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Spezielle Pflichten bei kotierten Gesellschaften: Ad hoc-Publizität

C. DIE PFLICHTEN DES VERWALTUNGSRATES IN DER

4. Spezielle Pflichten bei kotierten Gesellschaften: Ad hoc-Publizität

Eine an der SIX kotierte Gesellschaft muss das Publikum über kursrelevante Tatsachen orientieren, die in ihrem Tätigkeitsbereich eingetreten sind und nicht öffentlich bekannt sind. Kursrelevant sind neue Tatsachen, die beträchtliche Auswirkungen auf die Vermö-gens- und Finanzlage der Gesellschaft haben und deren Bekanntgabe zu einer erheblichen Änderung der Kurse führen kann. Ertragseinbrüche, Illiquidität und schwere Bilanzprob-leme sind in diesem Rahmen bekanntgabepflichtig. Das gleiche gilt auch für Sanierungs- und Restrukturierungsmassnahme, die zu erheblichen Änderungen bei der Gesellschaft führen.

Ein Unternehmen kann jedoch die Bekanntgabe kursrelevanter Tatsachen aufschieben, wenn die sofortige Bekanntgabe die Interessen der Gesellschaft beeinträchtigen würde.

Plant eine Gesellschaft Sanierungsmassnahmen oder führt sie entsprechende Verhandlun-gen, so können sowohl diese Tatsache wie auch die finanziellen Probleme, die zu derarti-gen Schritten zwinderarti-gen, geheim gehalten werden, solange die Geheimhaltung tatsächlich gewährt wird; bei Lecks muss das Unternehmen das Publikum sofort informieren.

Die Information muss in mindestens einem elektronischen Medium erfolgen; erfolgt die Bekanntgabe innerhalb der Handelszeit, so kann der Börsenhandel suspendiert werden.

4.1 Die Verpflichtung zur Ad hoc-Publizität

Gemäss Art. 53 des Kotierungsreglements (KR) muss eine an der SIX Swiss Exchange kotierte Gesellschaft die Anleger unverzüglich über kursrelevante Tatsachen informieren, die in ihrem Tätigkeitsbereich eingetreten sind, aber nicht öffentlich bekannt sind. Kursrelevant sind neue Tatsachen, die zu einer er-heblichen Änderung der Börsenkurse führen können. Für die Frage der Be-kanntgabepflicht ist damit entscheidend, wie gross die Kursveränderung ist, die bei einer Bekanntgabe der betreffenden Tatsache erwartet werden kann. Die SIX hat zwar keine Grenzwerte bezüglich dieser Kursveränderung bekannt gegeben;

aufgrund der Praxis ist jedoch davon auszugehen, dass eine Tatsache dann be-kanntgabepflichtig ist, wenn sie zu einer Kursänderung führt, die über die durchschnittlichen Tagesschwankungen hinaus geht. Daher ist davon auszuge-hen, dass Tatsacauszuge-hen, die voraussichtlich zu Kursschwankungen zwischen 3-5%

führen, kursrelevant sind63.

63 Kotierte Unternehmen sind natürlich immer mit dem Problem konfrontiert, dass sie die mögliche Kursbewe-gung vor der Bekanntgabe abschätzen müssen – dabei müssten sie sich letztlich auf die KursbeweKursbewe-gungen aus dem Unternehmens selbst bzw. anderer kotierten Unternehmen stützten, die früher ähnliche Bekanntgaben ausgelöst haben.

4.2 Finanzielle Schwierigkeiten und Sanierungsbemühungen als kursrelevante Tatsachen

Eine Verminderung des Gewinnes, Liquiditätsschwierigkeiten oder auch Ab-schreibungen, die zu einer Unterbilanz oder Überschuldung führen, sind Tatsa-chen, deren Bekanntgabe – sofern sie dem Publikum bisher unbekannt waren – zu einer erheblichen negativen Kursveränderung führen kann. Die SIX Swiss Exchange erwähnt deshalb in ihrem Kommentar zur Ad hoc-Publizitäts-Richtlinie64 in den Beispielen veröffentlichungspflichtiger Tatsachen ausdrück-lich unvorhergesehene Gewinneinbrüche65 sowie auch eine bevorstehende Zah-lungseinstellung.

