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Qualitative Interviews mit den Kindergartenlehrpersonen

4.4.1 Fragestellungen

Den folgenden Fragestellungen wurde im Rahmen von qualitativen Leitfadeninterviews mit den Kindergar-tenlehrpersonen nachgegangen:

• Welche Vorstellungen prägen das Bild, das Kindergartenlehrpersonen vom Kindergartenkind haben?

• Welches Bildungsverständnis haben Kindergartenlehrpersonen?

• Welchen Wert hat das freie Spiel? In welcher Art und Weise begleiten Kindergartenlehrpersonen das freie Spiel der Kinder?

• Wie schätzen Kindergartenlehrpersonen die Kompetenzen der Kinder ein?

• Wie werden Übergänge gestaltet und wie erfolgt dabei die Kooperation mit den Eltern?

• Wie nehmen Kindergartenpersonen die bildungspolitischen Rahmenbedingungen und Veränderungen wahr (z. B. Entwicklungen im Kontext des Lehrplans 21)?

• Wie schätzen Kindergartenlehrpersonen die Heterogenität ihrer Kindergruppe ein und wie gehen sie damit um?

• Wie erfolgt die sprachliche Förderung? Welche Hilfs- und Lehrmittel werden verwendet?

• Was verstehen Kindergartenlehrpersonen unter Qualität und welche Relevanz spielt diese für ihren Un-terricht?

4.4.2 Datenerhebung

Aufgrund der Zielsetzung, individuelle Handlungs- und Deutungsmuster der Kindergartenlehrpersonen zu explorieren, erfolgte die Annäherung an die soziale Realität anhand eines qualitativen Ansatzes. Damit konnte ergründet werden, wie Kindergartenlehrpersonen „ihre soziostrukturell vorgegebenen Handlungsop-tionen und -einschränkungen wahrnehmen und deuten, welche Handlungsziele sie unter diesen

Bedingun-8.8 7.3

34.7 45.9

56.5 46.8

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Vater

Mutter Sekundarstufe 1

Sekundarstufe 2 Tertiäre Ausbildung

82.4 9.3

14.6

60.6 30.2

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Vater

Mutter Voll erwerbstätig

Teilzeit erwerbstätig Nicht erwerbstätig

gen entwickeln und welche Mittel sie zur Erreichung dieser Ziele einsetzen“ (Kelle & Kluge, 2010, S. 55).

Innerhalb der qualitativen Forschung kommt insbesondere der Datenerhebung mittels Interviews eine hohe Bedeutung zu, wenn es darum geht, den Befragten umfassende Möglichkeiten zur Darstellung ihrer Erfah-rungen, Perspektiven und Lebensweisen zu eröffnen.

In der vorliegenden Studie wurde für die Interviews mit den Kindergartenlehrpersonen die Methode des problemzentrierten Interviews nach Witzel (1985, 2000) eingesetzt, die eine weitgehend „unvoreingenom-mene Erfassung individueller Handlungen sowie subjektiver Wahrnehmungen und Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität“ (Witzel, 2000, Absatz 1) zulässt. Ausgangspunkt dieser Methode ist „die Orien-tierung der Forschenden an einer relevanten gesellschaftlichen Problemstellung“ (Witzel, 1985, S. 230), zu der bereits erste Erkenntnisse vorliegen, die mittels einer gezielten Befragung erweitert werden sollen. Die-se Methode unterstützt einen Interviewprozess, bei dem sich die Interviewten ausdrücklich als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelt einbringen können.

