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Latente und evidente Dialekteinflüsse im Erzähltext

3 „Ich bin des freien Waldes freies Kind“ 52 – Die Bayerwalddichterin Emerenz Meier (1874-1928)

4 Sprachlich-dialektologische Analyse des Corpus

4.3 Die Novelle Aus dem Elend

4.3.2 Latente und evidente Dialekteinflüsse im Erzähltext

4.3.2.1 Lexik

Gleich zu Beginn erscheint das Substantiv Seelwecken (E, S. 61), das zwar von der Autorin in Anführungszeichen gesetzt wurde, allerdings nur zur Kenntlichmachung der Volkstümlichkeit des Begriffs. Hierbei handelt es sich, wie aus dem Kontext klar wird, um kleine Brotgebäcke, die am Feiertag Allerseelen (2. November) an Arme und Bedürftige verschenkt wurden.334 Dieser so inzwischen ausgestorbene Brauch findet nur mehr in

331 Der Autor bezieht sich auch hier auf die Ausgabe von Bleibrunner und Fuchs, in der die Novelle die Seiten 61 bis 145 umfasst, wovon sechs Seiten abzuziehen sind aufgrund von Illustrationen.

332 Der in dieser Arbeit bereits erwähnte Titel Itta aus dem Elend stammt von einer früheren Fassung und wird hier nicht verwendet (siehe Ein lustiges Weib bzw. Der Juhschroa).

333 Hierfür wird im Folgenden bei Textstellenangaben die Abkürzung „E“ verwendet (vgl. EM, hg. von Bleibrunner/Fuchs, S. 61-145).

334 Vgl. E, S. 61; Zehetner 2005, S. 313

äußerst seltenen Fällen allenfalls konsumorientierte Anwendung.335 Im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet (Kaltwasser befindet sich etwa 18 Kilometer von der Grenze zur heutigen Tschechischen Republik entfernt) war diese Sitte zu Lebzeiten Emerenz Meiers allerdings noch weit verbreitet und gerade bei den Bedürftigen des kargen Landes dies- und jenseits der heutigen „grünen Grenze“ aufgrund des sozialen Gefälles zwischen Bayern und Böhmen beliebt.

Das im modernen Sprachgebrauch aufgrund technischen Fortschritts und Veränderungen in Lebenswelt und Alltagswirklichkeit in andere Funktionsbereiche336 gelangte Substantiv Span337 erscheint in Aus dem Elend an drei unterschiedlichen Stellen: (…) während er an seinen Spänen schnitzte (E, S. 61), Die Bäuerin trug Holz und Späne an den Herd (E, S.

71) sowie (…) schnitzte Späne und Leitersprossen (E, S. 90). Es handelt sich allerdings nicht um ein Dialektwort, sondern um ein standardsprachliches, wie es einschlägige Wörterbücher ausweisen.338 Ein ebenfalls standardsprachliches Wort, das im landwirtschaftlichen Wortschatz gebräuchlich ist und über immer weniger Bekanntheit verfügt,339 ist Spreu, so vorkommend in Laubspreu (E, S. 67), also ein Abfallprodukt bäuerlicher Arbeit.340 Ebenso heute weniger bekannt ist Schwegelpfeife (E, S. 99), die Bezeichnung einer Querpfeife, auch Schwiegel genannt, bzw. einer Vorform der heutigen Querflöte. Es fällt auf, dass das Lexem in einem Wörterbuch des Jahres 2007 nicht auftaucht, aber in solchen der Jahre 1996, 1971 und 1967 durchaus, was auf die allmählich sinkende Bedeutung und Verbreitung des Wortes verweist.341 Ebenso standardsprachlich, aber umgangsnah und daher nicht spezifisch oberdeutsch, ist die Verwendung von leiden in Das litt sein Stolz nicht (E, S. 95), also die Tatsache, dass etwas jemandes Stolz, in diesem Fall des Bauernsohnes Gottfried, nicht erdulden könne.342

335 So konnte der Verfasser zu Allerheiligen 1995 in der Auslage einer Konditorei in Geisenhausen (Landkreis Landshut) mit Zuckerguss glasierte „Seelenweckerl“ zum Preis von DM 1,20 pro Stück finden.

