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Analyse latenter und evidenter Dialektismen im Erzähltext

3 „Ich bin des freien Waldes freies Kind“ 52 – Die Bayerwalddichterin Emerenz Meier (1874-1928)

4 Sprachlich-dialektologische Analyse des Corpus

4.4 Die Erzählung Der Bua

4.4.2 Analyse latenter und evidenter Dialektismen im Erzähltext

Zuvorderst muss natürlich das Substantiv im Titel, Bua, genannt werden, das bairische Substantiv für Junge oder Knabe. In diesem Fall bezeichnet der Titel allerdings nicht ein Kind männlichen Geschlechts im Allgemeinen, sondern hat, wie im Verlauf der Lektüre klar wird, die Bedeutung ‚Sohn‘,421 hier sogar ‚unehelich geborener Sohn‘, und ist allein schon aufgrund von Ersterem eindeutig dialektal. Eine weitere Variante für die Bezeichnung eines jungen Mannes, nämlich Bursch, genauer gesagt im Genitiv Plural als Burschen (Bua, S. 376), taucht im folgenden Erzähltext auf. Auf seinen Dialektgehalt wurde in einem der vorhergehenden Kapitel bereits hingewiesen sowie Bedeutung und Bedeutungsnuancen ebenso hinlänglich geklärt.422

Im Bereich der Lexik auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist die Mundartlichkeit des Verbs ausstehen. Während es die Standardsprache nur als jemanden/etwas (nicht) ausstehen können kennt,423 erlaubt das Bairische darüber hinaus zwei weitere Verwendungsweisen. Die erste ist heute veraltet und bezeichnet das Austreten aus dem Dienst bei einem Bauern,424 die andere wird im Sinne von ‚aushalten’ oder ‚erdulden’

gebraucht, wie es im vorliegenden Text bei was hatte sie (…) ausgestanden (Bua, S. 367) der Fall ist.425 Inzwischen zum bairischen wie bayerischen Klischee verkommen ist das

419 Vgl. Praxl 2008, S. 96; auch: EM, hg. von Göttler, Bd. 1, S. 9, wo Göttler auch explizit darauf hinweist, dass

„(…) eine genaue Datierung [nicht] möglich wäre“ (a.a.O.), aber auf das in der folgenden Fußnote gebrachte Briefzitat hinweist (vgl. a.a.O., S. 14).

420 Darauf weist Emerenz Meier selbst in einem Brief an Hans Carossa hin: „Die 30 M[ark] haben nicht lange gereicht, auch nicht die 40 von den N[euesten] N[achrichten] für den ‚Buam’ (…)“ (EM, hg. von Göttler, Bd. 2, S. 221; eine genaue Datierung dieses aus München an Carossa gerichteten Schreibens ist nicht möglich, da mit keinem Datum versehen, wohl aber ist es im Spätherbst des Jahres 1903 entstanden; im Booklet bzw. auf der Tracklist, Track 6, der CD „Emerenz Meier – out of Heimat“ wird ohne Hinweis auf eine Quelle der

Entstehungsmonat November angegeben, was durchaus möglich erscheint, nichtsdestotrotz aber immer noch nicht als endgültig gesichert gelten kann).

421 Vgl. Zehetner 2005, S. 83

422 Siehe Kapitel 4.2.2.1 dieser Arbeit

423 Vgl. Duden Bd. 1, S. 139

424 Vgl. Zehetner 2005, S. 58

425 Einen weiteren Beleg hierfür bietet Ludwig Thomas Münchner im Himmel, wenn die Hauptperson Alois Hingerl alias Engel Aloisius über seine momentane Situation lamentiert: „A-a-a-a-a, wos steh i aus!“ (Thoma, Der Münchner im Himmel, vorgetragen von Adolf Gondrell, transkribiert von Wolfgang Näser; vgl. htp//:staff-www.uni-marburg.de; genaue URL siehe Angabe im Literaturverzeichnis)