Die Entwicklung des Interviewleitfadens erfolgte auf der Grundlage einer vertieften Auseinandersetzung mit dem bestehenden theoretischen und empirischen Wissensstand zu den im Zentrum der Untersuchung ste-henden Erkenntnisinteressen. Die thematischen Leitfragen wurden der Methode entsprechend offen formu-liert, so dass sie die interviewten Kindergartenlehrpersonen zum einen gezielt zu den im Zentrum stehen-den Fragen führten und zum anderen ermöglichten, dass die Themen aufgrund der von stehen-den Befragten ge-wählten Ausführlichkeit individuell gewichtet wurden. In Anlehnung an Ecarius (2002, S. 65) wurde vor al-lem darauf geachtet, „Wie-Fragen“ zu formulieren, wenn das Ziel darin bestand, „Prozessverläufe zu erzäh-len und alltägliche Lebensausschnitte in die biografische Bedeutsamkeit einzubetten“ (ebd.). Mit „Warum- und Wieso-Fragen“ wurden die Interviewten zu „Begründungen und Argumentationen“ (ebd.) ihrer Sicht-weisen aufgefordert. „Welche-Fragen“ wurden formuliert, wenn „Detaillierungen und Plausibilisierungen“

(ebd.) von Relevanz waren.

Darüber hinaus ermöglichte es die gewählte Methode, dass die Interviewten eigene Themen einbringen konnten. Zudem wurden die Interviewten während des Interviews immer wieder aufgefordert, ihre Schilde-rungen mit konkreten Beispielen zu verdeutlichen, so dass „abstrakte, fehlende oder unklare Begriffe“ ver-deutlicht und „konkrete Bezüge zu Kontextbedingungen des Handelns“ (Witzel, 2000, Absatz 15) herge-stellt werden konnten. Insgesamt konnte durch den Einsatz des Leitfadens sichergeherge-stellt werden, dass alle relevanten Themenbereiche angesprochen wurden. Nicht zuletzt unterstützte die Strukturierung der Inter-views durch einen Leitfaden die Vergleichbarkeit mehrerer InterInter-views, was für die vorliegende Untersu-chung wichtig war (vgl. Friebertshäuser & Prengel, 1997; Koller, 2008; Witzel, 1985, 2000; Edelmann, 2018).

4.4.3 Aufbau des Interviewleitfadens

Das leitfadengestützte Interview begann mit der nachfolgenden Einstiegsfrage, die das Gespräch unmittel-bar auf den zu untersuchenden Themenbereich lenkte, eng an die Erfahrungen der Interviewten anknüpfte und zugleich den Ausgangspunkt für eine längere Erzählphase bildete: „Als Erstes möchte ich Ihre aktuelle Kindergartengruppe etwas näher kennenlernen. Können Sie mir bitte etwas darüber erzählen, welches die Besonderheiten, die Stärken und die Herausforderungen dieser Gruppe sind?“

Mit dieser Fragestellung wurde den interviewten Kindergartenlehrpersonen gleich zu Beginn des Interviews die „Hauptrolle“ zugewiesen, was zur intendierten Abkehr der Interviewsituation im Sinne eines „Frage-Antwort-Spiels“ (Witzel, 2000, Absatz 4) führte. Daran anschliessend folgten Leitfragen zu verschiedenen Themenbereichen, deren Reihenfolge – je nach Gesprächsverlauf – flexibel gehandhabt wurde. Der einge-setzte Leitfaden ist im Anhang A1 zu finden. Die offenen Leitfragen beziehen sich auf die folgenden The-menbereiche:

• Einstiegsfrage: Beschreibung der aktuellen Kindergartengruppe

• Unterrichtsgestaltung

• Sprachliche Förderung

• Kompetenzförderung und Kompetenzerfassung

• Übergänge in den Kindergarten und in die erste Klasse

• Kooperation mit Eltern, Fachpersonen und dem Kollegium

• Aktuelle bildungspolitische Rahmenbedingungen und Zukunftsperspektiven

• Abschlussfrage: Unerwähnte Themenbereiche und weitere Fragen oder Anliegen

Ergänzend zum Interview wurden von den interviewten Kindergartenlehrpersonen mithilfe eines Online-Fragebogens zeitnah zum Interview relevante Sozialdaten erhoben wie Alter, Nationalität, Berufsbiografie und -erfahrung, Angaben zur aktuellen Arbeitssituation und abschliessende Bemerkungen sowie Daten zur Zusammensetzung der Kindergartengruppe (vgl. Kapitel 4.3.3.3).

