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Erkenntnisse aus den Erhebungen der Exekutiven Funktionen

5.3 Bildungs- und Entwicklungsprozesse der Kinder

5.3.2 Erkenntnisse aus den Erhebungen der Exekutiven Funktionen

Exekutive Funktionen sind mentale Kontrollprozesse, die ein zielgerichtetes, bewusst gesteuertes und situ-ationsangepasstes Denken und Verhalten ermöglichen (vgl. Kapitel 4.7). Die Erhebungen wurden mit der

„Minnesota Executive Function Scale“ (MEFS) durchgeführt, einerseits bei Kindern, die wenige Monate später in die erste Klasse übertraten (zweites Kindergartenjahr Frühling 2017), andererseits bei Kindern, die nach den Sommerferien neu in den Kindergarten eintraten (erstes Kindergartenjahr Herbst 2017). Die Zielsetzung der Erhebungen bestand darin, zu erfassen, wie ausgeprägt die Exekutiven Funktionen bei Kindergartenkindern kurz vor ihrem Eintritt in die Schule sowie kurz nach ihrem Eintritt in den Kindergarten sind (vgl. Kapitel 4.7.1).

Für die MEFS liegen verschiedene Werte vor (vgl. Carlson, 2017). Wie in Kapitel 4.7 erläutert, gibt die MEFS den an einer amerikanischen Stichprobe altersnormierten Standardwert (National Standard Score) mit einem Gruppenmittelwert von 100 und einer Standardabweichung von 15 an. Die Werte der

vorliegen-den Stichprobe (erstes und zweites Kindergartenjahr) liegen mit einem Mittelwert von 98.29 und einer Standardabweichung von 9.54 in einem ähnlichen Bereich. Des Weiteren zeigt sich, dass das Geschlecht keinen bedeutsamen Einfluss auf die Exekutiven Funktionen hat.25 Auch unterscheiden sich die Werte von Kindern aus Kindergärten mit einem hohen Mischindex nicht von denjenigen aus Kindergärten mit einem tiefen Mischindex.26 Zwischen den Kindern der einzelnen Kindergärten gibt es keine bedeutsamen Unter-schiede bezüglich der Ausprägungen ihrer Exekutiven Funktionen27 (vgl. Abbildung 20). Zwar zeigen sich in einigen Kindergärten grosse Unterschiede (z. B. KG3 oder KG15), in anderen hingegen eher kleine (z. B.

KG19). Diese Varianzen sind jedoch statistisch nicht bedeutsam.28

Abbildung 20: Mittelwerte, Minimal- und Maximalwert der Exekutiven Funktionen (Standardwerte) des jeweiligen Kin-dergartens der Gesamtstichprobe (n = 326) sowie die US-amerikanische Bezugsnorm

Interessanterweise zeigen weitergehende Analysen, dass ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen dem höchsten Bildungsabschluss der Mutter und den Ausprägungen der Exekutiven Funktionen bei den Kindern besteht: Höhere Werte bei den Exekutiven Funktionen gehen mit einer höheren mütterlichen Bildung ein-her.29

5.3.2.1 Unterschiede zwischen dem ersten und dem zweiten Kindergartenjahr

Um zu untersuchen, ob sich die Kinder des zweiten Kindergartenjahres (Frühling) von jenen des ersten Kindergartenjahres (Herbst) in Bezug auf die Ausprägungen ihrer Exekutiven Funktionen unterscheiden, wurde der Indikator „Höchstes erreichtes Level“ verwendet (vgl. Kapitel 4.7).

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25 t(313) = -.29; p = .77; Mädchen: M = 98.13; SD = 8.15, n = 156, Jungen: M = 98.44; SD = 10.68, n = 170.

26 Hoher Mischindex > 0.40: M = 97.17; SD = 10.39, n = 138, tiefer Mischindex < 0.40: M = 99.11; SD = 8.80, n = 188; t(265) = 1.78;

p = .08.

27 F(19, 306) = 1.40, p = .13; ηpartiell = .08.

28 Levene-Test (Gleichheit der Varianzen) nicht signifikant (F = 1.56, p = .07).

29 r = .23, p < .001, n = 264.

50 60 70 80 90 100 110 120 130 140

KG1 KG2 KG3 KG4 KG5 KG6 KG7 KG8 KG9 KG10 KG11 KG12 KG13 KG14 KG15 KG16 KG17 KG18 KG19 KG20

Standardwert

Kindergarten-Nr.

Mittelwert US-amerikanische Normstichprobe Mittelwert Stichprobe Kt. Zürich

Minimum des jeweiligen KG (Stichprobe Kt. Zürich) Maximum des jeweiligen KG (Stichprobe Kt. Zürich)

Abbildung 21: Verteilung des höchsten erreichten Levels bei den Exekutiven Funktionen in Prozenten gemessen mit der MEFS (erstes Kindergartenjahr Herbst: n = 133; zweites Kindergartenjahr Frühling: n = 193); 100%

beziehen sich auf die Verteilung innerhalb der jeweiligen Altersgruppe

Wie zu erwarten war, weisen Kinder des zweiten Kindergartenjahres in den Exekutiven Funktionen höhere Werte auf als Kinder des ersten Kindergartenjahres.30 In Abbildung 21 wird das ganze Spektrum der Levels (1 bis 7) von Kindern beider Jahre abgebildet. Sowohl Kinder, die kurz vor dem Eintritt in die erste Klasse standen, als auch solche, die eben erst in den Kindergarten eingetreten waren, erreichten am häufigsten das Level 4 (Modal-Wert). Es kann jedoch festgestellt werden, dass von der älteren Altersgruppe mit über 30% relativ häufig auch das Level 5 erreicht wurde, während mehr als 50% der Kinder aus der jüngeren Al-tersgruppe höchstens das Level 4 erreichten. Es zeigt sich somit, dass die Unterschiede zwischen den Kindern innerhalb der beiden Altersgruppen vergleichbar sind.31 Dies deutet darauf hin, dass sich im Ver-lauf der Kindergartenzeit die Unterschiede zwischen den beiden Altersgruppen weder vergrösserten noch verkleinerten.

