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Spezifikationen der Schule

2.1 Die Sprachheilschule St. Gallen

2.1.2 Spezifikationen der Schule

Besonderheiten der Sprachheilschule St. Gallen sind neben den regelmässig angebotenen Therapien (Logopädie mehrmals in der Woche, bei Bedarf Ergo- oder Physiotherapie-Psychomotorik) die Tagesschulstruktur und die Tatsache, dass über 80 Internatsplätze vor-handen sind. Außerdem gehört die Sprachheilschule St. Gallen zu den wenigen Sprachheil-schulen, die das gesamte Schulspektrum in Bezug auf die angebotenen Klassen abdeckt.

Anlehrplätze13 werden nur von heilpädagogisch ausgerichteten Sprachheilschulen angebo-ten, die zusätzlich eine geschützte Werkstatt angegliedert haben.

Das Curriculum der Schule entspricht grundsätzlich dem der Regelschule, auch um mögliche Übertritte dorthin nicht unnötig zu erschweren und den Anschluss an den aktuellen Regel-schulstoff zu gewährleisten. Die kleinen Klassen und das vielfältige Therapieangebot

13 Anlehrplätze sind geschützte Ausbildungsplätze, die sich in Bezug auf die Anforderungen und die beruflichen Spezialisierungen deutlich von normalen Lehren unterscheiden. Weitere Informationen zum Vergleich der Sprachheilschule St. Gallen mit anderen deutschsprachigen Sprachheilschulen befinden sich im Untersuchungsbericht (vgl. Isele&Stieger 2010).

ben es, individuelle Lernprogramme aufzustellen und die Kinder spezifisch zu fördern. (vgl.

SHS, 1998, S. 9)

Elternarbeit ist, neben der Betreuung von Schülern, ein wichtiger Aspekt, den die Sprach-heilschule St. Gallen engagiert verfolgt: „Elternarbeit ist uns ein Anliegen. Nebst neun Be-suchsnachmittagen, organisiert für Eltern und weitere interessierte Personen, um Einblick in den Schulbetrieb zu nehmen, werden regelmässig Veranstaltungen für Eltern während des Schuljahres angeboten“ (SHS, 1995, S.15).

2.1.2.1 Tagesschule

Die Kinder bleiben über Mittag an der Schule und werden entsprechend verpflegt und be-treut. Im Jahr 1993 wurden 21‘854 Frühstücke, 51‘212 Mittagessen, 14‘406 z’Vieri und 9‘808 Nachtessen von der Küchenmannschaft erstellt und ausgegeben (vgl. SHS, 1994, S. 14).

Der Schultag endet um 15:10 Uhr. Die An- und Abreise der Kinder ist, sofern sie noch nicht in der Lage sind, selbstständig zu reisen, entsprechend organisiert. Die Abläufe der Tages-schule orientieren sich ansonsten an der VolksTages-schule, was die Pausen und die Pausenbe-treuung auf dem Schulhof betrifft.

2.1.2.2 Externat

Die externen Sprachheilschüler reisen täglich an, zum Teil selbstständig, zum Teil mit Fahr-diensten, Bussen und dem öffentliche Nahverkehr. Die Schule liegt relativ zentral und kann zu Fuß vom Bahnhof St. Gallen erreicht werden.

2.1.2.3 Internat

Seit ihrer Gründung verfügt die Sprachheilschule über ein angeschlossenes Internat14 sowie über mehrere Häuser / Wohnungen im direkten Umfeld der Schule, die von Internatsschülern bewohnt werden. Für die Betreuung der Kinder sind Sozialpädagogen zuständig. Die Inter-natsleitung liegt schon seit 1981 in den Händen des gleichen Leiter-Ehepaars.

An den Wochenenden werden die Kinder entweder von den Eltern abgeholt oder regions-spezifisch mit Bussen nach Hause gebracht. Bei problematischen Familienverhältnissen, die die Rückkehr des Kindes zur Herkunftsfamilie am Wochenende erschweren oder pädago-gisch problematisch erscheinen lassen, sorgen die entsprechenden Dienste für die

14 Dass ein Kind zeitweise im Internat untergebracht war, konnte den Akten entnommen werden und wurde entsprechend dokumentiert. Wie lange und warum genau diese Unterbringungsart gewählt wurde, liess sich allerdings nicht erfassen und war in den Akten nicht in jedem Internatsfall eindeutig entdeckbar.

rung in einer Pflegefamilie, bei der die Kinder dann ihre Wochenenden verbringen. Dies wird notwendig, da das Internat über die Wochenenden geschlossen ist und die Kinder erst am Sonntagabend zurückkehren können.