Substantiv Kammerfenster (a.a.O.).426 Es bezeichnet nicht das Fenster eines Zimmers im Allgemeinen, sondern dasjenige der Schlafstube eines Mädchens.427 In der Textpassage (…) und in ihrem allmählich blasser werdenden Gesicht zuckte es von bösen Wettern im Innern (a.a.O.) ist das Wort Wetter(n) bildlich gebraucht. Allerdings muss erklärend hinzugefügt werden, dass Wetter im Bairischen auch ‚Unwetter’ und ‚Gewitter’ bedeuten kann;428 erst dadurch wird klar, dass der Grund für die langsam abnehmende Gesichtsfarbe der Protagonistin Resei innere Wut und Enttäuschung ist. Aus dem bäuerlichen Soziolekt zu erklären ist Heuschwinge (Bua, S. 368). Schwinge wird ein „flacher, ovaler Korb mit zwei Tragegriffen“429 genannt, der in diesem Fall für gewöhnlich zum Transport von Heu verwendet wird und zu den unentbehrlichen alltäglichen Hilfsmitteln gehört.

Ein weiteres, eindeutiges Dialektverb ist jodeln (Bua, S. 366, 370). Genauere Einzelheiten zu seiner Entstehung sind unklar, Kluge verweist auf die Ähnlichkeit zu johlen,430 zumal Mackensen auch die Form „jó-ln“ aufführt und eine treffende Paraphrase mit „den Ruf

‚Jo!’ ausstoßen“431 bietet. Parallelen zwischen „jó-ln“432 und der verbreiteten Artikulation des Verbs sind durchaus erkennbar, so ist im Bairischen ein Ausfall von /d/ zwischen Langvokal und /l/ in einigen anderen Fällen ebenso möglich.433

Ursprünglich weit verbreitet in Dialekten südlich der Speyerer Linie, und so auch im Bairischen, heute jedoch veraltet,434 ist Base,435 das im Erzähltext von Der Bua auftritt.

Ursprünglich stand es für eine weibliche Verwandte jeglicher Art,436 mit gewisser Tendenz jedoch bereits im 19. Jahrhundert zu ‚Nichte‘ oder ‚Cousine‘.437 Wofür es im vorliegenden Textabschnitt, denn Resei besaß weder Mutter noch Base (Bua, S. 367), steht, lässt sich allein hieraus nicht erschließen.

426 Damit einher geht das gerade von medialer Seite spätestens seit den 60-er Jahren des vergangenen

Jahrhunderts mehr konstruierte denn rekonstruierte Bild vom „Kammerfensterln“ zur Ermöglichung körperlicher Zweisamkeit zwischen (noch) nicht verheirateten Paaren.

427 Vgl. Zehetner 2005, S. 202

428 Vgl. Emerenz Meiers Mundartballade Wödaschwüln (in: EM, hg. von Bleibrunner/Fuchs, S. 155)

429 Zehetner 2005, S. 312, verweist explizit auf dieses Textzitat.

430 Vgl. Kluge 2002, S. 411

431 Mackensen, S. 195

432 A.a.O.

433 Als weitere Beispiele können die Abkürzung Rudl [’ru:(d)l] für Rudolf und die mögliche Artikulation von Strudel [’štru:(d)l] herangezogen werden. Das in der Lautschrift hier eingeklammerte /d/ zeigt den jeweils potenziellen Ausfall an.

434 Vgl. Duden Bd. 1, S. 148

435 Meist in der Form Bàsl (vgl. Zehetner 2005, S. 63)

436 Vgl. Delling Bd. 1, S. 55: „des Vaters oder der Mutter Schwester; ueberhaupt jede Verwandte“

437 Rückschlüsse auf diese Tendenz ergeben sich beispielsweise aus der Formulierung in einem Übergabevertrag, verbrieft am 26.05.1837 in Niederaichbach, mit dem ein Anwesen von den Übergebern Georg und Klara

Neumayr, geb. Schreiner, an „ihre[r] Baase anna Maria Voglmaierinn“ gehen soll, die in vorliegendem Fall die Nichte des Übergebers war (Staatsarchiv Landshut, Br.Pr. Landshut 519, fol. 39ff.).

Ein Verb, dessen Verbreitung eindeutig und ausschließlich im bairischen Raum zu suchen ist, findet sich im Satz Der Herr Pfarrer (…) hatte aber anders aufgedreht (…) (Bua, S.