Hat ein Unternehmen vorgängig aber selbst Ertragsprognosen veröffentlicht, so tritt die Pflicht zur Bekanntgabe von Abweichungen aber nicht erst ein, wenn ein Gewinneinbruch Tatsache geworden ist. Im Sinne einer "Gewinnwarnung"

muss das Unternehmen bereits dann, wenn erhebliche negative Abweichungen von der bisherigen Prognose erkennbar werden, das Publikum orientieren. So-fern ein Unternehmen selbst keine Prognosen gemacht hat, muss es dagegen nach der Praxis der SIX keine Gewinnwarnung publizieren, selbst wenn Analys-ten aufgrund eigener Abklärungen von Gewinnen ausgehen, die wesentlich über den Gewinnen liegen, die das Unternehmen tatsächlich erzielt.

Auch die Durchführung von Sanierungs- und Restrukturierungsmassnahmen, wie insbesondere die Aufgabe wesentlicher Geschäftsfelder, die Veräusserung von Betrieben, Tochtergesellschaften oder Aktiven, die einen wesentlichen Teil der Geschäftstätigkeit bzw. der Aktiven darstellen, sind Tatsachen, die im Sinne der oben dargestellten Grundsätze dem Publikum bekannt gegeben werden müs-sen.

Befindet sich eine kotierte Gesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten, so hat der Verwaltungsrat nach den oben dargestellten Grundsätzen gemäss Art. 53 des Kotierungsreglements daher praktisch immer die Pflicht zur Bekanntgabe der betreffenden Probleme, wenn diese ein Ausmass erreichen, das die Geschäftstä-tigkeit erheblich beeinflusst und entsprechend auch zu erheblichen Kursverän-derungen führen kann. Diese Bekanntgabepflicht ist problematisch, da die Be-kanntgabe selbst die Situation des Unternehmens noch einmal wesentlich ver-schlechtern kann. Werden finanzielle Schwierigkeiten öffentlich bekanntgege-ben, so ziehen sich Kunden von Geschäftsbeziehungen zurück und Lieferanten werden Vorauszahlungen verlangen. Überdies kann die Bekanntgabe von

64 SIX Swiss Exchange, Kommentar zur Ad hoc-Publizitätsrichtlinie 2011, Rz. 3 N 60.

65 "Gewinneinbrüche", d.h. überraschende Verluste im beträchtlichen Ausmass unterscheiden sich von einem gewöhnlichen Gewinnrückgang dadurch, dass sie gänzlich ausserhalb des Erwartungsbereichs des Marktes lie-gen und für das Unternehmen zu weit reichenden, eventuell sogar strukturellen Konsequenzen führen; in der Praxis bedeutet dies, dass 20% – 30% Rückgang noch ein gewöhnlicher Rückgang ist, während 30% – 80%

Gewinnrückgang ein "Gewinneinbruch" darstellen.

ziellen Schwierigkeiten und Sanierungsbemühungen auch den Erfolg von Sanie-rungsbemühungen selbst vereiteln, da Drittparteien bei Sanierungsverhandlun-gen normalerweise vollständige Diskretion verlanSanierungsverhandlun-gen.

4.3 Der Aufschub der Bekanntgabe

Der Verwaltungsrat einer kotierten Gesellschaft kann gemäss Art. 54 KR die Bekanntgabe einer kursrelevanten Information aufschieben, wenn die neue Tat-sache auf einem Plan oder einem Entschluss der Gesellschaft beruht und ihre Verbreitung geeignet ist, die berechtigten Interessen der Gesellschaft zu beein-trächtigen. Ein Gewinneinbruch oder Liquiditätsprobleme sowie Bilanzproble-me stellen an und für sich äussere Tatsachen dar, deren Bekanntgabe bei strikter Interpretation von Art. 54 KR nicht aufgeschoben werden kann. In der Praxis lässt die SIX Swiss Exchange aber einen Aufschub bei der Bekanntgabe von Fi-nanzproblemen zu, wenn ein Sanierungsplan vorbereitet und ausgehandelt wird, da die Sanierung selbst durch eine Bekanntgabe gefährdet würde66. Ein Auf-schub der Bekanntgabe ist aber nur möglich, wenn die Gesellschaft alle not-wendigen Schritte einleitet, um die Geheimhaltung sicherzustellen67 und es auch tatsächlich gelingt, die betreffenden Probleme sowie die Sanierungspläne ge-heim zu halten. Tritt aber ein Leck auf, so ist die Gesellschaft nicht mehr be-rechtigt, die Bekanntgabe aufzuschieben und muss die bekanntgabepflichtigen Tatsachen unverzüglich offenlegen.

