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Zwischen Niedergang und Hoffnung

Im Sommer 1807 trifft Königin Luise in Tilsit auf Napoleon. Sie ist Preu-ßens letzte Hoffnung. Mit ihrer Anmut soll die junge Königin auf Napoleon einwirken und ihn dazu bewegen, die harten Friedensbedingungen noch einmal zu überdenken. Doch sie bemüht sich vergebens. Das Königreich verliert die Hälfte seines Territoriums. Fortan steht Tilsit für die Demüti-gung Preußens und seiner Königin, die als «Königin der Herzen» in den preußischen Olymp aufsteigt. Die Schöne, die das Schicksal klaglos erdul-det, wird zur Idealgestalt der Dichter und Patrioten, in ihr vereint sich die Hoffnung, die napoleonische Fremdherrschaft wieder abschütteln zu kön-nen. Luise selbst blickt Ende Oktober 1807 wenig zuversichtlich auf Preu-ßen: «Preußens Urteil, nämlich unser Todesurteil, ist gesprochen!»1

Ostpreußen steht 1807 für einige Monate im Zentrum der Weltge-schichte. Die zwei grossen ostpreußischen Schlachten von Preußisch Eylau und Friedland sind der Höhepunkt in einer langen, dramatischen Abfolge von Krieg, Besatzung, Requirierungen und Hungersnöten. Als Franz II. im Jahr 1806 die römisch-deutsche Kaiserkrone niederlegte, zerbrach das Alte Reich. Preußen, das vom Machtvakuum in Mitteleuropa profitieren wollte, manövrierte sich in eine prekäre Lage, als es nach längerem diplomati-schen Lavieren zwidiplomati-schen einer Annäherung an Frankreich und der an Russ-land schliesslich Napoleon den Krieg erklärte.

Schon in der Schlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 wurde Preußen vernichtend geschlagen. Der französische Imperator be-setzte daraufhin in Windeseile preußische Gebiete, und schon bald befan-den sich auch Warschau und Thorn in seiner Hand. Er rückte gegen Ost-preußen vor, wo ihm der preußische General Anton Wilhelm L’Estocq (1738-1815) entgegentrat. Am 25. Dezember 1806 fiel Soldau, einen Tag später Neidenburg. Am 31. Dezember 1806 zogen die Franzosen in Ortels-burg ein. Über Passenheim gelangte die Grande Armée am 3. Februar 1807 nach Allenstein.

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In Allenstein wäre der Kaiser, was kaum bekannt ist, fast einem An-schlag erlegen. Wie hätte sich das Schicksal Europas gewendet? Als Na-poleon hoch zu Ross und umringt von seinem Stab auf dem Marktplatz erschien, «stieg ein preußischer Jäger namens Rydziewski auf das Dach des ältesten Hauses am Markte (des späteren Grunenbergschen). In der Dachrinne stehend spannte er seine scharfgeladene Büchse und legte auf den Kaiser an. Aber einige Bürger, welche die sofortige Zerstörung der Stadt durch die wütenden Franzosen fürchteten, waren dem Rydziewski nachgeeilt und hielten seinen Arm mit Gewalt zurück.»2

Der preußische Hof flüchtete im Dezember 1806 zunächst nach Kö-nigsberg und wich von dort Anfang Januar 1807 in die nördlichste Stadt des Königreiches, nach Memel, aus. Königin Luise zeigte sich voll des Lo-bes für die in Königsberg stehenden russischen Bündnistruppen. Was sie aus ihrem Zufluchtsort am 18. April 1807 an Friedrich Wilhelm III.

schrieb, klingt unglaublich, wenn man sich den russischen Einmarsch von 1914 vor Augen hält, ganz zu schweigen von 1944/45 und der im Zeitalter des Nationalismus aufgebauten Dämonisierung der slawischen «Unter-menschen»: «Du kannst nicht glauben, wie gut sich die Offiziere hier auf-führen, wie befriedigt die Bewohner der Stadt von ihrer Höflichkeit, von ihrer Erkenntlichkeit, von ihrem reizenden Benehmen gegen ihre Gast-freunde sind. Sage es auch dem Kaiser [Zar Alexander I.]; ich bin über-zeugt, dass das ihm Freude machen wird.»3

