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Die preußische Reformation und ihre europäische Bedeutung

Preußen war das erste protestantische Land der Welt. Sein frommer Lan-desherr Albrecht von Brandenburg-Ansbach, vormalig letzter Hochmeister des Deutschen Ordens in Preußen, hat mit der bewussten Bekehrung zur Lehre Martin Luthers sowohl Kultur- als auch Weltgeschichte geschrieben.

Von diesem im europäischen Vergleich kleinen Herzogtum am südöstli-chen Rand der Ostsee sollten im 16., 17. und 18. Jahrhundert geistige Im-pulse in alle Welt ausgehen. Unter der Regentschaft dieser aussergewöhn-lichen Persönlichkeit wurde Preußen im 16. Jahrhundert zu einem einzig-artigen Staat, der neue Normen setzte.

Die nationale polnische Historiographie des 19. Jahrhunderts hat die Lehnsabhängigkeit Preußens von der Krone Polens als nationalen Triumph gefeiert, woran noch heute ein Gedenkstein auf dem Krakauer Marktplatz erinnert, doch die Krakauer Huldigung Albrechts um 1525 war keinesfalls ein Akt der Demütigung, sondern ein brillanter Schachzug. Nicht nur der Herzog gewann dabei, der den nicht mehr zu rettenden Ordensstaat in ein weltliches Herzogtum umwandelte, sondern auch Zygmunt I. Stary, denn die Integration des Herzogtums Preußen in den Lehnsverband der polni-schen Krone war ein grosser Erfolg für den König.

Das Lehnsverhältnis sollte bis 1656 gelten. Beide Seiten haben wäh-rend dieser Zeit viel zur Entwicklung der religiösen Toleranz beigetragen.

Ludwig von Baczko hat dazu geschrieben: «Albrecht kehrte nun nach Preußen zurück, wurde mit Freuden empfangen; und da durch die allge-mein angenommene Reformation das ganze Land vorbereitet war, so fand sich auf dem Landtage gegen die Absichten des Herzogs, von Seiten der Stände, gar kein Widerspruch ... Die pohlnischen Abgeordneten, Achatius von Czemen und Georg von Baysen, überreichten dem Herzoge das ange-zeigte Diplom, und in Gegenwart dieser pohlnischen Abgeordneten leiste-

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ten die preußischen Stände zuerst dem Könige von Pohlen, und dann ihrem neuen Herzoge den Eid der Treue.»1

Von dem ersten protestantisch-katholischen Lehnsverhältnis profitier-ten beide Seiprofitier-ten nachhaltig. Enge verwandtschaftliche Bande zwischen den Hohenzollern und Zygmunt I. Stary hatten die preußisch-polnische Zusam-menarbeit befördert und sollten sie auch weiter festigen. Dazu trug die Hochzeit des brandenburgischen Kurfürsten Joachim III. mit Hedwig, der Tochter Zygmunts I. Stary, bei, denn nun trat auch die Kurlinie der Hohen-zollern in ein enges Verhältnis zum polnischen Herrscher.

Mit dem Bischof von Samland, Georg von Polentz, an der Spitze ha-ben sich die Stände Preußens zur Anerkennung des neuen Herrschers be-reitgefunden. Dazu hat der Pfarrer Caspar Heilneberger 1595 in seiner

«Preußischen Landtafel» geschrieben: «Es muss unser lieber Herrgott dies Preußenland sehr lieb gehabt haben, dass er nicht allein den ersten papisti-schen Bischof zum Evangelio bekehret, sondern auch des teuren Mannes Gottes Luthers Kinder darinnen zu ruhen verordnet hat.»2

In der Tat war Luther dem Land verbunden. Seine jüngste Tochter Margarete (1534-1570), für die Luther sein bekanntes Weihnachtslied

«Vom Himmel hoch, da komm’ ich her» gedichtet hat, heiratete den preu-ßischen Edelmann Georg von Kunheim d. J. (1532 bis 1611), der Amts-hauptmann in Bartenstein war. Im Jahr 1557 zog das jungvermählte Paar von Wittenberg auf den Kunheimschen Besitz Knauten. Ein Sohn Luthers studierte auf herzogliche Kosten an der Königsberger Albertus-Universi-tät, und ein Schwager bekleidete den Posten eines Burggrafen von Memel.

Nach Einführung der Reformation und der damit verbundenen Säku-larisation des Ordensstaates heiratete Herzog Albrecht 1526 die dänische Königstochter Dorothea. Über ein halbes Jahrhundert, nämlich 57 Jahre lang, hielt er die Geschicke Preußens in Händen, vierzehnJahre als Hoch-meister des Ordens und 43 Jahre als weltlicher Herzog. Dass ihm eine so lange Regierungszeit vergönnt war, hat sicher zum Gelingen der Transfor-mation beigetragen. Sein ungewöhnlicher Lebensweg war auf seinem Grab in der Fürstengruft des Königsberger Doms festgehalten:

Unbesiegbaren Muts, mächtig im Krieg und im Frieden, Markgraf Albrecht ruht hier im Grabe bedeckt.

