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Die Krönung Friedrichs I. zu Königsberg 1701

«Wie ein Jüngling, dem das Schicksal seine Geliebte entzieht und der, um sie vergessen zu wollen, vergeblich von der Zerstreuung zur andern hineilt;

so machte es Friedrich, der, so lange Hindernisse seiner Sehnsucht nach dem Königs titel im Wege standen, seine Unruhe durch Pracht und Feste zu betäuben suchte. Endlich hatte er nun seinen Zweck erreicht. In der rau-hesten Jahrszeit eilte er nach Königsberg.»1

Ludwig von Baczko, der kritische Chronist Preußens, verwies zu Recht auf den Wettlauf mit der Zeit, dem Friedrichs I. Streben nach dem Thron unterlag: Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts suchte jeder deutsche Fürst es dem französischen Sonnenkönig gleichzutun, und so entstanden in Hannover, Dresden und Berlin als Ausdruck absolutistischen Machtstre-bens kleine Versailles. Nichts schien zu teuer, was den Fürstenhöfen eine royale Note verlieh, aber Voraussetzung war natürlich die Königskrone.

Solange die Kaiserwürde im Alten Reich völkerrechtlich bestand, schreck-ten die Souveräne aus diplomatischer Rücksichtnahme vor eigenmächtigen Standeserhöhungen auf reichszugehörigem Gebiet zurück. Hannover konnte sich aber in England, Sachsen in Polen den Traum von der Königs-würde erfüllen, und für Brandenburg bot sich das ausserhalb der Reichs-grenzen gelegene Altpreußen an. Peinlich darum bemüht, die Grenzen des deutschen Reiches nicht zu verletzen, bezog der Brandenburger sein Kö-nigtum 1701 nur auf das spätere Ostpreußen.

Königsberg wurde Krönungsstadt und damit in seiner Bedeutung Ber-lin (mit Cölln) ebenbürtig. Beide Städte zählten damals etwa zwanzigtau-send Einwohner. In der Stadt in Ostpreußen wurden 1701 und 1861 zwei preußische Herrscher gekrönt. Da formalrechtlich eine Erhöhung des Reichsfürstentums Brandenburg erst nach dem Untergang des Alten Rei-ches möglich war, konnte der «König in Preußen» erst nach 1806 zum

«König von Preußen» werden.

Obwohl der Deutsche Orden schon 1525 des Landes verlustig gegan-gen war, sah er sich noch immer als legitimer Herrscher Preußens. Der

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Hochmeister Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg protestierte daher gegen die Anerkennung des Königstitels durch Kaiser Leopold I., und auch Papst Clemens XL sandte für die römische Kurie ein Protestschreiben gegen die Titelusurpation an die katholischen Mächte im Reich – der päpstliche Staatskalender sprach noch bis 1787 demonstrativ vom «Markgrafen von Brandenburg», wenn der preußische König gemeint war.2 Nach aussen ge-rieten die Hohenzollern mit der Königskrönung also unter erheblichen Le-gitimationsdruck, den sie abzuwehren suchten, indem sie zur Rechtferti-gung der Standeserhöhung auf Waidewuth zurückgriffen, den sagenhaften König der Prussen, der im 6. Jahrhundert über ganz Preußen, das östliche und das westliche, regiert haben soll.3 Der Waidewuth-Mythos war zu-gleich geeignet die Tatsache zu überdecken, dass in der Frühen Neuzeit die Ausbildung einer preußischen Nation unterblieben war.4

König Friedrich I. in Preußen nahm im Zusammenhang mit der Krö-nung in seiner Geburtsstadt Königsberg eine weitere wichtige Zeremonie vor: Am 22. Januar 1701, dem ersten Sonntag nach der Krönung, weihte er die Königsberger Reformierte Parochialkirche (seit 1818 Burgkirche) ein.

Dieser Kirchenbau war schon vom Grossen Kurfürsten beschlossen wor-den, der in Verhandlungen mit den preußischen Ständen 1662 die Zustim-mung der zumeist strengen Lutheraner zum Bau einer reformierten Kirche in Königsberg erhalten hatte. Sie durfte allerdings nicht in der Stadt, son-dern nur innerhalb der Burgfreiheit erbaut werden, also auf fürstlichem, jetzt königlichem Gebiet.