336 Heute zumeist im Plural, Späne, verwendet oder im Kompositum Holzspäne, bezeichnet es prinzipiell nur ein Abfallprodukt bei der Holzverarbeitung und kaum mehr ein eigens hergestelltes Utensil zur Beleuchtung. Im Kompositum Spanplatte erscheint Span noch im Singular oder in der sog. Glimmspanprobe zum Nachweis von Sauerstoffvorkommen. Der hierfür verwendete Holzspan wird auch als Fidibus bezeichnet. Dieser Ausdruck entwickelte sich im Laufe späterer Jahrzehnte sogar zur Produktbezeichnung für Streichhölzer, so vertreibt die Firma eucasan GmbH in Oberkirch (Baden-Württemberg) Fidibus Zündhölzer.

337 Vgl. hierzu auch Kienspan (DB, S. 41)

338 Vgl. Wahrig, S. 978; Duden Bd. 1, S. 694; Duden Bd. 7, S. 779; Grimm Bd. 16, Sp. 183; die ebenso häufige Erwähnung des Substantivs Kienspan vgl. Wahrig, S. 589; Duden Bd. 1, S. 406; Duden Bd. 7, S.404f.; Grimm Bd. 16, Sp. 1862.

339 Eine Ausnahme stellt das Sprichwort Die Spreu vom Weizen trennen dar, worauf aber bereits eingegangen wurde.

340 Hierbei sei auf Grimm Bd. 17, Sp. 51-67, verwiesen, der eine differenzierte Analyse der Verwendungsweisen des Wortes Spreu vornimmt.

341 Konsultiert wurden Wahrig 2007, Duden 1996, Duden 1971, Duden 1967 sowie Grimm, Bd. 15, Sp. 2408-2416; erstaunlicherweise tauchen weder Schwegelpfeife noch Schwegel bei Adelung auf.

342 Vgl. Wahrig 1975, Sp. 2331; Zehetner 2005, S. 228

Heidelsträucher(n) (E, S. 61), aus denen u.a. Besen gefertigt werden, sind botanische Angaben, ebenfalls ohne dialektalen Hintergrund. Die selten gewordene Bezeichnung Heidelstrauch, also Heidelbeerstrauch, wird zwar von Grimm nicht in der Form erwähnt,343 taucht aber in einem 1792 in Frankfurt und Leipzig erschienenen Forsthandbuch unter der Rubrik „Besondere“ auf.344 Die Bandbreite an regionalen Wörtern für die Heidelbeere ist in Bayern ziemlich groß, die Präferenz der Verfasserin für den Bestandteil Heidel ihrer geographischen Herkunft geschuldet.345 Auffällig mag sein, dass sie sich für die Verwendung von Strauch als zweiten Teil des Kompositums entschied und nicht für die in ihrem sprachlichen Hintergrund gebräuchliche Staude.346 Ähnliche Ausgleichsbestrebungen wie bei Heidelsträuchern lassen sich an zwei weiteren im Elend gebrauchten Lexemen feststellen. Zunächst handelt es sich dabei um Totensuppe (E, S.

122), ein Substantiv, das zwar tendenziell mehr in Süddeutschland und den angrenzenden bairischen Gebieten gebraucht wird, aber in diesem Fall das Emerenz Meier sicher gleichermaßen gängige Leichenschmaus ersetzt.347 Ebenso verhält es sich bei Sensenmann (E, S. 125) als nicht nur im deutschen Sprachraum bekannte, allegorisch-personifizierte Darstellung des Todes. Das bairische Boandlkramer etwa wäre hierfür die dialektale Variante, doch die Autorin scheint sich ganz bewusst für Sensenmann entschieden zu haben. Der Grund für diese Ausgleichsbestrebungen ist stets gleich: Versuch der Schaffung eines Textes, der einem möglichst breiten Rezipientenkreis zugänglich ist. Die Tatsache, dass die vorliegende Novelle in ihren wörtlichen Reden größtenteils dialektal geprägt ist, steht nicht im Widerspruch dazu. Auch ein Leser, der über keinen ostoberdeutschen Sprachhintergrund verfügt, kann sich mundartnahe Aussagen und Dialoge erschließen, wenn der erzählerische Rahmen des Werks ohnehin deutlich und klar verständlich ist. Aus dem semantischen Rahmen ‚Tod, Bestattung’ stammt auch Totenbank (E, S. 125). Formal gesehen dem Standard entsprechend, stellt das Lexem jedoch einen mundartlichen Ausdruck dar.348 Die Totenbank, also die Vorrichtung zur Aufbahrung Verstorbener, ist ebenfalls in Altbayern gebräuchlich – wenn auch nicht ausschließlich.349 Man kann also