4.4.4 Durchführung der qualitativen Interviews

Die zwanzig Interviews mit den Kindergartenlehrpersonen wurden von Mitarbeitenden des Instituts für For-schung, Entwicklung und Evaluation der PHBern durchgeführt (vgl. Projektorganisation, Abbildung 1). Sie wurden in der Regel vor Ort in den Kindergärten durchgeführt. Zwei Interviews fanden in den privaten Räumlichkeiten von Kindergartenlehrpersonen statt. Bei einem Interview nahmen zwei Kindergartenlehr-personen teil, die sich eine Stelle teilten.

Vor Beginn der Interviews wurde das Engagement der Kindergartenlehrpersonen gewürdigt und verdankt.

Anschliessend wurden sie explizit darauf hingewiesen, dass ihre individuellen Erfahrungen, Wahrnehmun-gen, Handlungsoptionen und -restriktionen sowie Perspektiven in ihrem pädagogischen Alltag im Zentrum des Interviews stehen würden. Anschliessend erfolgte ein kurzer Überblick über die Themenkomplexe, die im Rahmen des Interviews angesprochen würden. Weiter wurde den Interviewten zugesichert, dass alle In-formationen absolut vertraulich behandelt würden und dass sie das Recht hätten, Fragen ohne Begründung unbeantwortet zu lassen. Zudem wurden die Kindergartenlehrpersonen darauf hingewiesen, dass sie bei Unklarheiten jederzeit Rückfragen stellen könnten. Schliesslich konnten die Kindergartenlehrpersonen wäh-len, ob sie das Interview in Standardsprache oder in Mundart durchführen wollten. Die grosse Mehrheit der Interviews fand in Mundart statt.

Nach Rücksprache mit den Interviewten wurden alle Interviews mit digitalen Voicerekordern aufgezeichnet.

Diese Vorgehensweise bildete die Grundlage für eine „authentische und präzise Erfassung des Kommuni-kationsprozesses“ (Witzel, 2000, Absatz 18). Zudem ermöglichte dies die uneingeschränkte Konzentration der Interviewenden auf den Gesprächsverlauf. Das kürzeste Interview dauerte 1 Stunde und 10 Minuten und das längste 2 Stunden und 50 Minuten. Die durchschnittliche Länge der Interviews betrug somit 1 Stunde und 45 Minuten.

4.4.5 Transkription

Sämtliche Interviews wurden nach der Aufzeichnung mit Unterstützung der Software f4 transkribiert. Da die Kindergartenlehrpersonen die Möglichkeit hatten, das Interview in Mundart zu führen und nicht sprachliche Feinheiten, sondern Interviewinhalte im Fokus der Studie standen, wurde für die Transkriptionen eine „lite-rarische Umschrift“ (Mayring, 2002, S. 89) gewählt, die eine „Übertragung in normales Schriftdeutsch“

(ebd.) vorsieht. Dabei wurden „der Dialekt bereinigt, Satzbaufehler behoben [und] der Stil geglättet" (ebd., S. 91). Dieser Übersetzungsprozess entspricht „dem alltäglichen Sprachgebrauch von Deutschschweize-rinnen und Deutschschweizern, wenn sie ihre Gedanken in Standardsprache formulieren und umgekehrt“

(Edelmann, 2007, S. 234). Beim Transkribieren wurde darauf geachtet, möglichst nahe an der gesproche-nen Sprache zu bleiben. Für die Standardisierung der Transkriptiogesproche-nen wurden Transkriptionsregeln in lehnung an Kuckartz, Dresing, Rädiker et al. (2008, S. 27ff.) sowie Niederhauser (2009) definiert (vgl. An-hang B1). Die Interviews wurden jeweils zeitnah nach der Durchführung von den Interviewenden selbst

oder von geschulten Mitarbeiterinnen transkribiert. Zu Qualitätssicherungszwecken wurden sämtliche Tran-skripte von einer zweiten Person auf ihre Genauigkeit hin überprüft.

