• Keine Ergebnisse gefunden

8.2 Ergebnisse der Inhaltsanalyse

8.2.6 Die Bedeutung der psychischen Erkrankung für das Wohlbefinden

8.2.6.2 Leid und Verzicht gegenüber Entwicklung und Bewältigung

In den Interviews wurden von den Befragten vielfältige Bezüge zwischen der psychischen Erkrankung und dem Wohlbefinden hergestellt, wobei dies einerseits im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Bedeutung der Erkrankung, andererseits vor allem bezüglich der Veränderung der Lebensqualität ge-schah.

Die Betroffenen berichteten davon, wie sie unter gewissen Symptomen litten und als wie beängstigend und schlimm diese vor, während, aber auch nach psychischen Krisen oder akuten Erkrankungsepiso-den erlebt werErkrankungsepiso-den.

Ich hätte nicht mehr geglaubt, dass ich da wieder raus komme. Das ist Horror, in dem Mo-ment, wo man drin ist. (G.U.; 63)

Es ist einfach wahnsinnig – Stimmen [hören], nicht schlafen können, nicht wissen, was Tag und Nacht ist. Ins Zeug kommen, ausrufen – grausam. (A.C.; 120)

Weil im Nachhinein habe ich gehört, was ich teilweise geboten habe, was ich mir da im Moment gar nicht so bewusst war, weil das so schlimm war. [Freunde haben mir dann erzählt], wie ich getan habe [wie ich mich verhalten habe], und so ein bisschen herrsche-risch – wie ich furchteinflössend gewesen bin. Das ist mir dann schon ein bisschen einge-fahren. Weil selber hat man ja während der Psychose eine andere Wahrnehmung. (N.H.;

71)

Für gewisse Leute heisst Manie Höhenflug und alles wunderschön, aber für mich war es sehr sehr schwierig und konfliktiv, und ich habe mich alles andere als wohlgefühlt. (...) Und nach zwei Jahren bin ich in eine Psychose gelaufen und dann wurde es ganz schlimm. Und bin aus der Psychose in die Klinik gekommen, und hatte nach der Psychose eine ganz schwere postpsychotische Depression, und die zog sich durch bis vor etwa einem Jahr. Da war ich dann die ganze Zeit in der Klinik und im Wohnheim, nur noch ein Schatten meiner selbst. Ich habe nicht gelebt, nur noch vegetiert. (R.O.; 64:66)

Darüber hinaus erzählten die befragten Personen davon, wie sie aufgrund der Erkrankung bzw. be-stimmter Symptome auf für sie wichtige Aktivitäten verzichten müssen. Diese Einschränkungen zu akzeptieren, wurde als schmerzhafter und schwieriger Prozess beschrieben. Dazu gehören der in 8.2.2 beschriebene soziale Rückzug und die Isolation, aber auch die beeinträchtigte Arbeitsfähigkeit bzw.

die Tatsache, aufgrund der Erkrankung den ursprünglichen Beruf nicht mehr ausüben zu können oder die Ausbildung nicht abgeschlossen zu haben. Einzelne Teilnehmende beschrieben, dass sie aufgrund von Konzentrationsschwierigkeiten als Nebenwirkung von Medikamenten keine Bücher oder Zeitun-gen mehr lesen können oder dass sie nicht mehr Auto fahren dürfen, was als sehr einschränkend emp-funden wird.

Ich habe früher schon geschrieben und ich habe auch sehr viel gelesen, bis das mit den Depressionen angefangen hat, und ich mich einfach nicht mehr konzentrieren konnte. (E.J.;

23)

Es raubt extrem viel Kraft, es schränkt mich extrem ein. Meine Schwester und mein Bruder haben mich eingeladen am x., ich habe ihnen gesagt, dass ich gerne komme, aber ich habe jetzt gemerkt, ich kann da nicht am Abend hingehen, ich bin dermassen müde, es macht gar keinen Sinn, da hin zu gehen. (R.O.; 23)

Ich hatte schon ein bisschen den Wunsch, Kinder zu haben. Und mit den Medikamenten ist es einfach schwierig, man müsste schon sehr schauen, eventuell auf andere umsteigen, und jetzt habe ich bald einmal das Gefühl, es ist vielleicht besser, keine Kinder zu haben, weil ich weiss nicht, schwanger werden und Medikamente nehmen, das finde ich einfach ein Risiko. (...) ich denke, ja, es müssen vielleicht nicht meine eigenen Kinder sein – es wäre schon schön, aber ... (I.G.; 71)