Der Aufstieg Brandenburg-Preußens zur Grossmacht vollzog sich in drei langen absolutistischen Regentschaften, die konsequent aufeinander aufbauten. Seit 1640 schufen der Grosse Kurfürst und Friedrich III. (I.) die Grundlagen für den Anspruch auf die Königswürde. Nach der Erhebung zum Königreich sicherte Friedrich Wilhelm I. (1713-1740) durch die in-nere Festigung des Landes den weiteren Aufstieg. Die spätere Geschichts-schreibung hat vorwiegend seine groteske Äusserlichkeit gewertet, dabei war er einer der begabtesten und erfolgreichsten Vertreter eines dynami-schen und versachlichten Absolutismus. Er mied den Krieg und kümmerte sich mit Erfolg um den Aufbau eines effizienten, auf das Zentrum ausge-richteten Verwaltungssystems. Erst sein Sohn Friedrich II. (1740-1786) be-endete die friedliche Zeit, indem er die Schwäche Österreichs ausnutzte und in Schlesien einfiel.

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Die Huldigungsschrift des Berliner Schutzjuden Simon Wolff Brandes zeigt vor der Silhouette Königsbergs die Krönung des schwarzen Preußenadlers durch Gottes Hand. Ohne Ostpreußen hätten die Hohenzollern nicht Könige werden können, den-noch haben nicht alle enge Bindungen zur Wiege des Königtums unterhalten, insbe-sondere Friedrich II., der Grosse, hatte stets ein gespaltenes Verhältnis zu Königs-berg. Schon als Kronprinz hat er 1739 geäussert: «Da wäre ich denn in der Haupt-stadt eines Landes, wo man im Sommer gebraten wird und wo im Winter die Welt vor Kälte springen möchte. Es kann besser Bären aufziehen als zu einem Schauplatz der Wissenschaften dienen ... Müssiggang und Langeweile sind, wenn ich nicht irre, die Schutzgötter von Königsberg; denn die Leute, die man hier sieht, und die Luft, die man hier atmet, scheinen einem nichts anderes einzuflössen.»

Für Ostpreußen brachte die unglückliche Verstrickung in den Sieben-jährigen Krieg (1756-1763) eine Katastrophe. Das auf Seiten Englands kämpfende Preußen stand auf dem Kontinent ganz allein gegen die feind-lichen Mächte Frankreich, Österreich, Sachsen-Polen und vor allem Russ-land, das den Krieg nach Ostpreußen hineintrug. Wieder einmal wurde die Bevölkerung ein Opfer der Politik ihres eigenen Königs. Die Schlacht bei Gross Jägersdorf am 30. August 1757 verlief unter Hans von Lehwaldt zu-nächst günstig für Preußen, doch nach der Abberufung des alten Feldmar-schalls auf ein Kommando in Pommern geriet Ostpreußen 1758 unter rus-sische Hoheit und blieb es bis Mitte September 1762. Am 22. Januar 1758 übergab Königsberg nach kurzem Widerstand dem russischen General von Fermor die Stadtschlüssel. Die Stadtväter hatten gar keine andere Wahl, denn preußische Truppen waren nicht ausreichend vorhanden und die Bür-gerwehr gar nicht erst angetreten. Der preußische Aar wurde gegen den russischen Doppeladler ausgetauscht, der Stadt hat man aber alle Rechte und Freiheiten bestätigt. Mit Glockengeläut empfing sie die einrückenden Russen und huldigte zwei Tage später, am Geburtstag Friedrichs II., der Zarin Elisabeth von allen Kanzeln. Immanuel Kant tat das sogar schriftlich:

«An die Kaiserin Elisabeth von Russland, Allerdurchlauchtigste Gross-mächtigste Kayserin, Selbstherrscherin aller Reussen, Allergnädigste Kayserin und grosse Frau ... Ich ersterbe in tiefster devotion Ew. Keyserl.

Majestät allerunterthänigster Knecht Immanuel Kant.»5

Es wird kolportiert, dass Friedrich II. die ostpreußische Kooperation mit den Russen nicht goutierte und die Provinz mit Ignoranz zu strafen suchte. Äusserlich änderte sich mit der Besetzung für seine Untertanen kaum etwas, da selbst die preußische Verwaltung ihre Befugnisse behielt.

Grösseres Blutvergiessen wurde vermieden, allerdings kam es, etwa in Ragnit, zu schweren Plünderungen und Misshandlungen. Das russische Besatzungsregime verhielt sich korrekt, aber die zu entrichtenden Kontri-butionszahlungen waren hoch und belasteten die Zivilbevölkerung schwer.

In seiner Autobiographie erinnert sich der Königsberger Komponist Johann Friedrich Reichardt (1752-1814) an die russische Besatzung seiner Heimatstadt: «Die Russen brachten den Stadtbewohnern, die nichts von ihrer feindlichen Behandlung erfuhren, manchen reellen Gewinn, verbrei-teten aber auch unter denen, die viel mit ihnen lebten, die Lust am wüsten Leben und unmässigen Trinken, zu welchen der beständige Handelsver-kehr mit den Polen dort schon häufigen Anlass giebt. Auch diese liebten

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liebten sehr die Musik und haben ein ganz ausgezeichnetes Talent dazu.»6 Den Bürgern und Beamten wurde lediglich ein Loyalitätseid abverlangt.