War sein Vater ein Sohn von jenem Deutschen Achilles,

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Seine Mutter entstammt König Casimirs Haus.

Zum Ersatz für den schwindenden Ruhm der Marienritter Nimmt ihren Meister jetzt Preußen als Herzog an.

Seine erste Gemahlin war dänischer Könige Tochter, Und die andere nennt Welfen ihr Ahnengeschlecht.

Luthers Weisung gemäss hat er den Glauben gereinigt Und auch gar rühmenswert hohe Schulen gebaut.

Friedesam und gerecht, voll Weisheit, fromm und auch milde, War er, selber gelehrt, auch der Gelehrten Freund.

Unter dem Regiment erblühete Segen dem Lande, Und der Wohlstand wuchs, den die Bevölkerung hob.

Sechsundfünfzig Jahr hat er uns an der Spitze gestanden, Siebenundsiebenzig Jahr hat ihm das Schicksal beschert.

Darum, Preußen, gedenk an den Vater des Vaterlandes;

Ein heilsamer Regent; Gott sei gedankt dafür!3

Die Nachfolge Albrechts gestaltete sich schwierig. Der einzige überle-bende männliche Nachkomme, sein Sohn Albrecht Friedrich (1553 bis 1618), erwies sich als regierungsunfähig. Er leistete zwar 1569 auf dem polnischen Reichstag in Lublin den Lehnseid, doch zugleich erfolgte zur Absicherung der Herrschaftsfolge die Belehnung seines Vetters Georg Friedrich von Ansbach und des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg.

Unmittelbar nach Albrechts Tod 1568 haben Vertreter der preußischen Stände – des Adels und der Städte Königsberg – versucht, über eine Kura-torenherrschaft ihre Machtbasis auszubauen. Dem letzten aus der Linie der Ansbacher Hohenzollern, Markgraf Georg Friedrich, gelang es aber, die vormundschaftliche Regierung im Herzogtum zu übernehmen. Im Jahr 1578 erfolgte die offizielle Bestätigung seiner Belehnung mit dem preußi-schen Herzogstitel. Der polnische König Stephan Bathory hat bei der Herr-schaftssicherung des Hauses Hohenzollern direkt mitgewirkt und damit ei-nen weiteren Machtzuwachs der preußischen Stände verhindert. Aber auch Georg Friedrich hinterliess keine Nachkommen, als er Preußen 1586 ver-liess, um sich seinen Ansbacher Stammlanden zu widmen. Wieder stand die Erbfolgefrage im Raum. Immerhin gelang es dem abwesenden Herr-scher, Preußen bis zu seinem Tod 1603 in halbwegs stabiler Ordnung zu halten. Nach Georg Friedrichs Tod fiel das Herzogtum in die Vormund-schaft der kurfürstlichen Brandenburger.

Die administrative Anpassung an die neuen Gegebenheiten war unter

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Albrechts Führung schnell vollzogen. Bereits gegen Ende der Ordensherr-schaft glich man die Verfassungsstrukturen denen eines Fürstenstaates an.

Lokale Grundherren übten fortan auch wirkliche lokale Macht aus. Aus Komtureien, Vogteien und Pflegen wurden Hauptämter, aus den bisherigen Amtsinhabern herzogliche Amtsleute. Die Kammerämter blieben in ihrer Funktion und ihrem Namen nach vollständig unverändert. Im kirchlichen Bereich hielt man im Herzogtum an der bischöflichen Verfassung fest.

Auch die Einteilung der beiden Diözesen Samland und Pomesanien wurde nach 1525 zunächst nicht angetastet, deren Grenzen in Übereinkunft mit den Bischöfen von Ermland und Kulm so festgelegt worden waren, dass sie kein der Krone Polens unterstelltes Gebiet mehr umfassten. Die Bi-schöfe Erhard von Queis und Georg von Polentz behielten ihre Ämter und heirateten schliesslich beide. Im Jahr 1587 schuf Herzog Georg Friedrich Konsistorien in Königsberg und Saalfeld, die an die Stelle der Bistümer traten.