343 Vgl. Grimm Bd. 10, Sp. 803: Heidelstaude

344 Burgsdorf, S. 118

345 Vgl. Renn/König, S. 240

346 Ausgesprochen [‘šdaʊ̭àn]

347 Zehetner 2005, S. 340, kategorisiert Totensuppe als umgangssprachlich.

348 Keines der einschlägigen neuhochdeutschen Wörterbücher führt eines der beiden Lexeme auf (vgl. Wahrig, Duden Bd. 1, Duden Universalwörterbuch, Duden 1971, Duden 1967, Mackensen).

349 Anscheinend ist das Lexem Totenbank trotz seiner hier konstatierbaren Kleinregionalität auch in anderen dialektalen Umgebungen bekannt. So wird am 26.04.2010 die Leiterin des Freilandmuseums Lehde (Stadt Lübbenau, Landkreis Oberspreewald-Lausitz/Brandenburg) mit den Worten zitiert „Liegen, das war nur was für die Totenbank“ (Eva Dorothée Schmid in: Berliner Zeitung vom 26.10.2010).

erkennen, dass sich die Ausgleichsbestrebungen Emerenz Meiers an manchen Stellen des Erzähltextes, wohl aber nicht an allen erkennen lassen.

Im gesamten deutschen Sprachraum zwar verständlich, aber nur regional oberdeutsch gebraucht, ist Erdäpfel (E, S. 68) für ‚Kartoffeln‘. Das Wort mag in Österreich zwar dem Standard entsprechen, in Deutschland ist es allerdings nur als regionaler Standard zu bezeichnen,350 wenn es auch eindeutig dialektalen Hintergrund besitzt.

Reine Dialektlexeme, also solche, deren Denotat und Konnotat den bairischen Sprachraum nicht überschreiten, finden sich im meistens der Hochsprache entsprechenden oder zumindest ihr angepassten Erzähltext der Novelle trotzdem an einigen weiteren Stellen, weshalb es sich hierbei zweifellos um latente Dialektismen handelt. Bisweilen tauchen diese bereits in früheren Erzählungen der Autorin auf. Schnadahüpfl (E, S. 74) wurde bei der Betrachtung des Juhschroa schon behandelt,351 ebenso Krapfen (E, S. 91) und Küchl (E, S. 92); Nudel (als Teil des Determinativkompositums bzw. Terminus technicus Rauhnudeln, da diese Art von Nudeln nur in Rauhnächten gebacken wurden, in E, S. 91), worauf bereits hingewiesen wurde, bezeichnet ein rundliches Hefeteiggebäck, das in der Reine ausgebacken wurde. In vorliegender Novelle erscheint zudem das Verb ausdrehen (E, S. 92) zur Bezeichnung der Herstellung von Küchln, wodurch diese ihre charakteristische runde Form erhalten. Dieses Verb erhält durch den Kontext seine Bedeutung, die der Hochsprache fremd ist. Ausdrehen, wie es das Bairische genauso kennt, bedeutet zunächst das Deaktivieren beispielsweise einer Lichtquelle oder eines technischen Geräts. Es liegt also im Dialekt Polysemie vor.352

Aus dem Bereich der bäuerlichen Wohn- und Arbeitsgemeinschaft innerhalb eines Anwesens oder Dorfes stammen der Baumann (E, S. 135), der Pferde- oder Oberknecht,353 und die Bauerndirnen (E, S. 83) bzw. Dirnen (E, S. 91; a.a.O. im Singular, Dirn, gebraucht). Die jeweiligen textuellen und semantischen Zusammenhänge354 lassen jedoch erkennen, dass bei Dirn ebenso Polysemie vorliegt, worauf schon hingewiesen wurde. Zum einen bezeichnet das Wort eine Magd im ursprünglichen Sinn des mittelhochdeutschen

350 Vgl. hierzu Ebner, S. 113; Die Angabe „in versch[iedenen] südd[eutschen] und schweiz[erischen] Gebieten dialektal“ wäre aufgrund der Striktheit der Aussage diskutabel.

