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Simon Dach und der Königsberger Dichterkreis

Ännchen von Tharau ist’s, die mir gefällt, Sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld.

Ännchen von Tharau hat wieder ihr Herz Auf mich gerichtet in Lieh und in Schmerz.

Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut, Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut.

Kam’ alles Wetter gleich auf uns zu schlahn, Wir sind gesinnt, beieinander zu stahn.

Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein Soll unsrer Liebe Verknotigung sein.

Recht als ein Palmenbaum über sich steigt, Je mehr ihn Hagel und Regen angreift:

So wird die Lieb in uns mächtig und grot, Durch Kreuz, durch Leiden, durch allerlei Not.

Würdest du gleich einmal von mir getrennt, Lebtest da, wo man die Sonne kaum kennt:

Ich will dir folgen durch Wälder und Meer, Durch Eis, durch Eisen, durch feindliches Heer.

Ännchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn’

Mein Leben schliess’ ich um deines herum.

In Memel steht vor dem Theater das Wahrzeichen der Hafenstadt an der Dange: ein Brunnen mit dem Bronzedenkmal des Ännchen von Tharau.

Eine Gedenktafel erinnert an den Dichter Simon Dach, dessen geistliche Lieder Eingang in litauische wie deutsche Gesangbücher gefunden haben.

Auf dem Theaterplatz der ehrwürdigen Stadt Memel steht seit 1989 wieder das

«Ännchen von Tharau», für das Simon Dach im 17. Jahrhundert eines der schönsten Liebesgedichte der deutschen Literatur schrieb. Johann Gottfried Herder hat zu sei-ner Übertragung ins Hochdeutsche kritisch angemerkt: «Es hat sehr verloren, da ich’s aus seinem treuherzigen, starken, naiven Volksdialekt ins liebe Hochdeutsch habe verpflanzen müssen.» In der Tat klingen die Verse im preußischen Nieder-deutsch wärmer und vertrauter:

Anke van Tharaw öss/de my gefällt/

Se öss mihn Lewen/mihn Go et on mihn Gölt.

Anke van Tharaw heft wedder eer Hart Op my geröchtet ön Löw» on ön Schmart.

Diese auf Deutsch verfassten und ins Litauische übersetzten Werke liessen ihn zu einem Dichter der Deutschen wie der Litauer werden.

Für das Denkmal hat man 1910 Spenden gesammelt und den Berliner Bildhauer Arnold Künne, der auch das Corveyer Fallersleben-Denkmal schuf, mit der Mädchenstatue beauftragt, die 1912 feierlich enthüllt wurde.

Im Jahr 1939 verschwand das Kunstwerk zugunsten eines Hitler-Denkmals.

Mit Hilfe deutscher Spenden konnte das Ännchen im November 1989 sei-nen Platz aber wieder einnehmen. Heinz Radziwill, der Initiator dieser Reinstallation, führte anlässlich der erneuten Einweihung aus: «Erstmals seit dem Kalten Krieg wird ein Geschichtsdenkmal und Stadtsymbol wie-deraufgebaut. Jahrzehnte waren Litauer und Deutsche Nachbarn, heute sind sie weit voneinander entfernt..., das schönste Denkmal steht hier vor uns – ein junges Mädchen, das die Liebe symbolisiert. Solange es auf der Welt Menschen gibt, wird es auch Hass und Neid geben, aber immer wird die ewig junge Liebe da sein.»2

Das Denkmal wie das Lied «Ännchen von Tharau» nehmen Bezug auf eine historische Person. Ännchen wurde 1619 in Tharau als Tochter des Pfarrers Neander geboren. Mit siebzehn Jahren heiratete sie 1636 den Pfar-rer Johannes Portatius, einen Studienfreund Simon Dachs in Königsberg.

Aus diesem Anlass entstand das 1642 erstmals veröffentlichte Gedicht.

Ännchen starb mit siebzig Jahren und wurde an der Seite ihres Sohnes Friedrich aus erster Ehe, der ein Jahr vor ihr dahingeschieden war, in In-sterburg begraben.