Den beispiellosen Transformationsprozess unterstützten auswärtige Helfer, die Albrecht ins Land rief. Auf Anraten Luthers wandte er sich be-reits 1523 an Johannes Briesmann und Johannes Amandus, 1524 kamen Paul Speratus und Johannes Poliander. Bis auf wenige Ausnahmen verlief die Reformation in den von der Obrigkeit vorgegebenen Bahnen. Bilder-stürmende Massen, Klosterplünderungen und Tumulte gegen den alten Klerus gab es kaum.4 Als sich Albrecht im Reich aufhielt, kam es allerdings zu einem Bauernaufstand im Samland und in Teilen Natangens. Im östli-chen Samland brach er am 3. September 1525 aus. Bauern hoben den ver-hassten Amtmann Andreas Rippe auf Schloss Caymen aus und führten ihn mit sich auf ihrem Plünderungszug durch das Land. Im östlichen Natangen schlugen sie wenige Tage später los, als im Samland schon alles vorüber war. Anführer waren hier die Pfarrer Frenzel aus Klein Schönau und Mar-kus aus Allenau sowie der Müller Pflegel aus Pöhlen. Pflegel richtete am 8. September 1525 einen Aufruf an die natangischen Bauern:

«Gnade und Frieden in Gott unserm Herrn!

Nachdem Ihr Wissen traget, dass wir eine grosse Beschwerung haben gehabt von den gottlosen Edelleuten, die uns gnugsam haben behandelt wi-der Gott und alle Gerechtigkeit an Leib und Gut mit Stocken und Pflocken, darum ist unser Fürnehmen, dass wir ein göttliches Regiment aufrichten, welches sich freuen soll Kinds Kind. Deshalben ist an Euch unsere Ver-mahnung, Ihr wollet einer dem andern beistehen, dass wirs Preußenland unserm gnädigsten Herrn wieder überantworten und alle Unkraut ausrot-

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ten! Eilends von Dorf zu Dorf ohn all Versäumung bei Verlust Leibs und Guts!»5

Nach der Rückkehr des Herzogs setzte am 30. Oktober 1525 das Straf-gericht gegen die Bauern ein, die den Schaden ersetzen mussten. Ihre An-führer wurden hingerichtet, darunter auch Pfarrer Frenzel. In der Folge ver-schlechterte sich die Lage der Bauern.

Mit Paul Speratus, geboren 1482 zu Rötlen bei Ellwangen, kam einer der wichtigsten Reformatoren Preußens 1524 nach Königsberg. Schon 1529 wurde er lutherischer Bischof von Pomesanien. Eines seiner bis heute gesungenen Lieder preist den Sieg der lutherischen Gnadenlehre über die katholische Werkgerechtigkeit:

Es ist das Heil uns kommen her, von Gnad und lauter Güte;

Die Werk die helfen nimmermehr, sie mögen nicht behüten.

Der Glaub sieht Jesus Christus an, der hat g’nug für uns all’ getan, er ist der Mittler worden.6

Noch stand das Land im Zeichen reformatorischen Eifers, doch das Credo des neuen Glaubens hielt bereits Einzug in die Kirchenmusik, und zwar erstmals in der Muttersprache. 1527 entstanden die ersten ostpreußischen Liedsammlungen «Etlich gesang, dadurch Got ynn der gebenedeiten muter Christi und opfferung der weysen Heyden / etc.» sowie «Etliche newe ver-deutschte unnd gemachte ynn göttlicher schrifft gegründete Christliche Hymnus un geseng etc.».

Nach der Verabschiedung der preußischen Kirchenordnung «Repetitio corporis doctrinae Prutenicae» erfolgte die theologische Ausrichtung Preu-ßens auf eine streng lutherische Lehre. Bereits 1525 plante Albrecht unter Mithilfe Luthers die Ausarbeitung einer neuen Kirchenordnung. Die per-sönliche Teilnahme des Wittenberger Reformators wurde aber durch den Ausbruch des Bauernkriegs verhindert. Luther hat das Land am Pregel nie in Augenschein nehmen können.

Mit der Gründung der lutherischen Universität Königsberg 1544 fand der neue Glaube seinen endgültigen institutioneilen Ausdruck. Auf Initia-tive Albrechts entstand die Albertus-Universität als nach aussen sichtbare Manifestation seiner landesherrlichen und kirchenpolitischen Ansprüche.7 Königsberg war nach Marburg die zweite Universitätsgründung eines evangelischen Landesfürsten. Ihr theologischer Einfluss reichte über die Landesgrenzen weit in das ostmitteleuropäische Umfeld Polens und des Baltikums hinein. Der Standort auf der Kneiphofinsel in der Nähe des ehr-

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würdigen Doms und des Schlosses unterstrich die Nähe zur geistlichen und weltlichen Führung. Die Privilegien waren von den Universitäten Frank-furt/Oder und Wittenberg abgeleitet. Als Ratgeber und Förderer des Uni-versitätsgedankens tat sich aus dem Wittenberger Kreis vor allem Philipp Melanchthon hervor, der Herzog Albrecht seinen Schwiegersohn Georg Sabinus (1508-1560) empfahl. Sabinus war einer der bedeutendsten Ver-treter der neulateinischen Lyrik. Er wurde Königsbergs erster Universitäts-rektor.