351 Siehe DJ, S. 24, bzw. Kapitel 4.2.2.1 dieser Arbeit.

352 Vgl. hierzu Lühr, S. 255f.

353 Siehe DB, S. 42, bzw. Kapitel 4.2.2.1 dieser Arbeit.

354 E, S. 83: (…) daß sie viel mehr Verstand und Bildung besaß, als die gewöhnlichen Bauerndirnen; und E, S.

91: In den Ställen brüllte das Vieh, das der Hausherr mit geweihtem Brot stopfte, während die Dirnen mit Kohlenpfanne und Dreikönigswasser hin und her wanderten (…).

Wortes diern(e)355 ohne pejorativen Nebensinn, zum anderen erscheint es aber auch in der Bedeutung ‚Mädchen‘ bzw. ‚junge, unverheiratete Frau’.356

Ein Teil der dörflichen Berufe war der Wasenmeister (E, S. 102f.), auch Abdecker genannt, der für die Beseitigung von Tierkadavern zuständig war. Diese Bezeichnung ist eine von vielen im deutschen Sprachraum und über die Grenzen des Ostoberdeutschen hinaus bekannt. Dabei musste die Wasenmeisterei kein ausschließliches Tätigkeitsfeld darstellen, sie konnte einem bestimmten Landwirt, Kleinlandwirt oder Söldner am Ort übertragen sein; tendenziell wohnte der Wasenmeister aber zumeist außerhalb der Ortschaft. Ein anderer Beruf aus dem Spektrum der Land- und Forstwirtschaft ist der Holzhauer (E, S.

95). Bei dem verwendeten Begriff bedarf die Frage nach seiner Regionalität oder Standardsprachlichkeit einer kurzen Diskussion. Zunächst erscheint holzhouwer bereits im Mittelhochdeutschen ohne explizite Hinweise auf regionale Präferenzen.357 In der Hochsprache des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts erscheint der Begriff lediglich als

„(landsch[aftlich für]:) Holzfäller“358 bzw. als Synonym zu „Holzhacker“359. Damit wäre zunächst geklärt, dass sich das Verbreitungsgebiet von Holzhauer in der Sprachgeschichte verkleinert hat. Nach Konsultation exemplarischer regionaler und Universalwörterbücher wird deutlich, dass das Lexem seit Beginn der Frühen Neuzeit nur mehr im hoch-, also ober- und mitteldeutschen Bereich verwendet wird,360 wofür auch der Eintrag bei Klappenbach/Steinitz spricht, die sich auf eine Stelle in Erich Kästners (1899-1974) Doppeltem Lottchen berufen361 – Kästner war gebürtiger Dresdner. Kurios erscheint dabei nur, dass kein bairisches Wörterbuch Holzhauer als Lexem aufführt,362 was im Umkehrschluss aber nicht bedeuten muss, dass es innerhalb des Bairischen – das bereits Holzknecht oder Holzhacker kennt – gänzlich unbekannt ist. Allem Anschein nach handelt es sich daher also bei Holzhauer um ein von der Verfasserin bewusst gewähltes überregionales Substantiv, um eben die Verwendung eines entsprechenden dialektalen Begriffs zu vermeiden.

355 Vgl. Hennig, S. 53; auch: Grimm Bd. 2, Sp.1185; Paul 1935, S. 110; Sanders 1910, S. 146; Zehetner 2005, S.

101

356 Das männliche Synonym, Bursch, kommt ebenfalls in Aus dem Elend vor (vgl. E, S. 91, S. 99, S. 111, S.

115); auf Bedeutung und Verwendungsweise wurde bereits in Kapitel 4.2.2.1 dieser Arbeit hingewiesen.

357 Vgl. Lexer 1992 Bd. 1, Sp. 1331, oder Adelung Bd. 2, Sp. 1772

358 Duden, Universalwörterbuch, S. 733; vgl. hierbei auch Duden, großes Wörterbuch, Bd. 4, S. 1858, wo ebenso auf die Landschaftlichkeit hingewiesen wird. Küpper führt Holzhauer als Lexem nicht auf (vgl. a.a.O., S. 358).

359 Mackensen, S. 439

360 So führen sowohl Grimm (vgl. Bd. 10, Sp. 1774), Post (vgl. Bd. 3, Sp. 1157), Müller et al. (vgl. Bd. 3, Sp.

798) und Martin/Lienhart (vgl. Bd. 1, Sp. 393b) ein Lexem Holzhauer auf, ein niederdeutsches Wörterbuch (vgl.

Diefenbach/Wülcker) jedoch nicht.

