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Brandenburg-Hohenzollern und das widerspenstige Preußen

Kurfürst Friedrich Wilhelm hat in seinem politischen Testament eine scho-nungslose Einschätzung der Verhältnisse im 17. Jahrhundert hinterlassen.

Der Brandenburger hatte es schwer mit Preußen, denn das Herzogtum im Osten entwickelte sich in vielfacher Hinsicht nicht in seinem Sinne. Der ständische Widerstand gegen den nach absolutistischer Macht strebenden Herrscher war nicht gebrochen, alte Freiheiten wurden erbittert verteidigt.

Der Nachfolger tat also gut daran, «stetz ein wachendes äuge» auf diese Preußen zu haben.

Der erste preußische Herzog aus der Kurlinie der Brandenburger war Joachim Friedrich (1598-1608). Ihm folgten Johann Sigismund (1608-1619), der 1613 zum Kalvinismus konvertierte, und Georg Wilhelm (1619-1640). Die Anerkennung der kurbrandenburgischen Nachfolge in Preußen durch den polnischen Lehnsherrn 1603 war nicht selbstverständlich gewe-sen. Der König von Polen hatte eine gewisse Öffnung gegenüber den Ka-tholiken zur Bedingung gemacht. Infolge dieser Abmachung entstand 1616 die erste katholische Kirche in Preußen seit der Reformation auf dem Kö-nigsberger Sackheim. Noch lebte Albrecht Friedrich, der inzwischen ent-mündigte Sohn Herzog Albrechts. Nach dem Tod dieses Nachkommen 1618 wurde der brandenburgische Kurfürst Georg Wilhelm dann erster erb-licher Herzog in Preußen. Zwei Jahre später nahm der polnische König seine Belehnung vor. Auf Georg Wilhelm folgten Friedrich Wilhelm (1640-1688) und Friedrich III., der sich 1701 als Friedrich I. zum König in Preußen krönen liess und die Verschmelzung Brandenburgs mit Preußen endgültig besiegelte.

Während des gesamten 17. Jahrhunderts zeigte Preußen sich wider-spenstig gegen den brandenburgischen Landesherrn. Als das kurfürstliche Brandenburg von den Schrecken des Dreissigjährigen Krieges heimge-sucht wurde, erkor Friedrich Wilhelm, der als Grosser Kurfürst in die Ge-schichte einging, Königsberg zu seiner Residenz. In Preußen waren seine Rechte jedoch vielfach beschränkt, da es den preußischen Ständen nach

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Nach langen Jahrzehnten zäher Auseinandersetzungen mit den wider-spenstigen preußischen Ständen setzten sich die absolutistischen Herrscher schliesslich durch. Es begann die innere Festigung Preu-ßens und der Aufstieg Brandenburgs zum Königreich, der mit der Krönung Friedrichs I. im Jahre 1701 in Königsberg besiegelt wurde.

Ein zeitgenössischer Kupferstich stellt die Erbhuldigung der preußi-schen Stände vor Kurfürst Friedrich Wilhelm, dem Grossen Kurfür-sten, 1663 auf dem Königsberger Schlosshof dar.

dem Tod Herzog Albrechts gelungen war, die Macht des Landesherrn ein-zudämmen. Diese Entwicklung wurde durch die polnische Lehnshoheit noch gefördert, weshalb der Kurfürst das rebellische Preußen fest im Griff hielt. Er ging dabei nicht zimperlich vor. Aussen- und innenpolitisch lief die Zeit ohnehin für ihn, denn die Neuordnung Europas nach 1648 ermög-lichte den Aufbau absolutistischer Strukturen.

In seinem Drang nach Souveränität riskierte Friedrich Wilhelm eini-ges. So schlug er sich im Zweiten Schwedisch-Polnischen Krieg auf die Seite Schwedens mit dem Ziel, die polnische Lehnsherrschaft abzuschüt-teln. Dafür nahm er vorübergehend die schwedische in Kauf, die er jedoch nach dem schwedisch-preußischen Sieg bei Warschau mit dem Vertrag von Labiau am 20. November 1656 sogleich wieder loswerden konnte. Unmit-telbar danach sah man ihn gegen Schweden auf der Seite Polens und Russ-lands. Mit den Verträgen, die am 19. September 1657m Wehlau und am 6.