Da beim Auftreten eines Lecks unmittelbar eine Informationspflicht entsteht, sollte eine Gesellschaft, die sich zum Aufschub der Bekanntgabe entscheidet, immer ein Konzept zur Bekanntgabe vorbereiten, das es ihr erlaubt, rasch zu re-agieren, falls es zu einem Leck kommt und so ihrer Ad hoc-Publizitätspflicht nachzukommen ("Emergency Information Concept")68. Bei Sanierungsverhand-lungen mit Drittparteien sollte dieses Konzept immer auch vorgängig mit den betreffenden Drittparteien abgesprochen werden, um widersprüchliche Informa-tionen zu vermeiden.

4.4 Inhalt und Form der Bekanntgabe

Eine Information, die gemäss Art. 53 KR veröffentlicht werden muss, ist so zu formulieren, dass sie für die angesprochenen Marktteilnehmer verständlich ist und inhaltlich korrekt den Kenntnisstand der Gesellschaft zur Zeit der Veröf-fentlichung widergibt. Bei Finanzproblemen und komplexen

66 SIX Swiss Exchange, Kommentar zur Ad hoc-Publizitäts-Richtlinie 2011, Rz. 16 N 179 ff., 197 ff.

67 Dazu sind einerseits klare Weisungen im Unternehmen selbst erforderlich, andererseits muss das Unternehmen aber auch mit den an den Sanierungsverhandlungen beteiligten Personen Geheimhaltungserklärungen ab-schliessen, sofern diese nicht durch ein Berufsgeheimnis (zum Beispiel Bank- oder Anwaltsgeheimnis etc.) ge-bunden sind.

68 Dazu gehört insbesondere ein Mediencommuniqué, das dem jeweiligen Stand der Verhandlungen angepasst ist.

onen sind manchmal in einem bestimmten Zeitpunkt nur Teile der relevanten In-formation bekannt. Sofern das betroffene Unternehmen die Bekanntgabe nicht aufschieben kann69, so muss das Unternehmen die Marktteilnehmer im Rahmen von Ad-hoc-Meldungen stufenweise informieren. Hat ein Unternehmen zum Beispiel die Financial Covenants in seinen Kreditverträgen verletzt und hat es deshalb den Banken einen Waiver beantragt, so liegt auch dann bereits eine pub-likationspflichtige Tatsache vor, wenn die Banken noch nicht eine Antwort er-teilt haben – über die betreffende Antwort bzw. das Ergebnis der Verhandlun-gen mit den Banken muss dann in einer zweiten Ad-hoc-Meldung orientiert werden70.

Die Gesellschaft kann über die Art der Bekanntgabe selbst entscheiden; norma-lerweise erfolgt diese durch Versand eines Presse- bzw. Mediencommuniques.

In jedem Fall muss die Mitteilung aber mindestens über ein bei den professio-nellen Marktteilnehmern weit verbreitetes elektronisches Informationssystem, wie z.B. Bloomberg, bekannt gegeben werden.

Ad hoc-Mitteilungen sollten wenn immer möglich ausserhalb der Börsenzeiten, d.h. spätestens 90 Minuten vor Handelsbeginn, veröffentlicht werden. Sofern ei-ne Veröffentlichung während der Börsenzeit notwendig ist – beispielsweise, weil es während des Tages zu einem Leck gekommen ist und deshalb bisher ge-heimgehaltene Tatsachen sofort offengelegt werden müssen – so hat die SIX Swiss Exchange die Möglichkeit, die Handelstätigkeit einzustellen, um den Marktteilnehmern Zeit zur Verarbeitung der neuen Nachrichten zu geben. Jede Information, die im Rahmen der Ad hoc-Publizität veröffentlicht wird, muss auch der SIX gleichzeitig wie dem Publikum bekannt gegeben werden; muss die Bekanngabe wegen eines Lecks während der Handelszeit erfolgen, so muss die SIX 60 Minuten vor der Veröffentlichung der Ad Hoc-Mitteilung informiert werden.

69 Zum Beispiel weil es zu einem Leck gekommen ist.

70 Gerade in einer derartigen Situation empfiehlt es sich natürlich die Verletzung der Financial Covenants und den Beginn der Verhandlungen über einen Waiver geheimzuhalten und erst eine Ad-hoc-Mitteilung zu ma-chen, wenn die Verhandlungen mit den Banken abgeschlossen und ein entsprechender Waiver erteilt worden ist.