368). Aufdrehen bedeutet hier „energisch protestieren“, „wütend werden“438 bzw. „zu schimpfen anfangen“.439 Gleichfalls direkt dialektal ist mit den ledigen Bamsen (Bua, S.

368). Ähnlich dem Verb ausstehen hat auch das Adjektiv ledig im Bairischen mehrere Bedeutungen, zum einen, wie in der Standardsprache, ‚unverheiratet‘, zum anderen aber, so hier verwendet, ‚unehelich geboren‘ zum Ausdruck der Geburt eines Kindes einer ledigen Mutter.440 Bams, hier im Dativ Plural mit entsprechender Endung stehend, ist ein Dialektsubstantiv mit pejorativem Charakter und steht verächtlich für „Kind“,441 im Besonderen, wie Schmeller erwähnt, für ein dickes Kind.442

Zuletzt muss, die Lexik betrachtend, das Adjektiv rosakutten in Die rosakuttenen Bettvorhänge (Bua, S. 366) angesprochen werden. Zunächst sei eine Trennung in seine beiden Konstituenten vorgenommen. Der erste Teil bezieht sich logischerweise auf die Farbe, der zweite ist in dieser Form sowohl im Bairischen als auch standardsprachlich unbekannt. Nun verbleiben zwei Möglichkeiten der Deutung. Zunächst kann man kutten in Analogie zum englischen cotton, also Baumwolle, sehen. Sollte es sich also auf den Stoff des Vorhangs beziehen, so läge hier ein Anglizismus vor mit Veränderung des Stammvokals und Anhängen der entsprechenden deutschen Flexionsendung. Darüber hinaus muss jedoch erwähnt werden, dass Grimm als einziges Wörterbuch das Verb kutten aufführt mit dem Hinweis „bair[isch]“ und der Erläuterung „bauschig sitzen wie eine kutte“.443 Wenn hier eine Ableitung des Verbs vorliegen sollte, bezöge sich dann der zweite Teil des Adjektivs nicht auf die Art des Stoffes, sondern auf dessen Eigenschaft.

Die Analogie zu Kattun und seinem zugehörigen Adjektiv kattunen ist als potenzielle dritte Möglichkeit auszuschließen, zu verschieden ist der Lautstand beider Wörter. Eine endgültige Entscheidung, ob bei rosakutten(en) latenter Dialekt oder ein Einfluss des Englischen vorliegt, lässt sich daher nicht eindeutig treffen, betrachtend aber die Tatsache, dass Der Bua in Bayern entstanden ist, ließe sich die Interpretation als Anglizismus eher ausschließen, so dass als abschließende Deutung unter Verweis auf Grimm rosakutten am ehesten als latenter Dialektismus aufgefasst werden kann; da aber, wie gesagt, eine

438 Zehetner 2005, S. 50

439 Duden Bd. 1, S. 130

440 In seltenen Fällen auch bei verwitweter oder (noch seltener) geschiedener Mutter

441 Delling Bd. 1, S. 51

442 Vgl. Schmeller Bd. 1, Sp. 392; er vermutet einen Zusammenhang mit italienisch bambino; vgl. auch Zehetner 2005, S. 61

443 Grimm Bd. 11, Sp. 2902

eindeutige Zuordnung nicht möglich erscheint, wird der Befund im Auswertungskapitel unter der Rubrik „Sonstige Befunde“ geführt werden.

Morphologische Eigenheiten des Erzähltextes betrachtend, ist er weniger dialektal, als vielmehr über- und großregional geprägt. Sehr stark umgangssprachliche Tendenz liegt vor bei wimmernd klangs durch die Stube (Bua, S. 369), die Kontraktion einer konjugierten Verbform mit dem anschließenden Pronomen es. Des Weiteren fällt an zwei Stellen, andern (Bua, S. 366) und im Innern (Bua, S. 367), die Synkope des standardsprachlichen Schwa auf. Dieses Phänomen der Verschriftung von nicht artikulierten Nebensilben kann allerdings auch auf die Schreibgepflogenheiten des ausgehenden 19. und beginnenden 20.

Jahrhunderts zurückgeführt werden.