361 Vgl. Klappenbach/Steinitz, Bd. 3, S. 1891

362 Vgl. Delling, Schmeller Bd. 1, Zehetner 2005

Über Holzhauer hinaus erscheint eine letzte Berufsbezeichnung, nämlich Federnträger (E, S. 125), was die Figur des Wenzl Starabin ausübt. Hier liegt ein kleinregional gebrauchtes Substantiv vor, dessen Bedeutung sich aus dem Kontext (vgl. E, S. 126) erklärt. Es bezeichnet einen Handeltreibenden mit Gänsefedern. Seine Kleinregionalität erklärt sich aus der sonst seltenen Bezeichnung eines Händlers mit dem Substantivteil -träger, das eher den Träger einer bestimmten Art von Aufbewahrungs- und Warenbeförderungsmittel bestimmt ohne dezidierte Rücksicht auf sein Sortiment.363 Dass beim zu betrachtenden Wort -träger verwendet wird, kann einen Rückschluss darauf zulassen, dass besagter Händler seine Waren aus Böhmen nach Bayern „herüberbringt“, also gewissermaßen

„trägt“. Dass keine an den Standard angelehnte Ad-hoc-Bildung vorliegt, beweist die dialektal gehaltene wörtliche Rede, die der ersten Erwähnung der Figur folgt, nämlich Federntrager (E, S. 126).

Ein rein oberdeutsches Wort, das ebenfalls aus dem bäuerlichen Umfeld stammt und noch heute in geflügelten Worten und v.a. bei der älteren Generation auf dem Land erhalten ist, ist Gant; in der Novelle ist die Rettung (…) von der Gant (E, S. 135) also die vom drohenden Konkurs. Ein anderer Ausdruck für landwirtschaftlichen Konkurs ist vom Hof kommen (E, S. 62), was bereits das Resultat eines Gantprozesses in sich birgt, nämlich das erzwungene Verlassen des versteigerten Anwesens. Dieses Funktionsverbgefüge hat sich im 21. Jahrhundert nicht erhalten, was nicht zuletzt an dem massiven Rückgang des primären Wirtschaftssektors manifest wird.

Eine dialektale Verbalform findet sich bei ein ziemlich aufgeschossenes Mädchen (E, S.

80). Lediglich im Partizip II und als attributivisches Adjektiv für einen semantisch korrelierenden Nukleus gebraucht, bedeutet es ‚groß gewachsen’ oder ‚hoch gewachsen’

und soll ausdrücken, dass die betreffende Person erstaunlich schnell an Körpergröße gewonnen habe. Als aktivisch verwendetes Verb mit dem postponierbaren Präverb {auf-}

kommt es im Bairischen heute nicht mehr nicht vor. Aufschießen existiert auch in der Standardsprache nicht mehr, ist jedoch historisch nachweisbar als mhd. ûfschiezen in entsprechender Bedeutung ‚emporwachsen’.364 Insoweit liegt hier also eine im Dialekt verselbstständigte Verwendung des Partizips eines inzwischen nicht mehr aktiv gebrauchten Wortes vor, das außerhalb dieser Flexionsform nur mehr als schießen bekannt ist365 und hier als Adjektiv gebraucht wird.

363 Die Bezeichnung Kràxentrager beinhaltet keine Aussage über das Sortiment des Händlers.

364 Vgl. Hennig, S. 355

365 Die Beispielsätze Dà Sàlod schiàßt im Summà und Achte is à, dà Buà, und gscheid gschossn is à-r-àà zeigen darüber hinaus, dass schießen im Sinne von ‚wachsen’ ohne postponierbares Präverb {auf-} existiert. Die Perfektbildung mit sein als Auxiliarverb schließt Polysemie mit der Bezeichnung des Betätigens einer

In ähnlicher Weise aufgrund der Art seiner spezifischen Verwendung dialektales Lexem ist König (E, S. 105). Zur Sonnwendfeier im Juni wurde, wie Emerenz Meier366 in einer vergleichsweise langen Fußnote angibt, eine geschmückte Strohpuppe auf dem für das Sonnwendfeuer präparierten Reisighügel installiert, bei dessen Verbrennung die Feierlichkeit zum Ende kam.367

