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Zwei Kurzgeschichten: Die Fünferlkuh und Ein Faß Wein rollt über die Grenze

3 „Ich bin des freien Waldes freies Kind“ 52 – Die Bayerwalddichterin Emerenz Meier (1874-1928)

6 Emerenz Meier – eine typische Schriftstellerin ihrer Region?

6.2 Autoren und Analysen

6.2.1 Max Peinkofer

6.2.1.4 Zwei Kurzgeschichten: Die Fünferlkuh und Ein Faß Wein rollt über die Grenze

Es handelt sich hierbei um zwei Prosatexte, die, obgleich vordergründig standardsprachlich, sehr stark von Dialektlexemen und mundartlichen Strukturen durchsetzt sind. Erkennbar ist das Ansinnen des Autors, diese einem Leserkreis über den ostoberdeutschen Sprachraum hinaus verständlich zu gestalten, mit schriftstellerischem Selbstbewusstsein wird der Plot aber nicht nur mit landschaftlicher Färbung erzählt und ausgebreitet, sondern bisweilen sogar mit bewusst kleinregionaler Prägung. Im Folgenden soll daher auf sowohl gemeinbairische Elemente hingewiesen werden als auch auf solche Peinkofers Heimatmundart. Wörtliche Reden erscheinen ebenso standardisiert und an eine Verkehrsmundart angepasst, sind aber in

743 Zehetner 2005, S. 276; hierbei wird auch auf dessen veralteten Charakter sowie auf eine Belegstelle bei Emerenz Meier verwiesen, wodurch die Interpretation dieses Lexems als Kleinregionalität zumindest ebenso möglich erscheint. Eine ebensolche Parallele zwischen Max Peinkofer und Emerenz Meier bietet Zehetner 2005 beim Adjektiv sierig (sirrig, sirrert) für „aufgebracht, unwillig, mürrisch, verdrossen“ (a.a.O., S. 317). Dies erscheint im vorliegenden Gedicht in Vers 197, sirri, ebenso wie bei Meier (‚Ja, wann er net gar so sirrig waar’). Da der Verfasser des Wörterbuchs dieses Lexem lediglich als mundartnah einstuft, soll dessen Erwähnung im Rahmen einer Fußnote genügen.

744 Vgl. Schmeller Bd. 1, Sp. 979 und 1729f.

745 Vgl. a.a.O. Sp. 1113

746 Vgl. Schmidt 2000, S. 270

der überwiegenden Mehrheit im Dialekt747 – oder zumindest in einer stark dialektnahen Sprache – verfasst, weswegen aufgrund der mundartlichen Prägung hier in erster Linie, wie auch schon bei der Analyse Emerenz Meiers, der Erzähltext betrachtet werden und nach gängigem Muster kategorisiert werden soll.

Im Bereich der Lexik ist eine ganze Reihe bairischer Vokabeln zu finden, allen voran bereits auf der ersten Seite Wetter (DF, S. 17) für ‚Unwetter’ bzw. ‚Gewitter’748 und das Rheumatische (DF, S. 17), was generalisierend für allerlei länger- wie kurzfristige Erkrankungen steht, die mit Gliederschmerzen einhergehen. Weitere dialektale Substantive sind festzustellen bei seine Alte (DF, S. 18) für ‚Ehefrau’, Millihaferl (DF, S. 20) für

‚Milchkanne’, Hirntüchl (DF, S. 19) für ‚Kopftuch’, ein kleines Sachl (DF, S. 21) für ein kleines landwirtschaftliches Anwesen und Simandl (DF, S. 22) für einen „Ehemann, der sich von seiner Frau alles gefallen lässt“.749 In Verbindung mit dem standardsprachlichen Suffix {-keit} zum Substantiv geworden erscheint das Adjektiv grantig750 für ‚mürrisch’, ‚schlecht aufgelegt’, ‚erzürnt’. Des Weiteren sollte an dieser Stelle noch erwähnt werden die durchgehende Verwendung der temporalen Konjunktion wann an Stellen, wo der Standard wenn verlangen würde (vgl. DF, S. 17, 18, 19). Dieses heute rein mundartliche Phänomen ist direkt auf das Mittelhochdeutsche zurückzuführen, in dem gleichberechtigt neben wenne die Konjunktion wan stand.751

