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Kurze sprachliche Analyse „der“ Mundartballade schlechthin: Wödaschwüln Die in Ausdrucksstärke und Eindringlichkeit einzigartige Mundartballade Wödaschwüln stellt

3 „Ich bin des freien Waldes freies Kind“ 52 – Die Bayerwalddichterin Emerenz Meier (1874-1928)

4 Sprachlich-dialektologische Analyse des Corpus

4.6 Lyrik in der Bleibrunner/Fuchs-Edition Aus dem Bayerischen Wald

4.6.3 Kurze sprachliche Analyse „der“ Mundartballade schlechthin: Wödaschwüln Die in Ausdrucksstärke und Eindringlichkeit einzigartige Mundartballade Wödaschwüln stellt

sicher einen der Eckpfeiler von Emerenz Meiers dichterichem Schaffen dar. Mehrfach vertont, kann sie heute als wohl bekanntestes Werk der Autorin gelten und steht mit Recht an exponierter Stelle in der Literaturgeschichte Altbayerns.

In dem Gedicht spricht ein vom Leben enttäuschte männliches lyrisches Ich und schreit während des Pflügens seine innere Verzweiflung, verlassen und des Lebens überdrüssig, laut heraus. Ein zweiteiliger Refrain rahmt die fünf Strophen zu je sieben Versen fast durchgehend ein. Er besteht aus der Schilderung der Wetterverhältnisse und deren Auswirkungen auf das subjektive Empfinden (vgl. V. 1, 8, 15, 29) sowie aus den wiederkehrenden Kommandos an die Zugtiere – Hü481 (V. 2, 4, 7) für „Links!“, Hott (V. 9, 11) für „Rechts!“, Wüah (V. 16, 18, 21) für „Anfahren!“, Zauf (V. 23, 25, 28) für „Rückwärts!“ und Aoh (V. 30, 32, 35) für

„Halt!“ –, welche fast wie Beschwörungsformeln wirken. Der Titel beinhaltet bereits ein dialektales Substantiv, Wöda für ein Unwetter; Wödachwüln bezeichnet also die Schwüle unmittelbar vor Ausbruch eines Gewitters und steht schon programmatisch für die Stimmung des lyrichen Ich, das seinem Inneren ebenso durch eine Art Ausbruch Luft verschafft, was allerdings im Wunsch gipfelt, ein Blitz möge es treffen und erschlagen. Diese negative Grundstimmung wird über das Wetter hinaus in der ersten Strophe verstärkt durch die Tatsache Der Acker hat an hirten Bodn, / Der Mähnt koan Gang, der Pfluag an Schodn (V. 5, 6). Dabei fallen die mundartlichen Lautungen von hirt sowie Bodn und Schodn auf. Diejenige des Adjektivs ist auf das althochdeutsche harti lautgeschichtlich zurückzuführen und stellt die Weiterentwicklung über mittelhochdeutsch herte zum bairischen hirt dar, im Gegensatz etwa zum Adverb hoart. Die Verdumpfung des /a/-Lauts zum /o/ in den beiden genannten

481 Wenn die Zitate der Kommandos jeweils mit Majuskelsetzung lediglich zu Beginn geschehen, wogegen ihre Wiederholung dann logischerweise klein geschrieben wird, geschieht dies hier einzig und allein aus Gründen der Einfachheit.

Substantiven ist charakteristisch für Emerenz Meiers Herkunftsregion, in der das sog.

„Kollmersche Gesetz“ gilt und entsprechende Vokalmodifikationen erklärt.482

Um auf die Stimmung des lyrischen Ich zurückzukommen, welche in der ersten Strophe grundgelegt wird, lassen sich als zweites Element auch die negativen Rahmenbedingungen der Arbeit auf dem Feld feststellen, da zudem der Mähnt (V. 6), das Gespann, ebenso wie der Pflug ihrer Bestimmung nur unzureichend nachkommen.

Die tieferen Beweggründe für die Verzweiflung des Sprechers werden in der zweiten Strophe als Frage genannt – Und daß mi ‘s Mensch iatzt nimmer mag! (V. 10). Mensch, ein mundartliches Substantiv, das hier allgemein die Bedeutung ‚Frau‘ hat und nicht etwa