In der Sprache des 21. Jahrhunderts möglicherweise nur auf den zweiten Blick auffallend ist die Verwendung des Dativs nach der Präposition wegen und daher als Regionalsprachlichkeit zu nennen, so erscheinend bei wegen dem Buben (Bua, S. 367, 368). Was sich in der Gegenwartssprache aufgrund des manifestierbaren Genitivschwunds zur Standardvariante entwickelt hat, ist um 1900 noch fern von einem Eindringen in den Bereich des kodifizierten Standards, weshalb wegen dem Buben als Regionalismus zu werten ist.

Im Bereich der Wortbildung muss auch hier auf die bairische Tendenz zum Fugenelement -s- hingewiesen werden,444 die das Determinativkompositum Kindsbad (Bua, S. 368) aufweist. Dieses Phänomen wurde an anderer Stelle der Arbeit bereits behandelt. Der vorliegende Fall ist jedoch in bairischer Mundart kein Einzelfall. So taucht -s- auch in der volkstümlichen Bezeichnung des Puerperalfiebers auf, nämlich Kindsbettfieber, was standardsprachlich nicht der Fall ist.445 Als ähnliches Beispiel kann Kindstauf(e) gelten, das Duden mit „Kindtaufe“ angibt.446 Jedoch kann auch hochsprachlich ein Fugenelement auftauchen, beispielsweise bei Kindstod; Fälle mit -es- wie Kindesalter reduziert das Bairische weiter zu -s-, von der ohnehin seltenen Verwendung dieses Lexems in der Mundart abgesehen.

Das Partizip II von wenden in der Verbindung zum Vater gewendet (Bua, S. 370) entspricht dem Standard, da das Verb sowohl stark als auch schwach flektiert werden kann.447 Die Mundart kennt allerdings nur die regelmäßige Konjugation ohne Wechsel des Stammvokals, weshalb die Entscheidung der Autorin, an dieser Stelle das schwach

444 Vgl. Merkle, S. 117

445 Vgl. Duden Bd. 1, S. 407

446 A.a.O.

447 Vgl. Duden Bd. 4, S. 130, FN 2 (zu § 237), und S. 144, FN 3 (zu § 243); auch: Duden Bd. 1, S. 826

gebildete Partizip zu verwenden, vor diesem Hintergrund auf ihre sprachgeographische Herkunft verweist.

Der Zusammenfall von Dativ- und Akkusativendung bei Substantiven im Bairischen wurde bereits erwähnt. In den nun behandelten Erzählungen lässt sich dieses Phänomen an der Substantivierung des Adjektivs essbar beobachten: Sie begab sich auf die Suche nach etwas Eßbaren (Bua, S. 368).

Auch muss an dieser Stelle der Artikelgebrauch im Erzähltext angeführt werden. Beide, sowohl der bestimmte wie der unbestimmte, erscheinen an mehreren Stellen, wo sie der Standard nicht erwarten ließe. Merkle weist darauf hin, dass dies verstärkt bei abstrakten Begriffen auftritt, „wenn sie als allgemeine Bezeichnungen eines Zustands oder eines Vorgangs dienen“.448 Als Beispiele seien hierfür etwas ausführlicher folgende dargestellt:

Zunächst die attributivische Verbindung die Schläge vom Vater (Bua, S. 367) – aus zweierlei Gründen fällt diese im Erzähltext auf. Zunächst erscheint das standardsprachlich zu erwartende postnukleare Genitivattribut als Kontraktion aus von und dem mit entsprechend zugehörigem Substantiv. Dies ist hier als umgangssprachlich zu werten, nicht als direkt dialektal. Kleinregionaler, nämlich gesamtoberdeutsch und somit auch als eine Eigenheit des Bairischen zu werten ist die oben bereits angesprochene Verwendung des bestimmten Artikels bei der Verwandtschaftsbezeichnung Vater. Nördlich der Speyerer Linie ohne Artikel gebraucht,449 entspricht dies im oberdeutschen Gebiet durchaus den allgemeinen Sprachgepflogenheiten und wurde allem Anschein nach ohne Bewusstsein seiner Regionalität verwendet, wenn es auch kein rein bairisches Phänomen darstellt. Das zweite Beispiel für die regional gefärbte Artikelverwendung stellt die Formulierung Jetzt verspürte sie aber auch einen argen Hunger (Bua, S. 368) dar. Wo der Standard ebenso per se auf einen Artikel, egal welcher Art, verzichtet, verlangt in diesem Fall das Bairische obligatorisch den unbestimmten Artikel, weshalb dieses Phänomen als Dialektismus zu identifizieren ist. Als weitere Beispiele für diese Fälle kann dienen Resei sagte der weisen Frau einen schönen Dank (a.a.O.).