5.3.2.2 Exekutive Funktionen, Sprachkompetenz und sozio-emotionale Entwicklung

In den Analysen zeigt sich ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen den Exekutiven Funktionen (Total Score: Korrektheit und Geschwindigkeit der Antwort, Punkterange 0 bis 100; vgl. Kapitel 4.7) und den Sprachkompetenzen der Kinder (Total Rohwert: Korrektheit der Antworten, Punkterange 0 bis 54; vgl. Kapi-tel 4.8): Demnach gehen bei den untersuchten Kindern gut ausgeprägte Exekutive Funktionen mit gut aus-geprägten Sprachkompetenzen einher32 (vgl. Abbildung 22). Dieser Zusammenhang kann als mittel bis gross bezeichnet werden (Cohen, 1992). Daraus könnte gefolgert werden, dass der Zusammenhang über-schätzt wird, da die Instruktion der MEFS in deutscher Sprache erfolgte. Kinder mit geringeren Deutsch-kenntnissen könnten folglich auch tiefere Werte in den Exekutiven Funktionen aufweisen, weil sie die In-struktion in Deutsch nicht ausreichend verstehen konnten. Um dieser möglichen Verzerrung entgegenzu-wirken, wurden Kinder mit geringen Deutschkenntnissen aus den vorliegenden Analysen ausgeschlossen (vgl. Sprachstandserhebungen in Kapitel 5.3.1). Dieser Entscheid erfolgte auch vor dem Hintergrund, dass sich in der amerikanischen Normierungsstichprobe ebenfalls ein starker Zusammenhang zwischen den Exekutiven Funktionen und den Sprachkompetenzen der Kinder (r = .51; Carlson, 2017) zeigte.

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30 t(324) = 8.56; p < .001; 2. Kindergartenjahr: M = 4.73; SD = 1.00, n = 193, 1. Kindergartenjahr: M = 3.67; SD = 1.21, n = 133.

31 Levene-Test der Varianzgleichheit: F = 1.71, p = .19.

32 r = .39, p < .001, n = 301.

0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 %

1 2 3 4 5 6 7

Prozente Kinder

Höchstes erreichtes Level

1. Kindergartenjahr Herbst 2. Kindergartenjahr Frühling

Abbildung 22: Zusammenhang zwischen den Exekutiven Funktionen (MEFS, Total Score) und den Sprachkompeten-zen gemessen mit SGW1 (Total Rohwert; n = 300)

In Kapitel 4.7 wurde dargelegt, dass basierend auf bisherigen Forschungsarbeiten ein bedeutsamer Zu-sammenhang zwischen den Exekutiven Funktionen und den sozio-emotionalen Kompetenzen zu erwarten ist (Diamond, 2013). In der vorliegenden Untersuchung wurden die sozio-emotionalen Kompetenzen mit dem Instrument „Strengths and Difficulties Questionnaire“ (SDQ) erfasst (Goodman, 1997). Wie in Kapi-tel 5.3.3.3 dargelegt, umfasst der SDQ Fragen zum externalisierenden Problemverhalten (unaufmerksa-mes, impulsives Verhalten) und zum internalisierenden Problemverhalten (emotionale Schwierigkeiten, Schwierigkeiten mit Gleichalterigen) sowie zum prosozialen Verhalten (fürsorgliches, hilfsbereites Verhal-ten). Stellt man die Exekutiven Funktionen (Total Score) in einen Zusammenhang mit den sozio-emotionalen Kompetenzen, ergibt sich ein bedeutsamer, wenn auch geringer Zusammenhang mit dem ex-ternalisierenden Problemverhalten33: Kinder, die schwächer ausgeprägte Exekutive Funktionen aufwiesen, zeigten eher ein externalisierendes Problemverhalten. Hingegen scheinen die Exekutiven Funktionen un-abhängig vom internalisierenden Problemverhalten sowie vom prosozialen Verhalten34 zu sein (vgl. Abbil-dung 23).

Die hier dargestellten Ergebnisse wurden querschnittlich gewonnen und stellen deshalb eine Momentauf-nahme der kindlichen Entwicklung dar. Allerdings verdeutlichen die Befunde zu den Zusammenhängen zwischen den Exekutiven Funktionen, den Sprachkompetenzen und der sozio-emotionalen Entwicklung, dass Verhaltensmerkmale von Kindern immer in ihrer Komplexität erfasst werden müssen.

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33 Korrelation nach Pearson r = -.14, p < .05, n = 270.

34 Zusammenhang mit internalisierendem Problemverhalten: r = -.08, p = .17, n = 270; Zusammenhang mit prosozialem Verhalten:

r = .06, p = .30, n = 270.

0 10 20 30 40 50 60

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Sprachkompetenzen (Rohwert Total)

Exekutive Funktionen (MEFS, Total Score)

Abbildung 23: Zusammenhang zwischen den Exekutiven Funktionen (MEFS, Total Score) und den sozio-emotionalen Kompetenzen (SDQ; n = 269)