November 1657 in Bromberg unterzeichnet wurden, erlangte er schliess-lich die Anerkennung der preußischen Souveränität. Noch aber konnte Preußen bei einer Erbfolgekrise an Polen zurückfallen, und noch behielt sich Polen das Recht auf Überprüfung der rechtsgültigen Thronfolge vor.

Diese formellen Einspruchsmöglichkeiten wurden erst mit der ersten Tei-lung Polens 1772 beseitigt.

Bis dahin galt der im Frieden von Oliva 1660 besiegelte polnischbran-denburgische Ausgleich. Die branpolnischbran-denburgischen Erwerbungen von 1657 – die hinterpommerschen Herrschaften Lauenburg und Bütow – wurden darin als polnische Lehen bestätigt. Das preußischpolnische Verhältnis war damit für die nächsten hundert Jahre geregelt und der schwedisch-polni-sche Thronstreit beigelegt. Die Ergebnisse von Oliva lassen erkennen, dass Friedrich Wilhelm noch keine klare deutsche Tradition in Preußen ver-folgte. Im Jahr 1661/62 bewarb er sich sogar um die Krone Polens und war bereit, dafür Brandenburg-Preußen aufzugeben.

Mit dem Frieden von Oliva festigte Friedrich Wilhelm seine Stellung nach aussen, aber noch war er nicht alleiniger Herr im eigenen Land. Die Stände behaupteten nämlich, die Lehnsabhängigkeit von Polen beruhe auf einer Entscheidung der preußischen Stände von 1454 und könne daher nicht ohne deren Zustimmung aufgehoben werden. Das waren Vorstellun-gen der alten Freiheit, deren Vorbilder in der nichtabsolutistischen polni-schen Adelsrepublik entstanden waren.

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Der Widerstand gegen Friedrich Wilhelm verdichtete sich in einer Person: Christian Ludwig von Kalckstein (1627-1672), ein persönlicher Gegner des Kurfürsten, der die Sache der preußischen Stände zu seiner ei-genen machte. Er und sein Vater Albrecht (1592-1667), Gutsherren auf Knauten und Patrone der Kirche Mühlhausen, waren Wortführer jener preußischen Adligen, die vom Grossen Kurfürsten Freiheiten forderten, wie der Adel im benachbarten Polen sie errungen hatte. Christoph Albrecht von Kalckstein dagegen unterstützte diese Forderungen nicht und zeigte seinen Bruder Christian Ludwig an, der daraufhin verhaftet und wegen Hochverrats zu 5’000 Talern Strafe verurteilt wurde. Der Verurteilte ent-zog sich der Urteilsvollstreckung, indem er nach Polen floh und dort den König dafür zu gewinnen suchte, in Preußen einzugreifen. Unter Bruch des Völkerrechts liess der Kurfürst den Flüchtigen in einem Teppich eingerollt aus Warschau in die Festung Memel entführen, wo der preußische Adlige zum Tode verurteilt und am 8. November 1672 enthauptet wurde.

Kaum besser erging es dem Königsberger Ratsherrn Hieronymus Roth, der ebenfalls die freiheitlichen Traditionen Preußens verteidigte und die Ansicht teilte, dass die Stände am Zustandekommen der Verträge von Wehlau und Oliva hätten beteiligt werden müssen. Als Wortführer der Op-position ging er 1662 nach Warschau und bewegte die Vertreter der drei Städte Königsberg dazu, sich an den polnischen König zu wenden. Auch Roth wurde gefangengenommen. Mit einem Prozess hielt sich der Kurfürst gar nicht erst auf. Er verlangte ein Schuldbekenntnis, das Roth aber ver-weigerte, weshalb er bis zu seinem Tod 1678 in Haft blieb.

Dass Kalckstein und Roth sich nach Polen wandten, war naheliegend, denn sie konnten erwarten, dort weiterhin ein Auskommen zu finden. Mi-litärische Laufbahnen preußischer Adliger sowohl in polnischen als auch in preußischen Diensten waren nicht ungewöhnlich. So führte Friedrich von der Groeben (1645-1712), Herr auf Gross Schwansfeld im Kreis Bar-tenstein, das Kommando über das ausländische Regiment unter Jan III. So-bieski, als dieser in der Schlacht am Kahlenberg 1683 Wien gegen die Tür-ken verteidigte. Sowohl Jan III. Sobieski als auch seinem Nachfolger Au-gust II. diente Groeben als loyaler und mit vielen polnischen Orden geehr-ter Feldherr.