Ebenfalls als belastend werden die Stigmatisierung und die Vorurteile gegenüber Menschen mit psy-chischen Erkrankungen empfunden. Diese äussern sich einerseits in konkreten Vorfällen und Erlebnis-sen, z.B. im Verlust von Freundschaften oder der Ausgrenzung am Arbeitsplatz. Aber auch wenn kei-ne solchen Erfahrungen gemacht wurden, ist für die Befragten klar, dass viele „gesunde“ Menschen eine negative Einstellung gegenüber psychisch Erkrankten und der Psychiatrie haben, weshalb sie sehr vorsichtig sind, ob und wen sie über ihre Erkrankung informieren.

Wenn ich das jemandem sage, was ich eigentlich nicht unbedingt mache, dass diese Per-son mich dann vielleicht ein bisschen – findet, ouh, Probleme, Hilfe, also mir so ein abweh-rendes Gefühl entgegenbringt, das dann wiederum bei mir, das in dem Moment auf meine Lebensqualität insofern wirken kann in dem Sinn, da hast du einen schwarzen Tolggen [Fleck] (...) Wenn ich auffallen würde, käme ich ins Strudeln und würde denken, ouh, Hilfe, jetzt denken sie dann, ich spinne. Dann kommt es natürlich zum Tragen. Dass man Angst hat, was die anderen denken. (T.R.; 90:92)

Da hat mich ein Typ gefragt, also er hat gesagt, er hätte Borderline, und hat mich dann ge-fragt, was ich denn habe, und da habe ich gesagt, ich leide unter Schizophrenie. Da hat er gesagt, ouh, du Armer. Und ich fand dann, so verrückt schlimm ist es ja nicht. (N.H.; 99) Wenn Sie in der Öffentlichkeit sind, am Stammtisch oder so, wenn dann das Wort X oder Y [Namen von psychiatrischen Kliniken] fällt, heisst es, es ist eine Spinnwinde, sind alles Doo-fe da. Das ist ganz, ganz schlimm, diese Ansichten, dass das noch nicht besser ist. Ich sel-ber rede im Geschäft nicht üsel-ber das, das ist etwas, was ich nicht mache (...) Asel-ber ich würde das auch nicht machen, weil die Leute sehen das anders, sie sehen das nicht richtig, die kommen gar nicht draus, worum es geht - leider. (D.K.; 64:72)

Ich wollte meine alten Kollegen besuchen. Das hatte sich aber total verändert, die wollten gar nicht gross mit mir reden. Und jetzt, da spielt natürlich auch mein Zwillingsbruder eine Rolle, er sagt seit Jahren, dass er mich nicht treffen will, er will mich nicht sehen und ruft mich auch nicht an. (S.I.; 25)

Trotz der Belastungen und Einschränkungen, die sich für die befragten Personen aus der psychischen Erkrankung ergeben, berichteten alle Teilnehmenden auch von positiven Entwicklungen und von Kompetenzen, die sie im Umgang mit der Erkrankung (s.u.) erworben haben. Zum Teil wurde der erste Klinikaufenthalt als eine Art biografischer Wendepunkt beschrieben, der auch Chancen für Lernpro-zesse eröffnete. Hierzu gehört vor allem, sich selber und die eigenen Bedürfnisse besser kennen

ge-lernt zu haben und gege-lernt zu haben, was und wer dem eigenen Wohlbefinden zuträglich ist. Einigen Befragten gelang es mit der Zeit, auch kleine Verbesserungen z.B. des Befindens oder des eigenen Umgang mit der Erkrankung positiv und als wichtig für das Wohlbefinden zu werten, während andere die Erkrankung als unveränderbare Tatsache ansehen, der sie sich anzupassen haben.

Dann haben wir den Notarzt gerufen, er hat mich gleich in die Klinik geschickt. Und dann, Medikation und alles. Dann lernte ich den Dr. X. [niedergelassener Psychiater] und Frau Y.

[Psychologin] kennen, musste sie kennen lernen. Von da an ging es mir immer besser. Und sie [in der Klinik] liessen mich erst gehen, als ich ihnen die ersten Termine mit Dr. X. präsen-tieren konnte. Das fand ich gut. Seit dann geht es stetig bergauf. Klar, ich arbeite auch nicht mehr so viel, verdiene auch nicht mehr so viel. Aber die Lebensqualität an sich hat sich geändert, ich habe mehr Zeit, lerne mich selber besser kennen, ich muss lernen, was ich überhaupt will, das finde ich gut. Für mich persönlich ist es viel besser. (A.D.; 78)

Auf die andere Seite denke ich, vielleicht ist es so gewesen, damit ich den Weg hierhin ge-funden habe, dass ich einen neuen Kollegen- und Freundeskreis aufbauen konnte. Alles, was mir nicht gut getan hat, habe ich gestrichen, inklusive meine Mutter und Geschwister.

