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Lautung und Schreibung im Spannungsfeld

3 „Ich bin des freien Waldes freies Kind“ 52 – Die Bayerwalddichterin Emerenz Meier (1874-1928)

4 Sprachlich-dialektologische Analyse des Corpus

4.8 Interferenzen zwischen Dialekt und Standardsprache

4.8.2 Lautung und Schreibung im Spannungsfeld

Ein Gesichtspunkt, bei dem sich zwischen Standardsprache und Dialekt Spannungen und Überlagerungen ergeben können, ist derjenige der Verschriftung, zumal wenn es sich um spezifisch mundartliche Laute handelt, die in die Hochsprache transferiert werden. Wie bereits erwähnt wurde und aufgefallen sein dürfte, ist bei den Erzählungen Emerenz Meiers bereits ziemlich früh eine scheinbar bewusst sichtbar gemachte Trennung zwischen dialektalen wörtlichen Reden und standarddeutschen Erzähltexten festzustellen. Die mundartliche Prägung – abgesehen natürlich von der den Dialekt entsprechenden, vom Standard abweichenden Aussprache, wenn das Verschriftete im geistigen Ohr des Lesers erklingt – ergibt dann logischerweise, sozusagen phänotypisch, für die kodifizierte Orthographie bisweilen inkorrekte Schreibweisen. Lesern aus dem bairischen Sprachraum, in erster Linie aktiven wie passiven Dialektbeherrschern, wird dies festzustellen und als bairische Eigenheiten zu erkennen natürlich vergleichsweise leicht fallen, was jedoch fast ausschließlich für diese gilt. Im Folgenden sollen nun in gebotener Kürze direkte wie indirekte Dialektanzeigen in der Verschriftung exemplarisch herangezogen werden und anhand derer Charakteristika der Dialektverschriftung Emerenz Meiers herausgearbeitet werden. Dabei wird sich herausstellen, dass sich die Autorin der Mundartprägung mancher Lexeme – von diesen wird hier vor allem die Rede sein – durchaus bewusst war und dass sie auch ebenso bewusst Angleichungen vorgenommen hat.

547 Vgl. Duden Bd. 4, S.282 (§477)

548 Vollends korrekt müsste der zitierte Textbeleg natürlich Sie dachte sich ihn (…) mit schönem bräunlichem Gesicht lauten.

In den im Rahmen dieser Arbeit betrachteten Erzählungen handelt es sich häufig um die verschiedenen bairischen /a/-Laute und deren Übertragung in den Standard. So erscheint beispielsweise die Schreibweise Städeln (DB, S. 35) in gewisser Hinsicht ungewöhnlich.

Es fällt nämlich auf, dass in der bairischen Aussprache des Substantivs kein ä-Laut, /ε/, artikuliert wird, sondern ein verdumpftes a, /å/, auftritt.549 Gemessen an der Tatsache, dass es sich bei Stadel außerdem um ein oberdeutsches Lexem handelt,550 hat Emerenz Meier allem Anschein nach versucht, dieses möglichst standardnah darzustellen und hierfür das Graphem <ä> gewählt. Als weiteres Beispiel sei Steyrerwägel (E, S. 79)551 genannt, dessen Stammvokalschreibung mit <ä> den überhellen bairischen /à/-Laut,552 abbildet, welcher aus Umlautung bei der Diminutivbildung entstanden ist.

Aus derselben Bestrebung, der Abbildung des bairischen /à/, resultiert wohl auch die Präteritalform ländelte (E, S. 42) des bairischen Verbs landeln [làndļn], ‚(einen/den Tanzschritt) Landler tanzen’. Hier ist nicht das verdumpfte /a/, sondern erneut das überhelle /à/-Phomen durch <ä> realisiert. Dieses verkörpert ein „halbwegs umgelautetes a“,553 das sich artikulatorisch näher am <ä> liegt als der /à/-Laut; daher lässt sich an dieser Schreibweise wieder die Angleichungsbestrebung der Autorin an die Standardsprache erkennen. Eine 1:1-Übertragung war dabei nämlich jedoch nicht möglich.