Auf ostpreußischem Boden erfuhr Napoleon am 8. Februar 1807 bei Preußisch Eylau erstmals empfindliche Verluste. Während des zehnstündi-gen Kampfes harrte er mit seinem Stab auf dem Friedhofshügel neben der Kirche aus, von wo aus man das schneebedeckte Schlachtfeld überschauen konnte. Die französischen Verluste beliefen sich auf 237 getötete und 784 verwundete Offiziere sowie 4’893 Tote und 23’589 Verwundete bei den Mannschaften. Insgesamt verlor die Armee inklusive der Gefangenen 1034 Offiziere und 29’634 weitere Soldaten, das war die Hälfte der etwa 67’000 Mann starken französischen Armee. Der französische General Michel Ney erklärte den Ausgang der Schlacht für unentschieden und rief besorgt aus:

«Quel massacre et sans résultat!» (Welch ein Massaker und ohne jedes Er-gebnis!)4

Napoleon verliess Preußisch Eylau am 17. Februar 1807 und bezog für vierzig Tage Quartier im Schloss Finckenstein. Über diese Zeit hat er geäussert: «Cette epoque de repos au milieu de la vieille Prusse et de la Po-

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logne est une des plus remarquables de ma vie; elle n’en fut ni la moins critique ni la moins glorieuse» (Diese Phase der Ruhe inmitten des alten Preußen und in Polen gehört zu den besonderen meines Lebens, denn es gab niemals weniger Anwürfe und niemals weniger Ruhm).5 Ostpreußen sollte ihn noch zur Verzweiflung treiben, denn es war als Aufmarschgebiet für seinen Russlandfeldzug völlig ungeeignet. Die Armee drohte im Schlamm auf den ostpreußischen Wegen zu versinken, so dass der Kaiser Ostpreußens Dreck zur sechsten europäischen Grossmacht erklärte, die ihn in seinen Kriegszügen behindert habe.

Napoleon machte den preußischen Adelssitz zur Zentrale seines mäch-tigen Imperiums. Er liess 120’000 Mann französische Ersatztruppen her-anführen und regierte von der Residenz der Finckensteins aus für zehn Wo-chen über halb Europa. Hier wurden die neuen Grenzen abgesteckt, man stritt sich um Posten in noch nicht existierenden Staaten, schloss Bünd-nisse, fädelte komplizierte Intrigen ein, bemühte sich um Protektion und schwärzte sich gegenseitig an. An der Seite Napoleons weilte die polnische Gräfin Maria Walewska. Hollywood hat die Liebesromanze zwischen dem Kaiser und der Gräfin mit Greta Garbo und Charles Boyer 1934 verfilmt.

Der polnische Schriftsteller Marian Brandys hat eine historische Biogra-phie der Frau verfasst, der Napoleon nach der Schlacht von Preußisch Eylau in sehnsuchtsvoller Erwartung schrieb:

«Eylau, 9. Februar 1807 Meine süsse Freundin!

Wenn Du diesen Brief liest, wirst Du schon mehr von dem wissen, was sich ereignet hat, als ich Dir jetzt sagen kann. Die Schlacht dauerte zwei Tage, und wir haben als Sieger das Feld behauptet. Mein Herz ist bei Dir;

hinge es von ihm ab, wärest Du die Staatsbürgerin eines freien Landes.

Leidest Du genauso wie ich unter unserer Trennung? Ich habe ein Recht, dies anzunehmen. Ich bin dessen so sicher, dass ich die Absicht habe, Dich zu bitten, nicht nach Warschau oder auf Dein Gut zurückzukehren. Eine so grosse Entfernung kann ich nicht ertragen. Liebe mich, meine süsse Marie, und vertraue Deinem N.»6