Ich habe keinen Kontakt mehr mit Leuten, die mir nicht gut tun. Und so konnte ich etwas Neues aufbauen. Die Leute hier tragen mich auch, wenn ich Schmerzen haben, sie fahren mich heim, wenn es nicht geht, oder notfallmässig in den Spital, da kann ich einfach an-rufen. (L.E.; 49)

Aber Glücksgefühle, z.B. wenn man so eine Krankheit überwindet, und sagen kann, so, dass kann ich jetzt, und selbstbewusst hinstehen und sagen zu können, ich weiss, es ist nicht einfach, psychische Krankheit zu erleben, aber die Probleme kann man lösen, man muss nicht bis ans Lebensende deswegen leiden. (U.J.; 99)

Was sehr, sehr wichtig ist, und was sehr viel besser geworden ist, ich kann mich freuen, ich kann lachen, ich kann geniessen, Zufriedenheit, das Gefühl, einmal zufrieden sein zu kön-nen, mit mir, mit der Wohnsituation, mit dem Alltag, dem Leben, das ich habe. (R.O.; 100) Dass ich eine gewisse Freiheit habe, dass ich den Alltag selber bewältigen kann, ohne Hilfe von aussen. (I.G.; 27)

Also ich bin jetzt zufrieden, dass ich zweimal morgens den Wecker gehört habe, ich habe sechs Wecker, das Handy und das Telefon, und ich werde trotzdem nicht wach. Jetzt habe ich es zweimal geschafft. (E.J.; 31)

Man muss halt annehmen, was das Leben bringt – man muss sich anpassen. (S.P.; Proto-koll)

Wie aus den Beschreibungen der Befragten hervorgeht, sind sie Expertinnen und Experten im Umgang mit der Erkrankung geworden. Dabei steht weniger der Umgang mit spezifischen Symptomen im Vordergrund, sondern eher jener mit der eigenen, durch die Erkrankung erhöhten psychischen Verletz-lichkeit. Hier bestanden bei den Teilnehmenden sehr unterschiedliche Formen des Umgangs. Neben konkreten Bewältigungsstrategien wie der Einnahme von Medikamenten (vgl. 8.2.6.4), einem Notfall-programm bei Krisen (vgl. Zitat weiter unten) oder der Durchstrukturierung des Tages oder der Wo-che (vgl. 8.2.3) ist für die befragten Personen vor allem wichtig, dass sie „zu sich selber schauen“

(S.E.; 51), zu grosse Belastungen vermeiden und ein Gleichgewicht finden zwischen Aktivität und Erholung. Voraussetzung dafür ist die Akzeptanz der Erkrankung und die Integration ins eigene Selbstbild.

Also und was ich jetzt inzwischen daran bin, dass ich nicht mehr so kämpfe dagegen.

Früher habe ich vielleicht noch gefunden, so und jetzt weg, und das darf jetzt nicht sein. (...) Und das gibt so eine Erleichterung, sonst ist so etwas Angespanntes in einem, das man loswerden will, und es dann eben nicht loswird. Und das habe ich bis vor nicht allzu langer Zeit gemacht, dagegen angekämpft, das muss jetzt weg, und jetzt akzeptiere ich es mehr, und finde eher, gut, es ist jetzt halt einfach so, jetzt muss ich einfach warten. (T.R.; 29) Letztes Mal wusste ich z.B., ich gehe jetzt einfach ins KIZ [Kriseninterventionszentrum], es ist wie ein Notfallprogramm, das ich habe, da muss ich dann wie einfach den Startknopf drücken. Das hat jetzt funktioniert. (L.C.; 62)

Ich möchte meinen Wochenablauf einfach nicht zu stark belasten. (...) Wenn es dann zuviel wird – es tut mir eben auch nicht gut. (N.H.; 61)

Dass ich mir besser schaue. Von aussen würde man vielleicht sagen, ich sei egoistischer geworden. Dass ich einfach auch weiss, was mir gut tut, und eben nicht gut tut, und mich da auch versuche, zu schützen. (S.E.; 51)