Bei älteren Kindern, die aufgrund der räumlichen Entfernung ihres Heimatortes nicht extern beschult werden können, wird versucht, unter der Woche eine Pflegefamilie im Raum St.

Gallen zu finden. Mit dieser Maßnahme versucht die Sprachheilschule St. Gallen ihrem Auf-trag, die Selbstständigkeit der Schüler zu fördern, nachzukommen (vgl. SHS, 1999, S. 4).

2.1.2.4 Zusätzliche therapeutische Angebote, Therapieteam

Das therapeutische Team der Sprachheilschule St. Gallen, bestehend aus den Klassenleh-rern, vielen LogopädInnen, Ergo15- und PhysiotherapeutInnen16, arbeitet eng zusammen und entscheidet gemeinsam über die weiteren Fördermaßnahmen, darüber, ob spezielle Abklä-rungen notwendig sind und über die weiteren Schritte, die für ein Kind in die Wege geleitet werden sollen.

Im Untersuchungszeitraum fand mindestens einmal im Jahr eine Team-Besprechung zu je-dem Kind statt, die das weitere Vorgehen festlegte z.B.: die Entscheidung bezüglich einer Re-Integration an die Volksschule, oder die Einleitung spezialärztlicher Untersuchungen. In diesem Fall wird ein Gespräch mit den Eltern gesucht, die Vorschläge aus der Team-Besprechung werden ihnen vorgelegt und, das Einverständnis der Eltern vorausgesetzt, die besprochenen Veränderungen oder Untersuchungen ausgeführt. Im Falle besonderer Vor-kommnisse können solche Team-Sitzungen auch kurzfristig einberufen werden. Heute finden jährlich zwei Austrittsbesprechungen statt. Die Bezeichnung Austrittsbesprechung zeigt schon in der Namensgebung, dass eine Rückschulung in die Volksschule und ein relative baldiger Austritt aus der Sprachheilschule erklärtes Ziel der Sprachheilschule St. Gallen ist.

Kommt es tatsächlich zu einem Austritt in eine andere Schule, werden die zuständigen Be-hörden und die neuen Lehrer informiert und falls nötig werden Empfehlungen17 für eine wei-tere ambulante Betreuung wie Logopädie, Legasthenietherapie, Hausaufgabenbetreuung oder „Deutsch für Fremdsprachige“ abgegeben. In vielen Fällen wird versucht, vor dem defi-nitiven Übertritt in die Volksschule das Kind zwei Wochen dort „schnuppern“ zu lassen. Je

15 Ergotherapie gehört zum zusätzlichen Therapieangebot. Ob ein Kind Ergotherapie erhalten hat, wurde erfasst.

16 Bei besonderen motorischen Störungen und wenn eine medizinische Notwendigkeit bestand, wur-den die Kinder physiotherapeutisch behandelt. Dies wurde in der Aktenanalyse mit berücksichtigt.

17 Auf den Austrittspapieren wurde, falls weitere Therapien oder Betreuung zu empfehlen waren, ent-sprechend darauf hingewiesen. Diese Empfehlungen wurden erfasst.

nachdem, wie diese Probewochen verlaufen, wird die Entscheidung eines Übertrittes neu diskutiert.

2.1.2.5 Logopädie

Im Fokus an der Sprachheilschule St. Gallen stehen logopädische Interventionen und ein regelmäßiges, mehrmals pro Woche (bis täglich) stattfindendes, logopädisches Therapiean-gebot.

Dazu verlassen die Kinder den Unterricht und suchen die entsprechende Logopädin oder den entsprechenden Logopäden auf18. Diese sind mit ihren Therapieräumen über die ganze Schule verteilt. Logopädische Einheiten dauern im Normalfall 25 oder 50 Minuten. Auch der schulische Unterricht ist individuell auf die sprachtherapeutischen Bedürfnisse ausgerichtet.

Im Internat werden logopädische Grundsätze umgesetzt, es besteht eine enge Zusammen-arbeit zwischen den Logopäden, Sozialpädagogen und Klassenlehrern, um Gelerntes zu vertiefen und zu festigen.

2.1.2.6 Zuweisung der Kinder

Die Art und Weise der Abklärung logopädischer Störungen und die damit verbundene Emp-fehlung für die Sprachheilschule sowie die Kostenübernahme durch die IV hat im Laufe der Zeit verschiedenste Formen durchlaufen. Im Untersuchungszeitraum war die Überweisung an die Sprachheilschule St. Gallen via SPD Gutachten19 oder Empfehlung des logopädi-schen Dienstes möglich. Seit 2008 gilt das 4 Augen-Prinzip, d.h. zwei Abklärungsstellen be-raten über den weiteren schulischen Werdegang eines Kindes. Nachdem durch die NFA20 die Zuständigkeiten vom Bund zu den Kantonen gewechselt sind, sind auch neue Abklä-rungsverfahren und Zuweisungspraktiken entstanden, die im vorliegenden Zusammenhang allerdings nicht relevant sind.