Das viersitzige Steyrerwägel (E, S. 79), das der Bauernsohn Gottfried vor das Tor schiebt, ist allem Anschein nach, was schon allein der Kontext deutlich macht, eine kleinere Kutsche mit Platz für bis zu vier Fahrgäste. Dieses hier als Diminutiv gebrauchte Wort war wohl im allgemeinen Gebrauch von Emerenz Meier und ihrer Umgebung. Allerdings ist Steyrerwagen im bairischen Sprachraum beinahe unbekannt – Schmeller und Zehetner geben ebenso wenig einen Hinweis wie auch Grimm.368 Jedoch ist das Wort – zeitgenössisch wie historisch – ausschließlich in Österreich nachweisbar, wofür im Folgenden diverse Belege gebracht werden sollen: Der Schematismus des Erzherzogtums Österreich ob der Enns von 1825 verweist die Kunden der Postwägen von Linz nach Wien darauf, dass die Aufgabe von Zustellungen „Samstags Vormittags bis 9 Uhr zu den Steyrerwagen“369 zu erfolgen habe. Das Jahrbuch des kaiserlich-königlichen polytechnischen Instituts in Wien 1839 gibt auf die Erfindung eines gewissen Leopold Niederreither an, „alle Gattungen Kutschen und Steyrerwagen mit einer neuen Art Hängung mittelst hebelartiger Zugspratzen zu bauen“.370 Ebenso enthält die Autobiographie des Tiroler Malers Karl von Blaas folgende Textpassage, die den Postbotendienst seines Vaters von Landeck nach Bozen beschreibt:

„Diese Post, mit der alles, Menschen, Waaren und Briefe befördert wurden, bestand aus einem sogenannten Steirerwagen; vorne waren ein oder zwei Sitze für die Passagiere, hinten im Wagen stand eine verschlossene Kiste mit den Briefen.“371.

Als zeitgenössischer Beleg ist hierbei das folgende Zitat aus einem Interview, das in der Vereinszeitung Tritsch-Tratsch der Marktmusikkapelle Mauthausen in Oberösterreich im März 2007 erschienen ist, zu nennen. Der damals 90-jährige Gesprächspartner erzählt u.a.

über seine Lehrzeit als Hufschmied: „Es gab damals viele Kutschen (kl[eine]

Schusswaffe zumindest im Perfekt und Pluquamperfekt aus. Aufgrund ontologischen Wissens kann besagte Polysemie, so beispielsweise im ersten hier gebrachten Satz, ebenso vermieden werden, was allerdings nicht bedeutet, dass sie gänzlich unmöglich ist.

366 Der Großteil der Fußnoten stammen nicht von den Herausgebern.

367 Vgl. E, S. 105, FN 1.

368 Vgl. Schmeller Bd. 2, S. 1253 und 1257, sowie Grimm und Zehetner 2005

369 Kaiserlich=Königlicher Schematismus des Erzherzogthums Oesterr. ob der Enns auf das Jahr 1825, S. 483

370 Prechtl, S. 429 (Eintrag Nr. 2391)

371 Blaas, S. 8

Steyrerwagen) und Fleischhackerwagen“.372 Ein weiterer Beleg findet sich auch im westböhmischen Kaiserwald zwischen Marien-, Franzens- und Karlsbad, das bis 1918 Teil der österreich-ungarischen Doppelmonarchie war. Der Autor Johann Hahn schreibt in seiner 1899 erschienen Erzählung Wie der Steffelbauer nicht bestohlen wurde: „(…) beim Sternwirte, der ihm ein guter Freund ist, anklopfen, ob ihn der nicht auf seinem Steyrerwagen nach Hause fahren möchte“.373 In den erwähnten Befunden erfüllt Steyrerwagen oder Steirerwagen zwar standardsprachliche Funktion, doch ist diese nicht allein von sich aus gegeben, so dass man hier von einer regionalen Variante sprechen muss. Aufgrund der Tatsache, dass der Untere Bayerische Wald neben Böhmen auch an Oberösterreich grenzt, ist festzuhalten, dass es sich bei Steyrerwägel (E, S. 79) um einen Austriazismus handelt, dessen Verbreitung sich anscheinend stark auf das Grenzgebiet konzentriert, liegt Kaltwasser doch knapp 17 Kilometer von der Grenze entfernt. Einen interessanten Hinweis gibt noch eine Internet-Verkaufsanzeige, eingestellt von einem Nutzer aus Rohrbach in Oberösterreich im Sommer 2010, die einen

„Steirerwagen/Linzerwagen (die Bezeichnung ist vielfältig)“374 anbietet; nichtsdestotrotz bleibt am Ende dieses Exkurses festzuhalten, dass also ein Austriazismus vorliegt, welcher von Emerenz Meier als solcher nicht wahrgenommen und als für ihre Herkunftsregion standardlich aufgefasst wurde, was er für den Bereich der Regionalsprache auch sicherlich war.375 Insgesamt also liegt bei Steyrerwägel für das Deutsche ein Regionalismus vor, welcher in Österreich zum Standard gezählt werden kann und der innerhalb des bairischen Sprachraums einen selten verwendeten Austriazismus darstellt.

