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Alle Kindergartenlehrpersonen der vorliegenden Studie brachten in den Interviews zum Ausdruck, dass es ihr Ziel ist, dazu beizutragen, dass allen Kindern der Übergang in den Kindergarten und in die Schule gelingt. In ihren Schilderungen bezüglich der Gestaltung der Übergänge wurden in den In-terviews vor allem zwei Themenbereiche erwähnt, die darauf verweisen, dass einige Kindergarten-lehrpersonen ihre diesbezügliche Meinung und ihr Verhalten ändern sollten. Dies ist erstens die Tat-sache, dass es zu akzeptieren gilt, dass aufgrund des HarmoS-Konkordats auch jüngere Kinder in den Kindergarten eintreten können. Das bedeutet, dass der Kindergarten so einzurichten ist, dass er den Bedürfnissen der jüngeren Kinder gerecht wird. Dies sollte nicht als zusätzliche Aufgabe ver-standen werden, sondern als Selbstverständnis. Zudem bedeutet das Thema jüngere Kinder auch, dass der Anspruch an die Ablösungsprozesse der Kinder überdacht werden muss und dass sowohl den Kindern als auch den Eltern dafür möglicherweise mehr Zeit gelassen werden muss als bisher.

Zweitens zeigt sich beim Übergang in die Primarschule, dass der Austausch und die Kooperation an vielen Schulen noch wenig strukturiert verläuft und oftmals davon abhängt, inwiefern sich die einzel-nen Lehrpersoeinzel-nen dafür interessieren oder sich Zeit nehmen möchten. Aufgrund der hohen Bedeu-tung dieser beiden Übergänge werden im Folgenden Vorschläge erläutert, was diesbezüglich ver-bessert werden könnte.

Mit dem Eintritt des Kindes in den Kindergarten kommen neue Anforderungen und Herausforderungen auf die Kinder und ihre Eltern zu, die auch zu Veränderungen des Familienlebens führen. Für die Kinder be-deutet der Übergang, dass sie während kurzer Zeit sehr viel Neues erleben und erlernen. Es wird

diesbe-züglich auch von verdichteten Entwicklungsanforderungen gesprochen (z. B. Wildgruber & Griebel, 2016).

Die Rolle der Kindergartenlehrperson besteht darin, Übergänge professionell zu gestalten. Dies ist insofern wichtig, als es als erwiesen gilt, dass bei einem gelungenen Übergang „altersentsprechende Entwicklungs-impulse begünstigt werden“ (König, 2017, S. 503), aber auch, weil „vom Gelingen des Übergangs die Be-wältigung nachfolgender Übergänge wesentlich abhängt“ (Stamm, 2015, S. 23). Daher kann es beim Über-gangsprozess nicht nur darum gehen, dass die Eltern darüber informiert werden, was von ihnen erwartet wird und was auf das Kind zukommen wird, sondern auch darum, „den spezifischen Herausforderungen der einzelnen Kinder und deren Familien sensibel nachzuspüren“ (König, 2017, S. 503).

Auffällig ist, dass fast alle Kindergartenlehrpersonen in den Interviews schilderten, dass sie bereits vor den Sommerferien einen Besuchs- und Informationsnachmittag organisieren, sodass die Eltern und die Kinder sie kennenlernen können. Ebenfalls wichtig ist ihnen der erste Kindergartentag, zu dem die Eltern eingela-den wereingela-den. Anschliessend erwarten die meisten Kindergartenlehrpersonen, dass sich die Kinder sehr bald von den Eltern ablösen bzw. bereits bei ihrem Eintritt in den Kindergarten dazu fähig sind. Den Eltern wird diesbezüglich oftmals erklärt, dass sie ihr Kind bis zum Kindergarten begleiten dürfen, jedoch im Kindergar-tenunterricht besser nicht dabei sein sollten. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass zunehmend jüngere Kinder in den Kindergarten eintreten, scheint diese Vorgehensweise nicht (mehr) immer angemessen zu sein. Vielmehr sollte überlegt werden, wie gerade für jüngere Kinder und auch andere, denen der Eintritt in den Kindergarten bzw. die Ablösung von den Eltern nicht leichtfällt, eine sanftere Eingewöhnung ermöglicht werden kann, die sowohl ihren Bedürfnissen als auch denjenigen der Eltern besser gerecht wird (z. B.