Die mundartliche Form und Lautung von Kalb erscheint in der Fünferlkuh ebenso, einmal in Kaiwi (DF, S. 22)752 und einmal im Kompositum Kaiwistrick (a.a.O.). Hierbei sollte jedoch die nicht durchgehaltene Konsequenz Peinkofers erwähnt werden, das bairisch inlautende /w/

als solches zu verschriften. So lässt er die Bäuerin sagen Fünf Kaibi hat sie schon gehabt (a.a.O.), wo die dialektale Lenis-Lautung aber in der Verschriftung dem Plosiv <b> weicht.

Das mag daran liegen, dass bei der Artikulation dieses Konsonanten nicht immer eindeutig deutlich wird, ob es sich um /w/ oder /b/ handelt, zumal das Bairische in seinen Varietäten beide Möglichkeiten kennt. Allem Anschein nach war sich Peinkofer dessen bewusst. Ob die unterschiedliche Verschriftung gerade dem geschuldet ist, lässt sich nicht nachweisen.

Festzustellen bleibt lediglich die parallele Existenz beider Schreibweisen. Ein derartiger

747 In der folgenden Einzelanalyse wird daher auf die Erläuterung und ggf. Diskussion gesamtoberdeutscher Lexeme oder morphologischer Strukturen, die der Text ebenfalls aufweist (so z.B. Schupfen, End, Schimpfred u.dgl.), verzichtet.

748 Vgl. hierzu in Emerenz Meiers Mundartballade Wödaschwüln das Kompositum Wödaschlog (V. 2).

749 Zehetner 2005, S. 317

750 Belegstelle ist Grantigkeit (DF, S.19)

751 Vgl. Hennig, S.461

752 Kaiwi stellt eigentlich für sich einen Diminutiv von Kalb dar.

Zweifelsfall konnte beim folgenden Beispiel von vornherein nicht auftreten: Das Partizip II vergunnt (DF, S. 20) weist den mundartlichen Stammvokal /ʊ/ auf.

Gesonderter Betrachtung bedarf die Textstelle ununterbrochen gewerkt und gepurrt wie ein Auf, ein Uhu (DF, S. 20), an der Peinkofer selbst das Dialektwort Auf(f) erläutert, welches Zehetner als veraltet attribuiert753 und interessanterweise hierbei Emerenz Meier zitiert: „Weil er oft drei’schaut wia an Auff“.754

Etwas problematischer verhält es sich auf der Suche nach einer Erläuterung für und dann in der oberen Stube in einem gefeierten Bett geschlafen (DF, S. 20). Das attributivische Adjektiv gefeiert kann semantisch in keinen Zusammenhang mit ‚feiern’ oder gar ‚feuern’755 gebracht werden. Lediglich der Eintrag „fâ-en“ mit den Aussprachehinweisen „fà·n, fèiə~“756 für

‚fegen’ bei Schmeller vermag einen Hinweis zu bieten. Demnach stellt gefeiert(en) im vorliegenden Fall das gemäß seiner Aussprache verschriftete Adjektiv zum Dialektverb für fegen dar und meint hier ein ‚ordentliches’, ‚sauber gepflegtes’, gewissermaßen ‚gefegtes’

Bett.

Betrachtet man spezifisch bairische Besonderheiten im Bereich der Formenlehre, die hier in aller Regel allerdings keine kleinregionalen Tendenzen erkennen lassen, so fällt zunächst die Bildung von Possessivpronomina durch Suffigierung mit {-ig} in das Seinige (DF, S. 18) auf.

Auf dieses Phänomen wurde bei der Analyse der Erzähltexte Emerenz Meiers bereits hingewiesen,757 weshalb hier keine weiteren Überlegungen und Erläuterungen angebracht erscheinen. Ebenso mundartlich ist die Präfigierung von Substantiven mit {mords-}, um den Grad des zu Beschreibenden zu augmentieren, was in Mordsblitz (DF, S. 17) der Fall ist.