Regionalsprachliche Ausdrücke und Verwendungsweisen enthält schließlich auch der eingangs erwähnte Brief Gottfrieds an seine Eltern (E, S. 87). So berichtet er anfänglich davon, dass seit seinem letzten Schreiben eine schöne Zeit (ebd., Z. 2) verflossen sei.

Schön verstärkt hierbei die Länge der bereits verstrichenen Zeitspanne, was sich in dieser Form in vielerlei Sprechsituationen wiederfindet.376 Das Verb hunzen im Ausdruck Soldatenhunzerei (ebd., Z. 8), was die Drangsalen und Schikanen des Soldatenlebens verdeutlicht,377 gilt heute als veraltet,378 war und ist jedoch in der Mundart ein durchaus gängiges und nicht selten gebrauchtes Wort. Zudem fällt ein weiteres Verb auf, nämlich

372 Tritsch-Tratsch, Ausgabe März 2007, S. 3

373 http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1045&kapitel=gb_found

374 http://www.willhaben.at/iad/bap/object?adId=18944396; die Schreibweise mit <ei> wurde selbstverständlich im Zitat beibehalten.

375 Regionale Standards kennt das Deutsche ziemlich zahlreich.

376 Zehetner 2005, S. 307, führt als Beispiele, u.a. bezugnehmend auf Marieluise Fleißer (1901-1974), auf: „Sie war nicht einmal seine Frau vor dem Gesetz, sie war s. dumm (Fleisser 33). Das ist s. teuer.“

377 Vgl. Zehetner 2005, S. 193, sowie Grimm Bd. 10, Sp. 1953

378 Vgl. Wahrig, S. 521

dürfen im Halbsatz aber wenn man auf gar nix mehr aufpassen darf (ebd., Z. 11). Es ist im Sinne des mittelhochdeutschen Präterito-Präsentiums dürfen, ‚müssen, bedürfen’, gebraucht, was seiner ursprünglichen Bedeutung entspricht, aber so nur mehr in der Regionalsprache auftritt, also als latenter Dialektismus zu gelten hat. Ebenso verhält es sich mit der Verwendung der Präposition in in Verbindung mit Berg: wenn man in den Wäldern und Bergen herumstreifen kann (ebd., Z. 11f.). Nun liegt hier eine elliptische Formulierung vor, die zwar scheinbar aus stilistischen Gründen eingesetzt wurde, widerspricht aber doch der Standardsprache dahingehend, als sie ein lokal gebrauchtes in bei Bergen nicht vorsieht, da es sonst zu semantischen Missverständnissen käme.379 Der Dialekt jedoch erachtet diese Verwendungsweise als durchaus korrekt, auch in unseren Tagen spricht der Dialekt davon, in die Berge oder an den Berg zu gehen.380 Emerenz

dürfen im Halbsatz aber wenn man auf gar nix mehr aufpassen darf (ebd., Z. 11). Es ist im Sinne des mittelhochdeutschen Präterito-Präsentiums dürfen, ‚müssen, bedürfen’, gebraucht, was seiner ursprünglichen Bedeutung entspricht, aber so nur mehr in der Regionalsprache auftritt, also als latenter Dialektismus zu gelten hat. Ebenso verhält es sich mit der Verwendung der Präposition in in Verbindung mit Berg: wenn man in den Wäldern und Bergen herumstreifen kann (ebd., Z. 11f.). Nun liegt hier eine elliptische Formulierung vor, die zwar scheinbar aus stilistischen Gründen eingesetzt wurde, widerspricht aber doch der Standardsprache dahingehend, als sie ein lokal gebrauchtes in bei Bergen nicht vorsieht, da es sonst zu semantischen Missverständnissen käme.379 Der Dialekt jedoch erachtet diese Verwendungsweise als durchaus korrekt, auch in unseren Tagen spricht der Dialekt davon, in die Berge oder an den Berg zu gehen.380 Emerenz