Friedrich Wilhelm suchte die Stände, vor allem den Adel, für sein Staatswesen zu gewinnen. Das gerade geschaffene Heer bot ihm dabei vor-treffliche Möglichkeiten, denn es eröffnete dem nach Titeln heischenden

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Adel glanzvolle Karrieren. Es ist dem Grossen Kurfürsten im Laufe der Zeit tatsächlich gelungen, den Adel zu bezähmen. Dennoch hat er seinem Nachfolger empfohlen: «Caressiret die Preußen, aber habt stetz ein wa-chendes auge auff Sie.»1

Als absolutistischer Herrscher bemühte sich Friedrich Wilhelm frei-lich auch um Kolonialpolitik. Für dieses Abenteuer gewann der Kurfürst den Ostpreußen Otto Friedrich von der Groeben (1656 bis 1728), der be-reits als junger Mann in polnischen Diensten sein Geschick bewiesen hatte.

Mit einer Flotte brach er von Pillau aus auf und gründete 1683 im preußi-schen Auftrag die Kolonie «Gross-Friedrichsburg» an der afrikanipreußi-schen Goldküste im heutigen Guinea. Das koloniale Ausgreifen blieb jedoch Epi-sode, da es die Staatsfinanzen zu ruinieren drohte. Ein weiterer preußischer Landgewinn fiel 1691 durch Erbschaft an, nämlich die litauischen Herr-schaften Tauroggen und Serrey, die nahe der ostpreußischen Grenze lagen und zur kurbrandenburgischen Erbmasse der Prinzessin Luise Charlotte Radziwill gehörten, der Gemahlin des Markgrafen Ludwig von Branden-burg.

Kurfürst Johann Sigismund hat 1611 erreicht, dass der polnische Kö-nig die Erbfolge der brandenburgischen Kurlinie im Herzogtum Preußen anerkannte und der evangelische Charakter des Landes gewahrt blieb. Als der preußische Landesherr Weihnachten 1613 zum reformierten Bekennt-nis übertrat, verlangte er – entgegen der damals üblichen Praxis – nicht, dass seine Untertanen es ihm gleichtaten. Die preußischen Stände waren von der landesherrlichen Toleranz aber keinesweg angetan, sondern prote-stierten im Verbund mit der lutherisch-orthodoxen Geistlichkeit und der Königsberger Universität gegen die ihrer Ansicht nach drohende refor-mierte Dominanz. In der Tat hatte der Kurfürst als Summus episcopus Rechte über eine Kirche, der er selbst nicht mehr angehörte.

In dem konfessionellen Zwist mit der lutherischen Kirche Ostpreußens suchte der reformierte Landesherr die Bekenntnisunterschiede innerhalb des Protestantismus zu nivellieren, indem er eine Einheitskirche anstrebte.

Lutherische Stände und Pfarrerschaft traten diesen Bestrebungen jedoch entgegen, weil sie darin den Versuch witterten, Geistlichkeit und Land-stände zu entmachten und einen modernen frühabsolutistischen Staat durchzusetzen.

Die Königsberger Universität und die preußischen Stände liessen sich 1619 vom polnischen König den lutherischen Konfessionsstand garantie-ren. Die Kirche Preußens blieb dem lutherischen Bekenntnis treu. Die inne-

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re Festigkeit, die sie in den Jahren des Suchens und Haderns gewonnen hatte, floss nun in die Bewahrung der Lehre. Daher begann die Epoche der lutherischen Orthodoxie nicht in konservativer Erstarrung, sondern zeich-nete sich aus durch Sammlung und Besinnung auf das Wesentliche. Into-leranz gegenüber anderen Konfessionen blieb freilich nicht aus, und es ge-staltete sich äusserst mühsam für Angehörige nichtlutherischer Konfession – Katholiken, reformierte Schotten und Niederländer, anglikanische Eng-länder und natürlich Juden –, das Recht auf Religionsausübung durchzu-setzen.