Parallel dazu tauchen in größerer Vielzahl die Diminutivsuffixe {-l} und {-erl} auf. Als Belegstellen seien neben dem Titel Die Fünferlkuh genannt: Gsetzl (DF, S. 17), neun Markl und dazu ein lausiges Fuchzgerl (DF, S. 17), Votivtaferl (DF, S. 17), Zigarettenschachterl (DF, S. 20), wengerl (DF, S. 17)758 und ein Lüngerl (DF, S. 23).759 Die beiden letzten Beispiele sind auch für den Bereich der Lexik interessant. Die Verwendung von wengerl

753 Vgl. Zehetner 2005, S.49

754 A.a.O.

755 Dies wird nur unter der Voraussetzung angenommen, dass hier eine entrundete Form des Diphthongs /εʊ̯ / vorläge.

756 Schmeller Bd. 1, Sp. 683

757 Vgl. Kapitel 4.2 vorliegender Arbeit.

758 Hier ist die Diminuierung an sich eine mundartliche Eigenheit, da die Standardentsprechung wenig keine Verkleinerung erfahren kann.

759 Im Fall von Lüngerl ist eine Sichtweise als spezifisch ostoberdeutsches Lexem ebenso möglich, das eine Portion einer sauer (unter Verwendung von Essig) zubereitete Schweinelunge bezeichnet, ein noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein äußerst beliebtes, da relativ preisgünstiges Fleischgericht. Seiner Bildung liegt allerdings eine Suffigierung zum Diminutiv zugrunde, die ebenso charakteristisch ostoberdeutsch ist, so dass Lüngerl im Zusammenhang mit der Erläuterung morphologischer Auffälligkeiten genannt ist.

weist auf den nördlichen Bereich des Mittelbairischen760 hin, das zitierte Lüngerl bezeichnet eine sauer, also unter Verwendung von Essig zubereitete Schweinelunge, welche zumeist mit Semmelknödel serviert wird, ein Gericht, welches sich aufgrund seines vergleichsweise niedrigen Anschaffungspreises großer Beliebtheit erfreute. Sehr deutlich bairische Eigenheiten treten bei der Bildung eines Adjektivs an folgender Textstelle auf: der gspitzete Kopf noch zaundürrer, das gspitzete Kinn noch gspitzeter und der endslange Nase mit der großen Warze noch länger herauszahnt (DF, S. 19). Hierbei ist zunächst das Präfix {g(e)-} zu nennen, das der Basis {spitz} vorausgeht. Das Suffix {-àd}, hier verschriftet als <et>, geht zurück auf ahd. und mhd. -eht/-oht761 und hat sich in vorliegender Form im Bairischen erhalten, im Standard hat sich das Suffix {-end} erhalten, welches allerdings bei der Basis {spitz} nicht produktiv wäre.762

Flexionsmorphologisch ist zunächst der fehlende Umlaut in der 3. Person Singular Indikativ Präsens Aktiv des Verbs fahren zu nennen: fahrt (…) umeinander am Firmament (DF, S. 17).

Ebenso fehlt ein Ablaut in gleichen Flexionsformen von lassen und austragen, laßt (DF, S.

18) und austragt (DF, S. 20), was die Konsequenz des Bairischen zur Beibehaltung des Stammvokals bei flektierten Verben deutlich zeigt. Diese Konsequenz reicht bis in die Derivation hinein, wofür der Text der Fünferlkuh folgendes Beispiel bringt: Handler (DF, S.

22, 23), welches Zehetner als umgangssprachlich attribuiert,763 wird vom Autor an Stelle des standarddeutschen Händler verwendet. Aber noch ein weiteres dialektales Phänomen im Bereich der Flexionsmorphologie ist darüber hinaus erwähnenswert, der Ausfall des Präfixes {g(e)-} bei Partizip-II-Formen, deren Verbstamm mit einem stimmhaften oder stimmlosen velaren Plosivlaut beginnt. Das entsprechende Partizip, erster Teil des Prädiakts, im Satz Kocht hat sie an diesem Tag nichts (DF, S. 20) weist diese Tendenz auf.