18 Tatsächlich handelt es sich hier in der Mehrzahl um Logopädinnen. Im Untersuchungszeitraum war ein einziger männlicher Logopäde an der Schule, der im Jahr 2008 sein 35-jähriges Betriebsjubiläum feiert (vgl. SHS, 2009, S. 18). Zurzeit beschäftigt die Sprachheilschule 3 männliche Logopäden.

19 Der sozialpsychologische Dienst (SPD) hat einige der erfassten Schulkinder im Hinblick auf ihre Schulfähigkeit beurteilt. Bei einigen Kindern wurden sogar zwei Gutachten erstellt. Hier wurde zum einen erfasst das ein Gutachten erstellt wurde zum anderen wurde auch erfasst, ob mehr als eines vorliegt. Mehr als ein Gutachten könnte ein Hinweis auf einen im Hinblick auf den Schulerfolg beson-ders schwierigen Fall sein.

20 NFA= Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (vgl. EFD, ohne Jahr).

2.1.2.7 Auslastung / Wartelisten

Im Untersuchungszeitraum war die Sprachheilschule St. Gallen immer ausgelastet und es gab Wartelisten für die Schüler, die nicht aufgenommen werden konnten. Bei der Auswahl der Schüler, die dann tatsächlich in die Sprachheilschule aufgenommen wurden, spielte die Platzierung auf der Warteliste eine eher untergeordnete Rolle. Bevorzugt wurden Schüler und Schülerinnen, die in mehreren der folgenden Kategorien eine gewisse Passung und Dringlichkeitsstufe erreicht hatten. Primären Einfluss hatten die logopädische Diagnose und das Störungsbild. Daneben standen folgende Fragen im Vordergrund: wie ist die aktuelle Versorgung des Kindes, gibt es andere ambulante Möglichkeiten, welche Diagnose und wel-ches Störungsbild weist das Kind auf, passt das Kind in eine der vorhandenen Klassen, sind die Eltern interessiert und wünschen einen Eintritt, wie lange müsste das Kind im Ableh-nungsfall noch warten, welche weiteren Faktoren gibt es noch, die einen Eintritt dringend machen.

„Auch heute melden verschiedene Fachstellen jedes Jahr gut 100 Kinder an die Sprachheil-schule St. Gallen an. Wir haben jedoch pro Jahr nur Platz für ca. 40 Kinder! Mit anderen Worten: wir weisen gegen 60 Kinder pro Jahr zurück, die eine Fachstelle abgeklärt hat, und für die ein Platz an der Sprachheilschule die adäquate Lösung ist“ (SHS, 1998, S. 11)21.

Abbildung 4: Statistik der Wartelisten der Sprachheilschule St. Gallen (Schlegel 2005a, S. 33)

21 Die hohe Anzahl der Kinder auf der Warteliste wurde in mehreren Jahresberichten thematisiert (vgl.

SHS 1992, S.23; SHS 1995, S. 4; SHS 1999, S. 11; SHS 2000, S. 11).

2.1.2.8 Eintritt / Externe Abklärungen

Beim Eintritt eines Kindes in die Sprachheilschule St. Gallen werden verschiedene Eintritts-gespräche geführt, das Anmeldeformular ausgefüllt, anamnestische Zusammenhänge wer-den erfasst (die Informationen des Anmeldeformulars sind wichtiger Bestandteil der in der Aktenuntersuchung erfassten Informationen).

Nach dem 1. Quartal wird das neu aufgenommene Kind von der für die Sprachheilschule St.

Gallen zuständigen Ärztin untersucht. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in den Akten enthalten, die aber angesichts der im vorliegenden Zeitraum noch fehlenden Computerunter-stützung und der sprichwörtlich unleserlichen Handschrift der Ärztin nicht ausgewertet wur-den, auch weil sie doch eher medizinische und sehr individuelle und statistisch kaum ver-wertbare Merkmale und Störungen erfassen.