«Ännchen von Tharau» ist ein typisches barockes Gelegenheitsge-dicht. Keine ungewöhnlichen Erlebnisse sind hier festgehalten, sondern in jedem Leben eintretende gesellschaftliche Zäsuren wie Geburt, Konfirma-tion, PromoKonfirma-tion, Amtsantritt, Hochzeit, Geburtstage, Besuche und Begräb-nisse. Der Glanz der höfischen Repräsentationskultur breitete sich mit sol-chen Dichtungen auch über das bürgerlich-städtische Fest aus. Die heutige Liedfassung geht auf Johann Gottfried Herders neuhochdeutsche Übertra-gung für seine Liedersammlung «Stimmen der Völker in Liedern» von 1778/79 zurück.

Das Lied, zu dem Friedrich Silcher 1827 die Melodie komponierte, ist im Stil eines Rollengedichts dem Bräutigam in den Mund gelegt, eine Lie-beserklärung an die geliebte Braut. Diese Liebe ist das Fundament ihrer Le-bensgemeinschaft, die Schutz und Geborgenheit bietet, was immer das Schicksal auch bringen mag. Dachs Lied ist eines der ersten bedeutenden Ehegedichte der deutschen Literatur.

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Nicht von Erotik und Leidenschaft erzählt er, sondern von der inneren Har-monie des Paares und dem niemals schwankenden Gefühl der Zusammen-gehörigkeit.3

Im Einwanderungsland Ostpreußen setzte sich das Schriftdeutsch erst seit Mitte des 16. Jahrhunderts durch. Die bis dahin verbreitete ostpreußi-sche Mundart sowie die niederdeutostpreußi-schen Mundarten wurden nun unter dem Einfluss der Reformation durch das Hochdeutsche als Amtssprache ver-drängt. Doch im baltischen Raum bildete sich die Sprache auf der Ebene der Dialekte weiter. Die preußische Mundart gewann, wie Hermann Fisch-ler zu Recht betont, dadurch ihre Eigentümlichkeit:

«Die Berührung und Mischung der Ansiedler mit den slawischen und litauischen Nachbarn, wie sie seit Jahrhunderten bestanden, und der glei-che alte Verkehr mit den überseeisglei-chen Nationen hat ferner dazu beigetra-gen, der Mundart eine Färbung zu geben, die frappiert, aber auch interes-siert. Ja, Funken jener erloschenen Sprache der heidnischen Ureinwohner des Landes blitzen hin und wieder in einzelnen Wörtern auf, und diese bil-den eine weitere Eigentümlichkeit preußischer Mundart.»4

Der 1605 in Memel geborene Dichter Simon Dach war einer der füh-renden Köpfe des sogenannten Königsberger Dichterkreises. Sein Vater arbeitete als Übersetzer für Litauisch, Kurisch und Polnisch am Hofgericht in Memel, Dachs Grossvater mütterlicherseits war in der Stadt Bürgermei-ster. Der kleine Simon besuchte zunächst die dortige Schule, dann die Kö-nigsberger Domschule und studierte ab 1626 an der Albertina alte Spra-chen und Theologie. Im Jahr 1639 wurde er zum Professor der Poesie be-rufen, was er sein Leben lang blieb. Er starb 1659. Vier Jahre zuvor ent-stand der poetische «Abschied an meine Vaterstadt Memel», weil er, von Krankheit gezeichnet, selbst die kurze Strecke von Königsberg nach Me-mel nicht mehr zurücklegen konnte:

Ich hätte zwar der Tangen Rand Noch einmal gern gegrüsset, Gern dich, mein liebes Vaterland, Zu guter Letzt geküsset.

Eh ‘ mich der Tod hätt‘ aufgeleckt, Der mich verfolgt ohn‘ Ende, Und stets nach mir hält ausgestreckt Die abgefleischten Hände.

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Ich hin auf andre Lust bedacht, Die Gott mir dort wird geben.

Du werthe Mümmel, gute Nacht, Du müssest glückhaft leben!

Kein Wehmuth, kein Verlust, kein Leid Geb’ Ursach’ dir, zu trauern;

Empfinde Fried’ und gute Zeit Stets inner deinen Mauern!

