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6.3.1 Vorgehen bei der Durchführung der qualitativen Interviews

Für die qualitativen Interviews schrieb ich jene Personen, die an der dritten SIPSY-Befragung teilge-nommen hatten und noch kontaktierbar waren (n=54), im Herbst 2006 an und bat sie um die Teilnah-me an einem einstündigen qualitativen Interview. Der schriftlichen Anfrage waren Informationen zum Thema und Ablauf des Interviews (vgl. Anhang IV) sowie ein Anmeldeschein und ein frankierter und adressierter Briefumschlag für die Rücksendung beigelegt. Sechzehn Personen erklärten sich zu einem Interview bereit. Es wurden telefonisch oder per Email ein Termin und Ort für das Interview festge-legt, wobei die Interviewpartnerinnen und -partner selber festlegen konnten, ob das Interview bei ih-nen zuhause oder in einem Büro der Forschungsgruppe stattfinden sollte. Die Interviews fanden zwi-schen November 2006 und Ende Januar 2007 statt. Sieben Interviews führte ich bei den Befragten zuhause durch, acht in einem Büro der Forschungsgruppe und eines am Arbeitsort der betreffenden Person.

Zu Beginn des Interviews nahm ich Bezug zur SIPSY-Studie, an der alle Befragten teilgenommen hatten und erklärte den Ablauf des Interviews. In einem weiteren Schritt besprach ich die einzelnen Punkte der Einverständniserklärung (Anhang V), wobei ich insbesondere auf die Aufnahme der Ge-spräche, die Transkription und die Fragen zum Datenschutz einging. Das Interview wurde nach dem in 6.4 beschriebenen Leitfaden geführt und mit einem digitalen Aufnahmegerät aufgezeichnet. Eine be-fragte Person lehnte eine Aufnahme ab, dieses Interview wurde schriftlich protokolliert. Das kürzeste Interview war knapp sieben Minuten lang, zwölf Interviews dauerten zwischen zwanzig und fünfzig Minuten, die restlichen drei zwischen 60 und 73 Minuten. Die interviewten Personen werden in 8.1 beschrieben.

6.3.2 Entwicklung des Interviewleitfadens und Transkription

Der Interviewleitfaden (vgl. Anhang VI) wurde auf der Grundlage der in 5.2.2 formulierten Fragestel-lungen entwickelt. Zu jeder in einer alltagsnahen Sprache formulierten Hauptfrage entwickelte ich zudem Alternativ- und Hilfsfragen für den Fall, dass eine Person eine Frage nicht verstehen sollte, oder mit der offenen Formulierung nichts anzufangen wüsste. Der Leitfaden wurde von einem Exper-ten für qualitative Sozialforschung49 gegengelesen und aufgrund dessen Anmerkungen überarbeitet.

Die Strukturierung des Interviews folgte den Empfehlungen von Lamnek (2005b) für die Moderation von Gruppendiskussionen. Zu Beginn stellte ich eine für die meisten Menschen leicht zu beantworten-de Frage („Eisbrecher“) nach beantworten-dem Alltag und beantworten-der Lebenssituation. Damit sollte einerseits ein Bezug zum täglichen Leben der Interviewpartnerinnen und -partner hergestellt werden, andererseits dienten die ersten paar Minuten sowohl den interviewten Personen wie auch mir selber dazu, sich auf die In-terviewsituation einzustellen. Danach folgte eine offene Frage dazu, was für die Betroffenen in ihrem Alltag für ihr Wohlbefinden wichtig ist. Die Hauptfragen betrafen Lebensbereiche, mit denen die

49 Dr. Jan Kruse, Universtität Freiburg i.B. (Deutschland).

fragten zufrieden oder unzufrieden waren, Veränderungswünsche und wahrgenommene Veränderun-gen der subjektiven Lebensqualität in den letzten Jahren sowie FraVeränderun-gen nach dem Stellenwert der Er-krankung sowie allfälligen Medikamenten und deren Nebenwirkungen für das eigene Wohlbefinden.