Der Königsberger Bürger Johann Gottfried Valentin hat den Eid überlie-fert, den er am 30. Januar 1758 in der Altstädtischen Kirche ablegen muss-te:

«Ich Endes unterschriebener, gelobe bey dem Allmächtigen Gott und seinem heiligen Evangelio der Allerdurchlauchtigsten, Gross Mächtigsten Kayserin und Souverainen Beherrscherin, aller Reissen, ELIZABETH PE-TROWNA etc: etc: etc: und ihro Majestäte hohen Thron Folger, Ihro Käy-serlichen Hoheit, dem Gross Fürsten Peter Feodorowitz, Treu und gehor-sam zu seyn und alles was Ihro Käyserl. Majestäte hohes Interesse betrifft mit äusserstem Vermögen Zu befördern, mich Verpflichte von der Ver-vortheilung aber und einiger Untreue gegen dieseleb, so bald es mir be-kannt nicht allein Zeitig an Zugeben, sondern auf alle weise Trachten, sol-ches abzuwenden; und mich in allem strengen Gericht verantworten kann;

So wahr mir Gott an Leib und Seele helffe.

Dieser Schwur ist aus der Cantzeley abgeschrieben worden.

D 13 L/24. January 1758.»7

Aus russischer Sicht hat der Leutnant Andrej T. Bolotow (1738 bis 1833) vom Einmarsch in Königsberg berichtet und erkennen lassen, dass 1758 keinerlei nationaler Hass die Kriegsparteien bestimmte: «Es war schon Ende April, als wir vor der preußischen Hauptstadt ankamen. Die Kommandeure befahlen uns, zu halten und uns sauber und fein zu machen, um in Parade einzuziehen. Alle putzten ihre Waffen, dass sie feurig blitz-ten, alle taten ihre feinste Wäsche und schönste Uniform an.»8

Vier Jahre später ist ihm der Abschied von Königsberg sehr schwer-gefallen: «Ich kann die Gefühle nicht schildern, mit denen ich die Stadt verliess und mich von allen Gassen verabschiedete ... Vorausahnend, dass ich sie nie wieder erblicken würde, wünschte ich, mich noch einmal an ihr sattzusehn: ... Lebwohl geliebte und teure Stadt, lebwohl für immer ...

Möge der Himmel Dich vor allem Übel bewahren, möge er seine Güter freigiebig über Dir ausschütten! Du warst mir nützlich in meinem Leben, du hast mich mit den wertvollsten Schätzen beschenkt, in Deinen Mauern wurde ich zum Menschen und erkannte mich selbst... Wieviel an Freude überreiche Tage waren mir in dir vergönnt. Niemals werde ich Dich und die in Deinen Mauern verlebte Zeit vergessen! Bis ans Ende meiner Tage will ich Deiner gedenken.» 9

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Friedrich II. hat 1763 seine preußischen Stammlande zurückgewon-nen und sich der weiteren Konsolidierung seiner Herrschaft verschrieben, vor allem auf Kosten Polens. 1772 erfolgte unter seiner Federführung mit der ersten Teilung Polens die Annexion Ermlands und des königlichen Preußen, allerdings ohne Danzig und Thorn, die noch bei Polen verblieben.

Der einem aufgeklärten Menschenbild verpflichtete Monarch unternahm es – wenn auch in der praktischen Auswirkung noch kaum spürbar –, die ständische Gesellschaft Preußens aus ihrer Starre zu befreien. Bereits 1772 wies er den ostpreußischen Oberpräsidenten Johann Friedrich von Dom-hardt an, alle «Sklaverei und Leibeigenschaft» abzuschaffen.10 Das war vorerst nichts weiter als eine Willensbekundung, denn wenn überhaupt konnte diese Bestimmung nur für die königlichen Domänenbauern gelten, während die adligen Bauern weiterhin von ihren Grundherren nach Gut-dünken ausgebeutet werden konnten.

Formell war bereits unter Friedrich Wilhelm I. die Abschaffung der Leibeigenschaft in Altpreußen erfolgt, als man den Bauern ein erbliches Besitzrecht auf ihren Höfen einräumte. Aber es war noch ein weiter Weg bis hin zu modernen besitzrechtlichen Vorstellungen. Obwohl die Leibei-genschaft nicht mehr bestand, mussten selbst die Bauern auf den staatli-chen Domänen weiterhin schwere körperliche Arbeit in Form von Hand- und Spanndiensten verrichten. Bis zu den durchgreifenden Reformen An-fang des 19. Jahrhunderts änderte sich praktisch nichts, von einer Bauern-befreiung konnte keine Rede sein. Erst in der napoleonischen Zeit erliess Oberpräsident Theodor von Schön unter dem Druck der politischen Ereig-nisse im Oktober 1807 das «Edikt den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grund-Eigenthums sowie die persönlichen Verhältnisse der Land-Bewohner betreffend».