G’nug wo mein Reim das Glück nur hat Und wird nach mir gelesen,

Dass dennoch meine Vaterstadt Die Mümmel ist gewesen.5

Simon Dach taucht fast immer im Zusammenhang mit dem Königsberger Dichterkreis auf. Günter Grass hat diesen ostpreußischen Freundeszirkel des Frühbarock in dem Roman «Das Treffen in Telgte» verewigt, wo er auf die Gruppe 47 anspielt, die von Hans Werner Richter zusammengeführt wurde. Auf Drängen der Königsberger Freunde entstand 1641 Heinrich Al-berts «Musicalische Kürbis-Hütte, welche uns erinnert menschlicher Hin-fälligkeit». Das Titelblatt der Liedersammlung zeigt eine Kürbishütte in Alberts Garten. Die zwölf Teile des Zyklus stehen für jene Zwölf, die sich in Alberts Garten am Pregel vor dem Honigtor in einer «Kürbislaube» tra-fen. Der Kürbis taucht in den Emblembildern der Zeit häufig auf. In einer einzigen Nacht soll die schattenspendende Frucht über den Propheten Jonas zu einer Hütte gewachsen und anderntags schon verwelkt gewesen sein (Jona 4,5-11). Sie steht für die pralle Sinnenfreude des Augenblicks und zugleich für die Vergänglichkeit allen Seins. Die Kürbishütte im Gar-ten ist Sinnbild eines Paradieses auf Zeit, ein eingehegter Platz gemeinsa-mer Freuden, doch nicht für alle Ewigkeit.

Der 1604 in Lobenstein (Reuss) geborene Heinrich Albert war ein Cousin und Schüler von Heinrich Schütz. Er kam als Student 1626 nach Königsberg, wo er von 1630 bis zu seinem Tod 1651 als Domorganist wirkte. Alberts Hauptwerk sind die zwischen 1638 und 1650 komponierten

«Arien oder Melodeyen etlicher teils geistlicher teils weltlicher ... Lieder».

Sie machten ihn zum ersten Meister des deutschen monodischen Liedes.

Viele der Dichtungen stammen von seinem Freund Simon Dach. Heinrich Albert schuf eines der schönsten Kirchenlieder der deutschen evangeli-schen Liedtradition, das in Ostpreußen bis ins letzte Jahrhundert als Mor-gengebet verbreitet war:

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1. Gott des Himmels und der Erden, Vater, Sohn und HeiVger Geist, der es Tag und Nacht lässt werden, Sonn und Mond uns scheinen heisst, dessen starke Hand die Welt und was drinnen ist erhält.

2. Gott, ich danke dir von Herzen, dass du mich in dieser Nacht vor Gefahr, Angst, Not und Schmerzen hast behütet und bewacht,

dass des bösen Feindes List mein nicht mächtig worden ist.

5. Führe mich, o Herr, und leite meinen Gang nach deinem Wort;

sei und bleibe du auch heute mein Beschützer und mein Hort.

Nirgends als von dir allein Kann ich recht bewahret sein.

7. Deinen Engel zu mir sende, der des bösen Feindes Macht, List und Anschlag von mir wende Und mich halt in guter Acht, der auch endlich mich zur Ruh trage nach dem Himmel zu.6

Zum Königsberger Dichterkreis zählten ferner der Rhetorikprofessor Va-lentin Thilo (1607-1662), von dem das Lied «Mit Ernst, o Menschenkin-der, das Herz in euch bestellt» stammt, sowie Georg Weissel (1590-1635), Pfarrer an der Altrossgärter Kirche zu Königsberg, der das Lied «Such, wer da will, ein ander Ziel, die Seligkeit zu finden» sowie das Adventslied

«Macht hoch die Tür, die Tor macht weit» komponierte. Georg Werner (1589-1643), Pfarrer im Löbenicht, gesellte sich dem Kreis zu, ebenso Jo-hann Stobäus (1580-1646) und der preußische Staatsrat Robert Roberthin (1600-1648), der in seinen Versen bezeugt hat, welch geistig reges Säku-lum das 17. Jahrhundert war, was sich nachhaltig im kirchenmusikalischen Schaffen niederschlug.

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Wir müssen zwar entfernt von andern Orten leben, in denen Wärme herrscht, uns deckt der kalte Nord;

doch hast du uns gewollt ein ander Sonne geben, der Seelen schönstes Licht, das klare Gnadenwort;

und neben diesem Wort hast du uns mit verliehen, dass guter Künste Brauch hier reichlich ist bekannt, und jedermann gesteh, dass in dem kalten Preußen mehr geistlich Singen sei, denn sonsten überall.7

Leibeigenschaft, Gutsherrschaft und