‚weiblicher Dientbote‘, bezeichnet dabei die Geliebte, besser die ehemalige Geliebte des lyrischen Ich, von der es wegen eine anderen Mannes verlassen wurde.483 Der wiederum ist Objekt des Hasses und der Verachtung, wird er doch mit dem Tod bedroht und dieer gleichsam göttlich gerechtfertigt: Und wann i ‘hn net derstich, den Hund / Den schlechtn, straf mi Gott (V. 13, 14). Hier fällt zunächst die Verwendung des perfektiven Verbalpräfixes {der-} auf sowie im Weiteren die Bezeichnung des Nebenbuhlers mit Hund, was wenig schmeichelhaft ist. Hund wird aber in der folgenden Strophe noch gesteigert, wenn sich das lyrische Ich das potenzielle Szenario von dessen Ermordung vor Augen führt und ihn dabei als verfluachte[n] Lump[en] (V. 20) bezeichnet. Dieser müsse den Tod durch fünf Messerstiche erleiden. Die folgende, vierte Strophe thematisiert das in Vers 10 angesprochene Mensch, die schwarze Dirn (V. 22). Sowohl auf Dirn als auch auf die Bezeichnung der Haarfarbe durch ein Farbadjektiv allein wurde bereits hingewieen. Thematisch interessant in den Versen 22 bis 28 ist jedoch etwas Anderes: Werden zunächst die äußeren Vorzüge der Geliebten herausgearbeitet – Haarfarbe, Locken, ihr Lachen und ihr Blick –, wird die mit dem Ausruf Und kannst so falsch und elend sei! (V. 27) zu Nichte gemacht. Scheinbar war die Angesprochene, was sich erst kürzlich herausgestellt hatte, schon längere Zeit untreu, weshalb eine krasse Antithese zwischen süaß und (…) fei (V. 26) und falsch und elend (V. 27) aufgebaut wird. Die letzte Strophe wendet sich nun an Gott als letzten Entscheidungsträger.

Während schon die Zugtiere durch Aoh (V. 31, 33, 36) zur Ruhe gemahnt werden, Arbeit und Gedicht gleichermaßen ihrem Ende entgegenstreben, kann dieses Ende für das lyrische Ich nur ein erlösendes sein im eigenen Tod, wozu es den Höchsten gewissermaßen auffordert.

Zunächst bricht sich aber seine Verzweiflung noch einmal Bahn in der anklagenden Frage

482 Vgl. Renn/König, u.a. S. 27

483 Diese allgemeine, keineswegs negativ konnotierte Bezeichnung für ein Mädchen ist nicht gesamtbairisch.

Zehetner 2005 verweist, unter Bezugnahme auf genau dieses Zitat, auf seine Verbreitung im Unteren Bayerischen Wald sowie in Ober- und Niederösterreich (vgl. a.a.O., S. 241).

Muaß ‘s sein, daß i dös ewi trag? (V. 32), womit die belastende, nicht zu ertragende Situation des Verlassenseins gemeint ist. Mit einsetzendem Gewitter, als der Himmel metaphorisch brennt (V. 34), manifestiert sich diese Frage als eine rhetorische, deren Antwort nur ein entschiedenes „Nein“ sein konnte. Das lyrische Ich erkennt die erlösende Kraft des Unwetter, bittet den Herrn als Lenker aller Dinge, er möge es durch einen Blitz erschlagen, und fordert als Ausdruck letzten Verzweifelns, dem ein Hoffen auf Erfüllung seines Wunsches innewohnt, die Ochsen zum dritten Mal zum Anhalten auf: Aoh, meine Öchsl, aoh! (V. 36).

Was neben allen sprachlichen Aspekten in der Ballade zusätzlich auffällt, ist die Verschriftung der dialektalen Lautung. Schon der Titel Wödaschwüln bildet die mundartliche Aussprache [‘we:dàšwuɪ̭ n] stark standardisiert ab. Beispielsweise liegt der Darstellung des so nicht artikulierten <ö> eine dialektale Schreibtradition zugrunde, wie sie auch bei dös (V. 20, 31) oder schö (V. 22) auftritt und eine Rundung suggeriert, die jedoch nicht auftritt. In ähnlicher Weise tritt dieses Phänomen auf bei Öchsl, würgt und fünf oder bei den Diphthongen in wüah und süaß.

Dies kann überdies als Emerenz Meiers Bestreben gedeutet werden, den zugrundeliegenden Dialekt zwar einigermaßen authentisch abzubilden, jedoch wird deutlich, dass das Zeichenrepertoire des lateinischen Alphabets dies nicht ganz zu schaffen vermag. Oftmals nicht realisierte /r/-Laute werden trotzdem verschriftet, was ebenfalls der dialektalen Schreibtradtition entspricht. Ebenso nicht dargestellt wurde die Vokalisierung des /l/ im Inlaut. So wird [gfoid] und [foiš] gesprochen, die Autorin schreibt jedoch in Anlehnung an das Stammprinzip bzw. an den Standard gfallt (V. 15) und falsch (V. 27).