Carle & Hegemann-Fonger, 2012; Wildgruber & Griebel, 2016).

Die meisten Kindergartenlehrpersonen berichteten in den Interviews, dass sie wegen der jüngeren Kinder andere Spielsachen und Einrichtungen brauchen würden, etwa Duplo statt Lego und Baby-Puzzles oder Ruheecken. Da es eine nicht mehr veränderbare Tatsache ist, dass jüngere Kinder in den Kindergarten eintreten, ist es für die Aus- und Weiterbildung als Desiderat zu verstehen, dass die Kindergartenpädagogik entsprechend angepasst thematisiert wird und jüngere Kinder nicht als etwas Besonderes oder Herausfor-derndes, sondern als Selbstverständlichkeit der Kindergartenstufe thematisiert werden. Mit anderen Wor-ten: Noch viel deutlicher als bisher ist es als Aufgabe des Kindergartens zu verstehen, für alle eintretenden Kinder pädagogisch bereit zu sein. Zugleich ist es wünschenswert, dass mehr Abstand genommen wird von Vorstellungen darüber, was Kinder bereits können sollten oder inwiefern sie schulbereit in den Kinder-garten eintreten müssten (vgl. OECD, 2017b).

In den Interviews mit den Kindergartenlehrpersonen wurde weiterhin deutlich, dass das jüngere Eintrittsal-ter der Kinder auch daher als Herausforderung wahrgenommen wird, weil die InEintrittsal-terviewten der Ansicht sind, dass sich die abnehmende Primarschule dessen noch nicht bewusst sei. Die Interviewten vertraten mehr-heitlich die Ansicht, die Lehrpersonen würden an die in die erste Klasse eintretenden Kinder dieselben An-forderungen stellen wie bisher. Hierzu gilt es anzumerken, dass insgesamt deutlich professionellere For-men der Kooperation zwischen Kindergarten und Primarschule gefunden werden müssten und zwar nicht nur, was den Austausch zu einzelnen Kindern beim Übergang anbelangt, sondern auch in der pädagogi-schen Arbeit. Spätestens mit der Einführung des Lehrplans 21, der im Zyklus 1 Kinder von vier bis acht Jahren fasst, wird eine professionelle Zusammenarbeit unerlässlich sein. Dabei muss in erster Linie sicher-gestellt werden, dass anstelle von altersbezogenen Leistungsanforderungen die Kontinuität kindlicher Bil-dungsprozesse bei Übergängen fokussiert wird.

Insgesamt schilderten die meisten Kindergartenlehrpersonen den Prozess der Übergabe der Kindergarten-kinder an die Primarschule als wenig institutionalisiert. Zuweilen bestehen bei den Interviewten Unklarhei-ten, welche Informationen in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt an die Primarschule weitergegeben werden sollen. Ebenso sind die Rückmeldungen der Primarlehrpersonen an die Kindergartenlehrpersonen nach erfolgtem Übertritt der Kinder unterschiedlich geregelt. Von zufälligen Pausengesprächen bis hin zu organisierten Austauschsitzungen werden offenbar verschiedene Formen praktiziert. Zugleich gilt es zu be-achten – und das wurde in den Interviews von einigen Kindergartenlehrpersonen angesprochen –, dass der Informationsfluss nicht zur Stigmatisierung einzelner Kinder oder Familien führen darf. Das heisst, die Art und Weise, wie Informationen weitergeleitet werden, und die Frage, welche Informationen überhaupt aus-getauscht werden, muss sehr sorgfältig abgewogen werden und bedarf professioneller Kommunikations-strategien.

7.6 Rahmenbedingungen und Entwicklungen

Bezogen auf Rahmenbedingungen und Entwicklungen im Kontext der Kindergartenstufe lassen sich aufgrund der vorliegenden Untersuchung drei zentrale pädagogische Konsequenzen ableiten: die Klärung der Anstellungsbedingungen im Kontext des neu definierten Berufsauftrags, die Stärkung der Wertschätzung und Anerkennung der Kindergartenstufe sowie der Ausbau des Zugangs zum Vorschulbereich für alle Kinder und Familien. Bildungspolitik und Gesellschaft sind gefordert, ent-sprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Die Interviews mit den Kindergartenlehrpersonen machten sehr deutlich, dass die Befragten wünschen, dass die Anstellungsbedingungen im Kontext des neu definierten Berufsauftrags nochmals geklärt werden.