Für Preußen wendete sich das Blatt dramatisch mit der preußisch-rus-sischen Niederlage von Friedland am 13. und 14. Juni 1807. Napoleon ging nun in die Offensive. Die französischen Truppen strömten Richtung Kö-nigsberg und besetzten das gesamte Land bis zur Memel. Auf dem Weg dorthin wurde das Städtchen Domnau völlig niedergebrannt und geplün-dert. Das unweit der preußisch-russischen Grenze gelegene Schirwindt mit

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kaum zwölfhundert Einwohnern musste die Einquartierung von dreissig-tausend Franzosen und die damit verbundenen Bürden wochenlang erdul-den. Die Bevölkerung litt schwer. Manche Orte verloren ein Drittel ihrer Bevölkerung durch Hunger und Seuchen. Luise schrieb nach der verlore-nen Schlacht von Friedland am 17. Juni 1807 aus Memel an ihren Vater:

«Es ist wieder aufs Neue ein ungeheures Unglück und Ungemach über uns gekommen ... Der König hat bewiesen, der Welt hat er es bewiesen, dass er nicht Schande, sondern Ehre will. Preußen wollte nicht freiwillig Sla-venketten tragen ... Durch diese unglückliche Schlacht kam Königsberg in französische Hände.»7

Bei dem legendären Treffen Napoleons mit Zar Alexander I. am 25.

Juni 1807 auf einem Floss inmitten der Memel bei Tilsit, wo über Preußens Schicksal entschieden wurde, war Friedrich Wilhelm III. nur Zaungast. Kö-nigin Luise hat darüber berichtet: «Nachdem die Russen am 14. Juni 1807 die unglückliche Schlacht von Friedland verloren hatten, nahm alles eine andere Wendung. Die russische Armee, geschlagen und zerstreut, bot keine Hilfe mehr; der Kaiser musste sich in Unterredungen über einen Waffen-stillstand einlassen, dessen Folge ein Friede war, der für Preußen den To-desstoss bedeutete. Nach einer Zusammenkunft Kaiser Alexanders mit Na-poleon, die sich am nächsten Tage im Beisein des Königs wiederholte, wurde beschlossen, die Stadt Tilsit für neutral zu erklären; jeder Herrscher sollte dort dieselbe Truppenmenge haben, und sie wollten dortbleiben, um selbst über den Frieden zu verhandeln. – Für Preußen nahmen die Verhand-lungen vom ersten Augenblick an die unglücklichste Wendung; durch viel Böswilligkeit und Hass von Seiten Napoleons war zu erkennen, dass die Dinge schlecht für uns gehen würden. Der König schrieb mir das und fügte hinzu, dass meine Anwesenheit von einigem Nutzen sein könne. Mein Ent-schluss war im ersten Augenblick gefasst, und ich antwortete, ich würde nach Tilsit fliegen, sobald er es wünsche und sobald er glaube, ich könnte den geringsten Nutzen stiften.»

Luise traf den Kaiser in Tilsit und berichtete davon am 6. Juli: «Gegen 4 Uhr machte ich mich auf den Weg nach Tilsit und war um 5 Uhr dort.

Als ich das Lager oder vielmehr Biwak der Kosaken passiert hatte und mich dem Njemen näherte, war der ganze Weg mit Franzosen bedeckt. Ich kann es nicht ausdrücken, wie widerlich mir der Anblick dieser Menschen war, die der ganzen Welt und zuletzt besonders Preußen soviel Übles getan haben...

Als ich in das Zimmer des Königs eintrat, war Kaiser Alexander dort

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Der Bittgang der Königin sollte die mythische Verehrung der preu-ßischen Monarchin über alle Massen steigern, der «Luisenkult» er-fasste alle deutschen Länder. Aber auch für das französische kollek-tive Gedächtnis spielten Tilsit und Ostpreußen eine wichtige Rolle:

Der französische Maler J. Chr. Tardieu hat schon 1807 dieses Ge-mälde von der historischen Begegnung zwischen Kaiser Napoleon und Königin Luise am 6. Juli 1807 in Tilsit fertiggestellt. Im Pariser Louvre hängt das monumentale Gemälde «Napoléon sur le champ de bataille d’Eylau» (Napoleon auf dem Schlachtfeld von Eylau) von Baron Antoine-Jean Gros (1771-1835). Westlich des Eiffel-turms liegt im 16. Arrondissement die Avenue d’Eylau. Im Tri-umphbogen ist der Name «Eylau» verewigt, und nicht weit davon entfernt erhebt sich an der Place Victor Hugo die Eglise St. Honore d’Eylau. Die Avenue de Friedland, die vom französischen Ruhm in der zweiten ostpreußischen Schlacht kündet, führt direkt auf den Triumphbogen zu, in dem man auch den Namen «Tilsit» findet. Im 8. Arrondissement erinnern die Rue de Tilsitt sowie ein Café «Le Tilsitt» an die ostpreußische Stadt an der Memel.

im Gespräch mit ihm. Er ging auf mich zu und sagte: ‚Die Dinge gehen nicht gut, alle unsere Hoffnung ruht auf Ihnen, auf Ihrem Vermögen, neh-men Sie es auf sich und retten Sie den Staat.’...

Kaum war ich angekommen, da traf der Kaiser der Franzosen ein mit all dem Pomp und dem ganzen Gefolge, das ihn immer umgibt, wenn er sich öffentlich zeigt. Er trat in den Salon ein und ich sagte ihm, ich emp-fände es stark, dass er sich die Mühe gäbe, zu kommen. Er war recht ver-legen; ich aber erfüllt von der grossen Idee meiner Pflichten, ich war es nicht.»8

Da Königin Luise Napoleon nicht umstimmen konnte, verlor Preußen im Frieden von Tilsit, der am 9. Juli 1807 unterzeichnet wurde, alle Gebiete westlich der Elbe. Zudem musste das schwer gedemütigte Land die aus der Konkursmasse Polens hervorgegangenen Gebiete Südpreußen und Neuost-preußen an das von Frankreich abhängige Grossherzogtum Warschau ab-treten. Militärisch und ökonomisch lag Preußen am Boden. Der Hof kehrte nach Berlin zurück. Im Advent 1809 weilte das Königspaar zum letzten Mal in Ostpreußen. Sieben Monate später starb Luise im Alter von 34 Jah-ren. Weil sie sich in den schweren Tagen der Niederlage standhaft und fest für ihr Land eingesetzt hatte, wurde sie in Ostpreußen wie eine Heilige ver-ehrt. In Tilsit benannte man nach ihr das 1907 errichtete imposante Brü-ckenbauwerk über die Memel und erinnerte damit an ihre Mission in Tilsit.

Denkmäler auf den einstigen Schlachtfeldern von Friedland und Preu-ßisch Eylau belegen, wie sehr man in der Oblast Kaliningrad darum bemüht ist, die russischen Bezüge in der Geschichte Ostpreußens zu bewahren. An-gesichts der Gleichgültigkeit gegenüber dem Zerfall dieser einst blühenden Kulturlandschaft fällt die Pflege dieses Erbes besonders auf. In Friedland, Kreis Bartenstein, erinnert ein Grabmal an den russischen Generalmajor von Makowsky, Kommandeur des Petersburger Grenadierregiments, der am 14. Juni 1807 in der Schlacht fiel. Eine Inschrift, die Zar Alexander II.

und der spätere Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1868 anbringen liessen, ist in deutscher und russischer Sprache abgefasst und gedenkt dieses Kapitels gemeinsamer preußisch-russischer Geschichte. Auf einer Anhöhe südlich von Preußisch Eylau ragt an der Bartensteiner Chaussee ein Sandsteinobe-lisk fast elf Meter in die Höhe, der nach Angaben Friedrich Wilhelms IV.

von Friedrich August Stüler entworfen wurde zur Erinnerung an die Schlacht von Preußisch Eylau. Dem in Bedrängnis geratenen russischen Heer unter General Levin von Bennigsen war damals ein kleines preußi-

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sches Korps von sechstausend Mann unter General Anton Wilhelm L’Estocq und seinem Stabschef Oberst Gerhard Johann David von Scharn-horst zu Hilfe geeilt. Auch der russische Name für Preußisch Eylau knüpft an die Schlacht an. Er lautet Bagrationowsk nach dem russischen General Pjotr Fürst Bagration, der die russische Nachhut anführte.