Zum Abschluss folgte eine Frage auf einem höheren Abstraktionsniveau: die Interviewpartnerinnen und -partner wurden nach ihrer eigenen Definition von Lebensqualität gefragt. Schliesslich konnten noch weitere Aspekte angesprochen, Fragen gestellt und Anmerkungen gemacht werden, wobei hier der Übergang in ein wieder stärker dialogisch geführtes Gespräch einen natürlichen Abschluss des Interviews bildete. Die Festlegung des Interviewablaufs diente vorwiegend als Strukturierungshilfe.

Bei der Transkription übertrug ich die in Schweizerdeutsch geführten Interviews in die Standardspra-che. Die Transkription erfolgte wörtlich, wobei ich gemäss den Empfehlungen von Mayring (2002) Satzbaufehler und Wiederholungen bereinigte. Da bei der Auswertung (vgl. 6.3.3) die thematischen Inhalte der Fragestellung im Vordergrund stehen sollten, übersprang ich bei der Transkription Inter-viewpassagen, in denen über mehrere Minuten über andere Themen gesprochen wurde (z.B. Ur-laubsorte, Hunderassen, Bücher u.Ä.). Bezüglich der Anonymisierung der persönlichen Angaben folg-te ich den in der Einverständniserklärung aufgeführfolg-ten Punkfolg-ten zum Dafolg-tenschutz (vgl. Anhang V).

6.3.3 Auswertung des Interviews: Qualitative Inhaltsanalyse

Bei den Interviewprotokollen handelt es sich um Texte, die in einem kommunikativen Zusammenhang entstanden sind (Lamnek, 2005a). Bei der interpretativen Auswertung dieser Texte kann vom „trivia-len Sachverhalt“ (ebd., S. 478) ausgegangen werden, dass sich in dem, was Menschen sprechen oder schreiben, ihr Befinden, ihre Absichten, Einstellungen und Situationsdeutungen widerspiegeln und dass sich in der „narrativ-retrospektiven Erfahrungsaufbereitung“ (ebd., S. 199) die subjektiven Rele-vanzstrukturen reproduzieren. Bei der Inhaltsanalyse, dem für die Auswertung der qualitativen Inter-views gewählten Verfahren, handelt es sich um eine Methode der Datenreduktion, bei der diese Rele-vanzstrukturen aus dem Textmaterial regelgeleitet herausgearbeitet werden.

Die Auswertung folgt formal den Vorschlägen von Mayring (1995) zur qualitativen Inhaltsanalyse.

Diese bietet den Vorteil, dass die einzelnen Analyseschritte relativ starren Regeln folgen, die vor allem eine Explizierung des Vorgehens zum Zweck der Nachvollziehbarkeit sowie die Vermeidung von Willkür bei der Ergebnisgenerierung anstreben (vgl. Lamnek, 2005a). Allerdings weiche ich aufgrund der Kritik Lamneks (2005a) am Ansatz von Mayring inhaltlich und insbesondere in Bezug auf den Stellenwert des theoretischen Vorverständnisses im Analyseablauf vom vorgeschlagenen Vorgehen ab. Die Kritik betriff hauptsächlich das Verständnis von Offenheit (vgl. 6.1) in Mayrings Ansatz, in dem Offenheit lediglich bedeutet, dass keine Hypothesen über Sachverhalte und Zusammenhänge formuliert und überprüft werden, während die Fragestellung selber aber an bestehenden theoretischen Ansätzen festgemacht und vor allem die Auswertungskategorien und -dimensionen vor der eigentli-chen Analyse festgelegt und dann auf das Material angewendet werden (Mayring, 1995). Dieser Zu-gang wird von Lamnek (2005a) kritisiert, da er sich zu stark an der quantitativen Methodologie orien-tiere. Er schlägt stattdessen vor, die Analyse ohne vorformulierte Strukturierungen zu beginnen.

Qualitative Inhaltsanalyse versucht insoweit diese Offenheit zu praktizieren, als kein vorab entwickeltes inhaltsanalytisches Schema mit Analyseeinheiten, dimensionen und -kategorien auf die zu untersuchenden Kommunikationsinhalte angelegt wird. Vielmehr ver-sucht sie, den Inhalt selbst sprechen zu lassen und aus ihm heraus die Analyse zu entfalten (ebd., S. 508).