Dabei wurde insbesondere der Umstand als Ungleichbehandlung gegenüber von Primarschullehrpersonen bewertet, dass die Kindergartenlehrpersonen kein volles Pensum mehr erreichen können. Zugleich zeigen die Videos deutlich, wie anspruchsvoll die Arbeit für die Kindergartenlehrpersonen in der Zeit vom Eintref-fen des ersten Kindes bis zur Verabschiedung des letzten ist und dass die Lehrpersonen keine Minute Pause haben, da sie die rund zwanzig Kinder nicht sich alleine überlassen können. Es ist daher schwer zu verstehen, weshalb „sogenannte“ Pausen nicht als Arbeitszeit angerechnet werden. Die Befürchtungen der Kindergartenlehrpersonen, dass ihr Beruf dadurch an Attraktivität verlieren könnte, gilt es bildungspolitisch ernst zu nehmen. Aufgrund der hohen Relevanz und Verantwortung, die dieser Bildungsstufe zukommt, muss auch zukünftig sichergestellt werden, dass nur die besten Pädagoginnen und Pädagogen hier tätig sind. Ungleiche Lohn- und Anstellungsverhältnisse unterstützen dieses Bestreben jedoch nicht, da in unse-rer Gesellschaft Berufe mit weniger Lohn auch weniger Prestige haben. Zudem schwächt es die Position der Kindergartenlehrpersonen im Kollegium ihrer Schule, vor allem wenn zukünftig im Kontext des Lehr-plans 21 eine intensivere Kooperation zwischen den Lehrpersonen für Kinder von vier bis acht Jahren er-wartet wird. Es erscheint dann widersprüchlich, dass geteilte Aufgaben und eine geteilte Verantwortung zu-gewiesen werden, jedoch die eine Gruppe von Lehrpersonen bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen besser-gestellt ist als die andere, obwohl beide über einen Bachelorabschluss verfügen. In Anbetracht der Entwick-lung, dass zukünftig Lehrpersonen für den ersten Zyklus ausgebildet werden und nicht mehr nur für den Kindergarten und dass zudem für alle eine Maturität bzw. eine Passerelle erforderlich sein wird, die sie zum Studium an der Pädagogischen Hochschule berechtigt, verdeutlicht, dass bezüglich der Anstellungsbedin-gungen weiterhin Handlungsbedarf besteht.

Zugleich plädierten die Kindergartenlehrpersonen in den Interviews klar dafür, dass die Kindergartenstufe weiterhin als solche bestehen bleibt und es nicht zu einer Verschulung kommt. Auch bezüglich dieses An-liegens sind Bildungspolitik und Gesellschaft gefragt, sich dafür einzusetzen, dass auf der Kindergartenstu-fe weiterhin das Spiel als spezifisches Kennzeichen der Kindergartenpädagogik dominieren kann. Dieses Desiderat ist auch wissenschaftlich zu stützen, zeigt doch die Forschung, dass das Spiel für junge Kinder für der Förderung der Entwicklung von sprachlichen, mathematischen, sozio-emotionalen sowie selbstregulativen Kompetenzen wirksamer ist als die direkte Instruktion – vor allem, wenn es auch mit aktiven Interaktionen mit anderen Kindern oder Erwachsenen verbunden ist (z. B. Pyle & Danniels, 2017;

Stamm, 2014).