Als Napoleon im Frühjahr 1812 erneut gegen Russland zog, zwang er Preußen, in Russland einzumarschieren. Von Warschau aus rückte ein Teil des Heeres nach Wilkowischki vor über Willenberg, Ortelsburg und Sensburg. Wieder war Ostpreußen Aufmarschgebiet. Infolge mehrerer Missernten, Truppenbewegungen in bis dahin nicht gekannten Ausmassen und ständiger Requirierungen brach eine schwere Hungersnot aus. Das Elend war himmelschreiend, da ergriffen die ostpreußischen Stände an der Seite Russlands die Chance zum Befreiungsschlag, als Ende 1812 der Rückzug der besiegten Grande Armée begann. Noch fühlte sich die preu-ßische Staatsführung unter Karl August Fürst von Hardenberg zur Loyali-tät gegenüber dem formalen Bündnispartner Frankreich verpflichtet, doch Hans David Ludwig Graf Yorck von Wartenburg schloss am 30. Dezember 1812 mit dem russischen General Hans Karl Friedrich Anton von Diebitsch eigenmächtig die Konvention von Tauroggen, in der er sich zur Neutralität und zur Konzentration seiner Truppen zwischen dem Kurischen Haff und den Städten Memel und Tilsit verpflichtete. Am 8. Januar 1813 griff er dann in das Kriegsgeschehen ein, indem er gemeinsam mit den russischen Truppen gegen Königsberg vorrückte und die Stadt besetzte. Ende Januar folgten Elbing und Marienburg. Damit eröffnete sich den Russen die Mög-lichkeit zur Befreiung ganz Ostpreußens von der französischen Fremdherr-schaft.

Zar Alexander I. selbst verfolgte an der Spitze seiner Armee die flie-henden Franzosen. Am 19. Januar 1813 zog er mit Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr von und zum Stein und Ernst Moritz Arndt im Gefolge in Lyck ein, wo er als Befreier Ostpreußens stürmisch begrüsst wurde. Auf der Brücke über den Lyckfluss dankte der Lycker Erzpriester Thimoteus Gisevius ihm dafür in einer feierlichen Ansprache:

«Sire! Empfangen Sie gnädig die Huldigungen eines jubelnd Ihnen entgegenströmenden Volkes! Was in diesem heiligen Augenblick Sie hier umringt, was, Allergnädigster Kaiser und Herr! Sie hier vor sich sehen, das Alles – o das Alles sind Herzen, die voll Bewunderung und Ehrfurcht und Liebe Ihnen entgegenschlagen – und Augen, bei Ihrem Anblick mit Won-

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nethränen erfüllt, – und gegen Himmel erhoben Hände, Segen herabflehend für Sie, und Schutz und Gnade von dem Allmächtigsten...

Grosser Kaiser! Der Allmächtige hat das Schicksal der Völker in Ihre Hände gelegt, aber wohin Ihre Triumphe Sie auch führen, da kommen Sie immer segnend und gesegnet im Namen des Herrn. – Darum decke der Ewige Sie mit seinem Schilde und stärke mit seiner Kraft zum hohen Beruf Ihren mächtigen Arm! Er, der Herr, unser Gott, sei Ihnen freundlich und fördere das Werk Ihrer Hände! Ja, das Werk Ihrer Hände wolle er fördern!

Amen!»9

Lyck war die erste Stadt Preußens, die der Zar befreite. Am 23. Januar 1813 traf er in Johannisburg ein, das ihm ebenfalls einen grossen Empfang bereitete. Auf dem Marktplatz enthüllte die Bürgerschaft einen Obelisk mit der Inschrift: «Heil dem Befreier Europens Alexander dem Grossen». An der Spitze seiner Armee zog der Zar weiter über Friedrichshof nach Wil-lenberg, wo er am 27. Januar 1813 im Pfarrhaus übernachtete.