Bei der Neuordnung der Agrar- und Rechtsverhältnisse nahm Ost-preußen eine Vorreiterrolle ein. Am 11. November 1810 erfolgte die Auf-hebung der Gutsuntertänigkeit. Dadurch entfielen Gesindezwangsdienste, die Bindung an den Boden sowie die gutsherrliche Genehmigung bei Hei-raten der Untertanen. Zugleich hob das Edikt alle Unterschiede zwischen adligem, bürgerlichem und bäuerlichem Besitz auf. Der Freiheit des Gü-terverkehrs stand nichts mehr im Wege. Allerdings gewährte man den Gutsbauern die neue Freiheit nur, wenn sie dem Gutsherrn einen finanziel-len Ausgleich zahlten. Auch für die adligen Grundbesitzer entfiefinanziel-len mit dem Edikt Schranken, denn sie konnten von nun an bürgerliche Berufe er-greifen.11

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Was in der Spätzeit Friedrichs II. begonnen hatte, fand in den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts seinen vorläufigen Abschluss: Das Reform-werk stellte die preußische Gesellschaft binnen wenigen Jahren auf die Grundlagen einer modernen Zivilgesellschaft. Jetzt setzten sich auch die von Friedrich II. am 31. Januar 1773 nach der ersten Teilung Polens per Kabinettsordre verfügten Begriffe Westpreußen und Ostpreußen für die neuen Verwaltungseinheiten durch.

Seit der Annexion grosser Teile des königlichen Preußen und Erm-lands 1772 nannte sich Friedrich II. König von Preußen, da er sich fortan als Herrscher aller Teile Preußens verstand. Dass dieser Titel auf einem Unrecht basierte, störte den absolutistischen Herrscher nicht im geringsten.

Mit den Teilungen Polens haben Preußen, Russland und Österreich alle seit dem Westfälischen Frieden von 1648 normierten europäischen Rechtsord-nungen verletzt und sich auf Kosten Polens bereichert. Wenige Jahre später sollten ausgerechnet diese Staaten gegen die napoleonischen Eroberungen das Prinzip der Legitimität geltend machen und sich als dessen Verfechter preisen.

Preußens administrative Gliederung, wie sie nach 1525 entstanden war, blieb bis zum 18. Jahrhundert weitgehend erhalten. Ostpreußen war in drei grosse Verwaltungskreise unterteilt: den Samländischen, den Natan-gischen und den Oberländischen. In diesen Kreisen unterschied man zwi-schen den «deutzwi-schen», «polnizwi-schen» und «litauizwi-schen» Ämtern. Der Be-griff «polnische Ämter» setzte sich seit dem 17. Jahrhundert als übergeord-nete Bezeichnung für Masuren durch. Natangens «polnische Ämter» waren Angerburg, Lötzen, Rhein, Seehesten, Oletzko, Neuhof, Lyck und Johan-nisburg, im Kreis Oberland waren es die Ämter Osterode, Hohenstein, Gil-genburg, Soldau, Neidenburg und Ortelsburg. Im Gegensatz zu den polni-schen Ämtern Masurens bezeichnete man die Ämter Insterburg, Ragnit, Tilsit und Memel als «litauische Ämter», später auch einfach als «Litauen»

oder «Preußisch Litauen». Um 1732 fand der Begriff in der preußischen Kartographie seinen Niederschlag als Klein-Litau, Klein-Litauen, Preu-ßisch Litthauen, Lithuania.12 Um eine flächendeckende, effiziente Verwal-tung zu gewährleisten, erfolgte seit 1752 eine Neuordnung. Damals wurden die noch aus der Ordenszeit stammenden Hauptämter durch zehn ostpreu-ßische Kreise ersetzt.

Im Vergleich zu seinen starken Vorgängern hinterliess Friedrich Wil-helm II. (1786-1797) als schwache politische Figur kaum Spuren in der Geschichte Ostpreußens. Ihm gebührt nur das zweifelhafte Verdienst, mit der Annexion benachbarter polnischer Gebiete im Zuge der zweiten und

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dritten Teilung Polens 1793 und 1795 Preußen auf expansive Art erweitert zu haben. Neben Danzig und Thorn kamen nun Grosspolen sowie die alten masowischen Territorien südlich der ostpreußischen Grenze als Provinz Neu-Ostpreußen zu Preußen.