OGH 06.12.2011, 10ObS154/11m; vgl auch Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld (2008) Rz 14.

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