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Grafische Übersicht und Interpretation der 3-Klassenlösung

2.3 Diagnosen

3.1.7 Grafische Übersicht und Interpretation der 3-Klassenlösung

Die für die LCA verwendeten Daten wurden 0/1 codiert, „1“ bedeutet, dass ein bestimmtes Störungsbild oder eine mitverursachende Behinderung bei einem Kind auftrat. Dies lässt neben den erklärten Häufungen bestimmter Diagnosen in einer bestimmten Klasse auch den umgekehrten Schluss zu. Es ist gleichzeitig also relativ wahrscheinlich, dass Kinder, die ei-ner bestimmten Klasse zugeordnet werden können, eine bestimmte Diagnose überhaupt nicht aufweisen. Diese Tatsache könnte bei der Konstruktion der Typen, die sich aus den ermittelten Klassen ergeben, hilfreich sein und den Typus zusätzlich über Ausschlusskrite-rien beschreibbar machen.

Eine weiterer Hinweis für die Interpretation der Klassen kann daraus gezogen werden, theo-retisches und empirisches Hintergrundwissen aus dem Bereich der Logopädie mit einzube-ziehen und bestehendes Wissen über Diagnosekombinationen (vgl.2.3) wie auch Zusam-menhänge mit anderen Bereichen (Herkunftsfamilie, genetische ZusamZusam-menhänge usw.), in Betracht zu ziehen. Um zu überprüfen, ob statistisch relevante Zusammenhänge mit ausge-wählten Kovariaten bestehen, werden die latenten Klassen mit weiteren Items kombiniert.

3.1.7.1 Klasse 1 von 3: Die SSES-Gruppe54

Abbildung 10: Diagnose-LCA, Diagnosewahrscheinlichkeit Klasse 1 von 3, SSES-Gruppe

Die erste Klasse der 3 Klassen-Lösung kann 59,15 % der Fälle erklären. In der Regel treten Dysgrammatismus (0,93) und Dyslalie (0,91) auf, sowie meistens noch Dysphasie (0,79).

Die vierte relevante Diagnose sind auditive Störungen (0,45), deren Wert in dieser Klasse jedoch leicht unter dem Wert der Gesamtverteilung liegt (0,52).

Aufgrund der Häufung der eben genannten Diagnosen besteht eine hohe Wahrscheinlich-keit, dass die Kinder dieser Gruppe eine SSES (spezifische Sprachentwicklungsstörung) aufweisen (vgl. dazu „Sprachauffälligkeiten im Kindesalter“; Schaubild 1 in: Kauschke 1998, S.184). Kauschke nennt im Rahmen der SSES folgende Störungen als mögliche

54 Bei der farblichen Kennzeichnung der Diagramme der Diagnose-LCA wurde folgende Rangfolgen-Legende verwendet.

Legende : größter Wert zweitgrößter Wert drittgrößter Wert viertgrößter Wert 0,79

0,91 0,93

0,15

0,02 0,00 0,04 0,05

0,45

0,09 0,0

0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0

SSES-Gruppe, Klasse 1 von 3

Diagnosewahrscheinlichkeit: 59,15% Summenscore: 3,43

kung: Aussprachestörungen, Wortfindungs- und Semantikstörungen, sowie Störungen der Grammatik. Auch Grohnfeldt (vgl. 2007, S. 93) sieht Dysgrammatismus als eines der Leit-symptome einer SSES an, mit der Einschränkung, dass es einen bestimmten Zeitraum gibt, in dem dieses Symptom vermehrt auftritt. Dannenbauer (vgl. 2009b, S. 106) weist darauf hin, dass Dysgrammatismus über Jahre als deutlichstes Symptom einer SSES in dominanter Form auftreten kann. Aus den genannten Gründen wird die Klasse 1 hier als SSES-Gruppe bezeichnet.

Der Summenscore von 3,43 deutet auch darauf hin, dass in dieser Klasse durchschnittlich 3-4 Diagnosen vorzufinden sind. Am niedrigsten ist der Wert für die Diagnose Redeflussstö-rung. Typusbezogen zeichnet sich die SSES-Gruppe also auch dadurch aus, dass Rede-flussstörungen mehr oder weniger ausgeschlossen sind.