Neben den erörterten Dialekteinflüssen lexikalischer und morphologischer Art seien nun diejenigen im Bereich der Syntax betrachtet, die erwartungsgemäß um ein Stück weit geringer ausfallen.

448 Merkle, S. 91

449 Ebenso verlangt der Standard an dieser Stelle keinen Artikel, ein Phänomen, das auch romanische Sprachen kennen, z.B. das Italienische, das einen bestimmten Artikel bei der Angabe von verwandtschaftlichen

Verhältnissen nicht einfordert, wenn offensichtlich ist, dass es nur eine einzige Person (oder Personengruppe) geben kann, die in besagtem Verwandtschaftsverhältnis zur Bezugsperson steht (vgl. Serianni und Roncoroni), wie beispielsweise padre oder genitori. Das Gleiche gilt beispielsweise für moglie bzw. marito, nämlich Ehefrau bzw. Ehemann.

Was standardsprachlich der Exponierung dient, nämlich die Frontstellung der Akkusativergänzung,450 erfüllt im Bairischen nicht diesen spezifischen Zweck. Im Deutschen theoretisch möglich und nicht sinnentstellend, aber stilistisch fragwürdig, folgt der Satz Nur einen griesgrämigen Vater hatte sie (Bua, S. 367) der bairischen Norm, nämlich der Voranstellung der Akkusativergänzung; im zitierten Beispiel erscheint besagte Ergänzung noch dazu nach der Spitzenstellung einer Modalangabe in Form des Adverbs nur.

Darüber hinaus muss eine weitere syntaktische Eigenart angesprochen werden. Karin Donhauser stellt dabei fest, dass „die Mundartsprecher des Bairischen eine deutlich größere Zurückhaltung gegenüber der mit zu konstruierten Infinitivverbindung an den Tag legen als dies z.B. in der gesprochenen wie geschriebenen Standardsprache der Fall ist“.451 Zehetner liefert in seinem Bairischen Dialektbuch hierfür unter Anderem das Beispiel Mid deara męchad i nix zun Doa hom,452 wo der Dialekt das entsprechende Verb nach der kontrahierten Form zun substantiviert, die Hochsprache jedoch eine Infinitivkonstruktion bilden würde, die der Mundart weitgehend fremd ist.453 Auf die konträren Aussagen von Ludwig Zehetner (1985) und Helmut Weiß (1998) zu Existenz oder Non-Existenz von Infinitivkonstruktionen im Bairischen kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen, nur verwiesen werden.454 Fakt ist jedoch, dass die Mundart dazu neigt, diese um ein Vielfaches weniger zu gebrauchen als die standardisierte Sprache. Als latent regionalsprachlich ist daher folgende satzförmige Temporalangabe in der Erzählung Der Bua einzustufen: sobald sie nächstens wieder fähig wäre zum Arbeiten (Bua, S. 368).

Als letzter Punkt ist unter dieser Rubrik noch die Verwendung eines freien Dativs, genauer eines Dativus ethicus,455 anzuführen: (…) daß Resei ihr [der Hebamme] ein zweites Mal komme (Bua, S. 368). Prinzipiell liegt hier noch kein Regionalismus vor, es muss lediglich von einer im Oberdeutschen stärkeren Tendenz zur Bildung freier Dative gesprochen werden, wie sie beispielsweise hier in Erscheinung tritt.456

Hinsichtlich der in der Erzählung erscheinenden Eigennamen muss auf die Hauptperson Resei (Bua, S. 366, 367) verwiesen werden. Dieser mundartlichen Form, vom Genus her ein Neutrum, für den relativ gebräuchlichen Taufnamen Theresia haftet zunächst nichts