Neben den genannten Dialekteinflüssen, die teils direkt, teils latent erscheinen, müssen als Direktanzeige die verwendeten Nomina propria und Hausnamen angesprochen werden. So wird die Hauptperson der Kurzgeschichte Sumperer764 genannt, was allem Anschein nach einen Hausnamen darstellt. Wie seine einleitende Einführung, der Sumperer von Sumpering (DF, S. 17), deutlich macht, handelt es sich um ein vom entsprechenden Ortsnamen abgeleitetes Nomen vulgaris. Die Lokalisierung erweist sich als nicht ganz eindeutig, da es in

760 Im Gegensatz zur präferierten Verwendung von bisserl oder bisse im südlichen Teil des mittelbairischen Dialektgebiets.

761 Vgl. Reiffenstein 1969

762 Eine Diskussion über den Suffixsynkretismus bei der Bildung von Adjektiven mit Partizipien I erübrigt sich an dieser Stelle, wo eindeutig ein Adjektiv vorliegt. Vgl. hierzu: Reiffenstein 1969, Kaspar 2012

763 Vgl. Zehetner 2005, S. 169f.

764 Da diese Bezeichnung durchgängig verwendet wird, wird auf eine Auflistung sämtlicher Belegstellen verzichtet.

Bayern zwei Orte mit dem Namen Sumpering gibt, einerseits einen Weiler, zur Stadt Regen gehörig, andererseits eine Einöde, welche der Stadt Grafenau untergeordnet ist.765 Gemessen an der Tatsache, dass die Hauptperson der Kurzgeschichte Die Fünferlkuh in seiner Notlage zum Heiligen Hirmon von Bischofsmais betet, dessen Verehrung eher regionaler Natur ist, ist anzunehmen, dass der Hausname des Sumperer von Sumpering demjenigen Sumpering zuzuordnen ist, welches Bodenmais am nächsten liegt, nämlich dem Weiler bei Regen.766 Das weibliche Pendant zur Hauptperson erscheint regelmäßig moviert als Sumpererin (DF, S.

22). Doch werden von beiden auch die Vornamen genannt, die in mundartlichen Abkürzungsvarianten auftauchen: So heißt der Sumperer Johann Georg, nämlich Hansgirgl (DF, S. 18), seine Ehefrau Emerenz, Senz (DF, S. 19). Daneben tritt kurz noch eine Bekannte der Eheleute auf, die Ottili (DF, S. 21), deren Taufname Ottilie oder Ottilia ist. Die Verwendung der beiden weiblichen Vornamen in Verbindung mit dem bestimmten Artikel verwundert in diesem Zusammenhang wenig und stellt die direkte Übertragung des Bairischen in die Kurzgeschichte dar.

Betrachtet man kontrastiv dazu die kurze Erzählung Ein Faß Wein rollt über die Grenze, fällt sogleich ihre durchgängige Standardsprachlichkeit auf, mit der Max Peinkofer auf alle direkten Dialektanzeichen verzichtet. Latente regionalsprachliche Einflüsse sind lediglich an einer einzigen Stelle nachweisbar, im Nebensatz Wie sich die Geistlichen wieder auf den Heimweg machen (FW, S. 57). Dass er wie statt des zu erwartenden als beginnt, ist zwar im Bairischen durchaus regelkonform, kann aber nur bedingt als Mundarteinfluss gelten; Grund dafür ist die in vielen überregionalen Umgangssprachen gängige Verwendung von wie als temporale Subjunktion, was seit dem Frühneuhochdeutschen belegt ist,767 doch weist bereits Adelung 1786 auf die Problematik seiner Verwendung hinsichtlich seiner „zweydeutigkeit mit dem umstandsworte wie“.768

Das Lexem Tafernwirt (FW, S. 57) für ‚Gastwirt’ bzw. ‚Schankwirt’ kann als veraltet gelten769 und ist in seiner Verwendungsweise einer älteren Stufe eines süddeutschen Standards zuzuordnen.

765 Vgl. Amtliches Ortsverzeichnis Bayern

766 Zwischen Sumpering (Stadt Regen) nach Bischofsmais liegt eine Strecke von acht Kilometern.

767 Vgl. Grimm Bd. 29, Sp. 1491

768 Adelung 1786, Bd. 5, S. 208 (zitiert auch a.a.O.)

769 Vgl. Zehetner 2005, S. 335