Ebenfalls gefragt sind Bildungspolitik und Gesellschaft, wenn es darum geht, dafür zu sorgen, dass allen Kindern ausreichende und unterstützende Angebote im Vorschulbereich zur Verfügung stehen. So verdeut-lichen die Interviews, dass die meisten Kindergartenlehrpersonen grosse Unterschiede zwischen Kindern feststellen, die eine vorschulische Einrichtung besuchen und/oder zu Hause eine gute Anregungsqualität vorfinden und Kindern, die in ihren ersten vier Lebensjahren deutlich weniger Bildungs- und Entwicklungs-förderung erfahren können. Besonders herausfordernd zeigt sich der Bildungsstart, wenn Kinder kaum über Kompetenzen in der deutschen Sprache verfügen, wie die Erhebungen der sprachlichen Kompetenzen und der exekutiven Funktionen in der vorliegenden Studie verdeutlichen. Aktuell präsentiert sich die Situation jedoch wie folgt: Trotz wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse, dass Bildungs- und Entwicklungsversäum-nisse während der frühen Kindheit nur schwer aufzuholen sind und zu massgeblichen Folgen für die be-troffenen Kinder und die Gesellschaft führen können, ist in der Schweiz noch kein flächendeckendes

Ange-bot an qualitativ hochwertigen Bildungs- und BetreuungsanAnge-boten für Vorschulkinder vorhanden (z. B.

SKBF, 2018, S. 53). Zugleich zeigen verschiedene Statistiken, dass insbesondere Kinder aus sozial be-nachteiligten Familienverhältnissen seltener davon profitieren können (z. B. Edelmann, 2015).

Dass sich ein bildungspolitisches Engagement im frühkindlichen Bereich lohnt, zeigt das für die Schweiz bislang einmalige Projekt „Mit ausreichenden Deutschkenntnissen in den Kindergarten“: Das im Kanton Basel-Stadt angesiedelte Projekt stellt sicher, das alle Kinder, die nicht über ausreichende Deutschkennt-nisse verfügen, ein Jahr vor ihrem Kindergarteneintritt zu einer Teilnahme an einer Spielgruppe oder Kin-dertagesstätte mit Deutschförderung verpflichtet werden. Mit dieser Massnahme werden gute Ergebnisse erzielt (vgl. Grob, Keller & Trösch, 2014). Beispielhaft ist auch, dass im Kanton Zürich das Programm na-mens „Parents as Teachers“ (PTA, 2009) unterstützt wird, bei dem Mütterberaterinnen Familien ab Geburt ihres Kindes zu Hause besuchen und ergänzende Gruppentreffen organisieren. Aktuelle Ergebnisse bestä-tigen positive Effekte, denn „Kinder aus Familien, die durch das PAT-Elterntraining gefördert wurden, ver-fügen später über einen grösseren Wortschatz, können sich besser artikulieren und haben eine bessere Impulskontrolle als Kinder, die kein Training erhalten haben“ (SKBF, 2018, S. 52). Ein analoges Projekt, das auf die Unterstützung des familialen Bildungsortes fokussiert, ist das Hausbesuchsprogramm schritt:weise, das sich an Kinder im Alter zwischen zwei und vier Jahren richtet. Getragen wird dieses Pro-jekt vom Verein a:primo, der aktuell ein neues Programm namens ping:pong lanciert, bei dem Eltern ein Jahr vor oder während des ersten Jahres im Kindergarten im Rahmen einer Elternbildung lernen, wie sie ihre Kinder mit Blick auf den schulischen Erfolg unterstützen können (vgl. Edelmann 2015; 2018).

Es ist insgesamt als wichtig zu erachten, dass sich Bildungspolitik und Gesellschaft darum bemühen, dass mehr Kindern als bislang der Zugang zu vorschulischen Einrichtungen ermöglicht wird. Zudem sind Formen mitzudenken, wie mittels Eltern- und Familienbildung die Vorbereitung und Unterstützung im Kontext des Übertritts in den Kindergarten und in die erste Primarschule noch besser unterstützt werden können, vor allem für sozial benachteiligte Familien. Nicht zuletzt lohnen sich diese Investitionen auch für die Gesell-schaft, denn Investitionen in den vorschulischen Bereich im Sinne einer Prävention sind günstiger als spä-tere Versuche, Bildungsversäumnisse zu kompensieren (z. B. Heckman, 2006). Die OECD formuliert dies zusammenfassend wie folgt: „The first years of life lay the foundation for future skill development and learn-ing. Investments in high-quality early childhood education and care and smooth transitions between the var-ious stages of early education are key for children’s long-term learning and development” (OECD, 2017b, S. 17).