Das hier gewählte Vorgehen entspricht einer Kombination der beiden Ansätze. Da aus bestehenden qualitativen Studien kaum theoretische oder empirische Anhaltspunkte zu möglichen Kategorisierun-gen ableitbar sind (vgl. 5.2), sollen solche auch nicht a priori formuliert werden. Allerdings ist das Material selber durch die Orientierung des Interviewgesprächs an einem anhand der Fragestellung erstellten Leitfaden schon vorstrukturiert. Zudem beeinflusste das konzeptuelle Modell implizit meine Vorstellungen darüber, welche Phänomene, Lebensbereiche und Prozesse für das Wohlbefinden rele-vant sein könnten. Die in 5.2.2 formulierten Fragestellungen dienen somit als Ausgangspunkt für die Analyse der Texte. Im Folgenden werden die einzelnen Analyseschritte anhand Mayrings (1995) Vor-schlag dargestellt.

Festlegung des untersuchten Materials: Beim untersuchten Material handelt es sich um die Protokolle der Leitfaden-Interviews mit sechzehn Personen, die in den Jahren 1999 bis 2004 an der SIPSY-Studie teilgenommen hatten (vgl. 6.2.1, 6.3.1, 6.3.2). Im Rahmen der organisa-torischen und zeitlichen Gegebenheiten bestand keine Möglichkeit, eine gezielte Auswahl der Interviewteilnehmenden vorzunehmen, wie es von Lamnek (2005a) vorgeschlagen wird.

Lamnek (ebd.) fordert, dass der Stichprobenplan nach dem Prinzip einer bewusst heterogenen Auswahl angelegt werden soll, so dass sämtliche „hypothetisch relevanten Merkmalskombina-tionen bzw. -träger im Sample vertreten sind“ (S. 192). Solche Samplingstrategien stossen al-lerdings da an Grenzen, wo theoretisch und empirisch zu wenig Vorwissen darüber vorhanden ist, welche Merkmale und Merkmalskombinationen letztlich für den Forschungsgegenstand relevant sind, was im vorliegenden Fall sicher zutrifft (vgl. 5.2). Das in 6.3.1 beschriebene Vorgehen bedeutet, dass die Stichprobe sich ausschliesslich durch Selbstselektion zusammen-setzt, was natürlich Fragen bezüglich der Verallgemeinerung und Generalisierbarkeit der Er-gebnisse aufwirft. Deshalb soll bei der Beschreibung der Stichprobe, der Auswertung und In-terpretation der Ergebnisse ein besonderes Augenmerk auf die Übertragbarkeit der Befunde gelegt und an entsprechender Stelle diskutiert werden.

Analyse der Entstehungssituation: Die Entstehungssituation des Materials ist weiter oben in 6.3.1 und 6.3.2 beschrieben.

Formale Charakteristika des Materials: Das untersuchte Material liegt in Form von sechzehn transkribierten Interviewprotokollen vor. Bei der Transkription folgte ich den in 6.3.2 be-schriebenen Regeln.

Richtung der Analyse: Gemäss dem von Mayring (1995, S. 47) vorgestellten inhaltsanalyti-schen Kommunikationsmodell lässt sich definieren, in welche Richtung der Text ausgewertet werden soll. Aufgrund der Fragestellung handelt es sich bei der Auswertung der qualitativen

Interviews um eine Analyse, mit der einerseits Aussagen über den Gegenstand (Lebensquali-tät), aber auch Aussagen über den emotionalen und kognitiven Bezug der Befragten zu diesen gewonnen werden sollen.

Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung: Auf diese wird aus den oben genannten Gründen verzichtet.

Analysetechnik: Als Analysetechnik wird die inhaltliche Strukturierung (Mayring, 1995) ge-wählt, wobei die formulierten Fragestellungen als a priori definierte Kategorien verstanden werden können. Innerhalb dieser Kategorien werden Unterkategorien aus den Texten heraus entwickelt. Wie von Mayring (ebd.) vorgeschlagen, folge ich dabei den Regeln zur Paraphra-sierung, Verallgemeinerung und Reduktion von Textstellen. Bei der Darstellung der Ergebnis-se werden einzelne Textstellen aus den Interviews als illustrierende Zitate angeführt.

Die Auswertung erfolgt mittels der Software ATLAS.ti Version 5.

6.4 Zusammenfassung der wichtigsten methodischen Vorgehensweisen