Für die ebenfalls unübliche Diakritika-Schreibweise der Komposita Frauenwäldlerin (DJ, S. 30), Wäldlersprichwort (DB, S. 39), Wäldlerland (E, S. 61), Wäldlerbauer (E, S. 90) und Wäldlervolk (E, S. 132) sowie des Derivats Wäldler (DM, S. 59; E S. 66, S. 99, S.

128) liegt ein etwas anderer Grund vor. Sie lässt sich durch die mundartliche Lautung erklären, allerdings durch Einbezug anderer dialektaler Tendenzen. Entgegen der hochsprachlichen Form Waldler lautet die durch /l/-Vokalisierung beeinflusste dialektale Aussprache [’wàɪ̯dlà], auf die Wäldler zurückgeht,554 was wiederum als Grund für die Wahl dieser Schreibweise anzusehen ist. Um seine Basis {wald} sichtbar zu machen und den infolge /l/-Vokalisierung entstandenen Diphthong /àɪ̯ / nicht etwa als <ai> darzustellen, kommt die aus sich heraus eigentlich wenig nachvollziehbare Form Wäldler zustande. Das Gegenteil liegt vor im Substantiv Schmalzler (DJ, S. 29). Phonetisch basiert die bairische Realisation des Stammvokals als Diphthong /àɪ̭ / auf der eben erwähnten Vokalisierung des

549 Diese Aussprache ist innerhalb des bairischen Dialektgebiets als regional zu verstehen, da u.a. auch die Aussprache [što:dl] existiert.

550 Siehe Duden Bd. 1, S. 703: „südd[eutsch], österr[eichisch], schweiz[erisch]“; vgl. auch Zehetner 2005, S.

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551 Die Bedeutung von Steyrerwägel wurde hinreichend analysiert und geklärt.

552 Die Schreibung mit Gravisakzent hat sich seit der Erstauflage von Ludwig Merkles Bairischer Grammatik 1975 durchgesetzt.

553 Zehetner 2005, S. 26; vgl. auch: a.a.O., S. 33, und Steininger, S. 15

554 Vgl. Zehetner 2005, S. 364

/l/ und damit verbundener Umlautung des vorangehenden Vokals. Wieso sich jedoch Emerenz Meier an dieser Stelle nicht etwa für *Schmälzler entschieden hatte, ließe sich einzig damit erklären, dass der Autorin die Produktbezeichnung Schmalzlerfranzl555 bekannt war und die Schreibung daran anpasste. Ob dies jedoch bewusst geschah – dass Emerenz Meier das Produkt der Tabakfabrik Bernard kannte, davon ist in ihrer Eigenschaft als Wirtstochter wohl auszugehen –, lässt sich hier jedoch nur vermuten.

In diesem Zusammenhang kann gleich auch auf Hölzelzither (DM, S. 48, S. 58) hingewiesen werden. Obgleich ebenfalls im Dialekt /l/-Vokalisierung vorliegt und, dadurch bedingt, die Modifikation des im Diminutiv erscheinenden /ε/ zum Diphthong /εɪ̭ /, wird die an morphologischen Gesichtspunkten orientierte Schreibung präferiert, die regelhaft für die Verkleinerungsform <öl> fordert.

Bräuerssohn (DM, S. 48) und Bräuertoni (DM, S. 52), auf die anderweitig bereits hingewiesen wurde, sollen nun mehr unter phonetischen wie sprachhistorischen Aspekten betrachtet werden. Die ihnen zu Grunde liegende Berufsbezeichnung Bräuer ist das Nomen actis des entsprechenden mundartlichen Verbs bräuen. Diese Lautung widerstrebt der Standardsprache, die nur brauen kennt.556 Das Verb geht zurück auf das mittelhochdeutsche briuwen,557 dessen in frühneuhochdeutscher Zeit zu bräuen diphthongierte Form im Dialekt erhalten geblieben ist558 und somit auch Komposita und Ableitungen entsprechend bildet. Wie es scheint, erachtete Emerenz Meier diese als standardsprachlich.