Angleichungen an die Hochsprache, wodurch es zu Unterschieden zwischen Verschriftung und Aussprache kommt, liegen weiterhin vor bei kannst (V. 27), wo der Heimatdialekt Emerenz Meiers einen Ausfall des /n/ und eine Verlängerung /a/ zu /a:/ produziert, nämlich [kã:st], und bei sein (V. 31) für das das /n/ phonetisch elidierende [sẽɪ̯ ], wo zudem im Bairischen eine Nasalierung des Diphthongs vorliegt.484 Gerade der letzte Textbeleg wiederum beweist die mangelnde Konsequenz in der Standardangleichung, taucht doch in der Ballade auch das Gegenbeispiel in Und kannst so falsch und elend sei (V. 27) auf.

484 Zugegebenermaßen erscheint die Verschriftung eines nasalierten Diphthongs mit dem lateinischen Buchstabeninventar kaum möglich; an dieser Belegstelle sollte in erster Linie auf den verschrifteten Auslaut hingewiesen werden, welcher im Dialekt – ob nun mit durch ihn bewirkter Diphthongierung oder ohne, da im Bairischen auch Lautungen wie [sà] oder [sà:] existieren – nicht auftritt.

4.6.4 Zusammenfassung

Allein an der recht geringen Menge latenter Dialektismen wird auf den ersten Blick scheinbar deutlich, dass die Mundart für das lyrische Schaffen der Dichterin in beiden Perioden ihres schriftstellerischen Daseins keine derart zentrale Stelle einnahm wie in den epischen Texten.

Diese Feststellung, bewusst in ihrer Formulierung mit dem Attribut „scheinbar“ versehen, muss jedoch insoweit relativiert werden, als sie ausschließlich Gültigkeit besitzt für standardsprachliche Gedichte. Denn neben diesen existieren – exemplarisch an der Wödaschwüln erkennbar, aber auch im lyrischen Gesamtwerk Emerenz Meiers, das eine Vielzahl solcher Gedichte aufweist, wenn auch nicht zwangsweise von derartiger Sprachgewalt – durchaus Dialektgedichte, für die eben eine kleinregionale Sprachform Konstitutionskriterium und Urgrund ist. Reine Mundartprosa existiert nicht.

Insgesamt nimmt die Lyrik Emerenz Meiers hinsichtlich ihrer Sprache gewissermaßen eine Art Zwischenstellung ein zwischen reinen Dialekt- und rein standardsprachlichen Texten, die in unterschiedlicher Intensität, mithin aber doch in regelmäßiger Stetigkeit, von latenten Bavarismen durchsetzt sind. Für rein hochsprachliche Lyrikproduktion der Dichterin spielt der Dialekt – im Gegensatz zu den frühen Prosaerzählungen ebenso wie denen aus dem Spätwerk – keine zentrale Rolle; im Gegenteil: sogar einer erstaunlichen Anzahl von Poetizismen wird sich aus unterschiedlichen Gründen bedient. Sicherlich sind hierfür häufig metrische Gründe anzuführen, die den Schöpfer bzw. die Schöpferin in gewisse Fesseln zwängen, doch nicht ganz ausschließlich. Auf der anderen Seite erschafft Emerenz Meier auch reine Mundartgedichte, deren potenzielle Übersetzung allein in eine überregionale Umgangssprache von Beginn an und ganz zweifellos zum Scheitern verurteilt wäre.485

Man erkennt am lyrischen Werk, namentlich an den analysierten Gedichten in der Bleibrunner/Fuchs-Ausgabe, und den formalen Vorgaben, die regelmäßige Metren, Reime und Kadenzen bisweilen fordern, Emerenz Meiers Kompetenz auf beiden Sprachebenen, derjenigen des Standards und derjenigen der Mundart. Insoweit rückt diese Erkenntnis die zahlreichen latenten Dialektismen in den Erzählerreden der fünf behandelten Prosatexte in ein etwas deutlicheres Licht: Überlagerungen beider Sprachebenen, also Interferenzen, sind natürlich als Ausnahmen anzusehen und basieren allem Anschein nach auf unbewussten Formverwechslungen.486 Die übrigen Befunde können demnach zum Großteil als bewusste Stilkonstruktionen und Lokalkolorisierungen gewertet werden, deren Unmittelbarkeit für Emerenz Meier allem Anschein nach über die ureigene, fast schon genuin zu nennende

485 Vgl. die beiden im grundlegenden Kapitel 2.2 der vorliegenden Arbeit zu Dialekt und Literatur

aufgegriffenen Aussagen der italienischen Autoren Luigi Pirandello, Pier Paolo Pasolini und Andrea Camilleri.

486 Hierbei sei auf die einzelnen Analysen rückverwiesen, die als solche gekennzeichnet wurden.

Sprache der handelnden Figuren zu transportieren versuchte. Dass ihr dies gelang, steht außerhalb jeder Diskussion.