Sprachbehinderungen, Lernbehinderungen und Kommunikationsstörungen sind in den meis-ten Fällen multikausal verursacht. Diese Tatsache macht es notwendig, bei entsprechenden Auffälligkeiten weitere differentialdiagnostische Abklärungen vorzunehmen. Die Sprachheil-schule St. Gallen verfügt hier über ein vielfältiges Netzwerk verschiedener Fachleute, die entsprechende Abklärungen22 vornehmen können und somit die gesetzliche Grundlage für die Kostengutsprache weiterer Therapien, falls nötig, bilden. Externe Fachpersonen werden nicht nur bei der Aufnahme zu Rate gezogen, sondern immer dann, wenn Auffälligkeiten zu verzeichnen sind, Lernrückschritte oder Regressionen auftauchen oder das Kind andere, neue und kontraproduktive Verhaltensweisen aufzeigt. Differentialdiagnostische Abklärungen und Untersuchungen müssen mit den Eltern abgesprochen werden. Wenn die Eltern mit den geplanten Untersuchungen nicht einverstanden sind, können diese auch nicht durchgeführt werden, was zumindest in einigen wenigen Fällen in Bezug auf eine mögliche psychothera-peutische Untersuchung der Fall war. Von dieser Regelung ausgenommen sind Unfälle und akute Notfälle.

Im Zusammenhang mit dem Erlernen des Lesens und Schreibens sind die Sehfähigkeit23 und ein korrektes Bewegungsverhalten der Augen zentrale Punkte, die bei Dysfunktionalität Lernprozesse erschweren können. Zahnfehlstellungen24, fehlende Zähne, ein missgebildeter

22 Von externen Gutachtern wurden neuropädiatrische und psychiatrische Berichte erstellt. Dies wurde entsprechend erfasst.

23 Zur Feststellung der Sehfähigkeit und der Augenstellung wurden ophthalmologische Gutachten erstellt, in den Akten wurde dies vermerkt und bei der Aktenerfassung mit berücksichtigt.

24 Das klassische Beispiel hierfür ist der Sigmatismus interdentalis der durch ein Fehlstellung der Zäh-ne entsteht und zu den Aussprachestörungen (Dyslalien) gehört. Im Volksmund wird diese Störung

Kiefer und Geburtsgebrechen wie eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte können die Sprechfähi-gkeit und die Lautbildung deutlich beeinträchtigen. Es finden regelmässig Reihenuntersu-chungen statt, die den Status der Augen und Zähne der Kinder erfassen und nötigenfalls entsprechende Behandlungen nach sich ziehen.

Psychische Probleme, Ängste und familiäre Probleme können die Lernfähigkeit vermindern und im schlimmsten Fall zu Regressionen und therapeutischen Rückschritten, oder elekti-vem Mutismus führen. Nicht erkannte epileptische Erkrankungen können das Lernen er-schweren und die Aufmerksamkeitsspanne verkürzen, so dass medikamentöse Interventio-nen notwendig werden. Im Verdachtsfall, z.B. bei Absenzen des Kindes, wird zuerst ein nor-males EEG25 erstellt, bei erkannten epilepsieverdächtigen Potentialen wird in einer weiteren Abklärung ein Schlafentzugs-EEG durchgeführt. Heutzutage stehen weitere Untersu-chungsmöglichkeiten zur Verfügung (fMRI, PET, etc.). Im Untersuchungszeitraum waren EEG und Schlafentzugs-EEG noch vorherrschend.

Hörschädigungen und das Hörvermögen als solches müssen kontrolliert werden, gefundene Hörbehinderungen müssen weiter behandelt und regelmässig kontrolliert, Hörgeräte instal-liert und angepasst werden. Der audiopädagogische Dienst übernimmt hier die regelmäßige Kontrolle und Überprüfung der Hörleistung sowie die Einstellung der Geräte. Seit 1995 un-terhält die Sprachheilschule St. Gallen ein CI-Zentrum, in dem Eltern und Kinder rund um das Cochlea Implantat beraten und betreut werden und die Geräte eingestellt und gewartet werden (vgl. SHS 1994, S. 6).

Bei der Untersuchung der Akten wurde auch die Tatsache, dass externe Abklärungen statt-gefunden haben, erfasst. Dies soll, soweit signifikant, bei der Interpretation der Daten mitbe-rücksichtigt werden.

Zuweilen bedürfen auch die Eltern eines Kindes einer Beratung, hier ist eine Vernetzung mit den sozialen Diensten und weiteren Beratungsstellen von Nöten. Im Falle des Verdachts sexueller Gewalt müssen entsprechende Maßnahmen in Gang gebracht werden. Diese Zu-sammenhänge waren zwar in den Akten ersichtlich, wurden aber nicht ausgewertet und wa-ren außerdem sehr selten.

Lispeln genannt. Überprüfungen der Zähne wurden in Reihenuntersuchungen vorgenommen. Diese Information wurde nicht erfasst.

25 EEG Messungen und die Durchführung eines Schlafentzugs-EEGs wurden in den Akten vermerkt.