450 Vgl. Zehetner 1985, S. 150, Weiß 1998, S. 37, und Stechow/Sternefeld, S. 387f.

451 Donhauser, S. 292f.

452 Zehetner 1985, S. 148

453 Vgl. a.a.O.

454 Vgl. Zehetner 1985, S. 148f., und Weiß 1998, S. 231ff.

455 Unter Umständen wäre der vorliegende freie Dativ auch als Dativus incommodi interpretierbar.

456 Weitere Beispiele wären etwa für den Dativus incommodi die Aussage Mià is mei Oide gschdoàm, für den Dativus iudicantis der Ausruf Des is dà vielleicht oànà!

Ungewöhnliches an. Im Vergleich allerdings zur literarischen Figur Resie in Emerenz Meiers Novelle Aus dem Elend jedoch fällt auf, dass die Autorin scheinbar parallele Bildungen für die Diminutivform von Theresia bekannt waren.457 Das Verkleinerungssuffix {-ei} ist im Unteren Bayerischen Wald, Emerenz Meiers Heimat, gebräuchlich und darüber hinaus zwischen Isar und Mangfall sowie südlich des Chiemsees.458 Die Form Resei verweist also auf die Herkunft der Autorin innerhalb des bairischen Dialektgebiets. Derselbe Fall liegt vor bei Hansei (Bua, S. 369), einer Verniedlichungsform von Hans, was als Abbreviatur aus Johannes kontrahiert wurde.459 Wieso allerdings in der Novelle Aus dem Elend die Schreibweise Resie erscheint, könnte in Ausgleichsbestrebungen der Autorin an einen weiter zu fassenden Verkehrsdialekt begründet liegen, um noch dazu die vermeintliche Länge des auslautenden /i:/ graphisch darzustellen, was allerdings schon allein deswegen unnötig erscheint, da es sich bei besagtem Vokal gerade nicht um einen Langvokal handelt. Erstaunlich ist hier allerdings überdies, dass gerade die kleinregionale Diminutivform auf {-ei}, eben bei Resei und Hansei, in dieser später als beispielsweise Der Juhschroa oder Aus dem Elend entstandenen Erzählung von Emerenz Meier vorkommt. Ob es Zufall oder eine bewusste Entscheidung war, darüber kann keine gültige Aussage getroffen werden.

Neben den erörterten Propria erscheint ein volkstümliches Appellativum, genauer gesagt ein Hausname, nämlich der des Lenzenhäusel (Bua, S. 369), in dem Resei und ihr Vater leben. Wahrscheinlich ist das kleine Gebäude nach einem früheren Besitzer benannt, der Lenz, also Lorenz, hieß,460 und dessen Name in Verbindung mit dem Gebäude tradiert wurde. Der Inhaber zur Zeit der Erzählung wird Lenzenhäusler (a.a.O.) genannt; auf das Derivationssuffix {-ler} wurde an anderer Stelle bereits eingegangen. Eine genaue Lokalisierung ist leider nicht möglich, da im geographischen Bereich der Erzählung461 kein Hausname „Lenz(en)“ oder „Lenzenhäus(e)l“ nachweisbar ist.462 Auffällig ist lediglich, dass in Poppenreut überdurchschnittlich viele Hausnamen erscheinen, die von Vornamen abgeleitet sind, doch gibt diese Tatsache noch keine Aussage darüber, dass also auch der in

457 Von einem Schreibfehler bei der aufgrund der <ie>-Schreibung ungewöhnlichen Form Resie wird nicht ausgegangen, da dies keinen Einzelfall darstellt.

458 Vgl. Renn/König, S. 92 (Karte 40)

459 Siehe Kapitel 4.2.2.4 dieser Arbeit; vgl. auch: Zehetner 2005, S. 170

460 Vgl. Ribbe, S. 502

461 Im Bereich des Dorfes Neufang, wo sich die Handlung von Der Bua abspielt, kommen entsprechend der geschilderten geographischen und topographischen Verhältnisse die Ortschaften Auerbach, Edlhäusl, Poppenreut, Reichling, Stadl und Vordereben als Standort des Lenzenhäus(e)ls in Betracht.