Während der russische Monarch von Stadt zu Stadt eilte und sich als Befreier feiern liess, zögerte der preußische Herrscher weiterhin, sich von Napoleon loszusagen. Angesichts der russischen Erfolge bedrängten ihn die ostpreußischen Stände aber immer mehr, die allgemeine Erhebung ge-gen Frankreich zu befehlen. In der Ständeversammlung vom 5. Februar 1813 in Königsberg, die der in Ostpreußen geborene Historienmaler Otto Brausewetter in einem Gemälde festgehalten hat, trat Yorck – eigentlich Befehlshaber des preußischen Hilfskorps auf Seiten Napoleons gegen Russland – mit dem legendären «Aufruf zur Bildung des ersten preußi-schen National-Kavallerie-Korps» vor die Vertreter der Stände:

«Erhaben und der Achtung der Nachwelt würdig spricht sich in diesem hochwichtigen Moment im Königreich Preußen der Geist der Liebe und Treue gegen Monarch und Vaterland durch die Repräsentanten der Nation aus. Bereit, kein Opfer zu scheuen, wodurch dem Vaterland seine Selbstän-digkeit, das Palladium der Privatwohlfahrt wieder genommen werden kann, sehe ich mich nicht allein kräftig unterstützt in meinem Wirken, son-dern erhalte auch noch Anerbietungen, welche das Gepräge des reinsten Patriotismus, der edelsten Selbstverleugnung tragen.»10

Einhellig fassten die ostpreußischen Stände in Königsberg den Be-schluss, alle zur Verfügung stehenden Kräfte gegen Frankreich zu mobili-sieren. Bei der Befreiung des Königreichs Preußen haben sie damit den ent-

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Mit dem Aufruf General Yorcks an die ostpreußischen Stände am 5.

Februar 1813 begann von Ostpreußen aus die Befreiung Preußens.

Das Gemälde «Auszug der ostpr. Landwehr 1813» des ostpreußi-schen Malers Gustav Graef zeigt, mit welcher Begeisterung die Kö-nigsberger Yorck folgten. Nach Jahren der Besatzung, von Zwangs-rekrutierungen und Hunger wollte niemand zurückstehen bei der Be-freiung der Heimat. Viele der Freiwilligen haben ihr Leben auf den Schlachtfeldern hingegeben, woran Gedenktafeln in den Kirchen – hier eine Tafel aus der Kirche in Gross Schöndamerau, Kreis Ortels-burg – erinnerten. Auffällig sind die vielen masurischen Namen.

scheidenden Anstoss gegeben. «Alles muss zu den Waffen greifen, Alt und Jung, Weib und Kind, das will das Vaterland, das will der König in seiner Noth!»11 Ostpreußen stand in vorderster Front im Befreiungskampf vom napoleonischen Joch, der am 8. Februar 1813 begann. Jeder wollte das preußische Vaterland retten, keiner bei der Befreiung der Heimat zurück-stehen. An der Erhebung beteiligte sich Memel mit 79 Freiwilligen, die auf eigene Kosten zur Schlesischen Armee gingen, 194 Bürger meldeten sich zur Landwehr, 1‘500 Mann fanden sich beim Landsturm ein. Das Dorf Sor-quitten sollte sechs Landwehrmänner stellen, doch es fanden sich zwölf Freiwillige. Da partout keiner zurücktreten wollte, musste das Los

scheidenden Anstoss gegeben. «Alles muss zu den Waffen greifen, Alt und Jung, Weib und Kind, das will das Vaterland, das will der König in seiner Noth!»11 Ostpreußen stand in vorderster Front im Befreiungskampf vom napoleonischen Joch, der am 8. Februar 1813 begann. Jeder wollte das preußische Vaterland retten, keiner bei der Befreiung der Heimat zurück-stehen. An der Erhebung beteiligte sich Memel mit 79 Freiwilligen, die auf eigene Kosten zur Schlesischen Armee gingen, 194 Bürger meldeten sich zur Landwehr, 1‘500 Mann fanden sich beim Landsturm ein. Das Dorf Sor-quitten sollte sechs Landwehrmänner stellen, doch es fanden sich zwölf Freiwillige. Da partout keiner zurücktreten wollte, musste das Los