Neben Sabinus hatte Andreas Osiander (1498-1552) Einfluss auf die Reformation in Preußen. Albrecht hörte dessen Predigten bereits in Nürn-berg und berief Osiander 1549 in die Pfarrstelle der Altstädtischen Kirche zu Königsberg. Der Prediger sollte später im Zentrum eines heftigen, weit über die Grenzen Preußens hinausreichenden theologischen Disputs ste-hen. Es ging dabei um die Lehre von der Rechtfertigung. Auf die auch Lu-ther bewegende Frage: Wie kann der sündige Mensch Gottes Gnade erlan-gen? fand Osiander die Antwort, dass die Gerechtigkeit des Menschen mit der sündentilgenden Einwohnung Christi im Wort und im Glauben gege-ben sei. Durch den Glaugege-ben an das Evangelium wohne Christus im Men-schen und damit auch die Gerechtigkeit Christi. Die Gerechtigkeit veran-lasse den Menschen, das Rechte zu tun. Sie sei das Heil des Menschen und gebe ihm die Gewissheit der Versöhnung mit Gott. Die Gegner Osianders übten vor allem an der Geringschätzung der Sündenvergebung und des Op-fertodes Christi Kritik. Das Wissen des Menschen um Schuld und Erlösung aufgrund göttlicher Gnade komme nicht zur Geltung. Osianders Rechtfer-tigungslehre führte zu heftigen Kontroversen und persönlichen Verfemun-gen. Der Streit schlug international Wellen und beschäftigte viele Gutach-ter. Einer der Parteigänger Osianders, Johannes Funck (1518-1566), Hof-prediger und Berater des Herzogs, war nach dem Tod Osianders massiven Anfeindungen ausgesetzt und wurde nach einem fragwürdigen Prozess 1566 in Königsberg enthauptet.

Das Schicksal Funcks ist beklagenswert, aber nicht bezeichnend für die Verhältnisse im Herzogtum, vielmehr begann damals eine lange, fried-volle Epoche, in der unter anderem die Tradition der protestantischen Ge-schichtsschreibung begründet wurde. Deren Hauptvertreter im 18. Jahr-hundert, Georg Christoph Pisanski, fasste die Ereignisse der Reformation folgendermassen zusammen: «Der starke Einfluss, den die Glaubensreini-gung und die weitere Aufklärung der Wissenschaften hatten, äusserte bald

überall seine heilsame Wirkung. Viele bisherige Irrthümer wurden ent-deckt und glücklich bestritten: das Joch des Aberglaubens ward abgewor-fen und der Abhängigkeit von den Aussprüchen des römischen Stuhles ein Ende gemacht. Dieses Glücks hatte Preußen vorzüglich sich zu erfreuen.

Nächst Sachsen war es das erste Land in Europa, welches die durch Luther wieder hergestellte Lauterkeit der religion freywillig und begierig annahm;

und Königsberg war die erste grosse Stadt in der Welt, die der evangeli-schen Lehre den Eingang bey sich öffnete.»8

Albrechts Preußen wurde zu einer Schutzmacht verfolgter Protestan-ten aus ganz Europa. Die seit der Ordenszeit bestehenden engen Beziehun-gen zwischen Preußen und England beispielsweise erhielten seit der Hin-wendung Heinrichs VIII. zum Protestantismus 1534 neue Impulse. Alb-recht suchte Heinrichs Unterstützung gegen die Reichsacht, die das Reichs-kammergericht ein Jahr zuvor über ihn verhängt hatte. Seinerseits unter-stützte er den Protestantismus in England, etwa den Seelsorger Johannes Laski, gewährte dem unter Maria der Katholischen vertriebenen Bischof von Bath und Wells, William Barlow, Exil und setzte sich bei Elisabeth I.

für dessen Rückkehr nach England ein. Sogar die Königin selbst versuchte er von der Augsburger Konfession zu überzeugen.9

Cuius regio eius religio – für kaum ein Land war dieser Satz aus den Erläuterungen zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 zutreffender als für Preußen. Von einem Tag auf den anderen verfügte der Landesherr Alb-recht über die Änderung des religiösen Bekenntnisses und überführte sein Land aus einer überkommenen Rechtsordnung in eine neue. Das war bis dahin einmalig in Europa. Dass der Kaiser nicht nur über den bisherigen Hochmeister, sondern auch über die Untertanen die Reichsacht verhängte, verdeutlicht, welch einen Einschnitt der Schritt des Herzogs im Bewusst-sein der Menschen darstellte.