Die Diagnosekombination entspricht einer spezifischen Spracherwerbsstörung (SSES) im gesprochenen Bereich (Dysgrammatismus, Dysphasie, Dyslalie) jedoch ohne Folgestörung im geschriebenen Bereich (relativ niedriger Wert Dyslexie: 0,15). Eine mögliche und plausib-le Ursache für die SSES sind für einen Teil der Kinder dieser Gruppe auditive Wahrneh-mungsprobleme (0,45).

3.1.7.2 Klasse 3 von 3: Die Redefluss-Gruppe

Abbildung 11: Diagnose-LCA, Diagnosewahrscheinlichkeit Klasse 3 von 3, Redefluss-Gruppe

Die dritte und mit 10,64% kleinste Klasse tritt eher selten auf und enthält primär die Diagno-sen Redeflussstörung (0,99), Dysgrammatismus (0,95) und Dyslalie (0,88), sowie als vierte Diagnose Dysphasie (0,67). Der Summenscore von 4,79 legt bis zu 5 maßgebliche Items nahe. Auditive Störungen treten in dieser Klasse geringfügig häufiger auf, als in der Gesamtverteilung (0,58 gegenüber 0,52).

Sie unterscheidet sich von der SSES-Gruppe dahin gehend, dass Redeflussstörungen hier ausnahmslos auftreten. Die Werte, die auf eine SSES schließen lassen (Dyslalie, Dysphasie, Dysgrammatismus), sind nur geringfügig kleiner, als in der Klasse 1, auditive Wahrneh-mungsprobleme sind etwas häufiger (0,584 gegenüber 0,452). Es ist also anzunehmen, dass die Kinder dieser Gruppe zwar primär eine Redeflussstörung zeigen, diese aber zusammen mit Symptomen auftritt, die Rückschlüsse auf eine gleichzeitige SSES zulassen.

Die Redefluss-Gruppe unterscheidet sich von der Dyslexie-Gruppe (Klasse 2 von 3) in der Hinsicht, dass etwas weniger auditive Störungen vorliegen (0,58 gegenüber 0,63) und in der

0,67

0,88

0,95

0,42

0,10

0,99

0,00 0,02

0,58

0,16

0,00 0,10 0,20 0,30 0,40 0,50 0,60 0,70 0,80 0,90 1,00

Redefluss-Gruppe, Klasse 3 von 3

Diagnosewahrscheinlichkeit: 10,64% Summenscore: 4,79

Redefluss-Gruppe die meisten Kinder mit Störungen der Sprechmotorik enthalten sind (0,16 gegenüber 0,02 in der Dyslexiegruppe und 0,09 in der SSES-Gruppe).

Nur ein Kind aus der Aktenanalyse hatte ausschliesslich die Diagnose Redeflussstörung in Kombination mit einer mitverursachenden phonematischen Speicherschwäche. Unter der Diagnose Redeflussstörung wurden die Begriffe Stottern, Poltern und Dysfluenz subsumiert.

Stottern tritt häufig in Kombination mit anderen Störungsbildern auf, das gleiche gilt für Pol-tern und Dysfluenz. Kinder und Erwachsene, die ausschliesslich stotPol-tern, werden heutzutage in speziellen, zeitlich begrenzten Stotterkursen mit hohen Erfolgsquoten therapiert (vgl. SHS, 1995). Diese Kurse finden zwar an der SHS statt, sind jedoch unabhängig vom eigentlichen Schulbetrieb in den Sprachheil- und Gehörlosenklassen und nicht Teil dieser Untersuchung.

Es ist aus diesem Grund davon auszugehen, dass die hier erfassten Kinder mit Redefluss-störung, von der oben genannten Ausnahme abgesehen, multiple Störungsbilder aufweisen, von denen die Redeflussstörung eben nur eine von mehreren Syndromen war.

3.1.7.3 Klasse 2 von 3: Die Dyslexie-Gruppe

Abbildung 12: Diagnose-LCA, Diagnosewahrscheinlichkeit Klasse 2 von 3, Dyslexie-Gruppe

Die zweite Klasse enthält drei aussagekräftige Diagnosen: Dyslexie (0,84), Dysphasie (0,77) und Probleme mit der auditiven Wahrnehmung (0,63). Diese Klasse kann 30,21%

der Fälle erklären, der Summenscore beträgt 3,37, d.h. 3-4 Diagnosen kommen in Frage.