Ein ähnlicher Fall scheint bei der Präposition im an folgenden beiden Stellen vorzuliegen, wo die Standardsprache am verlangt: Enzl stürmte zwanzigmal im Tage herein (DJ, S. 28), wie so viele hunderte im Tag (B, S. 387). Möglich ist, dass Emerenz Meier aufgrund von eventuellen Unsicherheiten bei der Formulierung in Analogie zu hochsprachlichen Wendungen wie beispielsweise dreimal im Jahr oder viermal im Monat auch in vorliegendem Fall in, verschmolzen mit dem entsprechenden Artikel, verwendet hat. Ein anderes mögliches Erklärungsmuster ist von der Mundartlautung her anzusetzen. Im Dialekt wird die gerade behandelte Präposition im Zusammenhang mit Häufigkeitsangaben nicht gebraucht, sondern lediglich der bestimmte Artikel im Dativ, der sehr stark verändert

555 Auf dessen Bekanntheits- und Verbreitungsgrad wurde bereits eingegangen (vgl. Angerer/Angerer, S. 12, und Dietz, S. 24).

556 Vgl. Duden Bd. 1, S. 177

557 Vgl. Hennig, S. 45, und Kluge, S. 132

558 Zum Phänomen der frühneuhochdeutschen Diphthongierung vgl. Schmidt, S. 309ff.

und artikulatorisch mit vorangehenden Vokalen verschmolzen auftauchen kann.559 So lautet bairisch zwanzigmal den Tag in phonetischer Transkription [’tswantskmↄɪ̭ àn då:g].

Gerade in der mit hohem Tempo gesprochenen Sprache des alltäglichen Gebrauchs kann zur Hiatus-Vermeidung der Auslaut der Zahlenangabe den Vokal des folgenden Artikels überdecken, so dass [’tswantskmↄɪ̭ n då:g] artikuliert wird. Hiervon ausgehend ist es möglich, dass Emerenz Meier diese ihr vertraute Formulierung in die Hochsprache übertragen wollte und dabei den Nasal /n/ zu /m/ modifiziert hat, um an die vermeintlich in Dialekt und Hochsprache gleichermaßen erscheinende Präposition in den notwendigen Artikel anzuschließen. Ohne ihr dabei Sprachkompetenz absprechen zu wollen, erscheint diese Art der Überlagerungserscheinung hier naheliegend.

Eine Verschriftung der /l/-Vokalisierung in den Erzähltexten wurde durchgehend nicht durchgeführt, wie beispielsweise Küchl (E, S. 92) beweist. An diesem Substantiv erkennt man aber erneut sehr gut die an morphologischen Gesichtspunkten ausgerichtete Schreibung, die der dialektalen Aussprache [‘kɪà̭ çe/‘kɪ̭àçļ] nicht entspricht, sondern sich nach der standarddeutschen Grundform Kuchen richtet, nach der eine Umlautung des /u:/

zum /y:/ im Diminutiv regelmäßig erfolgt. Ein ähnlicher Fall lag bereits bei Wäldler vor.

Das Stichwort /l/-Vokalisierung muss des Weiteren erörtert werden. Kontrastiert man beispielsweise die Schreibweise des Gedichttitels Wödaschwüln zu seiner Aussprache [‘we:dàšwuɪ̭ n], fällt die erneute vergleichsweise starke Standardgebundenheit der graphischen Realisation eines Dialektworts auf. Weder die Vokalisierung des /l/ erscheint das vorangehende /u/ als <ü>. Im ersten Wortteil hingegen wird das artikulierte /e:/ zum

<ö>, obgleich eine derartige Rundung eigentlich nicht eingetreten ist.

Die obigen Beispiele orientieren sich, wie erkennbar ist, bis auf eine Ausnahme an den Erzähltexten. Die Bandbreite der Befunde wäre natürlich viel größer und die teilweise Eigenwilligkeit Emerenz Meiers Schreibung im Vergleich zur dialektalen Lautung ließe sich zahlreicher und aussagekräftiger an reinen Dialektpassagen und Mundartlyrik illustrieren,560 was aber nicht Gegenstand vorliegender Untersuchungen sein soll.

559 Ähnliche bairische Beispiele, die auch den bestimmten Artikel aufweisen, sind dreimal das Monat [’dràimoi (à)s ’mo:nàt] oder zehnmal das Jahr [’tsɛà̭mↄɪ̭(à)s įↄà̭].

560 Verwiesen sie hier exemplarisch lediglich auf iatzt (V.10) für [ɪà̭ts], schö (V. 15) für [še:] und dös (V. 20) für [de:s] aus der Mundartballade Wödaschwüln.