462 Vgl. Veit, S. 206ff.

Rede stehende dort existiert haben muss.463 Zudem scheint sich das „Lenzenhäus(e)l“ – sofern überhaupt außerhalb potenzieller Fiktion lokalisierbar – überhalb Neufangs befunden zu haben, so dass allein die Hinweise auf Poppenreut nicht eindeutig sind.

Bei der eben schon erwähnten Angabe Neufangerberg(es) (Bua, S. 369) handelt es sich ebenfalls um die volkstümliche Bezeichnung einer Erhebung nahe der Ortschaft Neufang, die auch in der Erzählung angegeben ist und ehemals der Gemeinde Hintereben, heute der Gemeinde Jandelsbrunn zugehörig war bzw. ist.464

Neben den bereits behandelten Dialekthinweisen ist im Erzähltext eine weitere Auffälligkeit zu erkennen, die nicht eindeutig kategorisierbar ist und die daher einer letzten Betrachtung bedarf: Die Aussage als sie (…) ihn [den Vater] um Aufnahme in seinem Häuschen bitten hatte müssen (Bua, S. 367) weist die Verwendung des Dativs an Stelle des zu erwartenden Akkusativs als Besonderheit auf. Es scheint, als habe die Autorin zwei Aussagen in einem Satz unterzubringen versucht, nämlich einerseits die Bitte um und andererseits die daraufhin erfolgte Aufnahme in das Haus des Vaters. Denn die Wendung jemanden um Aufnahme in etwas bitten verlangt den Akkusativ, das letztendliche Ergebnis, in etwas aufgenommen werden, allerdings den Dativ. Die Vorlage eines Suffixsynkretismus scheidet hier definitiv aus.

4.5 Zwischenfazit

Um ein Zwischenresümee der bisher analysierten Erzählerreden der fünf vor 1906 entstandenen Texte Emerenz Meiers zu ziehen, ist Verschiedenes festzuhalten, was in sieben grundlegenden Thesen zusammengefasst werden soll:

1. Die Erzähltexte der behandelten Prosa sind größtenteils geprägt von latenten Dialektismen und ebenso, wenn auch zahlenmäßig sicherlich kleiner, von evidenten Mundartanzeigen. Zu konstatieren ist hierbei, dass sich der verschriftete Dialekt an manchen Stellen – gezwungenermaßen, da es keine allgemeinverbindliche Orthographie des Bairischen gab und gibt465 – graphisch an den Standard anlehnt.

463 Veit, S. 209, weist in Poppenreut hierzu die Hausnamen Peterhansl, Gregori und Stephel aus. Die Vulgärbezeichnung Lenz für ein Anwesen erscheint im gesamten Amt Waldkirchen lediglich in Erlauzwiesel (vgl. a.a.O., S. 207), jedoch befindet sich dieses Dorf eindeutig außerhalb der Sichtweite des Standorts des Lenzenhäus(e)ls, was nach den Gegebenheiten der Erzählung Der Bua Voraussetzung sein müsste.

464 Vgl. Amtliches Ortsverzeichnis 1978, S. 71; auch: Veit, S. 208

465 Die bis hierher in manchen Parallelbeispielen und im Folgenden noch weiter verwendete Schreibweise bairischer Lexeme, Ausdrücke und Sätze richtet sich nach der seit Ludwig Merkle gängigen Abbildung des Dialekts.

2. Die vorhandenen Dialektanzeigen im Erzähltext sind in standardsprachliche Umgebung eingebettet und als solche daher an manchen Stellen nur bei genauerer Analyse auszumachen. Grund dafür ist das offensichtliche Bestreben der Autorin, (Erzähl-)Texte in Standardsprache zu verfassen; Lokalkolorit und bewusste

2. Die vorhandenen Dialektanzeigen im Erzähltext sind in standardsprachliche Umgebung eingebettet und als solche daher an manchen Stellen nur bei genauerer Analyse auszumachen. Grund dafür ist das offensichtliche Bestreben der Autorin, (Erzähl-)Texte in Standardsprache zu verfassen; Lokalkolorit und bewusste