Im Unterschied zu den anderen zwei Klassen ist die Kombination der Hauptdiagnosen Dys-phasie, Dyslalie und Dysgrammatismus hier etwas anders gelagert. Dyslalie tritt zwar nicht selten auf und Dysgrammatismus ist auch noch häufig, aber im Vergleich zu den anderen zwei Klassen doch um einiges geringer.

Außerdem zeigt sich deutlich der Zusammenhang zwischen Wortentwicklung (Dysphasie) und Dyslexie und es bestätigt sich hier, dass Dyslexie oft von auditiven Wahrnehmungsstö-rungen verursacht ist: mit 62,6% liegt der Wert für auditive StöWahrnehmungsstö-rungen erkennbar höher als der Wert der Gesamtverteilung (51,9%). Ob phonologische Defizite basierend auf einer

audi-0,77

0,29

0,52

0,84

0,16

0,11

0,02 0,00

0,63

0,02 0,00

0,10 0,20 0,30 0,40 0,50 0,60 0,70 0,80 0,90 1,00

Dyslexie-Gruppe, Klasse 2 von 3

Diagnosewahrscheinlichkeit: 30,21% Summenscore 3,37

tiven Wahrnehmungsstörung zu einer SSES und in der Folge zur Dyslexie führen können, wird auch von Tallal&Gaab (2006) als aktuelle und häufig beforschte Frage angesehen.

“Research has focused on whether or not sensorimotor deficits, specifically auditory spec-trotemporal processing deficits, cause phonological deficit, leading to language and reading impairments” (Tallal&Gaab, 2006, S. 382).

Zudem treten in dieser Klasse so gut wie keine Sprachverständnisprobleme und Dysphonien auf, ebenso ist der Wert für Dyslalien (0,288) relativ gering, d.h. die Kinder in dieser Klasse haben eher weniger Probleme mit der Lautbildung. Einher mit der Diagnose Dyslexie geht ein relativ hoher Wert für Dyskalkulie (angesichts des geringen n von 34), d.h. diese Stö-rungsbilder haben eine gewisse Nähe zueinander.

Dies zeigt auch die folgende Kreuztabelle:

Kreuztabelle Dyslexie * Dyskalkulie

Dyskalkulie

Gesamt nicht diagnostiziert diagnostiziert

Dyslexie nicht diagnostiziert 269 11 280

diagnostiziert 154 23 177

Gesamt 423 34 457

Tabelle 3: Kreuztabelle Dyslexie / Dyskalkulie

23 von 34 Kindern mit Dyskalkulie sind gleichzeitig auch Dyslektiker. Mit einem chi2 von 12,94 bei df=1 sind die Ergebnisse hoch signifikant (p=<0,001).

„Während Dyskalkulie mit Defiziten in der kognitiven Repräsentation von Numerositäten as-soziiert ist, steht Legasthenie mit Defiziten in der kognitiven Repräsentation von Sprachlau-ten im Zusammenhang. Bei Kindern, die beide Störungen aufweisen, addieren sich auch die zugrunde liegenden kognitiven Defizite auf“ (Landerl&Kaufmann, 2008, S. 135).

Auf die Zusammenhänge zwischen Dyskalkulie und Dyslexie weisen auch Klicpera et. al hin:

„Dabei verdient die Kombination mit umschriebenen Rechenschwierigkeiten besondere Be-achtung. Von den Kindern mit umschriebenen Rechenstörungen, die im deutschen Sprach-raum in klinischen Einrichtungen vorgestellt wurden, hatten drei Viertel ebenfalls Lese- und Rechtschreibprobleme […]“ (Klicpera et. al, 2007, S. 125). Die hier aufgestellte Vermutung lässt sich mit den Ergebnissen der Aktenanalyse bestätigen, 2/3 aller Kinder, die die Diagno-se Dyskalkulie erhalten haben, sind gleichzeitig auch Dyslektiker.