4.4.6 Datenanalyse

Als zielführende Methode für die Auswertung des umfangreichen qualitativen Datenmaterials wurde ein strukturierendes Verfahren in enger Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2002) ge-wählt, mit dem das Material eingebettet in den Kommunikationszusammenhang systematisch analysiert werden konnte. Inzwischen präzisierte Mayring (2010), dass er den Begriff „qualitative Inhaltsanalyse“ nicht mehr als ganz passend erachtet, da es mit dieser Methode über die reine Strukturierung des Materials hin-aus auch möglich sei, „tiefer liegende Bedeutungsstrukturen“ (ebd. S. 605) zu erkennen oder Quantifizie-rungen vorzunehmen, weshalb er für die Bezeichnung „qualitativ orientierte kategoriengeleitete Textanaly-se“ (ebd.) plädiert. Die Methode ermöglichte es „unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Quer-schnitt durch das Material zu legen und das Material auf Grund bestimmter Kriterien einzuschätzen“ (ebd., 2002, S. 115). Die Verknüpfung einzelner Textpassagen mit zentralen Themen im Datenmaterial (Codes) ist als „erste Stufe der theoretischen Begriffsbildung und der Formulierung empirisch gehaltvoller Katego-rien und theoretischer Aussagen“ (Witzel, 1996, S. 65) zu verstehen.

Für die Codierung des Datenmaterials wurden Textsegmente mit Codes verknüpft, die bezüglich der vorlie-genden Fragestellungen als relevant erachtet wurden. Dies bedingte ein mehrfaches Zeile für Zeile lesen der transkribierten Interviews. Unterstützt wurde dieser Prozess durch die Verwendung der Software MAXQDA. Für die Auswertung der vorliegenden Daten bestand der Vorteil der computerbasierten Verknüp-fung darin, dass sie eine mehrfache Codierung bedeutsamer Textstellen zuliess. Dies war vor allem wich-tig, weil der Einsatz von problemzentrierten Interviews einen offenen Gesprächsverlauf, Gedankensprünge, Wiederholungen und einen hohen Detaillierungsgrad unterstützt und daher „unterschiedliche Textstellen für die weitere Bearbeitung zusammengetragen werden müssen“ (ebd., S. 60). Ausserdem ermöglichte es die Software, im Lauf der Analyse jederzeit anhand der zugewiesenen Codes systematisch auf gewünschte Textpassagen zurückzugreifen, diese zu vergleichen und thematisch zu ordnen, ohne sie aus dem Ge-sprächskontext herauszulösen. Dies erleichterte auch das Finden von bedeutenden Beispielzitaten

.

Die thematische Codierung der zwanzig Interviews erfolgte in der Regel deduktiv (theoriegeleitet), das heisst, die Codes wurden abgeleitet vom Interviewleitfaden auf das Datenmaterial übertragen. Zusätzlichen Themenfeldern, welche die Interviewten einbrachten, wurden induktiv (materialgeleitet) generierte Codes zugewiesen, die sich auf die „Relevanzsetzungen und Handlungsorientierungen der Interviewten“ (ebd., S. 65) bezogen. Alle zwanzig Interviews wurden für jede Fragestellung einzeln durchgearbeitet. Auf diese Weise wurde sichergestellt, „dass alle relevanten Fundstellen zu einem bestimmten Sachverhalt“ (Kelle &

Kluge, 2010, S. 57) gefunden und zugeordnet werden konnten. Insgesamt wurden zwölf Themenbereiche erarbeitet, die in weiten Teilen mit den Fragekomplexen des Leitfadens übereinstimmen. Der ausführliche Codierleitfaden befindet sich in Anhang B2.

Abschliessend erfolgte eine dichte Beschreibung der als relevant herausgearbeiteten Textstellen, so dass die zentralen Erkenntnisse in einer übersichtlichen Anzahl von Themenbereichen dargestellt werden konn-ten. Die verdichteten Textstellen wurden mit ausgewählten Zitaten aus den Interviews illustriert, die einen Rückbezug zu den Interviews sicherstellen (vgl. Thematische Auswertungen in Kapitel 5).